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Kapitel 5

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Schritt für Schritt nach oben

Das Schicksal sparte seine Kräfte nicht

Und hob sie vom Parterre ins Rampenlicht.

A Panegyrick, 1681

Das neue Theater, das Killigrew zwischen der Bridges Street und der Drury Lane errichtete und das am 7. Mai 1663 seine Tore öffnete, stellte für viele Frauen das Eingangstor zu einer anderen, verheißungsvolleren Welt dar. Für Nell jedenfalls bot es die Möglichkeit, sich sowohl von Duncan zu befreien als auch den Klauen von Madam Ross zu entkommen, denn sie gehörte mit zu den Ersten, die in die erlesene Truppe der Orangenverkäuferinnen aufgenommen wurde. Einige Wochen vor der Eröffnung des Theaters hatte Killigrew’s Company (genauer gesagt »The King’s Company«) einer gewissen Mary Meggs, Witwe, folgende Genehmigung erteilt: »Sie ist als Einzige befugt, frei und uneingeschränkt Orangen, Zitronen, Obst, Leckereien und allerlei Arten von Früchten und Zuckerwaren feilzubieten, zu verkaufen und unter die Leute zu bringen.« Meggs, ehemals Bordellwirtin und allgemein bekannt unter dem Name »Orange Moll«, war eine gute Freundin von Mrs Gwyn, und so gingen zwei der drei Stellen, die sie für Hilfskräfte bereithielt, an die Schwestern Rose und Nell Gwyn. Später formulierte es der Verfasser von A Panegyrick folgendermaßen:

Ein Korb war ihrem hübschen Arm beschieden,

mit Äpfeln und dem Obst der Hesperiden.

Das staunende Parterre hat sie besucht,

bot feil die lächelnd goldgestreifte Frucht.

In symbolischer Hinsicht ist es interessant, dass die Orange so stark mit Nell Gwyn und insbesondere mit ihrem lebhaften Wesen und ihrer Großzügigkeit assoziiert wurde. Chesterton erinnert daran, dass »noch lange nachdem der Letzte, der sie mit eigenen Augen gesehen hatte, verschieden war, an der Sitte festgehalten wurde, bei der Austeilung von Almosen in der Savoy-Kapelle einen Teller mit einer Orange neben die Tür zu stellen«, als eine Art Tribut an Nells Mildtätigkeit.1 Die Orange war in allererster Linie ein Symbol für die Sonne, ganz bildlich gesprochen, aber auch für den Geist, der alles Leben durchdringt. Die Orangen – oder goldenen Äpfel – im Garten der Hesperiden am äußersten westlichen Ende der Welt waren der höchste Preis, den der Geist des Menschen erstreben konnte: das Erstrahlen der Seele. Zu Nells Zeiten galten sie als exotisch, beinahe als Früchte aus einer anderen Welt, und wurden stark mit dem Königtum in Verbindung gebracht. Charles’ Großmutter, Maria von Medici, Königin von Frankreich, hatte eine berühmte Orangerie besessen, und sein Vetter Ludwig XIV., der Sonnenkönig, war geradezu vernarrt in Orangenbäume. Bezeichnenderweise sind es Orangen, die Aschenputtel ihren garstigen Schwestern zum Geschenk macht, als Zeichen dafür, dass sie nun nicht mehr länger das Aschenputtel ist, sondern sich zur Prinzessin gewandelt hat; man könnte wohl sagen, dass die Orangen auch am Anfang von Nells Eintritt in das Leben des Königs standen.

Die Mädchen arbeiteten sechs Tage in der Woche und erhielten ein Sechstel ihrer Einnahmen als Lohn. Sie standen in der vorderen Reihe des Parketts mit dem Rücken zur Bühne, hielten ihre mit Weinlaub bedeckten Obstkörbe vor sich und riefen in der Pause zwischen den einzelnen Akten: »Orangen gefällig! Möchte jemand Orangen?« Wilson zufolge bestand ihre Kleidung, die vermutlich von Orange Moll gestellt wurde, aus einer weißen Bluse, Korsett, Unterrock und einem Kleid aus grobem Stoff. Um den Hals hatten sie ein Tüchlein gebunden. Für die kleinen, süßen »Chinaorangen« zahlten die Gentlemen Sixpence, doch zusätzlich gab es auch Trinkgelder, denn die Mädchen übernahmen Botengänge für die Herren und überbrachten den maskierten Damen im Publikum oder aber den Schauspielerinnen hinter der Bühne kleine Liebesbillets. Auf diese Weise lernten sie den Umgangston und die Gepflogenheiten der besseren Gesellschaft kennen. Manchmal gab es auch unerwartete Aufgaben, so etwa als Orange Moll höchstpersönlich einem Mann während der Aufführung von Heinrich IV. das Leben rettete. Der hatte sich nämlich an seiner Orange verschluckt, und sie steckte ihm den Finger in den Hals und »brachte ihn so ins Leben zurück«. Pepys befand sich zu dem Zeitpunkt im Publikum und vertraute den Vorfall seinem Tagebuch an. Die Orangenverkäuferinnen kamen auch in Kontakt mit den Schauspielern und Schauspielerinnen, denn häufig trotteten sie mit ihnen mit, wenn die sich nach der Vorstellung noch in eine der nahe gelegenen Schenken zurückzogen.

Meggs suchte sich ihre Mädchen nicht allein nach äußeren Kriterien aus, sie mussten auch in der Lage sein, mit den Kunden zu schäkern. Schon sehr bald waren sie dafür bekannt, dass sie sich im Theater in allen Intrigen auskannten und genau wussten, wer sich mit wem traf. Wenn ein Gentleman sie danach fragte, konnten sie ihm wertvollen Klatsch weitertragen. Von Meggs selber hieß es, sie sei »eine private Umschlagstation für Skandalnachrichten« gewesen. In Rawlins’ Stück Tunbridge Wells, or A Day’s Courtship sagt eine der Personen: »Ihr Kuppeleigeschäft versteht sie besser als jede Orangenmaid im Theater.« Diese Anstellung war sicherlich eine gute Lehre für die spätere Karriere auf der Bühne, wo der gekonnte Umgang mit der Kuppelei geradezu zur Kunst erhoben wurde, und die Leiter der Truppe haben wahrscheinlich sehr rasch erkannt, wenn die Stimme eines Mädchens Talent verhieß, wenn es selber witzig und schlagfertig reagierte und andere zum Lachen bringen konnte. Manche dieser Tändeleien müssen ziemlich derb gewesen sein, denn die Orangenmädchen selbst galten den jungen Burschen in der Stadt als Freiwild. Viele Jahre später hat Nells große Rivalin, die Herzogin von Portsmouth, einer Dame erwidert, als diese Nells geistreiche Bemerkungen lobend erwähnte, an der Art, wie sie fluche, könne doch jedermann gleich erkennen, dass sie einmal Orangen verkauft habe.

Ob nun derb oder nicht, für ein Mädchen aus den Elendsvierteln muss das alles sehr aufregend gewesen sein. Nie zuvor hatte Nell so viele vornehme Damen und Herren in all ihrem Staat gesehen. Und dann war da noch die allgemeine Aufregung, wenn der König zu einer Aufführung eintraf. Sobald die königliche Equipage draußen vor dem Hauptportal des Theaters vorfuhr, wurde das gesamte Parkett von einer gespannten Vorfreude ergriffen. Man konnte sehen, wie der König aus der Kutsche stieg, und man hörte die Jubelrufe draußen auf der Straße, wenn die Menge ihn umdrängte und ihm hochachtungsvoll ihre besten Wünsche darbrachte. Bei seinem Eintritt erhob sich das Parkett geschlossen, und alle blieben so lange stehen, bis er Platz genommen hatte. Charles war der erste Monarch, der das öffentliche Theater förderte, und seine Anwesenheit garantierte ein volles Haus, ja, oftmals zog er die Aufmerksamkeit und die Kommentare stärker an als das Stück selber. Nell, die mit glühendem Gesicht im Schein der an den Bühnenwänden lodernden Fackeln und unter dem vom Proszenium herabhängenden und mit Kerzen bestückten Leuchtern stand, muss es vorgekommen sein, als sei der gesamte Hofstaat wie von Zauberhand hier, direkt vor ihren Füßen, erschienen. Allein schon die Schauspielerinnen müssen Nell wie Geschöpfe aus einer anderen Welt vorgekommen sein, denn ihr Status als »Stars« bescherte ihnen Liebesaffären mit den eleganten Gentlemen und Höflingen, die vom Parkett aus ein Auge auf sie geworfen hatten.

Diese überwältigende Erfahrung wurde allerdings etwas ernüchtert durch die Anwesenheit ihrer Schwester Rose, mit der sie Freud und Leid ihrer Kindheit geteilt hatte. Rose, die inzwischen zu einer jungen Frau herangewachsen war, hatte sich auf eine Affäre mit Killigrews Heißsporn von Sohn Harry eingelassen, dessen Einfluss sie etwas später im selben Jahr aber noch zu schätzen lernen sollte, als sie vom Krongericht Old Bailey wegen Diebstahls verurteilt worden war. Es gelang ihr, Harry eine Nachricht zukommen zu lassen. Der besuchte sie daraufhin im Gefängnis und setzte sich beim König für ihre Begnadigung ein. Killigrew gehörte zu Charles’ alt angestammtem Personal und wurde später Hofnarr bei William III. Vielleicht hatte der junge Killigrew Rose ja bei einem Besuch in Madam Ross’ Etablissement kennengelernt. Wahrscheinlicher ist aber wohl, dass er ihr im Theater seines Vaters begegnet ist, wo sie zusammen mit Nell angestellt war. Über die Zeit nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis ist nur wenig bekannt. Weder besitzen wir eine Beschreibung von ihr noch ein Bild, es scheint allerdings, dass sie nach zehn wilden Jahren in den 1660ern doch noch den Weg in den ehrbaren Hafen der Ehe gefunden hat.

Das Theater war ein kleiner, weitgehend aus Holz erstellter, dreigeschossiger Bau, circa siebenunddreißig Meter lang und zwanzig Meter breit. Die Bauarbeiten hatten ganze zwei Jahre in Anspruch genommen und 2400£ gekostet. Innen war das Theater üppig ausgestattet, wobei trotz des durch die zahllosen Kerzenleuchter hervorgerufenen Glanzes doch eine Atmosphäre behaglicher Intimität gewahrt blieb. Den gesamten unteren Bereich nahm das Parkett ein. Seine mit grünem Flanell und vergoldetem Leder bezogenen Sitzreihen stiegen nach hinten hin leicht an. Dies waren die von der jeunesse dorée der Stadt bevorzugten Plätze (auch von so aufstrebenden jungen Herren wie Samuel Pepys) und kosteten den Eintrittspreis von zwei Schilling Sixpence. Über dem hinteren Teil des Parketts erhoben sich drei Ränge. Der erste war in reich verzierte Seitenlogen unterteilt und den königlichen Gästen, dem Adel sowie hochgestellten Besuchern vorbehalten. Diese Logen erhoben sich in so geringer Höhe über dem Parkett, dass zwischen diesen beiden Ebenen ständig æillades (vielsagende Blicke) hin und her wanderten. Der mittlere Rang, auf dem hauptsächlich die städtischen Kaufleute und die nouveaux riches Platz nahmen, war ebenfalls in Logen unterteilt, und ein Platz kostete dort einen Schilling Sixpence. Und schließlich gab es noch den dritten, nicht unterteilten Rang, wo sich für einen Schilling das ungehobeltere Publikum amüsierte. Zu dieser Galerie erhielten Lakaien, Kutscher und andere niedere Dienstboten auch kostenlos Zugang, sobald sich der Vorhang zum letzten Akt gehoben hatte. Bei der Premiere eines Stückes betrug der Eintrittspreis gewöhnlich das Doppelte. Insgesamt bot das Theater ungefähr siebenhundert Zuschauern Raum.

Zwischen Parkett und Bühne verlief ein Gang, auf dem die Orangenverkäuferinnen standen und wo sich das Publikum zwischen den einzelnen Akten die Beine vertreten konnte. Dieser Gang trennte die fiktive Welt auf der Bühne von der Welt der Wirklichkeit. In einer Nische neben der Bühne hockten die Musiker des Orchesters, denn bevor der Vorhang sich hob und auch in den Pausen spielte die Musik. Wie stets im siebzehnten Jahrhundert ist Zurückhaltung geboten, wenn man auf die Bequemlichkeit zu sprechen kommt. Einmal ganz abgesehen von der natürlich vorhandenen Brandgefahr erzeugten die vielen Kerzen im Sommer eine unerträgliche Hitze, und Pepys schildert uns eindringlich, wie sehr er dann im Parkett schwitzte. Im Winter bestand das gegenteilige Problem, weil die Fenster in der Kuppel über dem Parkett nicht regendicht waren. Pepys beklagt einmal, dass ein Hagelschauer ihn und seine Gattin gezwungen habe, ihre Plätze zu verlassen und in einem nahe gelegenen Bierausschank Zuflucht zu suchen! Es gab keine Toiletten, und alkoholische Getränke waren strikt verboten. Die Vorstellungen begannen gewöhnlich um drei Uhr nachmittags.

Pepys, der das Theater einen Tag nach der Eröffnung besuchte, hielt Folgendes fest: »Das Haus ist sehr gut ausgestattet, wenngleich es einige Mängel aufweist, so etwa die engen Zu- und Abgänge zum Parkett und die weite Entfernung von der Bühne zu den Logen, wo man, wie ich überzeugt bin, nichts hören kann; doch alles andere ist sehr schön ...« Danach allerdings beklagt er sich noch darüber, dass der Klang des unter der Bühne untergebrachten Orchesters nicht klar genug ans Ohr des Zuschauers dringe. Genau wie viele der anderen Besucher begab sich auch Pepys gerne hinter die Bühne, um mit den Schauspielerinnen zu liebäugeln, während diese sich umkleideten. Viele kamen in der Hoffnung auf ein Stelldichein, und alle waren sie äußerst lästig. Eine Privatsphäre gab es nicht einmal für die »Stars«. Nells Schauspielerkollegin Beck Marshall beschwerte sich einmal direkt beim König über die ungebetenen Aufmerksamkeiten von Sir Hugh Middleton, worauf der König per Dekret allen Gentlemen den Zutritt zu den Garderoben in der Drury Lane untersagte. Es gab zwei sogenannte Ruheräume, einen für die Frauen und einen für die Männer, die sich direkt neben den Kammern befanden, in denen die Schauspieler auf ihr Stichwort warteten.

Mit Nells neuer Stellung ging auch eine Veränderung ihrer Wohnverhältnisse einher. Sie zog nun in das Cat and Fiddle in der Lewkenor Lane (heute Macklin Street), eine der kleinen, nördlichen Seitengassen der Drury Lane, dort wo diese in die Holborn mündete und wo sich genau wie in der Coal Yard Alley einiges an Diebsgesindel herumtrieb. Bei dieser Unterkunft handelte es sich wahrscheinlich um einen Ableger von Madam Ross’ berüchtigtem Etablissement, was die Vermutung nahelegt, dass Ross Orange Moll mit Mädchen versorgte. Damit scheint sich auch zu bestätigen, dass Puffmütter und Theaterbetreiber in enger Verbindung zueinander standen. Beide hielten stets Ausschau nach begabtem Nachwuchs. Der größte Teil des Theatervölkchens lebte hier in der Drury Lane und ihren kleinen kopfsteingepflasterten Höfen und Seitengässchen. Nells früheres (noch von Duncan bezahltes) Zimmer hatte in der Maypole Alley oder Little Drury Lane2 gelegen, von wo aus sie auf die Strand und den mächtigen Maibaum mit der vergoldeten Krone blicken konnte. Das war das elegante Ende der Drury Lane im Süden, dort wo die fünfstöckigen Stadtpalais des Earl von Craven standen. Auch die Earls von Salisbury und Peterborough besaßen hier Häuser, desgleichen Lord Howard, und im Weld House beherbergte man häufig ausländische Gesandte. Die Kirche in der Drury Lane zog ortsansässige Katholiken in so auffallend großer Zahl an, dass die Straße schon bald unter der Bezeichnung »Klein Rom« bekannt war. Etwas weiter oben, fernab vom Adel, lebten die Künstler und Theaterleute, und ganz am nördlichen Ende, nahe der Holborn, lagen die Elendsquartiere und Bordelle, die Nell von Kindheit an vertraut waren. Mit ihren starken gesellschaftlichen Gegensätzen war die Drury Lane eine wirklich gute Metapher für Nell Gwyns Lebensweg, und das Theater in ihrer Mitte stellte darin in gewisser Weise einen Ort des Ausgleichs und der Versöhnung dar.

Wenn der König Nell nicht schon in Madam Ross’ Etablissement begegnet war, so dürfen wir doch als gewiss annehmen, dass sie ihm aufgefallen ist, als sie unterhalb der Bühne ihre Orangen feilbot. Beglückt über die Aufmerksamkeiten der jungen Herren, muss sie mit ihren geröteten Wangen einen ganz bezaubernden Anblick geboten haben. Der unbekannte Verfasser von Memoirs of the Life of Eleanor Gwinn (1752) schreibt jedenfalls: »Kaum tauchte sie mit ihren Orangen im Parkett und hinter der Bühne auf, so richteten sich die Augen aller Schauspieler und auch die der lebenslustigen Herren, die das Theater bevölkern, sogleich auf sie, und alle hätten nur zu gerne gewusst, wer diese hübsche Orangenmaid war und woher sie stammte.« Und sie wiederum hat wahrscheinlich ihren Blick über die maskierten Damen und ihre flotten Begleiter auf den grün bezogenen Sitzreihen schweifen lassen, bis hin zu jenem Platz, wo der König mit seiner rothaarigen Mätresse saß, und war voller Zuversicht, dass er sie eines Tages bemerken würde.

Doch was bekamen diese schneidigen Gentlemen, die ins Theater strömten, denn nun eigentlich zu sehen, wenn sie ihre Augen auf die bezaubernde Orangenverkäuferin richteten, die dort mit dem Rücken zur Bühne stand? Nell war sicherlich klein und zierlich (mit den winzigsten und hübschesten Füßchen im ganzen Land), besaß aber dennoch durchaus weibliche Formen und scheute sich nicht, diese auch zur Geltung zu bringen. Ihr Gesicht war oval, sagt Dryden, der sie in der Rolle der Florimel beschreibt, sehr hell ihr Teint, die Augen haselnussbraun unter kräftigen braunen Brauen, was einen wunderhübschen Kontrast zu dem warmen, von goldenen Strähnen durchzogenen Kupferrot ihres Haars bildete. Ihr Biograph Arthur Dasent meint, dieser Gegensatz »mache vielleicht den größten Reiz ihres Antlitzes aus« und behauptet, solche Züge seien »bei Menschen plebejischer Herkunft nur selten oder gar nicht anzutreffen«. Wenn sie lachte, bildeten sich Grübchen in ihren Wangen, und der Schalk stand ihr ins Gesicht geschrieben. Auch ihre Porträts offenbaren, dass sich hinter diesen großen Augen, die den Betrachter dahinschmelzen lassen, noch etwas Tieferes verbirgt: die Melancholie des Narren.

Auf einem Stich nach einem Porträt, das Peter Cross von Nell gemalt hat, und auf dem sie nackt – bis auf ein Paar Amorsflügel – dargestellt ist, ist folgendes Epigramm zu lesen:

Hätt’ Paris diese Helena gekannt,

die Goldfrucht wäre nun in ihrer Hand.

Wunschtraum des Volkes, dem Monarchen teuer:

Das zweite Troja brennt in ihrem Feuer.

Geist, Schönheit, Güte, freundlicher Humor

Hebt über jede Venus sie empor.3

»Diese Helena« ist natürlich eine launige Anspielung auf ihren Namen, Ellen Gwyn, und aus den beiden letzten Zeilen geht ganz deutlich hervor, dass es ihr Geist, aber auch ihre Güte und ihr freundlicher Humor waren, die sie beim Publikum so beliebt machten. Samuel Pepys, ein tatkräftiger Bewunderer weiblicher Schönheit, schätzte sich glücklich, eine Kopie dieses Stichs über seinem Schreibtisch in der Admiralität hängen zu haben.

Wir sollten uns nun aber ebenfalls vorstellen, was Nell erblickte, wenn sie mit ihrem Korb voller Orangen, den Rücken zur Bühne, ins Parkett schaute. Sollte sie gute Manieren und anständiges Betragen erwartet haben, so wurde sie bitter enttäuscht. Das Parkett unterschied sich nur unwesentlich von einem besseren Viehmarkt. So ließen etwa die Gecken keine Gelegenheit aus, ihren rauen Charme spielen zu lassen und mit den hinter ihren seidenen Gesichtsmasken, den vizards, verborgenen Damen zu plaudern, auch wenn das bedeutete, dass sie dem Geschehen auf der Bühne den Rücken zuwenden mussten. Oft waren sie auch angetrunken und stiegen auf die Sitze, um sich noch ostentativer in Pose zu werfen. Sie kauten Obst und knabberten Konfekt, rauften mit Rivalen und fochten gelegentlich sogar hier, auf dem mit Sägemehl eingestreuten Boden des Parketts, ihre Duelle aus. Sie fanden nichts dabei, mitten in die Vorstellung hineinzuplatzen und das ganze Haus mit ihrem ungebührlichen Auftritt zu unterhalten. Und wenn sie der Meinung waren, der Autor sei nicht witzig genug, scheuten sie sich nicht, ihre eigenen »Kommentare« dazwischenzurufen, um die Lacher auf ihre Seite zu ziehen. Oder aber das Stück missfiel ihnen, und auch die maskierten Damen wollten nicht so recht anbeißen, dann inszenierten sie ihren großen Abgang, und zwar zu den unpassendsten Augenblicken. In seinem Stück The English Friar schildert uns der Dramatiker John Crowne, wie einer dieser Wichtigtuer im Parkett herumkrakeelt:

Oh ja, Sir, Ihr seid der Herr des ganzen Hauses, und niemand soll mehr etwas anderes hören als das, was Eurem lauten Gebaren beliebt; Ihr nehmt sechs Plätze in Anspruch und räkelt Euch darauf herum, ohne jedoch auch nur für einen zu zahlen; streitet mit den Leuten und unterhaltet die Damen hinter ihren Larven mit Euren Zoten, so dass man es überall in den Logen hört! Ihr rangelt mit den Orangenmaiden, werft sie zu Boden, küsst sie und lasst die Damen von Stand sitzen ...

Auch Aphra Behn beschreibt diese jungen Herren im Prolog zu ihrem Stück The Débauchée als Flegel, die »sich über die Bankreihen hinweg laute Flüche zurufen und den Orangenmädchen Derbheiten entgegenschleudern«. Die Gecken und ihre Mätressen waren im Grunde genommen beides, Schauspieler und Zuschauer in einem, und unterhielten das Theater mit ihren ungeprobten Skandalszenen. Im Februar 1664 hält Pepys in seinem Tagebuch fest, dass »der König neulich sein Theater besuchte, um The Indian Queene zu sehen (ein Stück, das er für sehr gelungen hält). Lady Castlemaine hatte bereits in der Nachbarloge Platz genommen, bevor er eintraf; eine Weile lang lehnte sie sich über die anderen Damen hinweg, um mit dem König zu tuscheln, erhob sich dann, verließ ihre Loge und begab sich in die des Königs. Dort ließ sie sich zur Rechten des Königs nieder, zwischen ihm und dem Herzog von York; was ... den König selber sowie alle anderen ganz aus der Fassung brachte ...«. Barbara, die des Königs Geduld in letzter Zeit etwas strapaziert hatte, tat dies, wie Pepys meint, »um aller Welt zu beweisen, dass sie, entgegen allen Gerüchten, immer noch in seiner Gunst stand«.

Zwischen Bühne und Parkett verlief eigentlich keine genaue Trennungslinie: beides zusammen bildete eine einzige Manege für die Anmaßungen der besseren Herren. Wenn es doch einen Unterschied gab, so stellt man sich die Bühne wohl am besten als einen großen Spiegel vor, vor dem die beau monde ihr Gefieder plusterte. Sir Carr Scrope, einer von Nells späteren Verehrern, benutzt dieses Bild des Spiegels, um in seinem Prolog zu Etheredges Komödie The Man of Mode die Eitelkeit des Parketts aufs Korn zu nehmen:

Weisheit ist heute nicht en vogue, zum Glück,

denn Eure Possen formten unser Stück.

Uns Mimen füttert Eure Unvernunft,

so wie die Zipperlein die Ärztezunft.

Wenn jedes Jahr ein neues Leiden bringt,

ist’s hochwillkommnen, da die Kasse klingt.

Und keimt bei Euch ein neuer Typus Narr,

ist er Tags drauf schon Bühneninventar.

Euch selbst zuliebe seid nicht gar zu strikt,

verdammt nicht hier, was Euch daheim beglückt.

Denn jeder liebt sein hässliches Gesicht –

Wir halten Spiegel nur: Zerbrecht sie nicht!

Und an Eitelkeit und prachtvoller Kleidung stachen die nach der neuesten französischen Mode ausstaffierten Männer die Damen bei weitem aus, auch wenn Richard Ames darauf hinwies, dass auch die Damen im Parkett dem Stück an sich ebenso wenig Aufmerksamkeit zollten wie die Herren der Schöpfung:

Da sitzen sie maskiert und kichern dumm

und gaffen tückisch im Parterre herum,

den Text des Schauspiels ignoriert man ganz.4

Das Theater machte alle gleich. Die seidene Gesichtsmaske sorgte dafür, dass die Weiblichkeit im Parkett, Damen wie Prostituierte gleichermaßen, zu einer einzigen Ware reduziert wurde. Ob sie sich nun zurückhaltend Luft zufächelten oder aber schamlos herumflirteten, für den Galan auf Beutezug waren sie alle eins. Der folgende Dialog aus dem Beginn des IV. Aktes von The Man of Mode fängt diese neue Art männlicher Eitelkeit gut ein:

Lady woodvill: Nun, dies ist wahrlich nicht das Zeitalter der Frau, da kann man sagen, was man will. Heute ist Lüsternheit angesagt, zu meiner Zeit war es Liebe.

Dorimant: Fürwahr, Frauen haben heutzutage an den jungen Herren wenig, was sie schätzen könnten; im Allgemeinen sind diese nur stumpfsinnige Bewunderer ihrer selbst und machen lediglich ihren Perücken und Halstüchern den Hof. Und sollten diese einmal verrutschen, selbst wenn die Gründe dafür die angenehmsten wären, so bereitet ihnen das mehr Sorge als einem jungen Mädchen, wenn es den Kopf oder sein Taschentüchlein verliert.

Doch lassen wir die derben Späße einmal beiseite. Die Welt des Theaters, zu der Nell zunächst nur indirekt im Alter von vierzehn Jahren Zutritt erlangte, wurde von einer wohlhabenden Londoner Klientel gefördert, und die setzte sich sowohl aus Angehörigen des Hofes zusammen als auch aus der wachsenden Schicht der Kaufleute und City-Finanziers (geringschätzig »cits« genannt). Der Handel florierte, und der schier endlose Zufluss an Rohstoffen aus den Kolonien ließ neue Industrien entstehen. Im Gegensatz zu seinem Vater verließ sich Charles nicht mehr auf das Feudalsystem und die daraus resultierenden Einkünfte, denn das hatte jenem viel Verdruss mit dem Parlament beschert, nein, er wurde Kapitalist und erweiterte den englischen Überseehandel um ein Vielfaches. Unter Charles’ Führung kehrte die gute alte elisabethanische Lust am Handelsabenteuer zurück. Luxuswaren überschwemmten die Londoner Märkte (vor allem über die Royal Exchange in Cornhill und die New Exchange in der Strand und in Westminster Hall), und das hatte zur Folge, dass die Theaterbesucher, denen Nell ihre Waren feilbot, besser gekleidet waren als ihre Vorgänger und auch besser dufteten als jene. Sogar die Orangen, die Nell im Parkett zum Kauf anbot, waren ja exotische Früchte, selbst wenn Evelyn und andere ihre eigenen züchteten und man Orangenbäume im Physic Garden im St. James Park bewundern konnte.

Ein Jahr zuvor, 1663, hatte Charles’ Bruder James zusammen mit seinem Vetter Prinz Rupert die Royal African Company gegründet, die im Austausch gegen englische Waren Gold und Elfenbein von der Guineaküste erwarb. Diese Küste erstreckte sich von Gambia bis hinunter zum Kongo, und die englischen Schiffe sahen sich einer starken holländischen Konkurrenz ausgesetzt. 1663 wurde die erste Guinee geprägt, eine Goldmünze im Wert von zwanzig Schilling. In London erfreuten sich Kaffee und Schokolade rasch großer Beliebtheit, und zu Beginn des Jahres gab es bereits nicht weniger als zweiundachtzig Kaffeehäuser in der Hauptstadt. Hierher kamen die Herren, um fernab des Tumults der Schenken über die Ereignisse des Tages zu debattieren; alkoholische Getränke, Fluchen und Glücksspiel waren hier strikt verboten. Und Katharina von Braganza hatte mit ihrer indischen Mitgift auch den neuen Zeitvertreib des Teetrinkens eingeführt. Tee war allerdings vorerst nur für die Betuchten erschwinglich. London entwickelte sich zunehmend zu einer kosmopolitischen Stadt.

Englands koloniale Expansion führte unweigerlich zu Konflikten mit seinem schärfsten Konkurrenten, mit Holland. Vor der Guineaküste, wo die Holländer darauf bedacht waren, ihr Handelsmonopol zu wahren, herrschte eigentlich schon seit langem ein nicht erklärter Kriegszustand (oder sagen wir besser, staatlich geförderte Piraterie). Am 2. Februar 1664, Nells vierzehntem Geburtstag, schrieb Pepys in sein Tagebuch:

Ging mit Captain Cocke ins Kaffeehaus, der sich überzeugend darüber ausließ, dass ein Krieg mit den Holländern und ein Sieg sich positiv auswirken würden (so hatte ich das bisher noch nicht betrachtet, ganz im Gegenteil), denn zum einen reiche der Welthandel nicht für beide Nationen und deshalb müsse eine weichen, und zum anderen würde, auch wenn das unsere Kaufleute nicht zu besseren Ehemännern machte, unsere Wolle einen besseren Preis erzielen, weil man unsere Stoffe lobt, und dadurch wären unsere Pächter besser in der Lage, ihre Pacht zu zahlen, wodurch wiederum unser Land im Wert stiege und damit auch unsere Manufakturen, in denen die Holländer uns bisher so große Konkurrenz machten ...

Später im selben Jahr eroberten die Engländer in Amerika Neu Amsterdam und gaben ihm zu Ehren des Bruders des Königs den neuen Namen New York. Es war ein strategisch äußerst wichtiger Handelsposten, und mit seinem Verlust hatten die Holländer ihren einzigen realen Stützpunkt in Nordamerika eingebüßt. England dagegen hatte sich die Kontrolle über einen weiten Streifen an der Ostküste gesichert, der reichte von Maine bis hinunter nach Virginia. Sechs der ersten dreizehn amerikanischen Bundesstaaten wurden zur Zeit von Charles’ Herrschaft gegründet, darunter auch New York, New Jersey sowie Nord- und Südcarolina.

Aber dann, als das Jahr 1664 sich seinem Ende zuneigte, tauchte am nächtlichen Himmel über Europa ein Komet auf, und der König und die Königin wachten die ganze Nacht hindurch, um ihn zu beobachten. In England deutete man dieses Ereignis als Vorzeichen für einen Krieg. Doch es sollte mehr sein als nur ein Krieg, denn in den Häfen Hollands hatte die Pest bereits ihre ersten Opfer gefordert, und es dauerte nicht mehr lange, bis der Fluch des Mittelalters seinen Weg auch bis in die englische Hauptstadt fand.

Nachdem Nell etwas länger als ein Jahr mit dem Rücken zur Bühne gestanden hatte, wurde Thomas Killigrew, der Leiter des Theaters, auf sie aufmerksam. Er saß oft unten im Parkett und schaute sich die Stücke seiner Truppe an, und dabei hatte er mit eigenen Ohren gehört, wie Nell die Annäherungsversuche dreister Verehrer mit bewundernswerter Schlagfertigkeit parierte. Als königlicher Narr wusste Killigrew den ungewöhnlichen Humor Nells sofort zu schätzen. Killigrew, der selber sehr wortgewandt war, besonders dann, wenn er sich »mit Unterstützung des Traubensaftes in gehobener Stimmung befand«, hielt stets Ausschau nach Schauspielerinnen mit Improvisationstalent. Und obwohl William Legg im März 1664 die Genehmigung erteilt worden war, »unter der Aufsicht und mit Billigung von Sir William Davenant eine Schauspielschule für London und Westminster einzurichten«, und obwohl »Thomas Killigrew mit der Beschaffung von Nachwuchs für die Theater nichts zu schaffen haben sollte«, hat es doch den Anschein, als sei Nell ein direkterer Zugang zur Bühne beschieden gewesen. Killigrew stellte sie seinen beiden besten und erfahrensten Schauspielern vor, John Lacy und Charles Hart.

Immerhin war sie ja kein absoluter Neuling im Theater mehr, denn als Orangenmaid hatte Nell jede Woche bis zu vier verschiedene Stücke mit angehört. Sie besaß ein gutes Ohr für Dialoge und hatte bereits eine ziemlich genaue Vorstellung davon, welch unterschiedliche Stimmlagen und Haltungen die Frauenrollen sowohl in den Tragödien als auch in den Komödien erforderten. Und schließlich spielte sie als Überbringerin galanter Botschaften zwischen den Galanen und ihren Mätressen ja bereits eine der Schlüsselrollen im Drama der Restaurationszeit – die der Vermittlerin.

Nell war erst vierzehn Jahre alt, als Hart sie unter seine Fittiche nahm und gemeinsam mit John Lacy begann, sie für die Bühne vorzubereiten. Damit war sie nicht außergewöhnlich jung für einen Neuling im Theater, denn anscheinend traten viele Mädchen schon im Alter von vierzehn oder fünfzehn Jahren in die beiden Truppen ein. Nell war allerdings die Erste und die Berühmteste, die den Aufstieg von der Orangenverkäuferin zur Schauspielerin schaffte, aber sie war keineswegs die Letzte. Am berüchtigtsten wurde später Betty Mackarel oder »Orange Betty«, die 1674 in die King’s Company aufgenommen wurde. Ganz gleich, in welchem Alter die Schauspieler und Schauspielerinnen zum Theater kamen, besonders aber dann, wenn sie noch nicht einmal fünfzehn Jahre alt waren, es bedeutete für sie auf jeden Fall, dass sie dort eine neue Familie fanden, deren Oberhaupt der Leiter der Truppe war. Bei der Duke’s Company brachte Davenant seine Schauspielerinnen in einer nur für sie bestimmten Pension auf dem Gelände des Theaters unter, zum Teil wohl auch, um sie vor ungebetenen Aufmerksamkeiten des Nachts zu schützen. Eine hochschwangere Darstellerin war schließlich nicht von großem Nutzen. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum Killigrew eine bezahlte Hure im King’s House hielt – er wollte verhindern, dass seine Schauspieler in seinem wertvollen Bestand an weiblichen Kräften wilderten. Für die hatte er Unterkünfte in der Nähe gefunden und ließ sie nicht im Theater selber wohnen. Nell z.B. erhielt ein Zimmer unweit ihres früheren Stammlokals, des Cock and Pie in der Drury Lane. Tom selber wohnte ebenfalls in Covent Garden, neben der Piazza.

Viele der Schauspielerinnen gerieten durch Heirat in diese große Künstlerfamilie hinein oder aber waren die Töchter von Theaterleuten. Zwei der berühmtesten, Elizabeth Barry und Anne Bracegirdle, waren von Familien aufgenommen worden, die mit dem Theater zu tun hatten. Einige heirateten Musiker oder Künstler, die am Theater beschäftigt waren, wieder andere waren selber Sängerinnen und Musikerinnen, die mit ihrem Talent auf die Bühne strebten. Liebesaffären innerhalb der großen Theaterfamilie selber waren nichts Ungewöhnliches, und die am meisten bejubelte Beziehung war wahrscheinlich die zwischen Nell Gwyn und Charles Hart. Sie wurde genauestens beobachtet.

Es lässt sich schwer mit Gewissheit sagen, wer die ersten Schauspielerinnen waren und woher sie kamen. Möglicherweise traten diejenigen, die aus besseren Familien stammten, unter falschem Namen auf oder hielten ihre Herkunft absichtlich geheim, um das Stigma, das ihrem Beruf anhaftete, zu vermeiden. Wilson zufolge kamen die meisten Schauspielerinnen während der Restaurationszeit aus einer »mittleren Schicht« des verarmten Adels. »Die Welt der Restauration hatte den mitgiftlosen Töchtern verarmter Adliger kaum mehr zu bieten als eine Stellung als Hausangestellte. Zumindest wurde eine Schauspielerin besser bezahlt als ein Serviermädchen.«5 Meiner Ansicht nach entstammte ja auch Nell Gwyn, wenigstens väterlicherseits, dem verarmten Adel. Um Schauspielerin zu werden, bedurfte es sicherlich einer gewissen Anmut, doch außerdem auch eines Mindestmaßes an Vertrautheit mit der feineren Gesellschaft. Pepys schrieb in sein Tagebuch, dass Moll Davis, die im Duke’s House auftrat, angeblich die uneheliche Tochter von Thomas Howard war, dem Earl von Berkshire.

Wollte eine Frau Karriere machen, aber niedere Arbeiten meiden, so blieb als einziger Weg tatsächlich nur die Kunst, denn einen Arbeitsmarkt für Frauen gab es nicht. Vielen adligen Damen, deren Leben durch den Bürgerkrieg zerstört worden war, blieb nur die Wahl, entweder eine Dienstbotenstelle anzutreten oder Gouvernante zu werden. Pepys’ Schwester Paulina, die er als sehr schlicht und unauffällig beschreibt, blieb durch das Geschick ihres Bruders vor dem Schicksal bewahrt, ihr Leben als Dienstmädchen zu fristen, denn er fand nicht nur einen Ehemann für sie, sondern trieb auch noch eine Mitgift auf. Wie Liza Picard es ausdrückt, »führte der normale Weg zur Beschäftigung für eine Frau entweder durch die Vordertür ins Haus eines Mannes, nämlich als seine Gattin, oder aber durch den Hintereingang, dann als seine Dienstbotin«.

Eine der Gefahren – oder Chancen –, die das Schauspielergewerbe für Frauen mit sich brachte, bestand darin, von einem reichen oder adligen Liebhaber von der Bühne weggeschnappt zu werden. Manch eine vielversprechende Karriere wurde durch das Auftauchen eines raublustigen Galans entweder unterbrochen oder sogar beendet. Unter den gegebenen Umständen liegt allerdings auch der Schluss nicht fern, dass viele Frauen den Schauspielerberuf ergriffen, gerade weil sie hofften, solch einem Liebhaber zu begegnen, und nicht so sehr aus Liebe zur Bühne. Hester Davenport wurde schon nach knapp zwei Jahren am Duke’s House die Geliebte des 20. Earl von Oxford. Mit einem falschen Heiratsversprechen hatte er sie dazu gebracht, die Bühne zu verlassen, doch sie bestand später darauf, dass der gemeinsame uneheliche Sohn Aubrey de Vere zum 21. Earl von Oxford erhoben wurde. Für Margaret Hughes, eine Schauspielerin im Theatre Royal, waren sogar noch weniger Aufführungen vonnöten, bis sie der schon in die Jahre gekommene Prinz Rupert abschleppte, mit dem sie eine Tochter hatte, Ruperta. Mrs Johnson fiel dem Earl von Peterborough in die Hände, Elizabeth Hall wurde Beute von Sir Philip Howard, und Susanna Uphill landete bei dessen Vetter, Sir Robert Howard. Die bei weitem berühmtesten Opfer sexueller Entführungen aber waren Moll Davis und Nell Gwyn, denn sie beide erlagen dem König.

In den Prologen oder Epilogen ihrer Autoren klagten die Schauspieltruppen häufig darüber, dass ihnen die weiblichen Darsteller durch exzessives Liebeswerben abhanden kamen. Nathaniel Lee, der sich im Nachwort zu The Rival Queens (1677) an die hierfür verantwortlichen Herren wandte, schrieb:

... die Weiber schmücken den Theaterplan,

wir füttern sie und Ihr vernascht sie dann.

Und Colley Cibber spricht voller Bedauern von den »vielen zerbrechlichen Schönen, ... die, noch bevor sie auf der Bühne zur vollen Reife gelangen konnten, sträflich vom Baume entwendet wurden«.6 Sir Courtley Nice drückt sich in Shadwells Stück The Disappointment weniger elegisch aus und sagt, das King’s House sei zu einem »Hurenmarkt« verkommen. Solche Liebschaften gereichten der Schauspielerin jedoch nicht immer zum Vorteil. In Aphra Behns Komödie The City Heiress spricht Tom Wilding über »unsere theaternärrischen jungen Leute, die sich in eine Frau verlieben, weil sie gut spielt, diese dann drängen, die Bühne zu verlassen, und sie damit ihres einzigen Reizes berauben, um sie hernach ihrem Unglück zu überlassen«. Doch natürlich waren die Truppen machtlos und konnten ihre Darstellerinnen nicht daran hindern, ihre Vorzüge zur Schau zu stellen, denn genau das verlangten ja die Rollen von ihnen. Und ebenso wenig konnten sie die Gentlemen davon abhalten, ihnen hinter der Bühne nachzusteigen. Nach zwanzig Jahren Puritanismus war das Auge eben lüstern geworden.

Interessant ist, dass eine gewisse Mary Lee, die von 1670 bis 1685 in der Duke’s Company auftrat, auch dann noch als Schauspielerin auftrat, nachdem sie Sir Charles Slingsby geheiratet hatte. Solange sie ihren Ehemann nicht betrog – und es gab keinerlei Hinweis auf ihre Untreue –, wurde ihre vor der Ehe begonnene Theaterlaufbahn nicht als Makel für ihren neuen Status empfunden, denn wie bei allen Dingen, deren Spiritus rector menschliche Gefühle sind, spielte auch in der Art und Weise, wie die Klassen der Reichen oder der Landbesitzer dem Theater gegenüberstanden, ein Gutteil Ambivalenz, um nicht zu sagen Heuchelei mit. So waren z.B. viele der Galane eifersüchtig auf jene Schauspieler, die attraktive Kolleginnen geheiratet hatten oder mit ihnen verkehrten. Letztere waren ebenso glamourös wie die Filmstars von heute und Meister darin, so zu tun, als wären sie ihren Bewunderern gesellschaftlich gleichgestellt oder sogar höherrangig als diese. Man kann sich wohl kaum vorstellen, welch ungeheuer aufreizende Anziehungskraft diese von allen gesellschaftlichen Zwängen befreiten Geschöpfe auf die männliche Fantasie ausübten. William Mountfort, ein aufsteigender Stern am Himmel des Theatre Royal, dessen Frau Susanna Mountfort später die gefeiertste Schauspielerin ihrer Tage werden sollte, wurde z.B. auf offener Straße von Captain Richard Hill erstochen. Hill hatte sich bemüht, Anne Bracegirdle, ebenfalls eine Schauspielerin, für sich zu gewinnen, und war wahnsinnig eifersüchtig auf Mountfort, weil der auf der Bühne häufig ihren Liebhaber mimte. Wieder eine der für die Restaurationsepoche so typischen Verquickungen von Kunst und wahrem Leben.

Nell Gwyn hatte unerhörtes Glück, dass sie an Hart und Lacy geraten war. Möglicherweise hat dabei eine alte Familienbekanntschaft sogar eine noch größere Rolle gespielt als Frau Fortuna, denn es besteht Grund zu der Annahme, dass Nells Vater während des Bürgerkriegs zusammen mit Lacy in Sir Thomas Dallisons Kavallerieregiment gedient hatte. Wenn das zutrifft, dann war es ein passender Zufall, dass, wie manche behaupten, Nells erste Rolle die der Doll Troop in Lacys eigener Komödie The Old Troop war, die 1664 aufgeführt wurde. Wahrscheinlich hatte dann auch Nells Mutter in ihren Garnisonstagen als Vorbild für die Doll Troop, die Hure der Kompanie, hergehalten.

Lacy gehörte also derselben Generation an wie Nells Vater. Nach dem Bürgerkrieg wurde er Tanzlehrer, bis die Restauration es ihm schließlich wieder erlaubte, in sein altes Metier als Schauspieler zurückzukehren. Er war ein großer, kräftiger Mann aus Yorkshire, der kein Blatt vor den Mund nahm und in komischen Rollen und humoristischen Tanzszenen glänzte. Er galt als der größte Falstaff seiner Zeit. Seine Unverblümtheit konnte ihn aber auch in Schwierigkeiten bringen, so etwa, als er über den Dramatiker Edward Howard äußerte, der »sei eher ein Narr denn ein Dichter«. Als Howard den Schauspieler daraufhin ohrfeigte, schlug der mit seinem Stock auf ihn ein, bis man ihn schließlich in die Portiersloge von Whitehall sperrte. Hätte Lacy nicht in den Diensten des Königs gestanden, wäre man vermutlich sehr viel härter mit ihm umgesprungen. Doch er zählte nun einmal zu den Lieblingsschauspielern des Königs, und ein Porträt von ihm hing sogar in Windsor Castle. Charles selber hatte es in Auftrag gegeben.

Für Nell erwies sich der alte Haudegen als ein liebevoller und väterlicher Lehrer, der ihr beibrachte, wie man auf der Bühne tanzte und einen Epilog vortrug. Böse Zungen behaupteten, zwischen dem Meister und seiner Schülerin habe es eine sexuelle Beziehung gegeben. Der Verfasser von »The Lady of Pleasure« ist keine Ausnahme, wenn er schreibt:

Was Lacys Greisenstümperei versaut,

hat Hart in Jugendfrische ausgebaut.

Es gibt aber keinen Grund dafür anzunehmen, die beiden hätten eine Affäre miteinander gehabt, und außerdem beweist dieser Satiriker seine Ignoranz noch auf eine andere Weise. Hart und Lacy waren nämlich Altersgenossen. Der Gegensatz zwischen »Greisenstümperei« und »Jugendfrische« war reine Erfindung, denn Lacy war allerhöchstens fünf Jahre älter als Hart.

Als Nell in sein Leben trat, war Charles Hart ein reifer, charismatischer Mann Ende dreißig. Wahrscheinlich wurde er 1627 als ältester Sohn des William Hart geboren, dessen Mutter Joan die Schwester von William Shakespeare aus Stratford war. Somit war er also der Großneffe des berühmten Dramatikers. Hart hatte als jugendlicher Darsteller in der königlichen Truppe unter dem erfahrenen Schauspieler Richard Robinson gespielt, bis im Jahr 1642 die Theater schließen mussten. Damals hat er Frauenrollen verkörpert und seinen ersten richtigen Erfolg 1641 als Herzogin in James Shirleys Tragödie The Cardinal gefeiert.

Während des Bürgerkriegs diente er als Leutnant in Prinz Ruperts Kavallerieregiment, und es ist durchaus möglich, dass auch er sich zu jener Zeit in Oxford aufhielt. Wenn ja, dann ist er möglicherweise Captain Thomas Gwyn oder aber der jungen Helena Smith begegnet. Wir wissen, dass er weiterhin auf improvisierten Bühnen in Privathäusern Theater spielte, denn 1647 wurde er verhaftet, als Soldaten eine nicht genehmigte Aufführung von Beaumont und Fletchers Stück The Bloody Brother auffliegen ließen. In diesem Fall kamen die Schauspieler glimpflich davon: Man riss ihnen nur die Kostüme vom Leib und trieb sie aneinandergefesselt durch die Straßen. Sie können von Glück sagen, dass man sie nicht mit einem glühenden Eisen brandmarkte.

Ab und zu trat Hart auch während der Zeit des Interregnums auf, doch erst mit der Rückkehr des Königs erlebte seine Karriere ihren eigentlichen Aufschwung. Er war bekannt für seine überzeugende Verkörperung von Ehrenmännern, unter anderem von Shakespeares Helden Brutus, Henry Percy »Hotspur« und Othello. Seine Darstellung von Königen war so echt, hieß es, dass ein richtiger König es nicht besser vermocht hätte, und als er Alexander den Großen in Nathaniel Lees gleichnamigen Stück spielte, veranlasste das einen Höfling zu dem begeisterten Ausruf, kein Fürst in Europa sollte sich schämen, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen. Er war auch für seine ungeheure Konzentration auf der Bühne bekannt, denn er ließ sich durch absolut nichts von der Emotion des Augenblicks ablenken. Hatte er sich erst einmal in einen Charakter hineinversetzt, verkörperte er ihn mit all seiner seelischen Kraft. In einem Artikel aus einer der ersten Ausgaben des Tatler (gegründet 1709), der irrtümlicherweise Sir Richard Steele persönlich zugeschrieben wurde, hieß es: »Meine alten Freunde Hart und Mohun brachten es fertig, der eine durch die ihm eigene natürliche Kraft, der andere durch seine großartige Begabung und Kunst, mich stets mit dem Kopf voller Ideen nach Hause gehen zu lassen, welche mein Verhalten beeinflussten und auf unmerkliche Weise bewirkten, dass mein Betragen gegenüber Freunden und Bekannten höflicher und menschlicher wurde.« In Komödien glänzte er aber ebenfalls, und zusammen mit Nell Gwyn kreierte er den Typus des verrückten Paares, bei dem er den geistreichen und zynischen Liebhaber gab, dem seine stürmische, unabhängige Geliebte gegenüberstand.

Hart sah gut aus, war ein Ehrenmann und ganz seiner Kunst verschrieben, und somit würdig, Nells Charles I. zu werden, wie sie ihn später nannte. Und da es die Zeit der Restauration war, ließ es sich nicht vermeiden, dass sie ihre Liebesbeziehung auch auf der Bühne, für alle sichtbar, ausagierten. Es gab im damaligen Theater bestimmt niemanden, der besser in der Lage gewesen wäre, Nells Talent zu fördern und ihr auf dem Weg in die Adelskreise behilflich zu sein, als Charles Hart. Auch finanzielle Sicherheit vermochte er ihr zu bieten. Als einer der größten Schauspieler seiner Zeit und Anteilseigner am King’s Theatre verdiente Hart mindestens 150£ im Jahr und war in der Lage, sich ein Haus auf dem Land zu leisten.

Ob es sich bei ihrer Liebe um wahre Liebe handelte, sei dahingestellt. In Drydens Stück An Evening’s Love, or The Mock Astrologer fragt Wildblood (gespielt von Hart) Jacintha (gespielt von Nell), was sich ein Gentleman von ihr erhoffen dürfe, und sie antwortet:

»Er darf mir die Zeit vertreiben, bis sich ein Besserer einstellt; er darf die erste Stufe sein auf meiner Leiter nach oben, denn nach ihm kommt ein Ritter, nach dem ein Lord und dann ein Herzog, bis ich schließlich auf der allerhöchsten Sprosse angelangt bin.«

Ihr Aufstieg hatte begonnen.

Nell Gwyn

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