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Kapitel 3

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Aufstieg aus der Asche

Für ein zehnjähriges Mädchen mit dem Kopf voller Träume von Glanz und Ruhm war das London der Restaurationszeit ein aufregender Ort. Der König war ein Mann, der sich für jeden Bereich des menschlichen Lebens interessierte. Unter seiner gütigen, manche würden auch sagen lässigen Regentschaft erwachte das kulturelle Leben zu neuer Blüte: Die Theater öffneten ihre Tore, Kunst und Wissenschaft florierten, und mit dem Handel ging es bergauf, es wurde wieder investiert, und das Volk gab sich seinen Vergnügungen und seiner Lust hin. England atmete wieder jenen belebenden Hauch wie damals in den 1560er Jahren unter Elisabeth I. Und nirgendwo pulsierte das Leben stärker als entlang des nördlichen Ufers der vom König so geliebten Themse.

Charles und seine Kavaliere hatten aus Paris (und in geringerem Maß auch aus Flandern) eine neue Art von Kultur mitgebracht, neue Formen der Musik, der Malerei und der Mode, der Art, sich einzurichten und die Gärten zu gestalten, eine ungewohnte Architektur, ein neuartiges Theater und eine neue Hofetikette, das Glücksspiel (das Charles missbilligte), Pornographie, Champagner und insgesamt eine gewisse gallische Lebensart, die vom Gros der Engländer aber rundweg abgelehnt wurde. Charles, der eine Vorliebe für die Kammermusik hegte, wie er sie am französischen Hof kennengelernt hatte, erlernte das Gitarrenspiel. In Geschmacksfragen war er nämlich weit mehr durch seinen Vetter Ludwig XIV. beeinflusst, als er es jemals zugegeben hätte, und die Beziehungen zum Hof des Sonnenkönigs blieben allein schon durch den Umstand lebendig, dass seine Mutter und seine Lieblingsschwester Minette sich dort aufhielten. Letztendlich hat Charles den Boden für den Klassizismus in England bereitet. Wie Bryant sagt, sind »die Ruhe, die Ausgeglichenheit und die Schönheit des achtzehnten Jahrhunderts das Vermächtnis Charles’ an sein Volk«.

Mit einer halben Million Einwohner war London bei weitem die größte Stadt im Königreich. Über das gesamte Stadtgebiet verteilt erhoben sich wohl gut und gern einhundert Kirchtürme, und alle überragte väterlich die Kuppel von St. Paul. Insgesamt zeigte London immer noch das mittelalterliche Stadtbild aus der Tudorzeit mit seinen engen Straßen, in denen sich der Verkehr oft staute, und den Fachwerkhäusern mit ihren sich nach vorne neigenden Fassaden, die weder Luft noch Licht hereinließen. Zwar sollten die Leute ihre häuslichen Abfälle an einer Stelle deponieren, wo sie von den Müllmännern zusammengekehrt und zur öffentlichen Müllhalde vor den Toren der Stadt gekarrt werden konnten, oder aber doch zumindest ihren Müll in Eimern oder anderen Behältnissen vor ihrer Haustür abstellen, damit er von den sogenannten »Aasgeiern« eingesammelt würde, doch die meisten Bewohner kippten ihr Schmutzwasser einfach in den in der Mitte der Straße verlaufenden Abwassergraben und hofften, der Regen würde es schon wegspülen. Das führte dazu, dass es in den Straßen nicht nur düster und stickig war, sondern dass es auch noch erbärmlich stank. Kaum einer trank das Wasser aus den städtischen Wasserleitungen, und der alte keltische Argwohn gegenüber stehendem Gewässer hielt die Menschen davon ab, jemals ein Bad zu nehmen. In den zehn Jahren, in denen er sein Tagebuch führte, erwähnt Pepys nur ein einziges Mal, er habe ein Bad genommen, wenn es denn überhaupt als ein solches angesehen werden darf.1

Es gab auch breite Straßen wie die Strand, doch als Hauptverkehrsachse diente der Fluss, sowohl für den Handel als auch für Vergnügungsfahrten. Ausländische Würdenträger wunderten sich über die rege Schifffahrt auf der Themse und über die Vielfalt an Booten, angefangen bei den Barkassen des Adels mit ihrer livrierten Dienerschaft bis hin zu den schäbigen Kähnen der Obst- und Schnapsverkäufer. Und obwohl der Fluss doch Londons Hauptkloake war, blieb er dennoch »der silberne Strom Themse, dessen von Rädern gefurchte Ufer ... von Blumen in allen Farben gesäumt werden«, wie Spenser ihn in seinem Prothalamion beschreibt. Die Menschen lustwandelten an seinen Gestaden, und selbst der König ging oft im Fluss schwimmen, wenn er sein frühmorgendliches Tennismatch beendet hatte – sehr zur Beunruhigung seiner Ärzte übrigens.

Weniger erfreulich waren die Rauch speienden Fabriken der Bierbrauer, Färber, Seifensieder und Glasbläser, der Eisenschmelzer und der Kalkbrenner, die überall in der Stadt und in den Vororten aus dem Boden schossen. Viele davon auch am Flussufer. Zusammen mit dem Rauch, für den der weit verbreitete Gebrauch von Kohle verantwortlich war, sorgten sie für einen hohen Grad an Luftverschmutzung in London. Evelyn, der in seinem Werk Fumifugium (1661) eine Reihe von Abhilfemaßnahmen vorschlägt, bemerkte, dass »die Rauchsäulen und -schwaden, die aus den verrußten Schloten unserer Fabriken aufsteigen, so dick und reichlich sind, dass sie ... den stärksten Winden widerstehen und sich auf die Stadt niedersenken, noch bevor sie auseinandergetrieben werden konnten, und so bietet die Stadt innerhalb weniger Augenblicke den Anblick des von den Griechen geschleiften Troja«. Er beschwerte sich über das schreckliche Husten in den Kirchen und bei anderen Versammlungen, »wo das Kläffen und Spucken kein Ende hat und äußerst unangenehm ist«. Als Lösung schlug er unter anderem vor, einen Grüngürtel um die Stadt zu ziehen, der London mit Luft und Licht versorgen und jenen, die darinnen leben, die dringend benötigte Erfrischung verschaffen würde.

Doch bei all seiner Industrie und trotz all seiner Prachtbauten und großen Plätze war London immer noch eine von Feldern umgebene, sehr ländlich geprägte Stadt. Täglich fanden Bauernmärkte statt, wurde Vieh durch die Straßen getrieben, und im Herzen der Stadt feierte man auf ganz traditionelle Weise bäuerliche Feste wie etwa den Maifeiertag. Am 1. Mai 1667 schrieb Pepys in sein Tagebuch: »Nach Westminster gefahren; unterwegs sah ich etliche Milchmägde mit blumenbekränzten Eimern, die zur Musik eines Fiedlers tanzten; und ich sah die hübsche Nelly (d.h. Nell Gwyn), die in Mieder und Hemdsärmeln in der Tür ihres Zimmers in der Drury Lane stand und einen anschaute; sie erschien mir eine äußerst reizende Person.«

Der Reisende, der das London der Restaurationszeit besuchte und von Westminster aus flussabwärts fuhr, kam schon bald an dem großen, weitläufigen Palast von Whitehall vorbei, seit 1530 Hauptsitz der englischen Könige, der sich über eine Fläche von dreiundzwanzig Hektar erstreckte und circa zweitausend Räume umfasste. In Whitehall, diesem Labyrinth aus Gängen, Privatgemächern, Repräsentationsräumen, Dienstbotenunterkünften, Höfen und Gärten, lebte nicht allein der König, sondern die gesamte königliche Familie sowie die wichtigsten Mätressen des Monarchen, die Minister, die königlichen Kammerfrauen, viele Höflinge und Amtsträger (darunter auch die königlichen Kaplane), Dienstboten jeden Ranges und all jene bunten Paradiesvögel, die den Thron umschwirrten. Der Palast war eigentlich ein Konglomerat aus Gebäuden der unterschiedlichsten Epochen, und ganz nüchtern betrachtet ermangelte es dem Ganzen an Sinn und Logik, und dennoch spiegelte sich in ihm auf ganz eigene Art die politische Ordnung der Nation wider. Ausländische Gesandte äußerten sich oft über die Unbequemlichkeiten dieses architektonischen Monstrums und wunderten sich, wie der König es fertigbrachte, von dort aus wirkungsvoll zu regieren.

Im Herzen von Whitehall und somit im Herzen der Nation befand sich die Stone Gallery, die den größten Teil der königlichen Gemäldesammlung beherbergte. Obwohl ganz in der Nähe der königlichen Gemächer gelegen, stand sie dem Publikumsverkehr offen, und man traf dort stets auf Bittsteller und Amtsträger, die auf und ab liefen und darauf warteten, dass Charles sich blicken ließe. Es geschah allerdings äußerst selten, dass sie des Königs Aufmerksamkeit erhaschten, aber einen Trost gab es immerhin: Dies war der Ort, an dem man die jüngsten Neuigkeiten und den Tratsch vom Hof aufschnappen und sich darüber austauschen konnte, wer gerade in der Gunst stand und wer nicht. Kurz, hier fühlte man den Puls der Nation. Doch Whitehall lieferte nicht nur den Stoff für die Gerüchteküche, es brachte auch diejenigen hervor, die diese Gerüchte in die Welt setzten. In Wycherleys Stück The Country Wife äußert sich einer der Protagonisten schonungslos kritisch über die »Gerüchteköche von Whitehall«. Jeder Spion oder einfache Intrigant wusste, Whitehall war der richtige Ort für ihn.

Hinter den mit Vorhängen verhangenen Türen, die aus der Stone Gallery hinausführten, lagen die Privatgemächer des Königs, in denen über die offiziellen und inoffiziellen Staatsangelegenheiten entschieden wurde: das Audienzzimmer, die Privaträume und das Allerheiligste, das Schlafgemach. Eine strenge Hofetikette legte fest, wem es erlaubt war, diese Räumlichkeiten zu betreten, und wie weit er sich vorwagen durfte. Im Schlafzimmer dominierte das gewaltige Himmelbett des Königs. Ein Geländer im französischen höfischen Stil zog sich um das Bett herum, geflügelte Cherubine hielten die Vorhänge, und silberne Adler spähten in den Raum hinab. Die Adler standen für Scharfsichtigkeit und majestätische Würde, und mit den Cherubinen verband man Wachsamkeit. Deshalb waren sie oft mit Augen übersät. Hier, zwischen dem Bett und dem Fenster mit Ausblick auf die Themse, wob der König sein eigenes Netz geheimer Politik, und der Begriff der »Hintertreppenintrige« fand Eingang in den Sprachgebrauch. Viel mehr, als sein Vater oder sein Großvater es je getan hatten, nutzte Charles sein Schlafgemach als politische Bühne: Es passte zu seinem verschlossenen Wesen und gab ihm die Freiheit zu handeln, ohne den Bürokratenapparat davon in Kenntnis zu setzen. In diesem Schlafgemach wurden Karrieren gemacht und Karrieren zerstört.

Über eine Privatsphäre verfügte der König nur in sehr beschränktem Maße, selbst sein Schlafzimmer diente den Staatsgeschäften, doch den leutseligen Charles schien das nicht zu stören. Er rühmte sich seines formlosen Regierungsstils und der Tatsache, dass er für sein Volk stets erreichbar sei. Unmittelbar nach seiner Wiedereinsetzung war festzustellen, dass der König Whitehall für alle Besucher öffnete, für Gesandte, Bittsteller und Gratulanten aus dem ganzen Land, aber auch für diejenigen, die nur die reine Neugier trieb. Manche wiederum kamen in der Hoffnung, von ihm berührt zu werden, weil sie an der königlichen Krankheit litten, wie man damals die Skrofulose nannte. »Den ganzen Tag über gleicht Whitehall einem Jahrmarkt«, kommentierte ein Hofangehöriger; und doch wurde jeder vom König mit der üblichen Freundlichkeit und guten Laune empfangen. Nicht einmal in Ruhe zu Abend zu speisen war dem König vergönnt, denn während der Jahre seiner Regentschaft strömten die Menschen in Scharen auf die Galerie des Bankettsaals, um ihm bei Tisch zuzuschauen. Wenn es ihn nach Privatsphäre verlangte, musste er sich schon in sein Kabinett zurückziehen, zu dem niemand ungebeten Zugang erhielt. Hier bewahrte er auch die Dinge auf, an denen sein Herz hing, unter anderem eine Sammlung von über einhundert Chronometern und Uhren, die in »perfektem Nichteinklang« tickten und schlugen.

Es gab auch im wortwörtlichen Sinn eine Reihe von Hintertreppen. Sie führten vom Fluss aus direkt ins Schlafzimmer des Königs, das für Begegnungen amouröser wie politischer Natur gleichermaßen diente. Die peinliche Kontrolle über diese Treppen oblag William und Barbara Chiffinch, zwei recht schillernden Persönlichkeiten unter den königlichen Bediensteten, die zu gegebener Zeit gut Freund mit Nell Gwyn werden sollten. William war königlicher Kammerherr, Hüter der königlichen Privatgemächer und Wächter über die Hintertreppen seiner Majestät; seine Frau war schlicht und einfach die Madam Ross des Königs, seine Kupplerin, die genau Buch führte über all jene Frauen, die irgendwann einmal sporadisch oder regelmäßig diese berühmten Hintertreppen hinaufgestiegen sind, um dem »allgemein bekannten Feind der Jungfräulichkeit und Keuschheit, dem König von Großbritannien« Abkühlung zu verschaffen. (Leider sind diese Register verloren gegangen.)

Das Schlafgemach war also die königliche Arena für geheime politische, aber auch für sexuelle Transaktionen, doch Whitehall wäre nicht Whitehall gewesen, wenn sich die Gerüchte über die Ausschweifungen des Königs und in geringerem Maß auch über die Hintertreppenverhandlungen nicht sehr rasch verbreitet hätten. Denn trotz seiner angeborenen Neigung, die Dinge für sich zu behalten, konnte Charles sich oft überraschend und unverhohlen taktlos verhalten, sowohl gegenüber seiner Frau als auch gegenüber seinen Ministern, gerade so, als wolle er die tieferen Geheimnisse unter den eher offensichtlichen verbergen. (Kein Wunder also, dass sich dieser vollkommene Schauspieler leidenschaftlich zu begabten Schauspielerinnen hingezogen fühlte.) Das Schlafgemach war für den König ohne jeden Zweifel ein Ort der sexuellen und politischen Eroberungen, wobei seine Erfolge auf sexuellem Gebiet allerdings dazu angetan waren, seinem politischen Ruf zu schaden.

Es dauerte nicht lange, und Whitehall stand im Ruf, ein Serail zu sein, wobei diese Art des Königs, seine Macht zu demonstrieren, manch einem als nicht akzeptabel, weil zu orientalisch erschien. In der Literatur jener Zeit mit ihrem Interesse am edlen Wilden ging man mit dem Thema nachsichtiger um, und meiner Ansicht nach war sogar Aphra Behns Oroonoko (der königliche Sklave) als eine verdeckte Anspielung auf Charles zu verstehen. Die Tatsache, dass er sich mit seinen Mätressen in aller Öffentlichkeit vergnügte, erregte einen großen Skandal. Selbst Pepys, seinerseits ebenfalls ein notorischer Frauenheld, äußerte sich beschämt über die Libertinage des Königs. Und wenn die Londoner Lehrlinge wie üblich an ihren freien Tagen über die Bordelle von Moorfields und East Smithfield herfielen, hörte man sie murren, das größte Hurenhaus von allen sei doch Whitehall selber.

Während also der »Black Boy« in Whitehall den König spielte, fristete das Mädchen, dessen Name »strahlendes Weiß« bedeutete, ihr Leben in den Elendsvierteln rund um die Coal Yard Alley, wo sie vermutlich der Tätigkeit einer Aschenmagd nachging, d.h. sie sammelte die Asche ein und verkaufte sie als billiges Brennmaterial weiter. Das zumindest dachte der Verfasser des 1681 erschienenen Panegyrick, und später in jenem Jahrzehnt schlossen sich noch viele andere Satiriker seiner Meinung an. Andere wiederum sahen sie eher als Serviermädchen in einem Freudenhaus, wahrscheinlich in der Lewkenor’s Lane (der heutigen Macklin Street), Schnaps ausschenken, oder aber als Hökerin, die mit ihrem Karren durch die Straßen zieht und Heringe oder Rüben verkauft. Marvell z.B. hält sie für eine der Austernhökerinnen, eine Zunft, die für ihre Großmäuligkeit bekannt war. (Wer »eine Austernfrau taub schwätzen konnte«, dessen Redefluss war nicht zu stoppen, der sprudelte wie ein Wasserfall, oder aber, wie wir in England sagen, »er quatschte dem Esel die Hinterbeine ab«.)

London erwachte mit den lauten Rufen der Händler, die ihre Karren über das Kopfsteinpflaster zogen und dabei ihre Waren ausschrien. Man brauchte schon eine laute Stimme, um sich in der allgemeinen Kakophonie Gehör zu verschaffen, und Nell war für diese frühe Übung ganz gewiss dankbar, als sie später zum Theater stieß, denn nicht nur hatte sie gelernt, ihre Stimme über die der anderen zu erheben, sondern verstand sich auch auf die Kunst, sich mit ihrem munteren Singsang in die Ohren einzuschmeicheln.

Acht Heringe für ’nen Groschen!

Pastetchen und heiße Dorsche!

Und, meiner Seele, auch Makrele!

Wellsfleet-Austern! Holla-ho!

Und frischer Weißfisch sowieso!2

Auch Rose verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Straßenhändlerin, und man mag sich wohl vorstellen, wie die beiden Schwestern, jede auf ihrer Straßenseite, versuchten, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Nach getaner Arbeit ist Nell dann vielleicht hinunter in den St. James Park gehüpft, um zu sehen, ob sie nicht einen Blick auf den König erhaschen kann, der dort die Enten fütterte oder seine Spaniels spazieren führt. Alles war recht, um den schmutzigen Gassen zu entfliehen und ihre Träume von einem angenehmeren Leben zu nähren.

Der Verfasser von »A Satyr« (1677) behauptet, Nell habe ihren Fischstand aufgegeben und sei lieber eines von Madam Ross’ Mädchen geworden.

Für zehn Heringe, wenn sie genug geplärrt,

hat man ihr einen Groschen verehrt;

dann brachte sie Madam Ross auf Trab,

das warf eine halbe Krone ab.

Der neue Geist der Freizügigkeit, der jetzt in der Hauptstadt wehte, lockte ganz gewiss viele Mädchen vom Lande an, die sich der neuen Generation von Freiern anboten, und nicht wenige von ihnen fielen Madam Ross und ihresgleichen in die Hände. Ob es nun Pfeife rauchende und Schnaps kippende Damen waren wie Mrs Gwyn oder Madam Ross, oder aber der geschicktere, raffiniertere Typ von Kupplerin, wie Mother Cresswell, von der es hieß, sie halte stets einige hübsche Mädchen für den anspruchsvolleren Geschmack parat, es lässt sich nicht leugnen, dass diese skrupellosen Frauenzimmer häufig junge Mädchen kauften, entführten oder auf andere Art in ihre Fänge brachten, um sie dann zu Prostituierten zu machen. Sie alle verfügten in der ganzen Stadt über Verbindungsleute, die nach neuer Ware Ausschau hielten. Es war eine trostlose Laufbahn, die angesichts des hohen Risikos, schwanger oder krank zu werden, durchaus in Elend und Tod enden konnte.

In den frühen 1660er Jahren war fast jede zehnte Frau in London eine Prostituierte, ein wirklich erschreckender Prozentsatz. Prostituierte gehörten zum normalen Straßenbild und stellten für junge berufstätige Leute wie Pepys eine schlimme Versuchung dar. Auf dem Weg zu einem Arbeitstreffen im März 1665 scheint er nahe daran gewesen sein, schwach zu werden. »Auf unserem Weg fuhr die Kutsche durch eine Gasse in der Nähe der Drury Lane, wo eine große Zahl loser Frauenzimmer in den Türen standen, was, Gott möge mir vergeben, mich zu unkeuschen Gedanken verleitete, doch, Gott sei es gedankt, nicht darüber hinausging. Auf nach Hause ...« Für viele der Mädchen war es eine Chance, ihr Los zu verbessern, wenn sie die Geliebte eines Gentleman wurden. Und aus diesem Grund war der Prostitutionsmarkt der große Schmelztiegel jener Zeit und eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen, auf der gesellschaftlichen Leiter aufzusteigen. Männern von niederer Herkunft hingegen standen nicht dieselben Möglichkeiten offen, wohlhabende Frauen kennenzulernen oder zu deren Liebhabern zu avancieren. So ist es durchaus denkbar, dass die Aversionen der Lehrlinge gegen die Bordelle etwas damit zu tun hatten, dass sie in diesen Etablissements Einrichtungen sahen, durch die begehrenswerte Mädchen von gleicher Herkunft wie sie ihrem Zugriff entzogen wurden.

Es war bekannt, dass selbst Charles manchmal »den König ablegte« und incognito die Londoner Bordelle aufsuchte. Damit befriedigte er vermutlich seine Vorliebe für Gefahren ebenso wie seinen Tatendrang, denn eigentlich stellten diese Eskapaden ein unnötiges Risiko dar. Seine Körpergröße und sein dunkles Aussehen verrieten ihn auch in der besten Verkleidung, und außerdem freute es Mrs Chiffinch doch immer sehr, wenn sie durch Mother Cresswell und deren Genossinnen Mädchen für den König nach Whitehall (und die Hintertreppen hinauf) schicken lassen konnte. Angesichts dessen aber, was wir über die Vorlieben des Königs wissen, ist es nicht unvorstellbar, dass Charles auch gelegentlich Gast in Madam Ross’ Etablissement gewesen ist. Zumindest wissen wir, dass sein Freund, der Earl von Rochester, zu ihren Kunden zählte. Wenn das zutrifft, ist es möglich, dass Nell dem König zum ersten Mal auf einem seiner Streifzüge durch die Londoner Unterwelt begegnet ist, und das schon lange vor ihrer Karriere als Schauspielerin.

Das mag eine Erklärung dafür sein, warum Nell so überaus bestürzt reagierte (zumindest erzählte man sich das),3 als der König im Mai 1662 seine portugiesische Braut Katharina von Braganza heiratete. Sie war offensichtlich so bestürzt, dass sie sich einen Liebhaber namens Duncan oder Dungan zulegte, einen der Stammkunden bei Madam Ross. Von dem Verleger und Antiquar William Oldys (1696–1761) jedenfalls wissen wir, dass »ein gewisser Mr Duncan, ein Kaufmann, dem es ihr Mutterwitz, ihre hübsche Gestalt und die kleinen Füßchen, wahrscheinlich die zierlichsten in ganz England, angetan hatten, sie zwei Jahre lang aushielt«. Diese Affäre wird auch in der zeitgenössischen Satire »The Lady of Pleasure« thematisiert und mit Obszönitäten pikant gewürzt. Dort wird Duncan als ein »stadtbekannter Typ« bezeichnet, und es wird kolportiert, dass Nell ihm als Gegenleistung für feine Kleider und ein angenehmes Leben ihre Jugend, ihren Witz und ihre Unschuld schenkte. Wir erfahren, dass Duncan als erster die Lust an der Beziehung verlor (»Was nützt’ ihm all sein Geld, was nützt’ ihm noch sein P ... el, auf Dauer machte Nell ihn krank, den schlaffen Lümmel«), doch als eine letzte Geste der Zuneigung verschaffte er ihr den Zugang zum Theater, wahrscheinlich als Orangenverkäuferin. Wenn wir dem Verfasser von »Mrs Nelly’s Complaint« Glauben schenken dürfen, hat Nell sich später dafür revanchiert und ihm einen Auftrag für die Armee verschafft: »Weil er es mir so gut besorgt in jenen alten Tagen, darf Duncan nun auf meinen Wink zum Wohl des Heeres mit beitragen.«

Duncan hatte es Nell zu verdanken, dass sie die drückende Atmosphäre der Coal Yard Alley verlassen konnte und stattdessen in Räumen leben durfte, die er für sie in der Cock-and-Pie-Schenke angemietet hatte, am oberen Ende der Maypole Alley, nur einen Steinwurf entfernt von der Stelle, an der Killigrew zwischen Bridges Street und Drury Lane sein neues Theater errichtete. Sie konnte zwar nicht lesen und schreiben, doch von dem vor ihrer Schwelle entstehenden neuen Theater muss eine große Faszination auf ein Mädchen ihres Temperaments und ihrer Vorstellungskraft ausgegangen sein. Sie lernte rasch, sich ihres weiblichen Charmes und ihres hellen Verstandes zu bedienen, um andere zu betören. Plötzlich öffnete sich ihr die Welt.

Genau wie die Prostitution bot auch das Theater Frauen aus bescheidenen oder niedrigen Verhältnissen eine gewisse Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs. Es konnte ihnen unter Umständen sogar den Zugang zum Hofe eröffnen. Denn viele der Höflinge, die das Theater regelmäßig besuchten, fanden den Flirt mit den Schauspielerinnen hinter der Bühne zumindest ebenso interessant wie das unterhaltsame Geschehen auf der Bühne. Unverheiratete Frauen waren für die Avancen männlicher Galane nach der Aufführung stets empfänglich. Wie der Skribent Tom Brown es ausdrückte: »Es ist schwer für eine hübsche Frau, sich in einem Theater ihre Anständigkeit zu bewahren, so wie es auch für einen Apotheker nicht leicht ist, seinen Sirup an heißen Tagen vor den Fliegen zu schützen, denn jeder Libertin im Publikum umschwirrt unweigerlich ihren Honigtopf.«4

In den Jahren der puritanischen Herrschaft galten Schauspieler als eine Bedrohung für die Öffentlichkeit, und ihr Status war nicht höher als der von Landstreichern. Anfang 1647 hatte das Lange Parlament in einem Erlass verfügt, dass »alle Bühnen, Zuschauerplätze und Logen auf Geheiß von zwei Friedensrichtern abzureißen [sind]. Jeder, der in Zukunft Stücke aufführt, wird ausgepeitscht, und wer sich Theaterstücke anschaut, hat für jeden solchen Verstoß fünf Schilling Strafe zu entrichten«. Da verwundert es kaum, dass Charles II. bei seiner Rückkehr aus dem Exil so rasch daranging, das Theaterleben wieder neu zu beleben und Thomas Killigrew und William Davenant die Genehmigung erteilte, zwei neue Schauspieltruppen zusammenzustellen. Damit einher ging auch die Erlaubnis, für die jeweiligen Ensembles an beliebiger Stelle in London neue Theater zu errichten. Die Schirmherrschaft über Killigrews Truppe, die unter dem Namen The King’s Company bekannt wurde, übernahm Charles selber, und die Schauspieler unter Davenants Leitung bildeten die Duke of York’s Company. Die Auftritte aller anderen Truppen sollten »zum Schweigen gebracht und unterdrückt« werden. Killigrew und Davenant besaßen das Monopol über das Theaterschaffen in der Hauptstadt.

Auch wenn dem König viel daran lag, eine neue Freiheit in der Kultur einzuführen, war er doch klug genug, dem Theater nicht völlige Unabhängigkeit zu gewähren. Das, was er letztendlich ins Leben rief, war ein neues höfisches Theater im Londoner West End. Im Gegensatz zu Shakespeares Globe, das allen gesellschaftlichen Schichten etwas zu bieten hatte, war der Besuch des Theaters zur Zeit von Charles II. in erster Linie den Gentlemen vorbehalten. Die Dienstboten, die ihre Herrschaft begleiteten, saßen auf den oberen Rängen, und vorbei war die Zeit der armen Schlucker oder »Pennystinker«, die zu Füßen von Shakespeares Bühne lauthals fluchten, sich Duelle lieferten und mitunter den Schauspielern ins Wort fielen. Sowohl Killigrew als auch Davenant hatten bereits in den Diensten Charles’ I. gestanden (Davenant hatte den Posten eines Hofdichters, eines Poeta laureatus, bekleidet), und beide respektierten die bei Hofe geltenden Gepflogenheiten und verhielten sich dementsprechend. In den 1630er Jahren hatten sie selber Theaterstücke verfasst. Es war unwahrscheinlich, dass sie aufwieglerische Werke auf die Bühne bringen würden, und schon gar nicht, wenn der König höchstpersönlich im Publikum saß. Charles wusste, dass er ihnen vertrauen durfte.

Killigrew war ein ganz besonders enger Freund, der dem König auch ins Exil gefolgt war. Er entstammte einer vornehmen und leicht exzentrischen Familie aus Cornwall und war dafür bekannt, dass er gerne den Hanswurst spielte. Als der König im Mai 1660 zurückkehrte, befand er sich mit an Bord der Royal Charles, und Pepys schildert ihn als einen »netten Spaßvogel, aber doch ganz Gentleman, der dem König höchsten Respekt zollt« und der während der gesamten Überfahrt lustige Geschichten zum Besten gab. Später berichtet er, Killigrew sei zum königlichen Hofnarren avanciert. Wieder einmal wusste Pepys als Erster Bescheid: »Unter dem Titel eines königlichen Narren oder Spaßmachers bezieht Tom Killigrew eine Apanage aus der Kammer für Schabernack, und diese Stellung verleiht ihm das Vorrecht, selbst die höchstgestellte Persönlichkeit ungestraft zu verunglimpfen und zu verspotten.« Doch handelte es sich hier vermutlich um einen privaten Scherz unter zwei Männern, die beide für ihren beißenden Humor berühmt waren.

Die Theaterstücke, die Charles während seines Exils in Frankreich gesehen hatte, waren die gleichen klassischen höfischen Maskenspiele gewesen, wie er sie auch schon als Kind in Whitehall, Windsor oder Hampton Court miterlebt hatte. Durch das Zusammenwirken von Ben Jonson und Inigo Jones waren sowohl einige technische als auch dramaturgische Neuerungen aus Italien eingeführt worden (so z.B. Proszenium und Vorhang, gemalte, bewegliche Kulissen und Versenkungen), und man hatte viele Konventionen des neoklassischen Theaters übernommen. Mit der Restauration wurden diese Neuerungen nun auch im öffentlichen Theater in England eingeführt, wobei man aber weiterhin an einer Vorbühne elisabethanischen Stils vor dem neuen Proszenium festhielt, die von beiden Seiten betreten werden konnte.

Diese Zugeständnisse an die Vergangenheit konnten allerdings die fantasievolle Lebendigkeit und Tiefgründigkeit des elisabethanischen Theaters nicht wieder hervorzaubern. Denn das Proszenium verwandelte die Bühne in einen gewaltigen Schaukasten, und das bedeutete einen fundamentalen Wandel in der Art der Unterhaltung des Publikums. Die Zuschauer waren nun nicht mehr aktiv an einem fiktiven Geschehen beteiligt, das ihr Bewusstsein wecken und gleichzeitig die widersprüchlichen Elemente der Gesellschaft aufzeigen wollte. Jetzt setzte man ihnen als passiven Konsumenten einen Eskapismus in hoher Dosierung vor. Während das elisabethanische Theater den Zuschauer angeregt hatte, sich selber besser und tiefer zu verstehen, zielte das Drama der Restaurationszeit darauf ab, ihn vergessen zu lassen, wer er war. Das ist einer der Gründe, weshalb diese Form von Theater Stars und Idole hervorbrachte. Doch trotz all seiner Mängel bedeuteten die neuen Stücke sowie das gut und raffiniert ausgestattete Schauspielhaus den Beginn des modernen kommerziellen Theaters in England. Pepys hatte zwar einige Vorbehalte, erklärte aber nichtsdestoweniger, das königliche Theater in der Drury Lane sei »außergewöhnlich gut ausstaffiert«.

Im letzten Absatz jenes Patents vom 25. April 1662, das der König Killigrew gewährt hatte, findet sich eine Neuerung, ohne die die Geschichte von Nell Gwyn ganz gewiss niemals erzählt worden wäre: »Desgleichen sind Wir damit einverstanden und gestatten, dass alle weiblichen Rollen von nun an in den beiden genannten Kompanien von Frauen gespielt werden, damit solche Darbietungen [d.h. Stücke], die durch den früheren Missbrauch [d.h. aufgrund der Skurrilität, die entstand, wenn Männer Frauenrollen übernahmen] skandalös und beleidigend waren, aufgrund dieser Neuerung nicht nur als harmlose Vergnügungen, sondern für all unsere guten Untertanen, die diese Schauspiele besuchen, auch als eine nützliche und lehrreiche Darstellung menschlichen Lebens gelten mögen.« Auch wenn die neuen Schauspielerinnen erheblich schlechter bezahlt wurden als ihre männlichen Kollegen, und selbst wenn das Publikum in ihnen eher Objekte sexueller Lust sah und nicht so sehr Künstlerinnen, bedeutete diese Regelung doch einen großen Fortschritt.

Während das erste königliche Theater in der Drury Lane sich noch im Bau befand, ereignete sich bei Hofe ein Drama ganz im wirklichen Leben, das auch wichtige Auswirkungen auf Nell Gwyn haben sollte. Als im Mai 1662 die portugiesische Prinzessin Katharina von Braganza in England eintraf, um den König zu heiraten, war der noch ganz und gar seiner schönen und dominanten Mätresse Barbara Castlemaine verfallen. Die war zudem hochschwanger mit ihrem zweiten Kind, das auf die Welt kam, während das königliche Paar seine Flitterwochen in Hampton Court verlebte. Obwohl Katharina in Portugal ein äußerst zurückgezogenes Leben im Kloster geführt hatte, war sie von ihrer Mutter, der Königinregentin, schon vor der Castlemaine gewarnt worden, und sie hatte ihrer Mutter versprechen müssen, an ihrem Hof niemals die Anwesenheit von Charles’ Mätresse zu dulden. Katharina nahm sich den mütterlichen Rat nicht nur zu Herzen, denn hinter ihrem einfachen und frommen Äußeren verbarg sich ein leidenschaftliches und gebieterisches Wesen, das durchaus in der Lage war, auch entsprechend zu handeln. Lady Castlemaine ihrerseits hatte nun dem König ebenfalls ein Versprechen abgerungen, nämlich, dass er sie zu einer der Kammerfrauen der Königin ernennen würde. Es bedurfte keiner seherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen, dass sich zwischen der Königin und der Mätresse ein gewaltiger Konflikt abzeichnete.

Katharina war mit einem umfangreichen und düster anmutenden Gefolge von schwarz gekleideten Mönchen und Kammerzofen in England eingetroffen. Letztere waren durchweg alt und übelriechend und trugen ausladende Reifengestelle unter ihren schwarzen Röcken, was bedeutete, dass man für sie Extrakutschen anfordern musste, um sie von Portsmouth nach London zu bringen. Keine von ihnen sprach auch nur ein Wort Englisch, aber aus ihren verächtlichen Mienen war deutlich abzulesen, was sie dachten. Der König war anscheinend der Einzige in dem englischen Tross, den der monströse Zug, der seiner künftigen Gattin nachfolgte, nicht verstörte. Wahrscheinlich war die Mitgift groß genug, um alle Bedenken zu zerstreuen, die er in diesem Punkt hätte haben können. Zutreffender war aber wohl, dass irgendetwas an dieser zierlichen und geistreichen Prinzessin seine Loyalität und seinen Beschützergeist, ja sogar seine Zuneigung auf den Plan rief. Trotz der Korkenzieherlocken, die zu beiden Seiten ihrer Schläfen abstanden und die Charles dazu veranlassten, einem seiner Freunde gegenüber verlauten zu lassen, er habe auf den ersten Blick gedacht, »man hätte ihm eine Fledermaus geschickt anstelle einer Frau«, schrieb er noch von der Küste aus an Clarendon: »Sie hat ausgesprochen schöne Augen ... und wenn ich, wie ich durchaus meine, nur über ein wenig Menschenkenntnis verfüge, so denke ich, dass sie nicht schlechter ist als jede andere Frau auch.«

Doch Loyalität und eheliche Treue sind zwei verschiedene Dinge. Als Charles ein Jahr zuvor in der Abtei von Westminster gekrönt worden war, hatte er ganz bewusst den Tag des heiligen Georg für diesen Anlass gewählt, um damit zu verstehen zu geben, dass er den Drachen der Rebellion endgültig besiegt habe. Doch sein wahrer Feind war der Drache der Wollust. Selbst während der Flitterwochen, sozusagen das Ehegelöbnis noch frisch auf den Lippen, stahl er sich heimlich fort zu Barbara, die nach der Geburt ihres Sohnes Charles, des späteren Herzogs von Southampton, ein Haus im nahe gelegenen Richmond bezogen hatte. Der animalische Trieb, ihrer Anziehungskraft nachzugeben, war so drängend und der König ihr auf so fatale Weise verfallen, dass alle himmlischen Gelöbnisse ihn nicht davon abhalten konnten, sich mit ihr zu vereinen. Katharina war sicherlich klug genug, so zu tun, als sähe sie nichts. Aber die Mätresse des Königs öffentlich anzuerkennen und ihr die Vorrechte einer königlichen Kammerfrau, ihrer Kammerfrau, zu verleihen, das was etwas ganz anderes. Und deshalb lehnte sie, als ihr der König die Liste mit den Neuernennungen vorlegte, auf der Barbaras Name ganz oben stand, dieses Ansinnen wutschnaubend ab.

Katharina, die ja an einem königlichen Hof erzogen worden war, wusste ganz genau, was man da von ihr verlangte. Um den Titel einer königlichen Kammerfrau ging es erst in zweiter Linie, es ging vielmehr um den offiziellen Status der Mätresse des Königs und damit um die Moral an dem Hof, der nun auch der ihrige war. Man verlangte von ihr, einer Person Ehre zu erweisen und eine rechtmäßige Stellung zu verleihen, die in den Augen vieler bei Hofe und auch außerhalb nichts anderes war als eine ganz gemeine Hure – und all das auf Kosten ihrer eigenen Ehre und ihres Glücks. Das war schon eine ziemlich starke Zumutung, und Charles war sich seiner Rücksichtslosigkeit durchaus bewusst, was aber wohl seinen Zorn angesichts ihrer Weigerung noch verstärkt haben mag. Außerdem war der König immer dann verwundbar, wenn tiefe Gefühle mit im Spiel waren, und nun fühlte er plötzlich, wie er den Boden unter den Füßen verlor.

Schließlich beschloss der König, Barbara bei Gelegenheit und ohne Vorankündigung der Königin vorzustellen und darauf zu hoffen, dass alles gut ginge. Es gab keinen Grund, warum sie die Angelegenheit nicht untereinander, von Frau zu Frau, regeln sollten. So oder ähnlich mögen seine Überlegungen ausgesehen haben. An jenem Morgen sollten etliche Damen vorgestellt werden, und Charles wusste, dass Katharina Barbara nicht vom Sehen her kannte. Und so geschah es. Katharina empfing die fremde Dame huldvoll und hatte ihr gerade die Hand zum Kuss gereicht, als Charles sich zu ihr herabbeugte und verkündete: »Mylady Castlemaine.« Beim Klang dieses Namens wurde die Königin leichenblass, und sie musste sich an der Armlehne ihres Stuhls festklammern. Dann brach sie in Tränen aus, ihre Nase fing an zu bluten und sie fiel vornüber in Ohnmacht. Man musste sie hinaustragen, doch der normalerweise so aufmerksame König fühlte sich zu sehr verletzt, als dass er ihr folgte.

Stattdessen ließ er wissen, dass er jeden, der ihn an seinem Entschluss hindern wolle, Lady Castlemaine zur Kammerfrau der Königin zu ernennen, lebenslang als seinen Feind betrachten werde. Außerdem schickte er den größten Teil von Katharinas Gefolge zurück nach Portugal und ging ihr danach ostentativ aus dem Weg. In dieser Haltung wurde er von seinen Höflingen noch bestärkt (von seinen »Ratgebern in Vergnügungsdingen«, wie Pepys sie nannte), die ihn immer wieder an das Beispiel seines Großvaters Heinrich IV. von Frankreich gemahnten, der seine Ehefrauen dazu gezwungen hatte, seine Lieblingsmätressen zu akzeptieren. Es sei an der Zeit, sagten sie, dass der König auch am englischen Hof den Status einer maîtresse en titre einführe. Wortführer dieser netten Bande war George Villiers, Herzog von Buckingham und Barbaras Vetter, dem daran gelegen war, seinen eigenen Platz neben dem Thron zu sichern.

Diese unerfreuliche Situation blieb monatelang bestehen, bis die Königin nach einigen Überredungsversuchen vonseiten eines widerwilligen Clarendon unvermutet doch einlenkte – als sie den Zeitpunkt für gekommen hielt. Man sah sie und Barbara im Gespräch miteinander herzlich lachen. Ihre Ergebenheit gegenüber dem König hatte schließlich die Oberhand behalten. Clarendon, dessen Sympathien die ganze Zeit über der gedemütigten Königin gegolten hatten, hatte den König offen für sein Verhalten in der Angelegenheit kritisiert, und ihr Verhältnis war dadurch rasch abgekühlt. Barbaras Einfluss auf den König verbitterte ihn sehr. Aber wie dem auch sei, der König hatte sich den Hof geschaffen, den er sich wünschte, und jeder musste schauen, wo er blieb. So könnte man sagen, dass die Schlafzimmerkrise, wie sie allgemein genannt wurde, den Weg geebnet hatte für eine noch skandalträchtigere Mätresse in der Zukunft, die ebenfalls einmal die Vorrechte einer Kammerfrau der Königin genießen sollte, für Nell Gwyn.

Nell Gwyn

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