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Kapitel 2

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Die Restauration

Cromwell war am siebten Jahrestag der Schlacht von Worcester gestorben, jener Schlacht, in der er den damals einundzwanzigjährigen König Charles II. besiegt hatte. Da der Gestank seiner verfaulenden Milz sowohl den Künsten der Einbalsamierer als auch der Bestatter trotzte, wurde Cromwell schon wenige Tage nach seinem Tod in einer privaten Zeremonie beigesetzt. Wie es dem königlichen Brauch entsprach, fertigte man daraufhin ein wächsernes Abbild des Lordprotectors an, das in Somerset House im Kerzenschein feierlich aufgebahrt wurde. Eben diesem erwies die Öffentlichkeit die letzte Ehre. Gegen Ende der zweiten Woche rückte man dann die Wachspuppe von Old Noll mit ihren Glasaugen wie einen Kranken in eine aufrecht sitzende Position und setzte ihr eine kaiserliche Krone aufs Haupt. Welch eine Ironie, jetzt, im Tod, erhielt er sie endlich, die Königswürde, nach der er sich ein Leben lang gesehnt hatte! Am Tag der Beisetzung selber, fast zwei Monate nach dem Tod des Lordprotectors, wurde sein ganz in schwarzen Samt gekleidetes und mit allen Insignien der Königswürde (Krone, Zepter und Reichsapfel) ausgestattetes wächsernes Abbild in einer offenen Karosse zur Westminster-Abtei kutschiert. John Evelyn war dabei. »Es war der fröhlichste Trauerzug, den ich je sah, denn abgesehen von den Hunden, die von den barbarisch johlend, saufend und Tabak schnupfend durch die Straßen ziehenden Soldaten verscheucht wurden, heulte niemand.«

Olivers Nachfolger im Amt des Protectors war sein dritter Sohn Richard, der im Volk allgemein als Tumbledown Dick bekannt war, der sehr wenig Verlangen nach Macht verspürte und noch weniger dazu fähig war, Macht auszuüben. Auf Druck der Streitkräfte, des Council of State und schließlich des Parlaments selber wurde er im Mai 1659 seines Amtes enthoben. Zwar fügte er sich ausgesprochen bereitwillig, traute sich aber nicht, den Palast von Whitehall zu verlassen, weil er fürchtete, wegen seiner Schulden verhaftet zu werden. Schließlich gelang es ihm zur Zeit der Restauration, sich über die Grenze nach Frankreich abzusetzen, wo er unter dem Namen John Clarke lebte. Es ist schon eine seltsame Fügung, denn genau wie König Charles II. führte er nahezu zwanzig Jahre lang ein unstetes Wanderleben auf dem Kontinent, bevor es ihm im Jahr 1680 gestattet wurde, in die Heimat zurückzukehren.1

Als Charles am 25. Mai 1660 unter den Jubelrufen »Gott schütze den König!« in Dover an Land ging, hörte man seinen jüngsten Bruder, den Herzog von Gloucester, rufen: »Gott schütze General Monk!« Ohne Monk oder den »guten alten George«, wie ihn seine Soldaten nannten, hätte die Restauration wohl noch eine ganze Weile auf sich warten lassen. Nach dem fehlgeschlagenen royalistischen Aufstand vom August 1659 waren die Machtverhältnisse im Land unklar. Die Armee unter General Lambert stellte zwar eine Bedrohung dar, war aber desorganisiert und das Rumpfparlament wie stets äußerst unzuverlässig. Es stand außer Frage, dass Monk, der Oberbefehlshaber von Schottland und Sympathisant des Rumpfparlaments, der Einzige war, der die Ordnung wiederherstellen konnte. Selbst der König hatte sich nach dem Scheitern des zweiten Protektorats mit Angeboten an Monk gewandt, doch die Zeit war noch nicht reif gewesen, und der General hatte es abgelehnt, die königlichen Schreiben in Empfang zu nehmen.

Dann löste Lambert das Rumpfparlament auf, und Monk machte sich am 1. Januar 1660 halb aus Neigung, halb schicksalsergeben von Edinburgh auf nach Süden. Sein Ziel war es, die Freiheit und die Rechte der drei Königreiche »vor Willkür und Usurpation durch Tyrannen« zu beschützen. Auf seinem Weg nach London wurde Monk immer wieder mit Petitionen für ein freies Parlament bedrängt, doch er weigerte sich zu erklären, für wessen Seite er eintrat. Charles, der nervös wartend in Brüssel bereitstand, nahm durch seine Vermittler Kontakt zu ihm auf, und es entwickelte sich ein stilles Einvernehmen zwischen den beiden Männern. Monk genoss eine so große Autorität, dass sich die Menschen der Wucht seiner schweigenden Mission nicht gerne widersetzten. Das Land lag unter einer dichten Schneedecke, und der General starrte schweigend in die Stille, wie in einem Traum gefangen. (»Er ist ein schwarzer Mönch [Monk]«, schrieb Lord Mordaunt, »und ich kann nicht in ihn hineinblicken.«)

Im Februar 1660 traf Monk in London ein. Die Stadtväter weigerten sich, Steuern zu zahlen, wenn nicht ein freies Parlament einberufen werde. Monk ergriff seine Chance. Er beriet sich mit seinen wichtigsten Offizieren und wandte sich dann in einem Schreiben an das Rumpfparlament, in dem er es aufforderte, per Dekret all jene Parlamentsmitglieder zurückzurufen, die durch Oberst Pride in seiner Säuberungsaktion von 1648 ausgeschlossen worden waren. Des Weiteren solle die erste und einzige Handlung des neu zusammengetretenen Parlaments darin bestehen, seine eigene Auflösung zu beschließen. Auf diese Weise wäre der Weg offen für ein freies Parlament. Und obwohl sich zu dem Zeitpunkt noch niemand dazu äußerte, bedeutete ein freies Parlament so gut wie sicher die Rückkehr des Königs.

Sobald die Nachricht von Monks Schreiben bekannt wurde, gingen die Londoner auf die Straße und feierten. Ganze Ochsenhälften wurden auf der Straße über offenem Feuer gebraten, und die Stadtglocken läuteten in einem fort. Jetzt hatte die Tyrannei der Militärherrschaft ein Ende und es galt wieder das Civil Law. Doch um seine volle Souveränität zurückzuerhalten, verlangte das Parlament nach dem königlichen Funken. Im Commonwealth hatte man versucht, den Gedanken durchzusetzen, die Macht des Parlaments gehe vom Volke aus, doch für eine Nation, die sich zu allererst an der Bibel orientierte, war die Autorität des Parlaments letztendlich göttlichen Ursprungs: und Sinnbild des Göttlichen blieben der Thron und sein Inhaber. In der Zeit des Commonwealth hatte es lediglich abstrakte Prinzipien gegeben, denen das Volk gezwungenermaßen die Treue halten musste; jetzt aber konnte es seine Treue aus freien Stücken erneut dem rechtmäßigen König schenken, dem Symbol für die Hoffnungen, die Ziele und die Einheit des ganzen Volkes.

Tief in der Psyche der Nation hatte sich ein neuartiges Verhältnis von Souverän und Volk herausgebildet, und eben dieses goldene Band führte schließlich zu dem, was das britische System auszeichnen sollte: zur konstitutionellen Monarchie.

Erst Ende März, bei seinem Zusammentreffen mit Sir John Grenville, dem Gesandten des Königs, offenbarte Monk eindeutig, auf wessen Seite er stand. Nun begann zwischen den beiden Männern, die das Schicksal zueinandergeführt hatte, jener Briefwechsel, der schließlich zu Charles’ uneingeschränkter und bedingungsloser Wiedereinsetzung führte. Auf Monks Rat hin verließ Charles die Spanischen Niederlande und reiste ins holländische Breda, wo er mit Hilfe des Lordkanzlers Edward Hyde, des späteren Earl von Clarendon, die zu Recht gerühmte Erklärung von Breda aufsetzte. Mit diesem vielsagenden Dokument gewährte er jenen, die gegen seinen Vater gekämpft hatten, Straffreiheit (mit Ausnahme derer, die an der Hinrichtung beteiligt gewesen waren), und er erklärte die »Freiheit des Gewissens«, damit »niemand behelligt oder infrage gestellt werde, nur weil er in religiösen Dingen eine andere Auffassung vertritt, sofern diese nicht den Frieden im Königreich gefährdet«. Zusätzlich sandte er Schreiben an beide Häuser des Parlaments.

Sobald das Parlament die Schreiben des Königs in Empfang genommen hatte, wurde er am 1. Mai einstimmig zur Rückkehr nach England aufgefordert, um dort gekrönt zu werden. Zusätzlich wurde ihm die Summe von 50000£ für seinen persönlichen Bedarf zugesprochen. Dieser Monat Mai des Jahres 1660 muss dem König, seiner Familie und seinen Anhängern im Exil wie ein Traum vorgekommen sein oder zumindest doch wie eine fantastische Charade. Am 15. Mai begab sich Charles auf Einladung der Generalstände, die ihm ihrerseits die Summe von 30000£ gewährten, nach Den Haag, wo Abordnungen des Ober- und des Unterhauses ihn schon erwarteten. Während seines Aufenthaltes dort traf eine weitere Delegation der Stadt London ein, die eine Truhe mit 10000£ in Gold mit sich führte. Charles und seine Brüder, die Herzöge von York und Gloucester, die so lange Zeit auf Reichtum hatten verzichten müssen, weideten sich an dem Anblick des Geldes. Es folgten acht Tage voller Bankette und Empfänge zu Ehren des Königs, und aus allen Teilen Europas strömten Leute nach Den Haag, die sich sein Wohlwollen sichern wollten. Minister Henry Coventry schrieb von London aus an den Marquis von Ormonde in Holland: »Ich bitte Euer Lordschaft, drängt Seine Majestät zu einer möglichst raschen Überfahrt, um zu verhindern, dass die Stadt gänzlich den Verstand verliert, denn zwischen Freude und Erwartung geht das Volk kaum noch schlafen.«

Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, welche Aufregung in Nells Bande zerlumpter Straßenkinder geherrscht haben muss. Für sie, die zur Zeit des Commonwealth geboren waren, muss schon allein das Wort »König« einen magischen Klang besessen haben. Als sie Zeugen wurden, wie die Kavaliere schon vor dem Tag der Restauration in Scharen aus dem Exil nach London heimkehrten und die neueste französische Mode für ihre Frauen und Töchter mitbrachten, war das für sie ganz sicher Anlass, von einer neuen bunten Welt voller Ritterlichkeit und Abenteuer zu träumen. Ich sehe Nell direkt vor mir, wie sie ihre Mutter löchert, ihr zu erzählen, wie der junge Prinz von Wales war, bevor er ins Exil ging. Und so mag sie wohl auch erfahren haben, dass sein dunkles Äußere ihm den Spitznamen »Black Boy« eingetragen hatte, und das wiederum hat ganz gewiss ihre Fantasie beflügelt, war sie selber doch die Königin der Coal Yard Alley. Und vielleicht hat ihr Mrs Gwyn den eher ernsten jungen Mann mit den schulterlangen schwarzen Locken und den dunklen Augen auch ganz genau geschildert, der im Alter von elf Jahren von seinem Vater ins Oberhaus geschickt wurde und um das Leben von »Black Tom« bitten sollte, des unglücklichen Earls von Strafford; und möglicherweise hat sie ihr auch erzählt, dass überall in der Stadt Gerüchte darüber kursierten, welchen Mut und welche Selbstbeherrschung der Junge an jenem Tag bewiesen hatte.

Und so wie sich das ganze Land in einem Zustand nervöser Erwartung befand, gleich einer Braut am Vorabend der Hochzeit, die an nichts anderes mehr denken kann als an den geheimnisvollen Bräutigam, so hat ganz gewiss auch die kleine Nell, das Aschenputtel der Londoner Elendsviertel, stundenlang vor dem gesprungenen und blinden Spiegel ihrer Mutter gestanden und sich den Staub und die Asche aus den Haaren gebürstet, um für die Rückkehr des Königs gerüstet zu sein. Jetzt war der richtige Augenblick gekommen, die Strümpfe von Poor Dick anzuziehen und die alte, abgestoßene Brosche, die sie neulich auf der Straße gefunden hatte, an ihren besten Arbeitskittel zu heften. Jetzt war der richtige Augenblick da, ihre wilde und treue Meute um sich zu scharen und ihre Träume von ihrem zukünftigen Ruhm zu verkünden. Staunend und mit offenen Mündern haben sie ihr wohl zugehört, als sie bekannt gab, eines Tages werde sie den König heiraten und sie dann alle zu einem zünftigen Abendessen in den Palast einladen.

Am 23. Mai stachen der König und sein Gefolge auf der Naseby in See, die in aller Eile in Royal Charles umgetauft worden war, und es war durchaus nachvollziehbar, dass der König an seine gefährliche Flucht nach der Schlacht von Worcester zurückdenken musste. Das war das letzte Mal gewesen, dass er den Fuß auf heimatlichen Boden gesetzt hatte. Samuel Pepys, der siebenundzwanzigjährige Marinesekretär, befand sich mit an Bord und lauschte, den Tränen nahe, den Erzählungen des Königs über seine Leidenszeit. Im Gegensatz zu dem, was Pepys bisher über den König gehört hatte, beeindruckte der ihn durch seine Tatkraft, sein geistreiches Wesen und seine Gewohnheit, früh aufzustehen. Die hatte ihm den Spitznamen »Chanticleer«, d.h. »Gockel« eingebracht. Außerdem teilten die beiden Männer die Liebe zur Musik, und Samuel erhielt die Verantwortung für die königliche Gitarre übertragen.

Bei Sonnenaufgang des 25. Mai ging die königliche Gesellschaft in Dover vor Anker. Schon zu dieser frühen Stunde hatte sich auf den Dünen und Klippen eine Menge von ungefähr fünfzigtausend Menschen versammelt, um die Ankunft des Königs mit eigenen Augen mitzuerleben. Sie jubelten sich heiser, als Charles an Land ging und auf die Knie sank, um für seine sichere Heimkehr zu danken. Als er sich wieder erhob, wurde er von General Monk und dem Bürgermeister von Dover begrüßt. Sie machten ihm eine Bibel zum Geschenk, die Charles, wie er erklärte, »über alles in der Welt liebte«. Nach kurzen Aufenthalten in Canterbury und Rochester traf Charles, der überall auf seinem Weg begeistert willkommen geheißen worden war, am 29. Mai in London ein. Es war sein dreißigster Geburtstag. Der Umstand, dass es sein Geburtstag war, ist höchst bedeutsam, fiel doch so der Tag, an dem die Nation wiedererstand, mit dem Tag seiner Wiedergeburt zusammen.

Es grenzte schier an ein Wunder und war im Grunde unvorstellbar, dass der König in sein Reich heimgekehrt war, und manch einem muss es wie eine wundersame Vorsehung des Schicksals vorgekommen sein. Alle Kirchenglocken läuteten, die Straßen waren über und über mit Blumen besät, die Häuser mit Flaggen und Gobelins geschmückt, in den Brunnen floss Wein. Wie Pepys sagt, übertrafen das Geschrei und die Freudenbekundungen »jede Vorstellung«, und Evelyn, der zweite große Chronist jener Zeit, schrieb:

Ich stand in der Strand, sah es und pries Gott. Und all das war geschehen, ohne dass auch nur ein einziger Tropfen Blutes vergossen ward, und mit Hilfe eben derselben Armee, die sich einst gegen ihn erhoben hatte; aber es war das Werk des Herrn, denn eine solche Restauration hat es weder in der alten noch in der neueren Geschichte nicht mehr gegeben seit der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft. Auch hat diese Nation einen so freudigen und strahlenden Tag noch niemals erlebt, und dies zu einem Zeitpunkt, da ein solches Ereignis jenseits aller menschlichen Erwartungen und Möglichkeiten schien.

Nell muss sich in ihrem Element gefühlt haben, als sich ganz London in ein riesiges Straßenfest verwandelte. Ihr roter Haarschopf und ihr vorwitziges Mundwerk waren vielen Bewohnern von Covent Garden und auch jenen, die nur um des Vergnügens willen in diese Gegend kamen, wohlvertraut, arbeitete sie doch schließlich entweder im Freudenhaus ihrer Mutter oder aber im Etablissement von Madam Ross. In der Umgebung trieben sich stets jede Menge Quacksalber und Straßenkünstler herum, und wenn Nell den Wunsch gehabt haben sollte, sich aus der Menge herauszuheben und die Aufmerksamkeit des Königs auf sich zu lenken, wäre es ihr gewiss ein Leichtes gewesen, sich ein Paar Stelzen zu besorgen. Auf denen wäre sie dann zur Strand hinuntergeschwankt, wo sie sich unter die Clowns und Hanswurste mischen und nach ihren weniger beherzten Kameraden Ausschau halten konnte.

Vermutlich hat sie das von allen Seiten ertönende »Gott schütze den König!« schon längst vernommen, bevor sie Charles überhaupt zu sehen bekam, der sich inmitten seines Gefolges prunkvoll ausstaffierter Adliger und Ratsherren mit ihren vergoldeten Piken näherte. Der König selbst saß auf einem prächtigen weißen Ross, und ihm zu Füßen drängten sich seine Anhänger. Immer wieder zog er seinen mit goldenen Federn verzierten hohen, spitzen schwarzen Hut, um der jubelnden Menge für den Empfang zu danken. Der Duft der auf seinen Weg gestreuten, zerpflückten Blumen mischte sich mit dem des Weines, der in den Brunnen sprudelte, und berauschte selbst das allerpuritanischste Gemüt. Und das kleine Mädchen auf ihren Stelzen freute sich, auf gleicher Augenhöhe mit dem Mann zu stehen, mit dem sie später einmal die Geheimnisse ihrer Seele teilen sollte.

Ganze sieben Stunden lang wälzte sich der Triumphzug des Königs durch die Straßen Londons, bevor er gegen Abend in Whitehall eintraf, wo beide Häuser des Parlaments den Monarchen ihrer Treue versicherten. Müde, wie er war, mag Charles von einer Welle der Melancholie erfasst worden sein, denn mit Whitehall verbanden ihn ja nicht nur einige seiner schönsten Kindheitserinnerungen, es war dies schließlich auch der Ort, an dem man seinen Vater hingerichtet hatte. In vielerlei Hinsicht fühlte er sich dem Land seiner Geburt entfremdet, etwa so wie ein Mann, der in sein ausgeraubtes Haus zurückkehrt. Und ihm war auch durchaus bewusst, dass viele der Menschen, die er von nun an beschützen und regieren sollte, an der Ermordung seines Vaters beteiligt gewesen waren. Vielleicht hat er ja den Blick gesenkt und auf seine Hand geschaut, dann muss er jenen Ring betrachtet haben, den sein Vater kurz vor seiner Hinrichtung Bischof Juxon anvertraut hatte. Dieser Ring war ihm nach Frankreich nachgesandt worden mit der einzigen Ermahnung: »Vergiss nicht!« In den blutroten Stein war kunstvoll das Abbild des Kaisers – welch Ironie – in der Gestalt eines römischen Imperators geschnitzt, den Lorbeerkranz auf dem Haupt. Die Blätter der stacheligen Akanthuspflanze auf der Rückseite standen symbolhaft sowohl für sein eigenes Leiden als auch für das Ödland, in das der Krieg das Reich verwandelt hatte. Fünfundzwanzig Jahre später hat Charles eben diesen Ring an den ersten Herzog von St. Albans weitergegeben, seinen gemeinsamen Sohn mit Nell Gwyn. Ein Erbstück, das sich bis ins einundzwanzigste Jahrhundert hinein im Besitz der Herzöge von St. Albans befand.

Es muss hier vor dem großen Bankettsaal gewesen sein, wo Charles gelobte, niemals wieder das Land zu verlassen; wenn er auf dem Thron blieb, war das die beste Art, das Andenken seines ermordeten Vaters in Ehren zu bewahren. Als er so in die Runde schaute und der ungeteilten Verehrung seiner Untertanen gewahr wurde, soll dieser raffinierteste aller Politiker doch tatsächlich gesagt haben: »Ich befürchte, es war meine eigene Schuld, dass ich so lange fort war, denn ich kann hier niemanden erblicken, der nicht beteuert, er habe sich meine Rückkehr inständigst gewünscht.« Sicherlich schwang eine gewisse Ironie in seiner Stimme mit, vielleicht auch ein wenig Bitterkeit, obwohl Charles es meisterhaft verstand, seine Gefühle zu verbergen. Die Hinrichtung seines Vaters sowie sein eigenes Leiden im Exil sind ganz gewiss nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Charles hat den Engländern niemals wieder aufrichtig vertraut, und obwohl er allen stets mit untadeliger Höflichkeit begegnete, hat er doch zu dem Volk, über das er herrschte, bis zum Ende seiner Tage eine seltsame Distanz bewahrt.

Im Allgemeinen ließ der König keine Gelegenheit aus, seine Landsleute vor den Kopf zu stoßen, wenn auch unbewusst, aber sein natürlicher Wunsch nach Rache ließ sich nun einmal nicht unterdrücken. Für Charles hieß das, dass er mit seinem Verhalten von Anfang an klarstellte, dass er sich nicht an die in England geltenden gesellschaftlichen Konventionen halten würde. So wird z.B. berichtet, dass Charles seine erste Nacht in Whitehall in den Armen der neunzehnjährigen Barbara Palmer (geborene Villiers) verbrachte und dass er nicht an dem Erntedankgottesdienst teilnahm, der für diesen Abend in der Abtei von Whitehall anberaumt war, nur um schneller in ihre liebende Umarmung eilen zu können. (Ihr erstes Kind, eine Tochter, kam genau neun Monate später, am 25. Februar 1661, zur Welt.)

Der Begriff »Restauration« ist in vielerlei Hinsicht missverständlich, denn 1660 bedeutete er auf gar keinen Fall die Wiederherstellung der Monarchie, wie sie vor dem Krieg unter Charles I. bestanden hatte. Die Cavaliers oder Royalisten, ganz gleich, ob sie sich in England oder zusammen mit dem König im Exil aufhielten, waren nämlich nicht diejenigen, die den alten Zustand wiederherstellten, sondern sie selber waren es, die erneut wieder eingesetzt wurden. Wie Churchill sagt, ging es bei der Restauration ebenso sehr um die Rückkehr des Parlaments wie um die Heimkehr des Königs, es ging somit um die Wiederbelebung der Verfassung oder, wie Maeterlinck es ausdrückt, um »den Geist des Bienenkorbes«. Wir haben es folglich mit dem Sieg der gemäßigten Kräfte zu tun, mit dem Sieg der Konstitutionalisten, deren Ziel nie in erster Linie der Krieg gewesen war. Allerdings waren die subversiven Elemente noch nicht ganz beseitigt. Wie Churchill meint, »hat die Restauration das erreicht, was Pym und Hampden ursprünglich angestrebt hatten. Sie hat mit den Exzessen Schluss gemacht, in die Letztere durch die Schärfe der Auseinandersetzungen, durch die Verbrechen und den Wahnwitz des Krieges hineingezogen worden waren. Jetzt hatten das Unterhaus und das Common Law auf Dauer gesiegt«.2 Im Bürgerkrieg hatten natürlich auf beiden Seiten gemäßigte Kräfte gekämpft, obwohl die Wahl, vor die sie sich gestellt sahen, eine künstliche gewesen war: Sie waren sowohl für das Parlament als auch für den König gewesen, denn nur beide zusammen garantierten Gesetz und Ordnung. Was wiederhergestellt werden sollte, war die Freiheit, die Freiheit unter dem Gesetz: jene Freiheit, die Dryden als »das einzige Vorrecht eines englischen Untertanen« bezeichnet hat.3

Die Tatsache, dass der bekannteste damalige Konstitutionalist, Edward Hyde, Earl von Clarendon und gemäßigter Abgeordneter im Londoner Parlament unter Charles I., vom König im Exil zum Lordkanzler ernannt worden war, dass er die Deklaration von Breda verfasst hatte und jetzt als oberster Minister fungierte, bedeutete für das Volk ganz eindeutig, dass der König keineswegs die absolute Monarchie anstrebte. Die wahre Gefahr ging von einer ganz anderen Seite aus. Wie Clarendon in seinen Erinnerungen selber schreibt, hatten die achtzehn Jahre des Bürgerkriegs und der Diktatur das Land traumatisiert, und eine ebensolche Bedrohung ging nun ebenfalls von den Menschen aus, die in der Zeit von 1642 bis 1660 herangewachsen waren, denn ihnen fehlten die natürlichen Bindungen und Loyalitäten, die eine zivilisierte Gesellschaft ausmachen. Er geht sogar so weit, vom Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft zu sprechen, und meint, dass noch im Jahr 1660 der Geist der Revolution seinen Schatten auf das politische Leben in England warf.

Schon Charles I. hatte in seiner Rede auf dem Schafott deutlich gesagt, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Parlament von, wie er sie nannte, »üblen Kräften« fehlgedeutet und übertrieben worden waren, von Männern, deren angebliches Eintreten für die Freiheiten des Volkes nichts anderes war als ein Trick, um an die Macht zu gelangen. Diese Leute hatten die Mehrheit seiner gesetzesfürchtigen Untertanen getäuscht und den Krieg herbeigeführt; ihnen lag nichts daran, lediglich die königlichen Vorrechte zu beschränken, nein, sie waren durch und durch Republikaner. Und diese Männer waren mit der Restauration nicht verschwunden, sie hatten nur ihre Kleider und ihre Ausdrucksweise gewechselt und warteten ab, bis ihre Zeit wiederkäme. Und wir werden sehen, dass ihre subversive Tätigkeit erneut spürbar wurde, sobald Clarendon im Jahr 1667 seines Amtes enthoben worden war. So geht es zu auf der Bühne der Politik.

Das Theater ist eine gute Metapher für die oberflächlichen, aber auch für die tiefer gehenden Veränderungen, die die Restauration mit sich brachte, und dieser Vergleich sagt auch einiges aus über Charles’ amüsierte, recht verschmitzte Art, mit den einhelligen Bekundungen der Zuneigung umzugehen, die ihm bei seiner Rückkehr entgegengebracht wurden. In aller Eile wurden Schiffe umgetauft und königliche Wappen erneuert (d.h. man entfernte die Insignien der Protektoratszeit), die Mode zeigte sich wieder elegant, die Maibäume wurden aus den Lagerschuppen hervorgeholt, und die Theater öffneten erneut ihre Tore. Charles war entschlossen, all das zu genießen, solange es währte, war aber gleichzeitig realistisch genug, um zu wissen, dass sich die Lage sehr rasch wieder ändern konnte, ja ändern würde. Er war ganz gewiss ein Mann, der viele Rollen zu spielen verstand, und deshalb wollen wir uns an dieser Stelle fragen, was für ein Mensch der dreißigjährige, frisch auf den Thron gehobene König eigentlich war, denn sein Charakter und seine Lebenseinstellung sind für unsere Geschichte von wesentlicher Bedeutung.

Zunächst sei daran erinnert, dass das Jahr 1660 eigentlich schon das zwölfte Jahr von Charles’ Regentschaft war. Das ist wichtig, denn es bedeutet, dass die übrigen europäischen Monarchen seiner Zeit ihn mit Missachtung, ja Verachtung behandelt hatten, obwohl er doch bereits während der Zeit seines Exils ein regierender Monarch mit einem regelrechten, wenn auch dezimierten Hof war. Es lässt sich wohl kaum ermessen, wie schwer die Demütigungen vonseiten derjenigen auf ihm lasteten, von denen er zu Recht Achtung, wenn nicht sogar Unterstützung hätte erwarten dürfen. Von seinen königlichen »Vettern« ignoriert und in die Verbannung geschickt, war Charles gezwungen, ein mittelloses Wanderleben zu führen. Und das ist keineswegs eine romantische Übertreibung, wissen wir doch aus den Berichten von Clarendon und anderen Kavalieren, dass es selbst dem König oft an Nahrung, Wärme und sauberer Kleidung mangelte.

Die Wochen nach der Schlacht von Worcester, in denen sich Charles verborgen halten musste und während deren viele seiner katholischen Untertanen ihm eine ungewöhnliche Loyalität bewiesen, haben seine von Natur aus vorhandene Neigung noch verstärkt, die Menschen nach ihrem Charakter zu beurteilen und nicht nach ihrem Glaubensbekenntnis. Die heuchlerische und moralinsaure Langeweile seiner presbyterianischen Gastgeber in Schottland hingegen hatte ihn in seiner Abneigung gegen religiösen Fanatismus nur noch bestärkt. (Charles war der Ansicht, der presbyterianische Glaube sei »als Religion für einen Gentleman nicht geeignet«.) Genau wie sein Großvater mütterlicherseits, Heinrich IV. von Frankreich, von dem der berühmte Ausspruch stammt, Paris sei wohl eine Messe wert, konnte Charles religiöse Dogmen nicht ernst nehmen. Wie der Historiker Hesketh Pearson feststellt, »tolerierte er alle Glaubensüberzeugungen und stand allen gleichgültig gegenüber. Ihm war die persönliche Aufrichtigkeit wichtiger als irgendein Glaubensbekenntnis«.4 Charles’ ehemaliger Kaplan, Bischof Burnet, hat einmal gesagt, der König habe seinen eigenen Glauben bzw. seine eigene religiöse Philosophie, und das mutet uns heute ungewöhnlich modern an. Er glaubte, Gott würde einen Menschen niemals dafür verdammen, dass er das Leben mit allen Sinnen genieße, solange er damit anderen nicht schade, denn »das Einzige, was Gott verabscheut, sind Bosheit und die Absicht, Schaden zuzufügen«.5 Der König besaß, wie Burnet halb bewundernd feststellte, eine außergewöhnliche Selbstbeherrschung.

Angesichts seiner frühen Erfahrungen verwundert es nicht, dass Charles eine eher zynische Auffassung von der Beständigkeit des Menschen und seiner dauerhaften Treue vertrat und dass er sich eisern vornahm, stets das eigene Interesse vor das der anderen zu stellen, ganz besonders dann, wenn er damit zum Wohl des Reiches beitrug. Und er hatte gelernt, dass die Menschen ihren König nur respektieren, wenn der seine Macht und Autorität auch geltend macht. All das Gold und die guten Wünsche, mit denen ihn ausgerechnet jene bei seiner Wiedereinsetzung überhäuft hatten, die ihn in den Zeiten der Not im Stich gelassen hatten, werden den König in seiner skeptischen Haltung, niemandem zu trauen, nur noch bestärkt haben.

Charles’ eigene Tugenden, wie Geduld, Stärke und Unparteilichkeit, aber auch der Wille, sich nicht der Verzweiflung anheim zu geben, waren ebenso verantwortlich für seine Restauration wie die Ereignisse in England, die sich seinem Einfluss entzogen. Was an den Jahren im Exil so erstaunt, ist nicht die Lasterhaftigkeit oder das ausschweifende Leben des Königs, denn die Berichte darüber entsprangen weitgehend den Hirngespinsten puritanischer Einbildung und Propaganda, sondern vielmehr seine bemerkenswerte Selbstbeherrschung und Mäßigung. Man könnte sagen, Charles’ Genialität bestand darin, dass er sowohl Distanz zum Volk und den Ereignissen bewahrte als auch beides akzeptierte. Es war ihm gelungen, auf der Welle der Politik zu reiten, ohne von ihr hinweggespült zu werden, und seine Leiden hatten ihn gelehrt, ein aufrichtigerer Demokrat zu sein als seine republikanischen Widersacher. Er hatte gelernt, einen Menschen nicht nach seiner Geburt oder seinem Stand zu beurteilen; wahrer Adel, das wusste er, war eine Charaktereigenschaft.

Im Gegensatz zu seinem Vater, Charles I., und seinem Großvater, James I., die beide eine streng theoretische Auffassung von der Monarchie vertreten hatten, scherte sich Charles II. nicht im Geringsten um politische Abstraktionen und Theorien, denn er wusste nur zu gut, wie flüchtig solche Konstrukte sein konnten. Er hatte eine ganz klare Vorstellung von seiner politischen Aufgabe: Er wollte sich auf dem Thron halten und die Rolle des Königs spielen. Er besaß jene alte, nicht von selbstzweiflerischen Lehren belastete elisabethanische Selbstsicherheit. Wenn er eine politische Philosophie vertrat, dann kommt sie am besten in seiner berühmt gewordenen Abwandlung der Stelle aus dem Buch der Könige zum Ausdruck: »Ich möchte, dass jeder Mann unter seinem eigenen Weinstock und unter seinem eigenen Feigenbaum sitzen kann.« Mit anderen Worten, er glaubte an wirtschaftlichen Wohlstand und an Gewissensfreiheit für alle. Mit seinem Charakter war er ideal geeignet für die konstitutionelle Monarchie und die Schaffung eines neuzeitlichen Staates. In den Auseinandersetzungen, die er mit dem Parlament über die Frage der religiösen Toleranz ausfechten musste, war, wie Churchill sagt, »seine Stimme die einzige, die moderne und tolerante Ansichten vertrat«.

Auch wenn man ihm schon sehr bald den Beinamen »der fröhliche Monarch« verleihen sollte, machte der König, der an jenem strahlenden Sommertag in London Einzug hielt, einen eher ernsten denn fröhlichen Eindruck. Pepys, der dem König am 17. Mai 1660 in Den Haag zum ersten Mal begegnet war, beschrieb ihn in seinem Tagebuch als einen »sehr nüchternen Mann«. Seiner äußeren Erscheinung nach konnte man ihn eigentlich weder als hübsch noch als fröhlich bezeichnen, dafür war er viel zu schmal gebaut und zu dunkel, aber er hatte sich schon seit langem ein forsches Auftreten zugelegt, um den ihm innewohnenden Zug der Schwermut zu verbergen. Charles hatte seine Gefühle unter absoluter Kontrolle, und es freute ihn, wenn man ihn für fröhlich oder sogar leicht frivol hielt, sofern ihm das half, seine Widersacher zu täuschen. Eigentlich ist es nur natürlich, dass sich ein ganzer Reigen von Mythen um seine Person rankte, war er seinen Landsleuten doch fast eine ganze Generation lang nur aus Erzählungen vertraut gewesen. Jene allerdings, die ihn gut kannten, sahen ihn als den, der er wirklich war: ein selbstbeherrschter, geistreicher Mann von raschem Entschluss, der allen Menschen ungeachtet ihrer Geburt mit Höflichkeit begegnete.

Wie schon Shakespeare am Beispiel seines Heinrich V. deutlich macht, der sich als Prinz Hai die Hörner abstößt, ist es für das Wohl einer Nation lebenswichtig, dass der Herrscher sich über sein eigenes Wesen im Klaren ist. Der König muss sich selber beherrschen, bevor er über andere herrschen kann. Charles II. wurde durch seine Leidenszeit im Exil zu dieser Selbsterkenntnis geführt, das formuliert er ganz klar in seinem ersten Schreiben als König an den Sprecher des Unterhauses. Der Brief endet mit dem Satz: »Und Wir hoffen, dass Wir aus Unserer Not die rechte christliche Lehre gezogen haben, und dass das, was Wir in anderen Ländern gesehen und erfahren haben, Uns und wie Wir hoffen auch Unseren Untertanen in Zukunft zu einem Besseren gereichen möge.« Wie bei allen Königen aus dem Hause Stuart waren es die tragischen Ereignisse, die Charles’ beste Eigenschaften ans Licht brachten, und außerdem besaß er eine unglaubliche Fähigkeit, mit schwierigen Lagen fertig zu werden. Aber dennoch litt er stets unter einem unheilvollen Gefühl der Entwurzelung, was, wie Cecil Chesterton meint, der Grund dafür war, dass er sich niemals zu absoluter Treue verpflichtet fühlte, nicht einmal gegenüber dem Land, über das er regierte.6

Es bestand stets und besteht auch heute noch eine Kluft zwischen dem Charles, der er wirklich war, und jenem Charles, wie er in der Vorstellung der Menschen lebte. Seine Abneigung gegenüber den Regierungsgeschäften wurde ihm als Faulheit ausgelegt, und dabei gab es wohl nichts, was weniger der Wahrheit entsprach. Wenn der König eine Eigenschaft besaß, dann war es eine überbordende Energie, die es ihm sogar schwermachte, sich zu entspannen. Schon vor Sonnenaufgang stand er auf, um sich seiner morgendlichen Körperertüchtigung zu widmen (Reiten, Schwimmen und Tennisspielen), und noch bevor irgendeiner seiner Minister überhaupt am Ratstisch erschien, hatte er bereits einen großen Teil seiner Amtsgeschäfte erledigt. Sein Gang war so schnell, dass Amtsträger und Bittsteller sich sputen mussten, um mit ihm Schritt halten zu können. Selbst Cromwell hatte sich bewundernd über Charles’ Tatkraft und sein Geschick geäußert, als der 1651 seine Truppen in Schottland aufstellte.

Und wenn er sich gerade einmal nicht den Staatsgeschäften widmete, empfing er zu jeder Tageszeit Besucher, unterstützte Kunst und Wissenschaft oder führte in seinem Privatlabor sogar eigenhändig chemische Experimente durch. Seine Kenntnisse in Mathematik, Astronomie und Navigation waren geradezu berühmt. Auch die Architektur begeisterte ihn, außerdem war Charles ein begabter Zeichner. John Evelyn, selber ein vielseitig gebildeter Mann, berichtet über folgende Begegnung mit dem König am 27. Oktober 1664:

Er [der König] forderte mich auf, mit ihm allein an eines der Fenster zu treten, und fragte mich, ob ich ein leeres Blatt Papier und einen Bleistift bei mir habe; ich reichte ihm beides. Er legte es auf die Fensterbank und zeichnete von eigener Hand den Entwurf des künftigen Whitehallgebäudes mit allen Repräsentationsräumen und sonstigen Details. Danach sprach er noch über verschiedene Dinge mit mir ... all das erweckt in mir den Eindruck, dass Seine Majestät außerordentlich befähigt ist, ein wunderbarer Herrscher zu werden.

Von Bewunderern und Kritikern gleichermaßen wurden immer wieder seine Intelligenz und seine Vorliebe für das geistreiche Gespräch hervorgehoben. Seine rasche Auffassungsgabe ermöglichte es ihm, die Gelegenheiten für gute Geschäfte schnell zu erkennen, und da er mütterlicherseits aus dem Geschlecht der Medici stammte, besaß er auch kaufmännisches Geschick und konnte rechnen, und das gereichte ihm in der neuen Welt, in der er sich nun befand, durchaus zum Vorteil. Ja, die Tatsache, dass er allem Neuen gegenüber aufgeschlossen war, ließ seine Herrschaft in fast allen Bereichen so modern erscheinen. Selbst seine Neigung zum süßen Nichtstun trägt moderne Züge. Insgesamt gesehen aber erwies sich Charles als radikaler und auf ehrlichere Weise leistungsorientiert als Cromwell, der sich insgeheim immer nach dem Thron gesehnt und abweichende Meinungen nicht geduldet hatte. Der König hingegen war aufgrund seines langen und mühevollen Exils sowohl realistisch als auch ohne Vorurteile. Er begriff, welch wichtige Rolle der freie Markt und die Entwicklung der Wissenschaft als Grundlage einer neuen, zivilisierteren Gesellschaft spielten.

Trotz seiner zahlreichen Liebesaffären im Ausland und der daraus erwachsenen Nachkommenschaft (im Jahr 1660 war er bereits Vater von fünf Kindern) wurden seine Frauengeschichten doch stark übertrieben. Gewiss, als König hielt er sich später eine Reihe von Mätressen, aber auch nicht mehr als seine Tudorvorgänger. Dass Charles die Frauen auf sehr sinnliche Art liebte, ließ sich nicht verheimlichen. Halifax schrieb dazu, dass der König »seine Neigung zur Liebe seiner Gesundheit und seiner guten Kondition verdanke, dass aber auch die Englein, wie bei nur ganz wenigen Menschen, ihr Teil dazu täten«. Wenn es nicht die Engelein waren, so gewiss die Teufelchen. Schon als Junge hatte sich Charles vom weiblichen Geschlecht angezogen gefühlt. Verführt wurde er von seiner früheren Amme, Christabella Wyndham, und von dem Augenblick an war der Sex für ihn zu einem Tröster geworden, zum Ersatz für wahre Zuneigung.

Wichtig für Charles war auch das Gefühl der Macht, das mit der Eroberung einherging, ganz besonders, wenn er, wie wir wohl annehmen dürfen, nicht in der Lage war, sich hinreichend zu entspannen, um den Geschlechtsakt wirklich zu genießen. Außerdem gehörte es zu den Attributen eines Königs, sich einen Harem zu halten und dabei nicht einmal vor den Gattinnen seiner Verbündeten Halt zu machen. Es war eine Demonstration seiner Macht und hatte mit körperlichem Vergnügen nur wenig zu tun. Diese Art von Potenz oder Manneskraft stellt Dryden in der Einleitung zu Absalom and Achitophel gut heraus. Charles wird darin als David, König Israels, dargestellt und die Restauration als der Beginn eines neuen Goldenen Zeitalters ursprünglicher Befriedigung besungen:

In frommer Zeit, bevor man Pfaffen kannte,

bevor Polygamie man Sünde nannte,

als sich der Mensch mit vielen Weibern mehrte,

die Regel »eins zu eins« noch keiner lehrte;

als die Natur noch herrschte, kein Gesetz diktierte,

dass Frau plus Nebenfrau nicht konvenierte –

pflegt Israels Monarch, mit Gottes Segen,

zu Sklavinnen wie Weibern sich zu legen,

und sät im Lande, wo sein Ratschluss gilt,

mit warmer Kraft des Schöpfers Ebenbild.

Auf mythologischer Ebene bedeutete Charles’ II. Liebesieben so etwas wie die Reinwaschung des Körpers der Nation vom Puritanismus. Clarendon hat darauf hingewiesen, dass Charles in seinem Liebestemperament viel von seinem Großvater mütterlicherseits geerbt hatte, von Heinrich IV. von Frankreich. Genau wie Charles hatte auch der seinen Mätressen eine offizielle Stellung bei Hofe eingeräumt und darauf bestanden, dass seine Gattin, die Königin, sie akzeptierte. Auch Heinrich war berühmt für seine sexuelle Potenz (ihm werden vierundfünfzig Mätressen nachgesagt), und in der Öffentlichkeit nannte man ihn nur bewundernd »Le Vert Galant« (»der starke Liebhaber«). Charles erhielt den Spitznamen »Old Rowley« nach einem seiner Hengste.

Insgesamt stand Charles’ Leidenschaft für Frauen in einem gesunden Gegensatz zu dem blutleeren Liebesieben seiner unmittelbaren Vorgänger. Väterlicherseits zumindest blickte er auf eine lange Reihe von Männern zurück, die ihre Sexualität unterdrückt hatten. Sein Urgroßvater, Henry Stuart, Lord Darnley, sein Großvater, James I., und auch sein Vater, Charles I., waren allesamt ziemliche Neurotiker mit bisexuellen Neigungen und dominierenden Ehefrauen gewesen. Das Symbol für diese lange Zeit der unterdrückten Sexualität erscheint uns in der Gestalt eines riesigen Jagdhundes auf dem Porträt der fünf Kinder Charles’ I., das van Dyck im Jahr 1637 angefertigt hat. Das Tier ist unter dem linken Ellenbogen des siebenjährigen Prinzen Charles platziert, doch obwohl dieser sagenhaft große Hund seine rechte Pfote auf den linken Fuß des Prinzen gesetzt hat, scheint dieser ihn kaum zu bemerken, so als schlummere das Biest tief im Unbewussten des Jungen und warte noch darauf, geweckt zu werden.

Zur Zeit der Restauration wurde dann aber die gute alte englische Sinnenfreude wieder gründlich zum Leben erweckt. Die Bewohner Londons brauchten sich nur umzusehen, überall schossen die Maibäume aus dem Boden, um bereit zu sein, wenn es hieß, den Monat Mai zu begrüßen. Der höchste von allen erhob sich mit seiner vergoldeten Krone in Nell Gwyns unmittelbarer Nachbarschaft, in der Strand nahe der Drury Lane.

Als wir Nell am Ende des vorigen Kapitels verlassen haben, war sie die Königin der Straßenkinder in den schmutzigen Seitengassen der Drury Lane, die von einem Leben bei Hofe träumte und eine Bande lebhafter Gören ohne Dach über dem Kopf befehligte. Schon mit zehn Jahren war sie eigentlich kein Kind mehr, dafür hatte sie allzu früh bereits zu viel von der Welt erfahren. Im Mittelpunkt ihrer Träume hatte stets die Person des heimkehrenden Königs gestanden, und nun, da er wirklich zurückgekehrt war, schien alles möglich.

Nell Gwyn

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