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Kapitel 4
ОглавлениеEin König der Liebe
In der Schlafzimmerkrise hatte sich sehr anschaulich offenbart, wie kompliziert Charles’ Verhältnis zu den Frauen war und dass er mit ihnen ein doppeltes Spielt trieb; sie sprach auch Bände darüber, dass er entschlossen war, sich nicht von Frauen beherrschen zu lassen. Stattdessen behandelte er sie lieber wie seine Minister, spielte sie gegeneinander aus und behielt selbst stets die Fäden in der Hand. Außerdem versuchte er, sich mit dieser Taktik seine Freiheit zu bewahren. Damit allerdings lief er Gefahr, Opfer stürmischer Gefühlsausbrüche zu werden, ganz besonders, wenn Barbara Castlemaine betroffen war.
Charles’ Furcht vor Dominierung lässt sich ganz direkt aus der Beziehung zu seiner Mutter herleiten, der energischen Henrietta Maria, ihrerseits Tochter einer kalten, dominierenden Mutter, Maria von Medici, und eines Vaters, den sie niemals gekannt hat (er wurde ermordet, als sie erst ein Jahr alt war).1 Von dem Augenblick an, da sie den Knaben zur Welt gebracht hatte, der von so dunklem Äußeren war, dass sie, wie sie selber sagte, sich »seiner schämte«, tyrannisierte Henrietta Maria ihren ältesten Sohn und fürchtete sich gleichzeitig vor ihm, so als wüsste sie, dass er eines Tages zu dem König heranwachsen würde, der ihr Gatte nie hatte sein können, und dass er damit ihre Kontrolle über die Männer in der Familie brechen würde. Für sie bedeutete das Leben Aufopferung und Pflichterfüllung, und um ehrlich zu sein, selbst die Liebe ordnete sie ganz der Pflicht unter und sah in ihr nur ein Opfer, Zuneigung war zweitrangig. Zwar war sie eine sehr empfindsame Frau, behielt aber ihre Gefühle streng für sich. Wenn sich ihre Emotionen doch einmal nach außen Bahn brachen, dann unabsichtlich und eher in der Form von Wutanfällen denn in Bekundungen mütterlicher Liebe.
Diese tapfere, leidenschaftliche kleine Frau (sie maß kaum einen Meter fünfzig) erschien ihren Kindern kalt und herrisch. In ihren Augen waren die Kinder niemals individuelle Persönlichkeiten, sondern nur Spielfiguren in dem alles bestimmenden Drama ihres Lebens. Jede Bekundung eines eigenen Willens oder des Widerspruchs vonseiten der Kinder löste, selbst als diese schon erwachsen waren, entsetzliche Wutanfälle aus oder, was noch schlimmer war, kalt berechnete Demütigungen. Um die Kontrolle zu behalten, war ihr jedes Mittel recht. Als Charles’ jüngster Bruder Henry, der Herzog von Gloucester, den Versuchen seiner Mutter widerstand, ihn zum katholischen Glauben zu zwingen, ließ sie alle Möbel aus seinen Gemächern im Pariser Palais Royal entfernen und seine Pferde aus den Stallungen fortführen. Daraufhin unternahm er einen letzten Versuch, sich mit ihr vernünftig auseinanderzusetzen, doch sie behandelte ihn in aller Öffentlichkeit, als wäre er Luft. Das war im Jahr 1655. Henry, der fünf Jahre später den Pocken erlag, hat seine Mutter nie wiedergesehen. Ihren zweiten Sohn, James, den Herzog von York, behandelte sie kaum weniger harsch, als der heimlich eine Bürgerliche heiratete.
Es hatte den Anschein, als konnte sie nur einem Ersatzkind eine richtige Mutter sein, einem Kind, mit dem sie keine Blutsbande verknüpften und über das sie uneingeschränkte Herrschaft auszuüben vermochte. Ein solches Kind war der zwergwüchsige Jeffrey Hudson, der ungefähr im Alter von acht Jahren vom Herzog von Buckingham der damals noch kinderlosen Königin zugeführt worden war. Jeffrey war aus einer Torte herausgehüpft, die man dem König und der Königin in Burleigh on the Hill serviert hatte. Henrietta Maria schloss den Kleinen sofort ins Herz, ließ ihn aufs Feinste einkleiden und kümmerte sich um seine Erziehung. In ihm hatte sie ein fügsames Kind, das sie ganz nach ihren eigenen Vorstellungen formen und zum Katholiken machen konnte. Sie lehrte ihn Französisch und unterwies ihn in den Sitten und Ritualen bei Hofe. 1633 ließ sie sich sogar zusammen mit ihm von van Dyck porträtieren. Das Bild zeigt eine hochmütige und auf eine etwas kindliche Art überaus schöne Königin. Ihre linke Hand ruht auf einem Äffchen, das auf Jeffreys Arm sitzt, ein Symbol für die Lust am Schabernack, der diesen beiden Außenseitern am Hof zu eigen war. Berühmt geworden ist ein Vorfall in Den Haag aus dem Jahr 1642. Damals hatte der holländische Gesandte den dreiundzwanzigjährigen Jeffrey fälschlicherweise für den Prinzen von Wales gehalten und hatte sich niedergebeugt, um dem Zwerg die Hand zu küssen. Zu diesem Irrtum hatte ihn ganz gewiss der ungezwungene und liebevolle Umgang der Königin mit dem jungen Mann verleitet, eine Zuneigung, zu der sie Charles gegenüber nie in der Lage war. Nach der Restauration, als Jeffrey fort war, adoptierte sie einen Chinesenjungen, einen blinden Passagier auf einem Ostindienfahrer, den sie ebenfalls zum katholischen Glauben bekehrte und wie ihren leiblichen Sohn aufzog.
Mit Katharina von Braganza hatte sich Charles eine Ehefrau gewählt, die sehr große Ähnlichkeiten mit seiner Mutter aufwies. Stur, eigensinnig und impulsiv, war Katharina in der Lage, ihren Standpunkt nachhaltig zu vertreten, wenn sie sich angegriffen fühlte. Äußerlich waren beide Frauen von sehr feingliedriger, ja fast puppenhafter Gestalt, und beider Schönheit lag vor allem in ihren großen, dunklen Augen. Es gab allerdings entscheidende Unterschiede. War Henrietta eine dogmatische Katholikin, deren Handeln durch politische und familiäre Loyalitätsbindungen bestimmt wurde, so war Katharina aufrichtig fromm, ja sogar mystisch und verspürte lebenslang immer wieder den tiefen Wunsch, sich aus der Welt zurückzuziehen. Sie verkörperte jenen Wesenszug, den Charles bei sich nicht auszudrücken vermochte: Ergebenheit und Hingabe.
Henrietta, die Katharina zum ersten Mal nach ihrer Rückkehr nach London im August des Jahres 1662 begegnet war, beschrieb sie in einem Brief an ihre Schwester Christine als eine Heilige. Es verwundert nicht, dass sich Katharina aus allen Hofintrigen herauszuhalten verstand und im Laufe der Jahre im Volk immer größere Beliebtheit genoss. Schon im Dezember 1662 hatte Pepys von Dr. Pierce, dem Leibarzt des Herzogs von York, gehört, dass Katharina »eine äußerst gütige Lady ist und alles [d.h. Barbaras Intrigen] mit der größtmöglichen Sanftmut erträgt«.
Der größte Unterschied zwischen den beiden Königinnen aber war vielleicht der, dass Katharina niemals Mutter wurde. Ihr Körper war der eines Kindes, und es hieß, sie sei unfähig, ein Kind auszutragen. Das war sowohl für sie als auch für Charles ein Grund tiefer Bekümmernis. Als Katharina im Herbst 1663 lebensbedrohlich erkrankte, fantasierte sie in ihren Fieberträumen, sie hätte Zwillinge zur Welt gebracht, einen Knaben und ein Mädchen, und der Knabe hätte dem König bis aufs Haar geglichen. Diese Phantomzwillinge symbolisieren möglicherweise das Verhältnis zwischen Katharina und Charles, wie es wirklich war, nämlich eine Beziehung von Bruder und Schwester. Und nach dem allzu frühen Tod seiner leiblichen Schwester Minette im Jahr 1670 übertrug Charles einen Großteil seiner idealisierten Liebe zu ihr auf Katharina. Gefühlsmäßig war er ihr sehr viel stärker verbunden, als die meisten Beobachter wahrnahmen. Ganz besonders schätzte er an ihr ihre selbstlose Liebe sowie die Tatsache, dass sie auf seine Mätressen nicht eifersüchtig war und seinen unehelichen Kindern mit großer Freundlichkeit begegnete.
Barbara Castlemaine hingegen tat es Charles’ Mutter gleich und setzte Tränen und Wutausbrüche ein, um dem König ihren Willen aufzuzwingen. Ihr beider Verhältnis war ein entwürdigender Machtkampf, noch angeheizt durch eine beiderseitige, geradezu schamlos anmutende Wollust. Manch einer, unter anderem auch die Mutter des Königs, führten Barbaras Einfluss auf den König auf Hexenkräfte zurück, aber ihre Lüsternheit und die fünf Kinder, die sie ihm schenkte, sind wohl doch die wahrscheinlichere Erklärung. Barbara hatte sowohl etwas Gefährliches als auch etwas Pathetisches an sich, und das war eine Mischung, der Charles nicht zu widerstehen vermochte. Sie war eine Bürgerkriegswaise (ihr Vater, Viscount Grandison, war im Dienst des Königs gefallen), und genau wie Nell Gwyn war auch sie schon viel zu früh in die Welt der Erwachsenen eingeführt worden. Barbara war eine Nymphomanin, schlief mit Männern und Frauen, und wenn es um die Befriedigung ihrer sexuellen Lust ging, vergaß diese herrschsüchtige Frau jeden Klassendünkel. Zu ihren Liebhabern zählten ein Schauspieler, ein Seiltänzer, ein Wegelagerer und ein gewalttätiger Bigamist. Zahlreiche andere blieben unerwähnt. Ihren unerhörtesten Skandal aber rief sie hervor, als sie einem toten Bischof den Penis abbiss.2
Pepys, der sie aus der Ferne anbetete, wunderte sich, dass ihre Schönheit ihn dazu verleitete, ihr Verhalten wohlwollend zu beurteilen, »obwohl ich doch sehr wohl weiß, dass sie eine Hure ist«. Er jedenfalls war sich ihrer Anziehungskraft gewiss: »Mylady Castlemaine herrscht, sie beherrscht alle nur erdenklichen Tricks, von denen Aretin berichtet, um lustvolles Vergnügen zu bereiten; der König ist dazu ebenfalls in der Lage, hat er doch einen langen [Penis]. Das Traurige an dem Ganzen ist nur, wie das italienische Sprichwort sagt, cazzo dritto non vuolt consiglio [ein Mann, der gerade eine Erektion hat, ist taub für jeden Rat].« Der König wird in Pepys’ Tagebuch heftig kritisiert, weil er Barbara so abgöttisch liebt und dabei sowohl die Königin als auch die Regierungsgeschäfte vernachlässigt. Pepys missbilligte, dass Charles fast jeden Tag in der Woche bei Barbara zu Abend speiste und man ihn dann in den frühen Morgenstunden nach Whitehall zurückeilen sah, so dass schließlich sogar die Schlosswachen anfingen zu tuscheln.
Ob das Wissen um Barbaras anderweitige Eroberungen den König stimulierte, entzieht sich unserer Kenntnis, als sie es jedoch auf seinen dreizehnjährigen Sohn, den Herzog von Monmouth, abgesehen hatte, gebot er ihr energisch Einhalt. Dass es sich um Eroberungen handelte, steht allerdings außer Frage. Ihre sexuellen Beziehungen zu Männern waren sehr stark durch ein Gefühl der Wut gekennzeichnet, Intimität spielte dabei nur eine geringe Rolle. Es war also weitgehend die gleiche emotionale Gemengelage wie bei Charles und seinen Affären mit dem anderen Geschlecht. Außerdem war sie habgierig und ehrgeizig und drängte den ihr willenlos ausgelieferten König durch Schmeicheleien dazu, ihr ungeheure Besitztümer, Juwelen und Vorrechte zu übertragen, sehr zum Missbehagen von Parlament und Volk. In seinem Tagebucheintrag vom 23. Februar 1662 vermerkte Pepys missbilligend, dass Barbara auf dem letzten Ball reicher mit Juwelen behangen gewesen sei als die Königin und die Herzogin von York zusammengenommen. Ihre Taktik war die eines Tiers, sie setzte ihren Raubtierinstinkt ein, um ihre Macht und ihren Einfluss immer weiter auszubauen. An der eigentlichen Politik aber hatte sie kein Interesse, genauso wenig wie ihr demonstrativer Übertritt zum katholischen Glauben einer tiefen Religiosität entsprang.
Man darf wohl bezweifeln, dass Barbaras fünf Kinder, die Charles als die seinigen anerkannt hatte, tatsächlich alle von ihm stammten, aber sie bedrängte ihn jedes Mal so sehr, dass er schließlich nachgab. Bei ihrem sechsten Bastard allerdings (ihrem gemeinsamen Sohn mit Henry Jermyn, Earl von St. Albans), sprach er ein Machtwort, obgleich sie tobte und drohte, sie würde ihm das Baby nach Whitehall bringen und den Kopf des Kindes vor seinen Augen zerschmettern. »Gott möge mich verdammen, aber Ihr sollt es anerkennen!« Zu diesem Kind bekannte sich der König niemals, doch es verstrichen kaum mehr als zwei Wochen, und schon verfiel er erneut ihrem Zauber. Glauben wir Pepys, so begab sich der König zu ihr, und sie ließ ihn auf Knien um Vergebung winseln und versprechen, dass er sie niemals wieder in solcher Art beleidigen werde. Außerdem »drohte sie ihm, sie werde ihm all seine unehelichen Kinder vor die Tür seiner Privatgemächer führen, und mit ihrer Tyrannei brachte sie ihn fast um den Verstand«.
Sie betätigte sich auch als des Königs Kupplerin, damit sie, selbst wenn der König nicht mit ihr schlief, doch sicher sein konnte, dass er das Bett mit einem Mädchen ihrer Wahl teilte. So behielt sie ihn immerhin indirekt in ihrer Gewalt. Doch im Fall seiner jungen Base Frances Stuart (und später auch bei Nell Gwyn) ging der Schuss nach hinten los. Frances war eine der Brautjungfern seiner Schwester Minette in Paris gewesen, und die hatte sie im Januar 1663 an den englischen Hof gesandt, wo sie im Hofstaat der neuen Königin dienen sollte. Frances war erst fünfzehn Jahre alt und Minette zufolge »das hübscheste Mädchen auf der Welt«. Sobald Barbara bemerkte, dass der König ganz hingerissen war von ihr, nahm sie Frances unter ihre Fittiche und sogar mit zu sich ins Bett. Später ließ Barbara, wie Pepys berichtete, für sich und Frances zum Schein eine Hochzeitszeremonie mit allen Ritualen abhalten. Nach dem Gottesdienst zogen sich die beiden unter den Augen des Hofes ins Bett zurück, und es wurde auch der Strumpf geworfen.3 »Doch man munkelt«, fährt Pepys fort, »dass Mylady Castlemaine, die den Bräutigam spielte, sich wieder erhob und dass der König ihren Platz an der Seite der hübschen Mrs Stuart einnahm.« (Die Anrede »Mrs« war nicht nur verheirateten Frauen vorbehalten, sondern wurde auch für unverheiratete Damen verwandt, um die Anrede »Miss« zu vermeiden, denn mit der war im Allgemeinen die Vorstellung von Mätresse oder Prostituierter verbunden.)
Diese Szene spielte sich knapp einen Monat nach Frances’ Ankunft bei Hofe ab, zu einer Zeit, da Barbara anerkanntermaßen die Stellung der »Miss of State« innehatte, das englische Pendant zur französischen maîtresse en titre. Der Vorfall zeigt auf anschauliche Weise, wie gut Barbara Charles’ abnormes sexuelles Verlangen kannte, beweist aber auch, welchen verzweifelten Einfallsreichtum sie an den Tag legte, um ihre Stellung als Lieblingsmätresse zu wahren. Sie wusste ganz genau, dass der König es hasste, sich durch emotionale Bindungen eingeengt zu fühlen, und dass es ihn nach Abwechslung, Abenteuer und einem Hauch von Exotik in seinem Liebesleben gelüstete. Keine Frau allein, nicht einmal so eine Freibeuterin in Sachen Sex wie Barbara, konnte darauf hoffen, all seine amourösen Bedürfnisse zu befriedigen, und deshalb musste sie notgedrungen die Doppelrolle von Kupplerin und Hure übernehmen.
Frances Stuart war in vielerlei Hinsicht der ideale Schützling für Barbara, denn sie weigerte sich, den Avancen des Königs vollständig nachzugeben. Sie wollte einen Ehemann und war deshalb nicht bereit, ihre Jungfräulichkeit ohne den entsprechenden Ring zu opfern. Ihre Zeitgenossen waren sich alle darin einig, dass Frances, deren Lieblingsbeschäftigung darin bestand, Kartenhäuschen zu bauen, das Gemüt eines Kindes besaß. Ihre Unschuld machte den König verrückt und brachte ihn sogar dazu, rührselige Herz- und Schmerzgedichte zu verfassen. Pepys, der zumeist durch den schon erwähnten Dr. Pierce über den neuesten Hofklatsch informiert wurde, schrieb: »Er [Pierce] erzählte mir, wie vernarrt der König jetzt in Mrs Stuart ist, dass er sich in Ecken rumdrückt und sie unter den Blicken aller Welt wohl eine halbe Stunde lang abküsst ... doch man ist allgemein der Meinung, dass diese neue Jungfer so klug ist, ihm nichts zu gewähren, was für sie gefährlich werden könnte ...« Der frustrierte König witzelte nur, er hoffe, er werde es noch erleben, Frances eines Tages »hässlich und willig« zu sehen.
Mit der Zeit begann der König, Barbara wegen Frances zu vernachlässigen, und als später im Jahr 1663 die Königin ernsthaft erkrankte, ging das Gerücht um, der König wolle sie heiraten, sollte Katharina sterben. Der Herzog von Buckingham, selber ein Villiers und Wortführer der Höflinge, scharte eine Gruppe von Gefährten um sich, die sich für Frances als zukünftige Königin einsetzen wollten. Selbst für den Fall, dass Katharina überlebte, planten sie, diese zu entführen und in einem Kloster verschwinden zu lassen. Hinter diesem abstrusen Komplott stand eine ganz gewichtige politische Sorge. Es wurde zunehmend klar, dass Katharina unfruchtbar war und dass der vermutliche Thronerbe, Charles’ Bruder James, insgeheim ein Katholik war (sein Übertritt zum katholischen Glauben wurde erst 1666 öffentlich bekannt gegeben). Buckingham und viele andere auch wollten aber unbedingt die protestantische Thronfolge gesichert wissen. Einige unruhige Wochen lang musste sich Barbara mit der grauenhaften Perspektive auseinandersetzen, dass sie möglicherweise einmal als Kammerzofe von Frances Stuart enden würde.
Doch die Verschwörer hatten den König völlig falsch eingeschätzt. Charles mag zwar den Frauen, die er liebte, nicht treu gewesen sein, loyal aber blieb er immer. Charles betrachtete die Krankheit seiner Frau keineswegs als eine Chance, sondern erstaunte jedermann – und nicht zuletzt sich selber – durch seinen tiefen und aufrichtigen Kummer. Katharinas Leben hing tatsächlich nur noch an einem seidenen Faden. Man hatte ihr bereits den Kopf geschoren, tote Tauben an die Füße gebunden und die letzten Sakramente gespendet. Ärzte und Priester stritten heftig miteinander, und der König, der stundenlang bei ihr am Krankenbett ausharrte, bedeckte ihre Hände mit seinen Tränen und bat sie, um seinetwillen doch am Leben zu bleiben. Als sie sich dann wirklich wieder erholte und ihre Lebensgeister zurückkehrten, äußerte die Königin voller Dankbarkeit, dass die ruhige und liebevolle Gegenwart ihres Gatten ihr das Leben gerettet habe. Und es war mehr als nur eine körperliche Wiederherstellung. Während ihrer Krankheit hatte sich Katharinas ganzer Kummer über ihre Unfruchtbarkeit zugespitzt, und im Fieberwahn hatte sie eine Reihe von Fantasiekindern geboren. Jetzt, da sie die Krankheit überstanden hatte, war sie eine neue Frau. Sie fügte sich in ihr Schicksal, zeigte sich bei Hof fröhlich und zugewandt und behandelte den König mit Humor und Nachsicht.
Charles’ eigener Sohn, der vierzehnjährige James Crofts, war ein Jahr zuvor bei Hofe eingeführt worden (bis dahin hatte er in der Obhut der Königinmutter in Frankreich gelebt). Er war ein Jahr älter als Nell Gwyn und sollte später in ihr, der jüngsten Mätresse seines Vaters, eine treue Freundin finden. Charles vergötterte den hübschen jungen Mann, und als er ihn im Februar 1663 zum Herzog von Monmouth erhob, munkelte man, er wolle ihn als seinen Erben einsetzen. Monmouth selber bestärkte das Gerücht, dem zufolge Charles seine Mutter Lucy Walter geheiratet hatte und er somit der rechtmäßige Thronfolger war. Er führte sich zweifelsohne auf wie der Prinz von Wales, und Charles unternahm nichts, um die Überheblichkeit seines Sohnes zu dämpfen, sondern überhäufte ihn mit Ehren. Er war ein ausnehmend hübscher und munterer Bursche, nur viel Verstand besaß er nicht. Pepys nannte ihn einen »übermütig daherhüpfenden Galan, wie ich noch keinen sah, stets in Bewegung, immer dabei, zu hüpfen, zu springen oder zu klettern«.
Der Charakter des Königs, vor allem aber seine Haltung gegenüber Frauen, bestimmte den Lebensstil bei Hofe. Zunächst einmal war da die königliche Familie, unkonventionell und weit verzweigt, aber doch erstaunlich funktional, an deren Spitze gleich einem orientalischen Potentaten Charles höchstpersönlich stand, den sein kompliziertes Gefühlsleben anscheinend in keiner Weise beunruhigte. Man muss diesen Mann schon bewundern, der es fertigbrachte, sich in der Öffentlichkeit zusammen mit seiner Frau, seiner Lieblingsmätresse sowie seinem unehelichen Sohn aus der Beziehung zu einer anderen Geliebten zu zeigen, und zwar alle gemeinsam in ein und derselben Kutsche. Trotz aller unterschwellig vorhandenen Unmoral und Ausbeutung, trotz Inzest und Rebellion war Charles in der Lage, den Eindruck der familiären Eintracht aufrechtzuerhalten und sich als einen genialen Patriarchen darzustellen. Als einmal eine Petition an ihn gerichtet wurde, in der er als »Vater seiner Untertanen« angeredet wurde, soll der Herzog von Buckingham geflüstert haben: »Vater von vielen ganz gewiss!«
Und dann waren da noch Charles’ besondere Vertraute, die Höflinge, eine Schar adliger Lebemänner, die sich in ihren Manieren am König orientierten. Zwei Dinge waren für sie von Interesse: Liebe und Esprit, und beides zusammen bildete ihre raison d’être: mit Geist und Witz jagten sie der Liebe nach. Dabei trug ihr Witz aber genau wie der des Königs zynische Züge, d.h. er beruhte eher auf der Verachtung von Gefühlen und glänzte gerade durch seine Gefühlskälte. Und bei der Jagd nach der Liebe ging es ihnen darum, zu beweisen, dass sich alle Frauen trotz ihrer formalen Beteuerungen von Keuschheit und Treue insgeheim danach sehnten, verführt zu werden. Wenn der Schürzenjäger nur seinen Esprit geschickt einsetzte, war ihm die Eroberung gewiss und damit der höchste Lohn: das sinnliche Vergnügen. Sie bedienten sich ihres Witzes, um den Frauen zu schmeicheln und sie zu idealisieren, doch gleichzeitig war er eine scharfe Waffe, mit der sie andere demütigten. Das also waren die Männer, die das Theater der Restaurationszeit schufen, sozusagen als Spiegel ihrer Eitelkeiten. Das Theater sollte das Forum sein, auf dem sie sich mit ihren Eroberungen brüsten und gleichzeitig über sie herziehen konnten.
Charles selber war der größte Windhund von allen und bediente sich sowohl in der Liebe als auch in der Politik desselben Zynismus. Wenn er witzelte, mit der Seele einer Frau habe er nie etwas zu schaffen, so entsprach das vollkommen der Abneigung eines Galans, sich gefühlsmäßig zu engagieren. Genau wie die Helden des Theaters der Restaurationszeit verhielt er sich nach dem Grundsatz, dass ein Mann seinem Wesen nach ein heuchlerisches Geschöpf ist und dass die einzig vernünftige Art, mit ihm umzugehen, darin besteht, ihn zu überlisten. Charles’ Freund und Gefährte Lord Rochester brachte einmal folgendes Lob seines Herrschers zu Papier:
Gott segne den König, der gnädig ist,
keiner glaubt, was er verspricht,
nie sagt er etwas Dämliches
und Kluges tut er nicht.
Ob das nun ein Kompliment war, sei dahingestellt, Charles parierte jedenfalls mit einem eigenen Bonmot und erwiderte, seine Worte stammten immerhin von ihm, die Taten hingegen gingen auf das Konto seiner Minister. In der Zeit von 1660 bis 1670 wurden nämlich immer mehr von Charles’ Kumpanen auf Ministerposten gehoben, und in der Öffentlichkeit setzte sich allmählich der Eindruck durch, die Regierungsgeschäfte lägen in den Händen verantwortungsloser Libertins. Sexuelle Intrigen durchzogen auch die Politik, die Cliquenwirtschaft blühte – d.h. es gab Geheimausschüsse, in denen häufig auch die wichtigsten Mätressen saßen –, und die Minister mussten unverhältnismäßig viel Zeit darauf verwenden, Charles’ Frauen zu besänftigen, und dafür sorgen, dass kein Tratsch nach außen drang. Ein Lebemann hatte notgedrungen auch nach außen hin geschickt zu taktieren, das war die andere Seite seines so hoch gepriesenen Witzes.
Zehn Jahre lang beklagt sich Pepys immer wieder darüber, dass der König die Staatsgeschäfte vernachlässige und das Land seinem Ruin entgegentreibe. Verärgert macht er Andeutungen über »den Stolz und den Luxus bei Hof« und darüber, dass »jedermann nur an sich selber denke, an seine eigene Gier und seinen Luxus«. Damals wie heute war die öffentliche Meinung von höchster Bedeutung, und es schien wichtiger, bei Taten gesehen zu werden, als diese tatsächlich zu begehen. Charles’ Tändeleien in der Öffentlichkeit führten dazu, dass man ihn für faul hielt und meinte, er lasse seine Geschäfte schleifen, nichts jedoch entsprach weniger der Wahrheit als das. Charles war, wie wir ja schon gesehen haben, überaus aktiv. Selbst wenn er auf einem Ball die halbe Nacht durchgetanzt hatte, war er schon vor Sonnenaufgang wieder auf den Beinen, um sich nach einem ausgiebigen Spaziergang seiner Arbeit zu widmen. Doch täglich kursierten in der Hauptstadt neue Gerüchte über den skandalösen Lebenswandel des Königs. Charles weigerte sich, diese Geschichten ernst zu nehmen, auch wenn es den Anschein hatte, als würden sie das Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Regierung untergraben.
Charles’ Raffinesse, sein Esprit, frappieren uns noch heute. Es kann durchaus sein, dass er die Nachwelt mit demselben Geschick überlistet hat, mit dem er auch seine Zeitgenossen verblüffte und ihnen trotzte, denn noch heute fragen wir uns: Inwieweit hat Charles das Bild von sich als unnützem Schürzenjäger gefördert, um seinen Widersachern zuvorzukommen? Wir werden es wahrscheinlich niemals erfahren, doch fest steht, dass die meisten seiner politischen Gegner ihn unterschätzten und dabei den Kürzeren zogen.
Mit seinem Witz und seiner Neugier, mit seiner Vorliebe für Luxus, seiner Leidenschaft für Frauen, das Theater, die Wissenschaften und die Seefahrt hat Charles, der Mann, den Geist seiner Zeit in außerordentlichem Maß geprägt. Im England Charles’ II. treten Frauen ganz allgemein ins Blickfeld, und Nell Gwyn war eine von jenen, die bewiesen, welch neue Unabhängigkeit talentierte Frauen von nun an für sich in Anspruch nehmen konnten. Vor allem im künstlerischen Bereich taten sie sich hervor, als Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen. Ein ganz besonders leuchtendes Beispiel ist die Dramatikerin und Romanautorin Aphra Behn, von der Virginia Woolf einmal gesagt hat, sie sei die erste Frau in England gewesen, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben verdiente.4 Behn war eine Bewunderin von Nell Gwyn (das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit) und hat ihr das Stück The Feign’d Courtesans gewidmet. In ihrer Widmung weist Behn ganz bewusst auf Nells lebendige Redeweise hin und hebt den weiblichen Mutterwitz hervor: »Eben dies sollte euer Geschlecht stolz genug machen, die böswillige Welt zu verachten, die den Frauen keinen Geist zugestehen will ...« Aphra führte ein bohèmehaftes Leben, wie es zu früheren Zeiten undenkbar gewesen wäre. Und obwohl es ihr selber nie möglich war, sich durch und durch zügellos zu gebärden, so schuf sie doch in der Figur der Hellena in The Rover eine ungebundene, selbstbewusste Frauengestalt, die ihren angebeteten Helden mit ihrem Witz und Verstand verfolgt und ihn schließlich für sich gewinnt.
Hellena oder Eleanor – es ist wohl kaum ein Zufall, dass Behns Figur (die eingesteht, sie »habe eine seltsame Vorliebe für alles Schalkhafte«) den gleichen Namen trägt wie die Heldin unserer Geschichte, eine geistreiche Komödiantin, der es beschieden sein sollte, den größten Frauenhelden von allen für sich einzunehmen.