Читать книгу Oliver Twist - Charles Dickens, Чарльз Диккенс, Geoffrey Palmer - Страница 20
Siebenzehntes Kapitel.
ОглавлениеOliver’s Schicksal bleibt fortwährend ungünstig.
In jedem guten, mörderischen Melodrama auf der Bühne wechseln komische und tragische Scenen so regelmässig, wie die rothen und weissen Lagen einer Speckseite. Diese Abwechselungen erscheinen uns abgeschmackt, sind indess keineswegs unnatürlich. Die Uebergänge im wirklichen Leben von wohlbesetzten Tischen zu Sterbebetten, oder von Trauer- zu Festtagskleidern, sind nicht minder schroff oder Gefühl verletzend — wir aber sind beschäftigte Mitspielende, statt bloser Zuschauer, was einen unermesslichen Unterschied bildet; den Schauspielern sind die plötzlichen Uebergänge nicht auffällig, sie haben, so zu sagen, keine Augen für dieselben, die von den Zuschauern verkehrt, unnatürlich, extravagant genannt werden. Verdamme mich daher nicht zu voreilig, geneigter Leser, wenn du in meinem Buche einen häufigen Wechsel des Schauplatzes und der Scenen findest, sondern erzeige mir die Gunst, zu prüfen, ob ich Recht oder Unrecht dabei gehabt habe. Meine Erzählung soll meiner Absicht nach wahr sein, und ohne unnöthige Abschweifungen auf ihr Ziel lossteuern. Ich bitte, folge mir für jetzt vertrauensvoll nach der Stadt, in welcher mein kleiner Held das Licht der Welt erblickte.
Mr. Bumble trat eines Morgens früh aus dem Armenhause mit der wichtigsten Miene heraus, und durchschritt die Strassen mit einer Haltung und einem Wesen, dass man es ihm sogleich ansah, sein Inneres war von Gedanken erfüllt, zu gross, um sie aussprechen zu können. Er begab sich hinaus zu Frau Mann, die ihn verwünschte, als sie ihn erblickte, und ihn, sobald er eingetreten war, bekümmert fragte, weshalb er sich denn so lange nicht habe sehen lassen. Bumble händigte ihr das Kostgeld vom letzten Vierteljahre ein, und kündigte ihr an, dass er in einer Postkutsche nach London reisen werde, um zwei Arme nach der Hauptstadt zu schaffen, und im Auftrage des Directoriums in den Gerichtssitzungen von Clerkenwell aufzutreten. Frau Mann war erstaunt, und er erläuterte daher, die Kranken würden freilich in der Regel auf offenen Karren fortgeschafft, damit sie ich nicht in den bedeckten, der Zugluft ausgesetzten Wagen um so leichter erkälteten; allein der Besitzer der einen der beiden wetteifernden Postkutschen nähme die jetzt Fortzuschaffenden um ein sehr Billiges mit, sie kämen schnell vorwärts, und so würde ihr Transport dem Kirchspiel weniger kosten, als ihr Begräbniss, das, wie zu fürchten sei, von selbigen bezahlt werden müsse, wenn man sie nicht vor ihrem Verscheiden einem anderen Kirchspiele überweisen könne. Der würdige Kirchspieldiener erkundigte sich darauf nach den Zöglingen Frau Mann’s überhaupt, und nach dem kleinen kranken Dick insbesondere. Zustand und Befinden der ersteren waren sehr befriedigend, wie Frau Mann versicherte, und Dick wurde geholt. Bumble fragte ihn rauh genug, wie es ihm ginge.
„Ich glaube, dass ich bald sterben muss,“ erwiderte der kleine Patient, „und ich freue mich auch recht darauf, denn ich habe ja keine Freude hier. Sagen Sie doch Oliver Twist, wenn ich erst todt bin, ich hätte ihn sehr lieb gehabt, und tausend Mal an ihn gedacht, wie er allein und hilflos umherwandern müsste —“
Er hatte die Worte mit einer Art von Verzweiflung gesprochen, ohne sich durch Frau Mann’s pantomimische Drohungen irren zu lassen; doch erstickten endlich Thränen seine Stimme.
„Frau Mann,“ bemerkte Bumble, „ich sehe wohl, der Eine ist wie der Andere. Sie sind sammt und sonders durch den Taugenichts Oliver Twist verführt und verdorben. Ich werde dem Directorium Anzeige von dem Falle machen, damit strengere Massregeln angeordnet werden. Lassen Sie ihn sogleich wieder hinausbringen!“
Dick wurde in den Kohlenkeller gebracht, und Bumble begab sich wieder zur Stadt zurück, wo er sich in kürzester Frist reisefertig machte, und mit den beiden nach London zu schaffenden Armen die bestellten Aussenplätze der Postkutsche einnahm. Die beiden Armen klagten viel über Kälte; Bumble hüllte sich dicht in seinen Mantel, philosophirte ziemlich missvergnügt über den Undank und die unablässigen unzufriedenen Klagen der Menschen, und fühlte sich erst wieder recht behaglich, als er in dem Gasthause, in welchem die Kutsche anhielt, sein gutes Abendessen eingenommen, seinen Stuhl an den Kamin gestellt hatte, sich niederliess und ein Zeitungsblatt zur Hand nahm. Wer beschreibt sein Erstaunen, als er gleich darauf nachstehenden Artikel fand.
„Fünf Guineen Belohnung.
Am vergangenen Donnerstag Abend hat sich ein Knabe, Namens Oliver Twist, aus seiner Wohnung in Pentonville entfernt, und mit oder ohne seine Schuld nichts wieder von sich hören lassen. Es werden hierdurch Demjenigen fünf Guineen geboten, der eine Mittheilung zu machen geneigt und im Stande ist, die zur Wiederauffindung des besagten Oliver Twist führen kann, oder über denselben, seine Herkunft u. s. w. genauere Auskunft gibt.“
Diesem Anerbieten folgte eine genaue Beschreibung Oliver’s und Mr. Brownlow’s Adresse. Bumble las drei Mal mit grossem Bedacht, fasste darauf rasch seinen Entschluss, und war nach wenigen Minuten auf dem Wege nach Pentonville. Im Hause Mr. Brownlow’s angelangt, kündigte er sogleich den Zweck seines Besuchs an. Frau Bedwin war ausser sich vor Freude und Rührung, erklärte, es immer gewusst und gesagt zu haben, dass Oliver bald wiedergefunden werden würde, brach in Thränen aus, und die Magd eilte zu Mr. Brownlow hinauf, der ihr gebot, den Angemeldeten augenblicklich hereinzuführen.
Bumble trat ein, und Mr. Grimwig, der sich zufällig bei seinem Freunde befand, fasste ihn scharf in das Auge und rief aus:
„Ein Kirchspieldiener — so wahr ich lebe, ein Kirchspieldiener!“
„Ich bitte, Liebster, jetzt keine Unterbrechung,“ sagte Brownlow. „Setzen Sie sich, Sir. — Sie kommen zu mir auf Veranlassung dessen, was ich in die Blätter habe einrücken lassen?“
„Ja, Sir.“
„Sie sind ein Kirchspieldiener?“
„Ja, Sir,“ erwiderte Bumble stolz.
„Wissen Sie, wo sich das arme Kind gegenwärtig befindet?“ fragte Brownlow ziemlich ungeduldig.
„Nein, Sir.“
„Was wissen Sie denn aber von ihm? Reden Sie, wenn Sie etwas zu sagen haben. Was wissen Sie von ihm?“
„Sie werden wol eben nicht viel Gutes von ihm wissen?“ fiel Grimwig kaustisch ein, nachdem er Bumble’s Mienen sorgfältig geprüft hatte.
Bumble erkannte sogleich mit grossem Scharfsinne den Wunsch des Herrn, Ungünstiges über Oliver zu vernehmen, und antwortete durch ein feierlich-bedenkliches Kopfschütteln.
„Sehen Sie wol?“ sagte Grimwig zu Brownlow mit einem triumphirenden Blicke.
Brownlow sah Bumble besorglich an, und forderte ihn auf, was er von Oliver wüsste, in möglichst kurzen Worten mitzutheilen. Bumble räusperte sich und begann. Er sprach mit umständlicher Weitschweifigkeit; der kurze Sinn von Allem, was er vorbrachte, war, Oliver sei ein armer Kirchspielknabe von armen und lasterhaften Eltern, habe von seiner Geburt an nur Falschheit, Bosheit und Undankbarkeit gezeigt, und seiner Gottlosigkeit dadurch die Krone aufgesetzt, dass er einen mörderischen und feigherzigen Angriff auf einen harmlosen Knaben gemacht, und darauf seinem Lehrherrn entlaufen sei.
„Ich fürchte, dass Ihre Angaben nur zu wahr sind,“ sagte Brownlow traurig; „hier sind die fünf Guineen. Ich würde Ihnen gern drei Mal so viel gegeben haben, wenn Sie mir etwas Vortheilhafteres über den Knaben hätten sagen können.“
Hätte Brownlow das früher gesagt, so würde Bumble seinem Berichte wahrscheinlich eine ganz andere Färbung gegeben haben. Es war jedoch zu spät, er schüttelte daher mit bedeutsamer Miene den Kopf, steckte die fünf Guineen ein, und ging.
Mr. Brownlow war so niedergeschlagen, dass selbst Grimwig ihn nicht noch mehr betrüben mochte. Er zog endlich heftig die Klingelschnur. „Frau Bedwin,“ sagte er, als die Haushälterin eintrat, „der Knabe, der Oliver, war ein Betrüger.“
„Das kann nicht sein, Sir; kann nicht sein,“ entgegnete Frau Bedwin nachdrücklich.
„Ich sage Ihnen aber, dass es so ist. Wir haben so eben einen genauen Bericht über ihn angehört. Er ist von seiner ersten Kindheit an durch und durch verderbt gewesen.“
„Und ich glaube es doch nicht, Sir — nimmermehr, Sir,“ erwiderte Frau Bedwin bestimmt.
„Ihr alten Weiber glaubt an nichts, als an Quacksalber und Lügengeschichten,“ fiel Grimwig mürrisch ein. „Ich hab’s von Anfang an gewusst. Warum hörten Sie nicht sogleich auf meine Meinung und meinen Rath; und Sie würden es gethan haben, wenn der kleine Schelm nicht am Fieber krank gelegen hätte!“
„Er war kein Schelm,“ entgegnete Frau Bedwin sehr unwillig, „sondern ein sehr liebes, gutes Kind. Ich verstehe mich auf Kinder sehr wohl, Sir, seit vierzehn Jahren, Sir; und wer nie Kinder gehabt hat, darf gar nicht mitreden über sie — das ist meine Meinung, Sir!“
Mr. Grimwig lächelte nur, und Frau Bedwin war im Begriff, fortzufahren, allein Brownlow kam ihr zuvor.
„Schweigen Sie!“ sagte er mit einer Entrüstung in Ton und Mienen, die freilich seinen Gefühlen vollkommen fremd war. „Sie erwähnen des Knaben nie wieder; ich habe geklingelt, um Ihnen das zu sagen. Hören Sie — nie — niemals, und unter keinerlei Vorwande. Sie können gehen — und wohl zu merken, ich habe im Ernst gesprochen!“
In Mr. Brownlow’s Hause waren betrübte Herzen an diesem Abende, und Oliver zagte das Herz gleichfalls, als er seiner gütigen Beschützer und Freunde gedachte. Es war indess gut für ihn, dass er nicht wusste, was sie über ihn gehört; er hätte die Nacht vielleicht nicht überlebt.