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Erstes Kapitel.

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Wo und unter was für Umständen Oliver Twist geboren wurde.

Ausser anderen öffentlichen Gebäuden rühmt sich die Stadt Mudfog, gleich den meisten grossen und kleinen Städten, auch eines Armen- und Arbeitshauses; und in diesem wurde an einem Tage und Datum, worüber genaue Auskunft zu erhalten unwichtig für den Leser ist, Oliver Twist geboren. Noch lange nachdem der Kirchspielwundarzt ihn in diese Welt der Sorgen und Mühen gefördert, blieb es sehr ungewiss, ob er am Leben bleiben würde. Es war äusserst schwierig, ihn zum Athmen zu bringen — einem mühsamen Geschäft, das die Gewohnheit uns aber freilich zu einer nothwendigen Lebensbedingung gemacht hat — und er lag eine Zeit lang zuckend und keuchend gleichsam auf der Grenzscheide dieser und jener Welt. Wenn er während dieser Zeit von sorglichen Grossmüttern, geschäftigen Tanten, erfahrenen Wärterinnen und hochgelahrten Doctoren umgeben gewesen wäre, so würde er natürlich die Stunde nicht überlebt haben; allein es war Niemand in seiner Nähe, ausser einer alten, ein wenig bierberauschten Frau und dem Kirchspielwundarzte, der die Geburtshilfe contractmässig leistete, wovon die Folge war, dass Oliver endlich den Hausbewohnern seine Erscheinung in der Welt durch ein lautes Schreien ankündigte. Als er dieses Zeichen des Lebens gab, hob ein bleiches junges Frauenzimmer den Kopf vom Kissen empor, und rief mit matter, bebender Stimme: „Lasst mich das Kind sehen, und sterben!“

Der Wundarzt ermahnte sie, nicht vom Sterben zu reden. „Ach, Sir,“ sagte die Wärterin, „wenn die junge Person erst so alt geworden ist, als ich’s bin, und, wie ich, dreizehn Kinder gehabt hat, die alle todt sind, ausgenommen zwei, die, wie ich selbst, im Armenhause sind, so wird sie keine so traurige Gedanken mehr haben, Sir. Sei Sie ruhig, Kind, und bedenke Sie die Freude, Mutter zu sein.“

Die tröstlichen Worte schienen des gebührenden Eindrucks zu verfehlen. Die Wöchnerin schüttelte den Kopf, und streckte die Arme nach dem Kinde aus. Der Wundarzt reichte es ihr, sie küsste es, heftig erregt, mit den kalten weissen Lippen auf die Stirn, fuhr mit den Händen über ihr Gesicht, blickte wild umher, schauderte, sank zurück — und starb.

„’S ist aus mit ihr,“ sagte der Wundarzt nach einigen vergeblichen Bemühungen, sie wieder zum Leben zurückzubringen.

„Das arme Kind!“ sagte die Wärterin.

„Sie brauchen nicht zu mir zu schicken, wenn es schreit,“ fuhr der Wundarzt fort, während er kaltblütig die Handschuhe anzog. „Es wird wahrscheinlich sehr unruhig sein; geben Sie ihm dann ein wenig Hafergrütze.“

Er setzte den Hut auf, trat aber noch einmal an das Bett und sagte: „Die Mutter sah gut aus; woher kam sie?“

„Sie wurde gestern Abend gebracht,“ erwiderte die Wärterin, „auf Befehl des Directors. Man hatte sie auf der Strasse liegen gefunden, und sie muss ziemlich weit hergewandert sein, denn ihre Schuhe waren ganz zerrissen; aber woher sie kam, oder wohin sie wollte, das weiss Niemand.“

Der Wundarzt beugte sich über die Verblichene, hob die linke Hand derselben empor und bemerkte kopfschüttelnd: „Die alte Geschichte; ich sehe, kein Trauring. Hm! gute Nacht!“

Er ging zu seinem Abendessen, und die Wärterin fing an das Kind anzukleiden. Bis zu diesem Augenblick hätte man nicht sagen können, ob es das Kind eines Edelmanns oder eines Bettlers sei; das dürftige, verwaschene Kinderzeug des Armenhauses bezeichnete indess sogleich seine gegenwärtige und zukünftige Stellung in der Welt, sein ganzes Schicksal, als Kirchspielkind — Waise des Armenhauses, halb verhungert und unter Mühe und Plackerei, verachtet von Allen, bemitleidet von Niemand, durch die Welt geknufft und gestossen zu werden.

Oliver Twist

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