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Das Schiff in der Kürze der Zeit von einem Schmuddelkahn in einen Luxusdampfer zu verwandeln, war natürlich illusorisch gewesen. Aber dank unseres, trotz aller Reibereien, harten Arbeitseinsatzes und einer ausgefeilten Planung sah das Schiff auf den ersten Blick - annehmbar aus. Allerdings wirklich nur auf den ersten Blick und nur unter der Voraussetzung, bestimmte Türen nicht zu öffnen.

Deck und Backbordseite des Schiffs waren mit Liliths Hochdruckreiniger bearbeitet worden. Die Steuerbordseite blieb dreckig, weil wir sonst entweder das Beiboot hätten zu Wasser lassen oder das Schiff verholen, sprich hätten drehen, müssen. Da die Steuerbordseite die den Gästen abgewandte Seite war, war dies allerdings unsere geringste Sorge.

Die Charter selbst allerdings begann so katastrophal, wie sie weitergehen sollte. Wir waren zwar auf das Familientreffen eines Barons von Sowieso vorbereitet, nicht aber auf den Dresscode. Smoking und lange Abendkleider, soweit das Auge reichte. Schon allein der Anblick des Weges zum Schiff hinunter zauberte nicht nur den dekolletierten Damen mit ihren High Heels und neusten Pradakreationen einen Ausdruck empörten Widerwillens auf die Gesichter, sondern auch den Herren der Schöpfung in ihren Smokings und blank polierten Lackschuhen.

Dass sie sich trotzdem in Bewegung setzten, musste ihnen unter diesen Bedingungen hoch angerechnet werden. Zurück blieben neben den Limousinen auf dem Randstreifen des unbefestigten Weges oberhalb des Anlegers nur die rauchenden und miteinander schwatzenden Chauffeure.

Unten angekommen hatte trotz aller Raffbemühungen der eine oder andere Kleidersaum sichtbare Bekanntschaft mit dem Matsch gemacht, von den Lackschuhen der Herren ganz zu schweigen. Eine ältere Dame im rosa Rüschenkleid ließ sich ins Hotel zurückchauffieren, weil sie ausrutschte und auf ihrem Allerwertesten landete. Höchstwahrscheinlich war das Thema Schifffahrt damit für den Rest ihres Lebens tabu.

Peinlicherweise war der Caterer mit dem Aufbau des Buffets noch nicht fertig, sodass wir die maulende Gästeschar mit einem Sektempfang auf dem schmalen Streifen des Anlegers abzulenken suchten, der befestigt war. Ohne Stehtische und ohne Hussen, dafür mit Liliths barschen Bitten, bloß nicht ins Wasser zu fallen.

Der erste Eindruck zählt, und der war in diesem Fall grottenschlecht. Dreckige Parkplätze, ein matschiger, mit Schlaglöcher gespickter Weg und ein Schiff, vor dem ein kahlköpfiger Zweimetermensch stand und ihnen den Eintritt verwehrte, während ein Schiffsführer mit Öl unter den Fingernägeln und ein Gruftimädchen mit Waschbärenaugen Tabletts voll Sektgläser durch die Menge trugen und dümmlich lächelten.

Der Charterkunde stellte sich als Charterkundin heraus und war auch kein Baron, sondern eine Gräfin, die mir erbost ins Ohr zischte, sie habe Champagner bestellt, keinen Sekt und werde den Sektempfang daher auch nicht zahlen. Ein Baron von Thoren stellte mir die Reinigungskosten seines Smokings in Aussicht.

Zu diesem Zeitpunkt vermisste der Caterer noch immer seine beiden Servicemädchen. Ein Missverständnis bei der Terminabsprache, wie sich später herausstellte. Mein Hilferuf per Fax an Mathilda blieb unbeantwortet, Bobsie ging nicht ans Handy. Der Caterer erreichte schließlich eins der beiden Mädchen, das dann auch kam, allerdings erst, als die Gäste bereits an Bord waren.

Seismografische Ausschläge künden Erdbeben an, Cumulonimbus-Wolken Gewitter und die säuerlichen Mienen und das Gemaule von hundert reichen Adeligen Ärger, der es möglicherweise bis vor die Schranken eines Gerichtes schaffen konnte.

In meiner Karriere als Schiffsführer eines Fahrgastschiffes gibt es nur wenige Fahrten, an die ich mit Schaudern zurückdenke, diese hier sollte eins meiner einschneidendsten Erlebnisse werden. Ich schämte mich für uns und unseren abwesenden Reeder.

Der Sekt zum Empfang hätte vertragsgemäß tatsächlich Champagner sein sollen, die Brauchwasserpumpe gab nach einer Stunde auf, sodass das Spülwasser versiegte. Kalle musste mit der Pütt Wasser aus der Weser schöpfen und die Hinterlassenschaften jedes einzelnen Gastes aus der Kloschüssel spülen, was weder ihn noch die Gäste freute.

Die Nachfrage nach Kaffeespezialitäten war enorm, und unsere Auskunft, mangels Maschine leider keinen Cappuccino, Latte macciato oder Espresso zubereiten zu können, erntete nichts als ungläubiges Staunen. Das Gruftimädchen als Servicekraft ebenfalls. Die Servicekraft, die der Caterer während ihres Wocheneinkaufs über Handy im Supermarkt erreicht hatte, hatte es in der Hektik nicht mehr nach Hause zum Umziehen geschafft und servierte in Jeans und T-Shirt.

Auf dem Höhepunkt unseres Desasters ging auf dem Armaturenbrett steuerbords plötzlich das Lämpchen der elektro-hydraulischen Ruderanlage aus. Was hieß, ich schaltete hektisch auch die Steuerbordmaschine aus und manövrierte das Schiff mit der Backbordruderanlage und der Backbordmaschine weiter. Während ich noch versuchte, meinen Klowasser schöpfenden Decksmann auf Handy zu erreichen, um ihn in den Maschinenraum zu schicken, weil meine servicetreibende Matrosin nicht an ihr iPhone ging, knallte es gewaltig, und die Backbordruderanlage gehörte ebenfalls der Geschichte an.

Minuten später trieben wir quer die Weser hinunter, grobe Richtung Nordsee, während ich im Steuerhaus kniete und die Verkleidung unterhalb der Anzeigenkonsole abriss. Mein Glück war, dass wir eine lange Gerade vor uns hatten, als die Steuerung ausfiel. Um ein Haar wäre sie allerdings nicht lang genug gewesen. Erst ganz kurz, bevor wir im Gebüsch landeten, schaffte ich es, die Elektrik für die Steuerbordseite kurzzuschließen und das Schlimmste zu verhindern.

Obgleich ich den Bug noch vom Ufer wegsteuern konnte, setzte das Schiff mit dem Heck heftig auf und schrappte eine ganze Weile über Grund, bevor es sich wieder in tiefere Gefilde retten konnte.

Hinter der Theke flogen die Gläser aus dem Regal und auf Deck und im Salon purzelten unsere Gäste wie Kegel umeinander. Dem Himmel sei Dank ging niemand über Bord, und außer dem gebrochenen Handgelenk einer Baronin von Sowieso und den Schnittwunden einer Baroness, die mit dem Allerwertesten auf ihrem Cocktailglas landete, gab es keine ernsthafteren Verletzungen zu beklagen.

Eineinhalb Stunden nach unserem Ablegen legten wir wieder an und übergaben die verletzten Passagiere den Rettungswagen, die ich über Funk gerufen hatte. Bobsie war schon nach unserem Aufsetzen nicht an sein Handy gegangen und tat es immer noch nicht. Uns blieb nichts, als uns so gut es ging zu entschuldigen, was keiner der Gäste auch nur ansatzmäßig wohlwollend kommentierte.

Ich habe es in meinem Nautikerleben schon mit so manchem Stiesel zu tun gehabt, aber diesen Stieseln, die nun herausposaunten, was sie von mir, dem Rest der Mannschaft, dem Schiff und der Reederei, auf deren kriminelle Machenschaften sie hereingefallen waren, hielten, konnte ich nichts entgegensetzen. Allen voran dieser Baron von Thoren, ein Kerl Anfang vierzig, der sich erst bei mir beschwert, dann mit mir geflirtet hatte und mich nun beim Verlassen des Schiffes wie den Letzten seiner Lakaien herunterputzte.

Als Tüpfelchen auf dem i erwartete uns die Wasserschutzpolizei am Anleger, die Mienen grimmig, die Kugelschreiber gezückt. In der nächsten Stunde filzten sie uns und das Schiff von der Funkantennenspitze über dem Steuerhaus bis runter zur Bilge und lasen in den Schiffspapieren, als wollten sie sie auswendig lernen.

Während ihrer gesamten Anwesenheit an Bord verkroch sich Lilith im Maschinenraum. Als sie zu einer Befragung in den Salon zitiert wurde, war ihr Gesicht dermaßen ölverschmiert, dass ihre besten Freundinnen sie nicht wiedererkannt hätten. Falls sie welche hatte. Die Beamten der Wasserschutz starrten sie nicht weniger ungläubig an als ich.

Kalle hingegen lachte schallend - Na Kleine, bist du schon wieder in der Bilge baden gewesen? - was die Wasserschutzbeamten ebenfalls zum Lachen brachte und dazu, Lilith nach zwei halbherzigen Fragen und noch vageren Antworten zurück in die Bilge zu schicken. Sie verschwand so hastig, dass sie über ihre Füße stolperte, und sich beinahe langlegte, was die Männer veranlasste, erneut in schallendes Gelächter auszubrechen. Testosteron in allen Ecken.

Währenddessen fegte der Caterer die Überreste seines Buffets aus den Ecken und verließ fluchtartig das Schiff. Sein Gesichtsausdruck verhieß den einzementierten Entschluss, dieses gemeingefährliche Schiff kein zweites Mal betreten zu wollen. Seine Servicekraft heulte, weil ihr beim Aufsetzen das nagelneue iPhone aus der Hand geflogen und gegen eine Wand geknallt war, die es in seine Einzelteile zerlegte.

Die Mängelliste auf dem Klemmbrett der Wasserschutz wuchs und wuchs: Außenbords am Heck war zwar die Europäische Schiffsnummer aufgepinselt, nicht aber der Heimathafen. Die Schwimmkragen der Nautiker waren abgelaufen und das schon vor acht Jahren. Kein Feuerlöscher im Steuerhaus, die Wartung der übrigen lag sieben Jahre zurück. Die Kanten der Stufen des Niedergangs waren nicht gelb gestrichen. Die Rettungswege waren zugestellt.

Und so ging es weiter und weiter, bis sich die Entenjäger endlich bequemten, das Schiff wieder zu verlassen.

Kalle folgte ihnen und stiefelte zu seiner Wohnwagenkugel hoch. Zwei Minuten später kam er zurück aufs Schiff und stellte eine Flasche Jim Beam auf den Tisch. Lilith fischte drei Whiskygläser vom Glasregal hinter der Theke. Ich steuerte Eiswürfel aus dem Schnapskühlschrank bei.

»Es lebe das Leben«, stellte Kalle fest und hielt uns sein Glas mit der goldenen Flüssigkeit entgegen.

»Das und die Liebe«, entgegnete ich kryptisch und stieß mit ihm an.

Lilith ignorierte Kalles Goodwill-Aktion und hob einfach ihr Glas gen Decke. »Skol.«

»Skol, Miss Sophie«, entgegnete ich in Anspielung auf die Kultsendung Dinner for one, und ein großer Schluck Jim Beam gluckerte mir heiß die Kehle hinunter.

»Was ist passiert?«, fragte mein Decksmann nach einem kurzen Augenblick unbeschwerten Genießens.

»Gute Frage.« Ich zuckte die Achseln und nahm einen zweiten großen Schluck. »Die gesamte Steuerungselektrik ist ausgefallen. Kurzschluss im System der Ruderanlage. Ich habe dann die Verkleidung unter der Steuerkonsole rausgerissen und siehe da. Die Kabellage dahinter dürfte das letzte Mal zum Stapellauf kontrolliert worden sein. Ein Wirrwarr aus Schimmel und durchgeschmort.«

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Wussten Reeder wie Bobsie eigentlich, was sie ihren Nautikern zumuteten? Er war ein blutiger Laie, okay, aber wenn ich mir dieses Unglücksschiff gekauft hätte, dann doch erst nach einer Hellingnahme mit Generalinspektion. Schiffe ließen sich ersetzen, Menschenleben nicht. Mag dramatisch klingen, ist dieses Mal auch glimpflich ausgegangen, aber die Schicksalsgöttinnen pokern, und das nächste Mal könntest du die Luschen in der Hand halten.

Oder einer deiner Passagiere.

»Sieht so aus, als würde uns die Arbeit in nächster Zeit nicht ausgehen.« Kalle grinste und trank auf ex. »Gleich oder später?«

Ich warf einen prüfenden Blick auf mein Handy. Halb zehn. Zwei müde Gesichter blickten mich stumpf an, und ich sah mit Sicherheit nicht fitter aus.

»Morgen früh, sieben Uhr?«

Beide nickten. Lilith stand auf und zog sich in ihre Kabine zurück, Kalle und ich genehmigten uns noch eine zweite Dröhnung, bevor er ebenfalls die Segel strich.

ch blieb und grübelte über den Reeder nach. Vor der SUK in drei Monaten würde von diesem Schrottschiff ein Bodengutachten erstellt. Wenn die Dicke nicht mehr stimmte, wurde es teuer. Andererseits waren unsere Verträge auf vier Wochen befristet. Dann stand Bobsie wieder ohne Mannschaft da. Anfang September. Max Sonnemann, mein Reeder in Hollerbeck, sagte immer, der September sei der Monat mit den höchsten Umsätzen. Zu Saisonbeginn investiere er in das Schiff – Farbe, Ausrüstung, Personal – bis Juli fahre es noch in den roten Zahlen oder nur deckend, dann erst ginge das Verdienen los.

Was soll's. Ich war hier Schiffsführer auf Zeit. Was immer Bobsie Hirschfeld für die Zukunft des Schiffes plante, ging mich nichts an, solange an Bord alles sauber blieb.

Seufzend holte ich mir die Schifferdienstbücher und das Fahrtenbuch der Weserlust an den Tisch und nahm mir als Erstes Liliths Dienstbuch vor. Lilith hieß mit bürgerlichem Namen Regina Schuster, und das Passfoto zeigte sie ohne Schminke, dafür ein paar Jahre jünger. Ein hübsches Mädchen, das unsicher in die Kamera blickte. Mit dreiundzwanzig war sie allerdings älter, als ich geschätzt hatte. Was war zwischen damals und heute passiert, dass sie ihr Aussehen und höchstwahrscheinlich auch ihr Verhalten so radikal geändert hatte? Eine unglückliche Liebe, die für sie zum Trauma wurde? Der Tod eines nahen Angehörigen? Eine schwere Krankheit? Oder war sie einfach eines Morgens aufgewacht und hatte sich als Gothic geschminkt?

Ich sah mir die Eintragungen an und pfiff leise. Du meine Güte, sesshaft war sie nicht gerade gewesen in den letzten zwei Jahren ihrer Laufbahn als Matrose-Motorenwart. Ich zählte zwölf verschiedene Schiffe, alles mit einer Ausnahme Güter- oder Tankmotorschiffe. Auf keinem länger als drei Monate und auf der Ausnahme, einer Hamburger Barkasse, keine zwei Wochen. Alles Ablöserjobs oder gab es andere Gründe für ihre raschen Wechsel? Ihr Aussehen? Die Aggressivität? Ich konnte nur rätseln, was ich allerdings rasch wieder aufgab, da mir ohnehin vor Müdigkeit die Augen zuzufallen drohten.

Also trug ich einfach die Angaben zum Schiff und die Fahrt ein und griff mir Kalles Schifferdienstbuch. Karl-Heinz Ruppert, 45 Jahre alt - jünger, als ich vermutet hatte. Ein Schiffsführer, der für das Gehalt eines Decksmanns arbeitete, was eine Differenz von tausend Euro brutto ausmachen kann. Warum verkaufte er sich dermaßen unter Wert? Nach eigenen Angaben hatte er das Große Rheinpatent und ein Hochseepatent. Seine Größe war ihm in den kleinen Kabinen mit den kurzen schmalen Betten mit Sicherheit hinderlich, aber das doch schon, seit er als Decksmann gefahren war. Auf einem festen Schiff wäre dieses Problem mit Sicherheit lösbar gewesen, vor allem bei den wesentlich großzügigeren Wohnbedingungen neuerer Frachtschiffe.

Auch bei den Eintragungen zu Kalles Fahrten stieß ich alle naselang auf einen Wechsel der Schiffe, wobei er die letzten Jahre, im Gegensatz zu Lilith, tatsächlich auf Tagesausflugsschiffen gearbeitet hatte. Einige kannte ich aus meinen eigenen Springerjobs, andere aus den Binnenschifferforen.

Wie Lilith schien auch Kalle etwas in seinem Leben aus der Bahn geworfen zu haben, aber ich grübelte nicht weiter darüber nach. In seinem Alter konnte es genauso gut eine gescheiterte Ehe wie sonst etwas gewesen sein. Die Welt war voll mit gescheiterten Existenzen, und wenn sich irgend ein Jemand meinen Lebenslauf ansähe, käme er womöglich zu demselben Schluss. Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet werdest.

Ich trug die Fahrt ein, klappte das Buch energisch zu und ging zu Bett. Aus der Nachbarkabine hörte ich durch die dünne Wand, wie sich Lilith unruhig in ihrer Koje hin- und herwälzte und im Schlaf wimmerte. Kurz vor dem Einschlafen schoss mir durch den Kopf, dass auf diesem Schiff womöglich nichts so war, wie es schien und keiner so, wie er sich darstellte.

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