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»Wer?«, brüllte ich nun schon zum dritten Mal.

»Santos«, brüllte der Polizeichef meiner Heimatstadt Hollerbeck ebenfalls zum dritten Mal.

Seit wann lag Nienburg fernmeldetechnisch nördlich des Polarkreises?

»Moment mal«, brüllte ich. »Ich gehe woanders hin.«

»Was?«

Ich sparte mir die Antwort und tastete mich rücklings aus dem Maschinenraum der Weserlust. Öl tropfte mir aus meinen wirren braunen Locken in den Nacken und lief unter den Kragen meines Blaumanns. Öl tropfte mir auch auf die Nasenspitze und von dort aus weiter auf die Brust. Lilith, die neben mir an der Backbordmaschine gearbeitet hatte, sah nicht besser aus, nur fiel es bei ihren ohnehin schwarzen Arbeitsklamotten nicht so auf. Diesmal hatte sie zwar ihr Gesicht nicht eingeölt, allerdings verlieh ihr der schwarze Lippenstift auch so ein beängstigend brutales Aussehen.

Einmal mehr grübelte ich über das Rätsel Lilith nach.

Dieses Schiff hatte mehr als nur ein Problem, und wenn ein Schiff Probleme hat, dann auch immer sein Schiffsführer. In diesem Fall ich. Dylan Crispin, der Ablöser der Nation. Einen Moment lang erlaubte ich mir den Luxus, gedanklich auf einen dieser werftfrischen Flusskreuzfahrer zu springen, die seit zwei Jahren fast schon als Fließbandproduktion gelten konnten.

Die Sparte der Flusskreuzfahrten nahm noch immer zu. Nicht mehr so rasant, wie noch vor fünf Jahren, aber sie zählte weiterhin zu den Wachstumssparten innerhalb der Binnenschifffahrt. Und die Pötte wurden immer aufwendiger gebaut. Französische Balkons, Suiten fünf Sterne de luxe.

Davon träumte ich schon seit Jahren, ohne auch nur in greifbare Nähe dieses Traums zu kommen. Menschen wie ich sind prädestiniert, auf Schrottschiffen wie diesem zu landen. Luxusliner sind den Anderen vorbehalten, warum auch immer. Ich arbeite seit drei Jahren als Ablöser und habe in dieser Zeit mehr Stunden in den Maschinenräumen von Pötten wie diesem zugebracht als im Steuerhaus.

Möglicherweise gibt es auch gar keine Springerjobs auf Kreuzfahrtschiffen.

Ich hockte mich auf die Ankerwinde auf dem Vorschiff. »So. Was gibt’s?«

»Mord.«

»O Gott, nicht schon wieder. Was ist los mit Hollerbeck? Eine magnetische Anomalie, die Killer und Nägel gleichermaßen anzieht? Ist unser Serienmörder wieder aus der Haft entsprungen?« Oder wollen Sie mich bloß verscheißern?

Ich ließ den Kopf im Nacken kreisen. Der letzte Tag mit der desaströsen Charterfahrt am Abend in Verbindung mit meinem Herumgekrauche im Maschinenraum zeigte Wirkung.

»Nix Hollerbeck«, entgegnete Santos genussvoll. »Nienburg. Sieht so aus, als zögen Sie die Morde regelrecht an.«

Ich stöhnte. Na toll. »Jemand, den ich kenne?«

»Sie hatten gestern Abend eine Charterfahrt?«, beantwortete er meine Frage mit einer Gegenfrage.

»Ja.«

»Mit der Crème de la Crème des deutschen Adels?«

»Na ja, ich kann mich nicht erinnern, dass ein Bismarck oder ein von Thurn und Taxis dabei gewesen wäre. Nur der halbe Stammbaum einer Familie namens von Thoren. Und wenn jemand einen von denen umgebracht hat, wundert es mich eigentlich nicht. Wenn wir eine Schrotflinte an Bord gehabt hätten, hätte ich es möglicherweise selbst getan. Da war ein Herr mit ziemlich scharfer Zunge dabei. Der mich übrigens vor der Fahrt auch noch angebaggert hat.«

Santos lachte, wurde aber gleich darauf wieder ernst.

»Zügeln Sie Ihre Zunge. Die Polizei ist schon unterwegs. Vor zwei Stunden wurde auf einem Feld direkt neben dem Weser-Radweg die Leiche eines gewissen Cord von Thoren gefunden. Er hatte seinen Ausweis dabei, daher die schnelle Identifizierung. Ohne hätte es wohl etwas länger gedauert.«

Scheiße. Wenn es nicht zwei Cord von Thoren gab, war das genau der Kerl, der mich erst angemacht und dann übel beschimpft hatte. Ich schwieg, während sich meine Gedanken überschlugen. Wurde ich verdächtigt, der Mörder zu sein? Wer war der Mörder? Ein Chartergast? Wann wurde er ermordet? Noch am selben Abend? Später?

»Wollen Sie nicht wissen, warum es länger gedauert hätte?«, hakte Santos nach, als ich zu lange nachdachte.

»Sie werden es mir sagen, ob ich es hören will oder nicht.«

»Der Gerichtsmediziner meint, es sei höchstwahrscheinlich eine Armbrust gewesen.« Santos nieste. »Entschuldigung.« Er nieste erneut, und dann noch zweimal hintereinander. Serie. »Scheißerkältung.«

Ich zügelte nicht nur meine Zunge, sondern auch meine Vorstellungskraft. Ich hatte mal einem Freund beim Armbrustschießen zugesehen und ahnte vage, was so ein Bolzen mit Fleisch und Knochen anstellen konnte.

»Das Kuriose an der Sache ist. Die Schwierigkeit, das Opfer durch reine Inaugenscheinnahme zu identifizieren, liegt daran, dass der Mörder mehrmals geschossen hat. Fünfmal, um genau zu sein. Ein Schuss hat ihm das Gesicht weggefetzt.«

»Auf dem Feld?«

»Nein, Baron von Thoren wurde irgendwo anders ermordet. Wo steht noch in den Sternen. Aber der letzte, der tödliche Bolzen, ging mitten durch den Kopf. Die anderen Schüsse sahen mehr so als, als habe der Mörder zwar auf das Opfer gezielt, aber nicht wirklich ins Schwarze getroffen. Ein Schuss ging durch den linken Oberarm, einer zertrümmerte ihm die rechte Schulter. Der Dritte durchbohrte seinen Magen, der Vierte seinen Oberschenkel und dann, endlich der Volltreffer.«

»Du meine Güte.«

»Sie sagen es. Sieht nach Scheibenschießen aus.«

»Wer macht denn so was?«

»Tja, das frage ich Sie.«

Mir tropfte noch immer das Öl aus den Haaren.

»Ich habe einen Springerjob als Schiffsführer und die Schnauze voll von Morden. Fragen Sie jemand anderen.«

Ich drückte das Gespräch weg und ärgerte mich. Es gab genug professionelle Profiler in Deutschland, um einen Verrückten mit einer Armbrust zu schnappen. Nur weil der Mord zufällig in räumlicher Nähe zu mir passiert war und ich von dem Opfer kurz vor seinem Tod beschimpft worden war, musste wahrlich nicht ich als einziger Laie in der Branche meinen Senf dazugeben. Mein letztes Profiling hatte für einige der Beteiligten ein schmerzhaftes Ende gefunden. Unter anderem für mich selbst. Und für Santos.

Ich hatte genug mit diesem verdammten Schiff zu tun. Wir arbeiteten an einer Bestandsaufnahme aller maroden Ecken, in denen wir tätig werden mussten, und das waren mehr als gedacht. Derzeit war mein Decksmann auf dem Weg in den nächsten Baumarkt. Die Rundfahrten würden noch warten müssen.

»Dylan Crispin?«

Ich knickte in den Knien ein und fuhr herum.

Während ich mit Santos telefoniert hatte, war wie aus dem Nichts ein Streifenwagen vor dem Schiff aufgetaucht, und ein Uniformierter starrte vom Anleger zu mir herüber. Möglicherweise hatte er mich bereits gerufen, und ich hatte ihn nicht gehört. Dann aber gleich zu einem Megafon zu greifen, das meinen Namen quer über die Innenstadt von Nienburg hallen ließ, war wohl doch etwas übertrieben.

Neben dem Uniformierten stand ein Kerl in Zivil. Kripo, den Gesichtsausdruck kannte ich.

»Dürfen wir an Bord kommen?«, brüllte das Megafon.

Kalle und Lilith tauchten aufgescheucht neben mir auf. Lilith wie ich ölverschmiert, Kalle mit einem Wischmopp in der Hand.

»Was wollen die Idioten von uns«, murmelte Kalle. »Ist keine Wasserschutz.«

Lilith sagte nichts, sah allerdings alarmiert aus und zog sich unauffällig ins Schiff zurück, was bei mir ebenfalls die Alarmglocken auslöste. Lag es daran, dass sie eine Gothic war und die Staatsautorität aus Überzeugung ablehnte, oder hatte sie etwas zu verbergen?

Kalle jedenfalls überstieg mit seinen langen Beinen mühelos die Reling und sprang als Erster an Land.

»Können wir helfen?«

Einen Moment lang schwiegen beide und verdauten den Anblick von Kalles zwei Meter fünf. Der Kripobeamte fasste sich zuerst und hielt seine Marke hoch. Sehr hoch sogar, und Kalle nahm sich Zeit, sie zu inspizieren.

»Ja?«, fragte er mit der selbstverständlichen Autorität der Führungskraft, die er nicht war.

»Kilian von der Kripo Hannover. Sie sind Dylan Crispin?«

Der Kripomensch trug einen Anzug, den ich als maßgefertigt einschätzte, ein blütenweißes Hemd und einen Schlips mit goldener Nadel. Obgleich er schon Mitte vierzig sein musste, ließ sich noch kein einziges graues Haar in seinem schwarzen, akkurat geschnittenen Schopf sehen. Er war eitel und färbte, keine Frage. Sein Kinn war glatt, die Augen grau und scharf, die Zähne so weiß wie sein Hemd und der Bauch nicht vorhanden.

Der Prototyp des Frauenschwarms - und das wahrscheinlich schon seit seiner Geburt.

Ich trat neben meinen Decksmann.

»Ich bin Crispin. Was kann ich für Sie tun?«

Der Uniformierte, der hinter Kilian stand, ein spilleriger Kerl in den Dreißigern in einer Uniform, in der er verloren aussah, musterte mich ungeniert. Sein Kinn war stoppeliger als meins, die Frisur zerzaust, und zweimal in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft sah er sich gezwungen, seine Hose hochzuziehen.

Rein äußerlich erinnerte er mich an Piet, meinen kettenrauchenden Matrose-Motorenwart zu Hause in Hollerbeck. Dieser hier sah ähnlich verlottert aus.

»Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«

Ich war nahe dran aber klar doch, und zwar hier zu sagen, beherrschte mich dann aber. Vor mehr als sieben Jahren hatte ich meine Laufbahn als Polizist beendet und wusste also, wie frustrierend es sein kann, Leute wie mich befragen zu müssen, die mit Autoritäten so ihre Schwierigkeiten haben. Er tat nur seinen Job, auch wenn er aussah, als habe er ihn nicht nötig.

»Gehen wir rein.«

Ich ging zurück ins Schiff und wies im Salon auf einen der Sechsertische an der Steuerbordseite.

Kalle ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen.

»Sie nicht«, bestimmte Kilian knapp. »Sie.«

Er blickte erst Kalle an, der sich verdattert wieder erhob, dann mich.

»Ihre Mannschaft befragen meine Kollegen später.«

Klang, als hätten sie vor, uns einzeln zu exekutieren. Kalle warf mir einen fragenden Blick zu. Ich nickte, und er verzog sich mit säuerlicher Miene hinter die Theke, von wo aus er uns misstrauisch beobachtete, aber nicht hören konnte, was wir besprachen. Ich fragte mich, wo Lilith abgeblieben war.

»Wir haben bereits mit dem Reeder des Schiffes gesprochen und wissen über das Personal Bescheid. Also kommen wir gleich zur Sache. Sie sind gestern diese … Abendfahrt gefahren?«

»Die Charter.« Ich nickte.

»Die Familie derer von Thoren?«

Derer von Thoren? Wow. Ich starrte ihn verblüfft an. Courths-Mahler oder humanistisch gebildet?

»Ich erinnere mich, dass sich mir einer der Gäste mit von Thoren vorstellte«, antwortete ich bedächtig. »Ein großer Schlanker, vielleicht Mitte oder Ende dreißig. Dünne flachsblonde Haare, ein Schnurrbärtchen. Ob wir allerdings eine ganze Adelsdynastie an Bord hatten, weiß ich nicht. Worum geht es?«

Kilian erzählte mir in etwa dasselbe, was ich von Santos schon wusste. Ich atmete tief durch und schilderte ihm den Abend, so wie er sich mir aus meiner Sicht als Schiffsführer dargeboten hatte. Dass mich das Opfer beim Verlassen des Schiffes wüst beschimpft hatte, ließ ich allerdings aus. Ich schätze die Gastfreundschaft der Bullen nicht wirklich.

Wie sich herausstellte, war der große Schlanke mit den flachsblonden Haaren, der mich angeflirtet hatte, tatsächlich die Leiche. Cord von Thoren, Ende dreißig, schwul. Er war aus dem Emsland zum jährlichen Familientreffen angereist. Nach der Feier abends an Bord hatte er im Hotel Weserschlösschen übernachtet. Noch vor dem Frühstück am nächsten Morgen ging er offenbar zum Rauchen oder Auslüften oder was auch immer vor die Tür und verschwand.

Stunden später fand ihn ein Wanderer auf einem Feldrain neben dem Weser-Radweg. Von einer Armbrust regelrecht zerfetzt.

Armer Kerl.

»Scheußlich.«

»Ja.« Er druckste eine Weile herum. »Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden.«

Er warf erst einen prüfenden Blick auf den Uniformierten, der neben dem Zahlmeisterhäuschen außer Hörweite stand, dann auf Kalle hinter der Theke und schien beruhigt.

»Vor ein paar Monaten erschien ein Artikel in der FAZ über einen Profiler aus Hollerbeck. Ein spektakulärer Fall, wenn mich recht erinnere. Der Profiler hieß Dylan Crispin.«

»Der Schiffsführer hieß Dylan Crispin«, unterbrach ich ihn scharf. »Einen Profiler dieses Namens gab und gibt es nicht.«

Er sah mich ehrlich verwirrt an. »Ein Freund erzählte mir …« Er stoppte und ich dachte an Santos. »Wie kommt es denn, dass Sie in dem Fall ermittelt haben? Ich meine, wenn Sie kein Profiler sind.«

Ich winkte ab. »Lange Geschichte. Und jetzt muss ich wirklich zurück in den Maschinenraum. Diese verdammte Ölpumpe leckt, und wenn ich nicht schleunigst die Dichtungen erneuere, bewegt sich auf diesem Kahn bald gar nichts mehr.«

Ich stand auf. Kilian erhob sich ebenfalls. »Schade, aber Ihre Entscheidung.«

Er wandte sich um und stapfte vom Schiff. Sein uniformierter Begleiter warf mir einen missbilligenden Blick zu und folgte ihm.

Vorm Schiff drehte sich Kilian noch mal um und sah zu mir herüber.

»Intern läuft das hier als Schwulenmord. Die Nienburger Kollegen haben den Chauffeur verhaftet, der für das Opfer höchstwahrscheinlich mehr als nur der Lenker seines Wagens gewesen ist. Niklas Krawinkel. In seinem Hotelzimmer fanden wir einen antiken Dolch und noch ein paar nette Spielzeuge, die Nur-Chauffeure normalerweise nicht benötigen. Die Nienburger Kollegen hoffen also gewissermaßen auf einen Mord im Familienkreis. Ein Eifersuchtsdrama oder was auch immer. Einen erwischt es, den Zweiten nimmt die Polizei hops.«

Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, bevor er endlich zur Sache kam.

»Laut Pathologe stand das Opfer aufrecht, als das Scheibenschießen begann, und war gefesselt. Vor einem halben Jahr hatten wir einen vergleichbaren Mordfall, der bis heute nicht aufgeklärt wurde. In Lüneburg wurde ein Obdachloser aus einem Park irgendwohin verschleppt, wo ihn der Mörder an einen Pfahl oder Pfeiler anband. Dann warf er mit einem Messer auf ihn. Um die fünfzig Mal. Als der arme Kerl dann immer noch lebte, stach er mit dem Messer wahllos auf ihn ein. Der Mann hat geschätzt mehr als eine Stunde gebraucht, um zu sterben.«

»Sie meinen, die Morde gehen auf das gleiche Konto?«

»Sieht mir ganz danach aus. Aber ich kann Sie verstehen. Weshalb sollten Sie die toten Angehörigen irgendwelcher Unbekannten interessieren? Fahren Sie Ihr Schiff, wir kümmern uns um die Hinterbliebenen, die nach Antworten suchen.«

Eine Minute später holperte der Streifenwagen den Weg hoch, bog vor der Brücke auf die Straße ab und reihte sich in den fließenden Verkehr ein.

Ich sah ihm nach und musste grinsen, obgleich mir nach allem Möglichen, nur nicht nach Grinsen zumute war. Dieser Kerl war gut, sogar genial in der Kunst, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Die Toten irgendwelcher Unbekannten? Die Hinterbliebenen, die nach Antworten suchen?

Schade nur, dass mich dieses Schiff über alle Maßen beanspruchte.

In diesem Moment klingelte mein Smartphone.

»Crispin.«

»Sie ignorieren die Toten irgendwelcher Unbekannten?«

Einen Moment lang rang ich verblüfft mit der Möglichkeit, dass Santos mich abhörte. Oder aber meine Gedanken las, wobei ich mich nicht entscheiden konnte, was mir mehr zuwider wäre.

Dann begriff ich. »Wie lange telefoniert ihr schon miteinander, Sie und dieser Kripo-Hein?«

Ich sah förmlich sein Grinsen. »Meine Rolex sagt, seit unserer Sandkastenzeit. Wir haben zusammen Kuchen gebacken, haben uns um dieselben Mädels geprügelt und sind am selben Tag zu den Freunden und Helfern übergewechselt.«

»Dieselbe Gehaltsstufe? Ihr Alter Ego hier trägt nichts von der Stange.«

»Habe ich Rolex gesagt?« Santos am anderen Ende des Funkmastes klang ehrlich erstaunt. »Aber mal ernsthaft. Ich habe Sie bei den Nienburger Kollegen als den großen Profiler angepriesen, der mir den Arsch gerettet hat, als es schon nichts mehr zu retten gab.«

Ich verzog das Gesicht. Mit Lob, in welcher Form auch immer, hatte ich nie besonders gut umgehen können.

»ICH BIN KEIN PROFILER«, beschwerte ich mich in Großbuchstaben.

»UND ICH BIN KEIN BULLE«, konterte Santos in ähnlicher Lautstärke. »Aber da draußen gibt es verzweifelte Angehörige, die uns einfach nicht glauben wollen. Kaum schalten sie die Glotze ein, kriechen ihnen so viel überbeflissene charismatische Kommissare und Profiler in den Arsch, dass sie gleich hinter dem Loch eine Ampel bräuchten.« Er schnaufte. »Und wenn unsereins nur die Nase rümpft, weil nebenan eine verrottende Leiche stinkt, klingelt gleich das Telefon beim Polizeipräsidenten. Ihr Name stand in der Zeitung. Dylan Crispin, der Retter in der Not. Eine Weigerung von Ihnen wäre, als wenn Superman sich die Stumpfhose auszieht. Undenkbar. Es gibt bestimmt schon Heftchenromane von uns beiden. Die unschlagbaren Zwei auf Killerjagd. Preis neunundneunzig Cent.«

Ich grinste. Die Vorstellung von mir und Santos als dynamisches Duo gefiel mir. Mein Ego spazierte mit stolz geschwellter Brust und Händen in den Hosentaschen durch meinen Kopf und prahlte wie Bolle. Dylan Crispin, der Jerry Cotton von Hollerbeck. Als mir klar wurde, dass mich Santos gerade auf dem Eis herumführte wie eine Kuh mit verbundenen Augen, fiel mein Ego wie ein nasser Sack in sich zusammen.

»Ich denke drüber nach«, fauchte ich erbost und drückte das Gespräch ein zweites Mal weg.

Zehn Sekunden später bekam ich eine SMS: nur nicht zulange. Serienmörder!

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