Читать книгу www.buch-den-mord.de - Charlie Meyer - Страница 8

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Als Cord von Thoren das Bewusstsein wiedererlangte, hing er gefesselt an einem der Pfeiler einer sehr großen Scheune. Durch die Löcher im Dach und die Zwischenräume der Bretterwände drangen Sonnenstrahlen wie Lichtspeere ins Innere. Staub tanzte im Licht. Im hinteren Teil der Scheune stapelten sich Dutzende Strohballen, der Boden war mit einer Mischung aus Getreidekörnern, Spelzen und Strohhalmen bedeckt.

Dass das nicht überall so war, sollte er erst Minuten später registrieren. Vorerst lenkten ihn sein schmerzender Kopf und der trockene Gaumen ab, und die Erinnerung kam nur mühsam zurück. Sein Spaziergang durch die morgendlich leeren Gassen der Altstadt, um den Wodka-Kater dieser katastrophalen Charterfahrt am Abend aus dem Kopf zu bekommen, der schwarze BMW, der ihn überholte. Dieser Fahrer, der plötzlich heraussprang, ihn mit einer Pistole bedrohte und in den Fond des Wagens drängte. Das Klicken der Zentralverriegelung, die Trennscheibe, die hochfuhr, ein Zischen aus der Klimaanlage und dann nichts mehr ...

Man hatte ihn betäubt und gekidnappt.

Jemand wollte Lösegeld kassieren. Von Thoren verzog grimmig das Gesicht. Er war viele Millionen wert, und irgend so ein Dreckskerl versuchte abzusahnen. Jemand, den er kannte? Sofort fiel ihm Niklas ein. Diesen verdammten Schweinehund hätte er schon längst abservieren müssen. Er zahlte ihm ein Vermögen für seine Dienste, und alles, was er bekam, waren vorgetäuschte Orgasmen.

Thoren versuchte um Hilfe zu rufen, doch sein Mund war mit einer Art Paketband zugeklebt. Er zwang sich, ruhig durch die Nase zu atmen und die Übelkeit zu ignorieren. Wenn er sich erbrechen musste, würde er höchstwahrscheinlich ersticken.

Seine Hände waren hinter dem Pfeiler zusammengebunden. Oder besser gesagt durch einen straffen Strick miteinander verbunden, da der Pfeiler zu stark war, als dass seine Arme herumgereicht hätten. Seine Hände waren sogar so weit auseinander, dass er mit den Fingern der linken nicht die Fesselung der rechten Hand erreichen konnte.

Seine Arme kribbelten und fühlten sich taub an. Durch die straffe Fessel wurden sie hart gegen die Ecken des Pfeilers gepresst. Einen Moment lang geriet er beinahe in Panik, als er sich vorstellte, wie ihn am Morgen einer dieser Bauerntrottel fand und befreite, man ihm aber beide Arme amputieren musste, weil sie über Nacht abgestorben waren.

Wo waren diese Idioten? Warum zeigte sich niemand?

Alles, was er sah, war in vier oder fünf Meter Entfernung ein Stehtisch, der mit einer blutroten Husse bezogen war. Auf der Tischplatte lehnte eine Champagnerflasche in einem Sektkühler, daneben stand ein Schälchen mit Knabberzeug. Eine langstielige weiße Rose in einer schmalen Leonardovase komplementierte das Arrangement. Aus irgendwelchen versteckten Lautsprechern dröhnte Musik, die ihm bekannt vorkam. Wie hieß das Stück noch gleich?

Er runzelte irritiert die Stirn.

Wie lange war er schon hier? Wie lange bewusstlos gewesen? Ein paar Minuten? Fünf Stunden. Während er halb panisch noch die Zeit in den Griff zu bekommen suchte, hörte er trotz der aufdringlichen Musik das Knarren einer Tür und horchte alarmiert auf. Jemand trat ein und hüstelte. Langsame, ein wenig schlurfende Schritte kamen näher, worüber er trotz aller Angst beinahe erleichtert war.

Er war realistisch genug, um zu erkennen, dass sich eine ausweglose Situation wie diese nur durch Verhandlungen entschärfen ließ.

Eine Million, vielleicht sogar zwei, je nach Hartnäckigkeit des Entführers, und der musste ihn notgedrungen losbinden, um an das Geld zu kommen. Von Thoren hatte keine Kinder, und niemand außer ihm kam an sein Vermögen heran. Niklas dieser Schuft wusste das natürlich. Was hatte er vor? Wenn er das war hinter ihm und dann auch noch so dreist, sich ihm zu zeigen, wie wollte er ihn dann erpressen? Sobald er ihm die Fesseln abnahm, stand er mit beiden Beinen im Knast.

Thoren brach der Schweiß aus allen Poren, als ihm völlig unerwartet die einzig andere Alternative zur Freilassung bewusst wurde. Selbst wenn Niklas sich verkleidete, würde er ihn natürlich erkennen, und dann musste er, Cord, schon verdammt gut schauspielern, um sich nicht zu verraten. Ansonsten ...

Es sei denn natürlich, Niklas schob einen Mittelsmann vor oder erpresste seine Freigabe über einen anderen Zweig der Familie. Großtante Eulalia vielleicht. Oder Onkel Wilbrand?

Thoren schluckte vorsichtig die Spucke hinunter, darauf bedacht, sich nicht zu verschlucken. Er wandte den Kopf zur Seite, soweit es der dicke Holzpfeiler in seinem Rücken zuließ, hörte aber nichts mehr. Hatte er sich das Öffnen der Tür und die Schritte nur eingebildet, oder versuchte ihn irgendein perverser Jemand mit Psychoterror zu zermürben?

An dieser Stelle fielen ihm zwei Dinge auf. Der Pfeiler, an dem er hing, schien zwar aus Holz zu sein, wie die anderen Pfeiler der Scheune auch, aber seiner war mit etwas umwickelt, das sich kühl und glatt anfühlte. Plastik? Frischhaltefolie?

Er blickte seitlich nach unten und versuchte, einen Blick darauf zu erhaschen. Dabei fiel ihm Seltsamkeit Nummer zwei auf. Er hing nicht nur an einem Pfeiler, der mit Plastik umwickelt war, er stand auch auf Plastik. Unter seinen Füßen war etwas wie eine Zeltplane ausgerollt worden. Kein Stroh, kein Holz, keine Erde, sondern Plastik. Eine grüne Plane.

Stirnrunzelnd besah er sich noch einmal den Rest der Scheune. Die Pfeiler aus Holz, der nackte Boden mit Strohschnipseln bedeckt. Kein Plastik. Nirgendwo. Nur an dem Pfeiler hinter ihm und unter seinen Füßen.

Warum? Was hatte das zu bedeuten? Und warum zeigte sich der Dreckskerl hinter ihm nicht endlich? Thoren verrenkte sich fast den Hals, erst nach rechts, dann nach links, aber er konnte dieses Arschloch einfach nicht sehen. Sein Blickwinkel reichte nicht aus.

Er versuchte verzweifelt, seine Gedanken auszuschalten. Er wollte nicht über das verfluchte Plastik nachdenken. Er wollte nicht wissen, warum einzig der Pfeiler, an den er gefesselt war, mit Plastik umhüllt worden war. Er wollte nicht wissen, warum seine Füße auf Plastik standen.

Doch es klappte nicht. Kalte Panik sprang, ausgehend vom Kopf, von Synapse zu Synapse, bis sein Körper unkontrolliert zuckte im Schaudern der Erkenntnis.

Zeitgleich fiel ihm der Titel des Instrumentalstücks ein, das ihn noch immer aus allen Richtungen beschallte. Ennio Morricones Spiel mir das Lied vom Tod.

Reiß dich zusammen, brüllte er sich gleich darauf lautlos an. Die bluffen doch nur. Alles nur Kulisse, um dich in Panik zu versetzen. Ganz ruhig. Du zahlst den Arschlöchern ganz einfach, was sie haben wollen, und schwupp, schon binden sie dich los, und du kommst nie mehr zurück in diese beschissene verfickte Stadt.

Er erstarrte, als sich hinter ihm die Füße wieder in Bewegung setzten. Nicht schnell und zielgerichtet, sondern schleppend wie zuvor. Eins, zwei, Stopp. Eins, zwei, Stopp.

Wenn bloß dieses verdammte Klebeband über seinem Mund nicht wäre. Die Farce hätte längst ein Ende finden können. Gut, okay, sie hatten ihr Ziel erreicht. Er war in Panik geraten. Wenn man gefesselt an einem plastikverhängten Pfeiler hängt, auf einer großen Plastikplane steht und hinter sich Schritte hört ...

Ja, du meine Güte, klar geht die Fantasie da mit einem durch.

Man spürt beinahe schon das Messer an der Kehle, und dann trennt einen nur noch ein einziger Schnitt von Ohr zu Ohr vom Jenseits. Das Plastik dient dazu, die Scheune wieder sauber zu hinterlassen. Kein Blut, keine Hautschuppen, und wenn sie ihn dann losbanden und er umfiel, konnten sie ihn gleich in der Plane einrollen und abtransportieren.

Ein Gurgeln entrang sich seiner Kehle, und die Schritte stoppten erneut. Eins, zwei, Stopp. Aber sie waren schon viel näher gekommen. Er schätzte diesen Schweinehund nicht mehr als zwei Meter hinter sich. Warum stellte nicht endlich jemand die verfickte Musik ab?

Erneut brach ihm der Schweiß aus allen Poren. Seine Achselhöhlen wurden nass, auf seiner Stirn bildeten sich kleine Tröpfchen. Er zerrte an seinen Fesseln, erreichte aber nur, dass seine Hände noch gefühlloser wurden und schmerzhafte Stiche durch seine Arme schossen.

Der Kerl hinter ihm räusperte sich, und beinahe, aber auch nur beinahe, hätte sich vor Schreck Thorens Blase entleert.

Alles, was recht war, seine Entführer hatten diesen Psychoquatsch perfekt drauf. Und ja verdammt, er hatte Angst.

Er hatte sogar eine MEGASCHEIßANGST. In Großbuchstaben.

Es war Niklas, dieser Arsch. Er musste es sein. Glaube dieser Hurensohn, er sei die ganzen Jahre zu blöd gewesen, um zu sehen, welche Show er abzog? Sobald er hier raus und in Sicherheit war, würde er seinen Cousin Clemens anrufen. Clemens stand mit diesen Russen in Verbindung, die vor nichts zurückschreckten. Oder nein, besser. Er selbst würde den kleinen Scheißer umbringen. Ihn in Sicherheit wiegen, und dann killen. Clemens' Russen konnten für den Abtransport sorgen. Mit Betonstiefeln im Kiesteich oder so.

Eins, zwei, Stopp.

Dieser Drecksack musste unmittelbar hinter ihm stehen. Thoren begann zu hyperventilieren.

Er riss den Kopf zur Seite und presste Ohr und Wange gegen das kühle Plastik des Scheunenpfeilers. Aus den Augenwinkeln, ganz am Rande seines Blickfeldes, nahm er inmitten der tanzenden Staubkörner des Dämmerlichtes einen Schatten wahr. Eine dunkle Silhouette. Ein Mann, wenn ihn nicht alles täuschte.

Und dann plötzlich, als habe es dieses verrückte Psychovorspiel gar nicht gegeben, rannte dieser Typ beinahe an ihm vorbei. So schnell konnte Thoren kaum den Kopf wieder herumreißen. Der Typ lief an ihm vorbei, etwa fünf Meter weit noch in die Scheune hinein, bis er am Stehtisch mit seiner blutroten Husse und dem Champagner abrupt stoppte. Dann fuhr der Kerl herum.

Thoren starrte ihn verblüfft an, und hätte sich vor Erleichterung beinahe ein zweites Mal eingenässt.

Ein Meter fünfundsechzig vielleicht. Ein zwar rotes, aber nicht unsympathisches Gesicht mit vollen Wangen. Blaue Babyaugen unter buschigen weißen Brauen und ein Mund, der lächelte. Und so wie es aussah, ließen sie ihre Garderobe möglicherweise beim selben Schneider anfertigen. Der Kerl trug eine graue Gabardinehose, dazu ein fliederfarbenes kurzärmeliges Hemd. Ein alter Mann, schätzungsweise um die siebzig. Er ähnelte sogar ein wenig Onkel Wilbrand, fand Cord von Thoren im ersten Moment, revidierte seine Einschätzung aber sofort.

Nein, Onkel Wilbrand war der Inbegriff eines verkniffenen, verklemmten Kerls, dieser hier, der ihm flüchtig ähnelte, lächelte ihn an. Beinahe schon gütig.

Großer Gott, dankte Thoren seinem Schöpfer, dein Engel ist gekommen, mich zu retten.

»Hallo«, sagte der Engel mit vor Erregung zitternder Stimme. »Ich bin gekommen, dich zu erlösen.«

Danke, dachte Thoren und schloss einen Moment lang vor überwältigender Erleichterung die Augen. Danke, danke, danke.

Als er die Augen wieder öffnete, hielt der Engel etwas in beiden Händen, was er schlecht erkennen konnte. Er kniff die Augen zusammen. Was war das?

Eine Armbrust?

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