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EINLEITUNG

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Hamburg im Jahr 1999…

Einen Hamburg- Aufenthalt zu erleben, daran hätte ich vor zehn Jahren als damalige DDR- Bürgerin nur im Traum denken können. Inzwischen war ich aber schon auf einigen Kontinenten gewesen und hatte auf Fernreisen sehr viel erlebt und gesehen.

Die Osterfeiertage waren nun vorbei. Wir hatten uns über das einmalig schöne Wetter gefreut. Mein 25 Jahre älterer Ehemann Bernd ermöglichte es mir, zwei Tage in einem netten Hotel zu übernachten, eine Alsterfahrt bei Sonnenschein zu erleben und viele weitere Unternehmungen zu genießen. Ich dankte und liebte ihn, aber nicht nur dafür.

In den fünfziger Jahren war ich als Kind einige Male in Hamburg, der Geburtsstadt meiner Mutter gewesen, um meine Tante Bärbel zu besuchen. Die beiden Geschwister Bärbel und Hildegard, hatten früh ihre Eltern verloren und waren trotz entfernter Wohnorte in ihrem Leben eng miteinander verbunden geblieben.

Nun suchten Bernd und ich das Familiengrab auf dem Gelände des Ohlsdorfer Friedhofs. Mit 4OO Hektar und 32O OOO Grabstellen ist der Ohlsdorfer Friedhof der größte Parkfriedhof der Welt. In einem Informationshaus bekamen wir eine Orientierungshilfe. Wir ließen uns eine Übersichtskarte mit dem Planquadrat der Grabstätte geben. Bernd war im 2. Weltkrieg Jagdflieger gewesen und heute übte er wieder das Fliegen mit einem zweisitzigen Flugzeug als Hobby aus. Trotz Bernds Erfahrung im Kartenlesen, war es schwierig, das Familiengrab zu finden.

Meine Eltern hatten 1994 schon einmal vergebens das Grab gesucht. Ich wusste nur, dass sich ein großer Findling mit dem Familienamen und dem Vermerk „Auf Friedhofsdauer“ auf dem Grab befinden sollte. Man hatte mir auch von Rhododendronsträuchern erzählt.

Wir mussten die Straße verlassen und auf einem parkähnlichen Gelände suchen, auf dem es keine Wege gab. Ich hatte mir das nicht so kompliziert vorgestellt.

Meine Tochter Ulrike und mein geschiedener Mann Hanno, hatten die Grabstätte vor einigen Jahren gefunden. Allerdings wurde sie ihnen von einem Friedhofsgärtner gezeigt, der gerade in der Nähe arbeitete. Der Gärtner erzählte ihnen auch, dass das Nutzungsrecht bald ablaufen würde, wenn sich nicht ein Verwandter um eine Verlängerung der Überlassung der Grabstätte kümmern würde.

Bernd und ich suchten lange. Endlich sah ich einen riesigen Rhododendronstrauch. Ich bog die Zweige auseinander und fand auf dem Boden ein Paar Springerstiefel, einen Baseball und einen Fahrradspiegel. Was hatte das zu bedeuten? Gaben die Rückseite des Findlings und die tief hängenden Zweige des Rhododendronstrauches Schutz, so dass man hier ungehindert lagern konnte? Auf der Vorderseite des Findlings stand natürlich der gesuchte Namenszug „Ottomar Preisig“. Es waren vier kleinere Grabplatten mit Aufschriften unter dem Laub zu erkennen. Auf einer Grabplatte stand der Name des Zwillingsbruders meiner Mutter. Zwei weitere Platten waren mit den Namen meiner Großmutter und meines Großvaters beschrieben. Auf der vierten Platte befanden sich die Namen meiner beiden unverheirateten Tanten, die Schwestern meines Großvaters, die in Lübeck gelebt haben und die ich noch kennengelernt hatte.

Sofort rief ich Bernd und fing an mit Zweigen die Schriften der Platten vom Laub völlig freizulegen. Bernd nahm gleich den Baseball und putzte damit die Platten noch einmal sauber. Ich wunderte mich ein wenig darüber, dass er gleich einen dieser ärgerlichen Gegenstände nützlich einsetzte. Ich selbst konnte nicht anders und musste die Stiefel wenigstens einige Meter weiter ins Gestrüpp werfen. Bernd kroch noch einmal unter die Sträucher, um die vier Grabplatten zu fotografieren.

Anlässlich des Todes des Zwillingsbruders meiner Mutter, der am Tag seiner Geburt im Januar 1922 verstarb, wurde die Grabstätte angelegt. Es muss für meine Großeltern ein Schock gewesen sein, den ersehnten Sohn so schnell zu verlieren. Angeblich war er am Fruchtwasser erstickt. Was für ein Familiendrama! Der Bruder meiner Mutter soll bei der Geburt viel kräftiger gewesen sein, als sie. Außerdem wurde mir erzählt, dass er bestimmt noch leben könnte, wenn die Entbindung im Krankenhaus und nicht zu Hause erfolgt wäre.

Nach Erzählungen meiner Mutter ging es meinem Großvater finanziell gut. Er hatte sich als Prokurist hochgearbeitet und betrieb dann mit einem Kompagnon eine Ziegelei, die bis zur Wirtschaftskrise rentabel war. Heute noch schwärmt meine Mutter von dem großen Haus in Hamburg Rahlstedt mit Garten und Hundezwinger und von der Zeit, als ihr Vater einen Gärtner und einen Chauffeur beschäftigte.

Meine Großmutter muss ein hübsches, junges Mädchen gewesen sein, als mein Großvater sich in sie verliebte und sie heiratete. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen. Mein Großvater verlangte von ihr, die Verbindung zu ihren Eltern abzubrechen, weil sie an einer Heirat ihrer Tochter mit ihm gezweifelt hatten. Verursachte diese Forderung ihres Ehemannes bei meiner Großmutter solchen Kummer, dass sie später dann Gallensteine bekam? Sie starb, als meine Mutter vierzehn Jahre alt war. Sie hatte die Gallensteinoperation nicht überlebt. Nun war mein Großvater allein. Bärbel, die ältere Schwester meiner Mutter, machte ihr Abitur und sollte Medizin studieren. Meine Mutter war in schulischen Dingen nicht so ehrgeizig.

Ich setzte mich auf eine Bank. Sie befand sich einige Meter vom Grab entfernt in einer Gasse von Sträuchern und Bäumen. Nur auf der rechten Seite wurde man durch ein großes Steinkreuz daran erinnert, dass man sich auf einem Friedhof befand. Sonst hatte ich bei einem Friedhofsaufenthalt immer ein bedrückendes Gefühl, weil man an das Ende seines Lebens erinnert wird. Hier auf der Bank zu sitzen, war jedoch angenehm. Eine Ruhe und Schönheit der Parkanlage wirkte auf mich.

Wende mit 40

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