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GEBURT MEINES SOHNES ULI IN THÜRINGEN

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Während der Schwangerschaft fühlte ich mich gut. Ich nahm an einer Schwangerengymnastik teil, die von einer Hebamme geleitet wurde. Da die Hebamme uns Schwangeren erzählt hatte, dass man etwa 4 Wochen vor dem Geburtstermin Senkwehen bekäme, dachte

ich am frühen Morgen des 7. März 1973, als ich Schmerzen bekam, dass es sich bei mir um solche handele. Der Geburtstermin wäre erst 2 Wochen später gewesen. Deshalb ließ ich auch Hanno noch zur Arbeit gehen. Er war aber doch beunruhigt und kam gegen 8 Uhr zurück und fuhr mich ins Krankenhaus. Ich hatte nun richtige Wehen. Die Schwestern nahmen meine Personalien auf und fragten mich, ob ich noch eine Weile auf dem Flur spazieren könnte, weil gerade im Kreißsaal eine schwierige Geburt im Gang sei. So gut es ging versuchte ich das. Nach 10 Uhr wurde ich dann in den Entbindungssaal gerufen. Beim Geburtsvorgang erhielten alle Gebärende während einer Wehe einen kleinen Schnitt, um einen Dammriss vorzubeugen. Diese Anweisung hatte ein leitender Arzt einmal gegeben. Gegen 12 Uhr war ich glückliche Mutter eines Sohnes. Uli wog 3300g und war 54cm lang.

Man war der Auffassung, dass ein Säugling unbedingt Muttermilch erhalten müsse und war darin sehr streng. Wir jungen Mütter bekamen unsere Säuglinge nur zum Stillen, sonst konnten wir sie uns von einer Schwester hinter der Glasscheibe eines anderen Raumes zeigen lassen. Uli war beim Trinken sehr faul. Vielleicht lag es an mir, dass ich nicht genügend Muttermilch produzierte oder an meinen kleinen Brustwarzen. Jedenfalls war ich sehr traurig, wenn meine Zimmergefährtinnen ihre Babys stillen konnten, während es bei mir nicht klappen wollte. Mein kleiner Junge nahm schon ab, obwohl die Schwestern ihm nun zusätzlich „Milasan“-Fläschchen gaben. Uli war anscheinend als Säugling schon recht eigensinnig; man hatte ihm die Ärmel mit Heftpflaster zugeklebt, damit er sich im Gesicht nicht mehr kratzen konnte.

Ich war froh, als ich mit meinem Jungen nach 10 Tagen im Krankenhaus nach Hause entlassen wurde. Wir stellten uns bald auf den Rhythmus eines Säuglings ein und man war bei der Mütterberatung mit dem Gedeihen unseres Sohnes zufrieden. Nur einmal war Uli krank und bekam Windpocken. Während dieser Krankheit sah er aus wie ein Streuselkuchen.

Da ich nach der Geburt von Uli noch einige Wochen frei hatte, nutzte ich diese Zeit, um im Selbststudium mir Kenntnisse über den Marxismus-Leninismus anzueignen, denn es wurde nur zum Diplom zugelassen, wer darin bei der Prüfung mindestens in diesem Fach mit „gut“ abschloss. Die Vorlesungen in Berlin hatte ich im Februar in meinem schwangeren Zustand nicht besuchen können, aber eine Kommilitonin schrieb für mich mit Durchschlag mit. An der Schule erhielten wir wöchentlich einen Tag für das Studium frei, und außerdem bekamen die Frauen 4 Abminderungsstunden. 14-tägig trafen wir uns in der Bezirksstadt Erfurt zu Konsultationen und Anleitungen zum Selbststudium. Dort legte ich meinen Hefter mit den Ausarbeitungen über den Marxismus-Leninismus meinem Dozenten vor und erhielt darauf die Note 2. Auch bei meiner mündlichen Prüfung in diesem Fach erhielt ich die gleiche Zensur.

Ich bekam nicht gleich einen Krippenplatz für meinen Sohn. Aber meine Mutter hatte sich bereit erklärt, Uli in der Zeit, in der ich in der Schule war, zu betreuen. Dazu wurde Uli in einer Tragetasche auf dem Sitz unseres „TRABANT“ zu meiner Mutter transportiert.

Aber nun sollte das Schicksal es nicht mehr gut mit uns meinen.

Im Juli 1974 teilte Hanno mir mit, dass er im Forschungsinstitut gekündigt habe, weil er Probleme mit seinen Vorgesetzten bekommen hatte und im Gehalt um 50 Mark zurückgestuft werden sollte. Da ich vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, blieb mir nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden.

Im gleichen Monat fuhren Hanno und ich ein paar Tage an die Ostsee, um uns zu erholen. Unser Sohn wurde von meinen Eltern betreut.

Hanno hatte sich nach einem neuen Wirkungskreis umgesehen und fing am 13.August 1974 im VEB Stickstoffwerk Piesteritz eine neue Tätigkeit an. Er hielt es dort aber nur bis zum 10. September aus, kam dann zurück und erklärte mir, dass er dort nicht arbeiten könne, weil die Verantwortung zu groß wäre und er seine Familie vermisste. Hanno befand sich jetzt in einer Krise. Er sprach sogar von Selbstmord. Sein Zustand verschlimmerte sich so, dass ich gemeinsam mit meinem Vater einen Nervenarzt bat, einen Hausbesuch zu machen. Der Arzt beruhigte Hanno mit Medikamenten und schrieb ihn rückwirkend krank. Anfangs glaubte der Arzt auch fest daran, dass er in der Lage sei, Hanno wieder die alte Arbeitsstelle im Kaliforschungsinstitut zu verschaffen. Später war der Arzt froh, dass es meinem Vater durch einen Bekannten gelungen war, eine Meisterstelle im VEB Kombinat Kali für Hanno zu bekommen. Er unterschrieb zwar den Arbeitsvertrag, trat die Stelle aber nie an, weil er sich auch damit überfordert fühlte. Er wurde ein halbes Jahr krank geschrieben. Mir kam diese Zeit wie eine Ewigkeit vor, denn in seiner niedergeschlagenen Gemütsverfassung drohte er häufig damit, sich vom Dach zu stürzen. Meine Belastung war nun sehr groß (Lehrerberuf, Fernstudium, Betreuung unseres eineinhalbjährigen Sohnes und Hanno in seiner Depression).

Mein Bruder Manuel, der der Neuapostolischen Kirche beigetreten war, wollte mich trösten, indem er mich zu einem Gottesdienst einlud. Die Predigt wurde häufig von Laienpredigern durchgeführt und war diesmal vielleicht auf mich abgestimmt. Beim Anhören der Predigt fühlte ich mich elend und weinte. Der Wunsch meines Bruders, dass ich seinen Glauben annehmen solle, erfüllte sich nicht.

Als ich aus der Kirche ging, hatte ich die Erkenntnis, dass ich mich nicht selbst bedauern sondern etwas unternehmen müsse. Deshalb schrieb ich an meine Schwiegermutter und bat sie, Hanno an ihrem Ort eine Arbeitsstelle zu besorgen. Ich hatte auch den Verdacht, dass meine Schwiegermutter ihm oft zu verstehen gegeben hatte, dass er mit seinem Hochschulabschluss bessere Aussichten gehabt hätte, wenn er nicht mit der Berufsarbeit in meinen Heimatort angefangen hätte.

Der Nervenarzt gab mir aber zu verstehen, dass Hanno überall Schwierigkeiten gehabt hätte. Hanno sah die Ursachen dafür in seiner Kindheit. Seine Mutter hatte ihn als Vorschulkind in ein Kinderheim gegeben, damit sie sich selbst beruflich betätigen konnte.

Da mein Sohn Uli sehr lebhaft war und ich merkte, dass es meiner Mutter mit der Betreuung von Uli während meiner Unterrichtszeit zu viel wurde, versuchte ich einen Krippenplatz zu bekommen. Am 3.September 1974 besuchte Uli zum ersten Mal die Kinderkrippe. Er hatte große Anfangsschwierigkeiten sich einzuordnen. Deshalb legte mein Vater als Direktor meine Unterrichtsstunden so, dass ich Uli gleich nach dem Mittagessen abholen konnte.

Meine Mutter hatte nun mehr Zeit für sich. Sie konnte daher im September 1974 Tante Bärbel zu einem Besuch einladen. Die DDR-Regierung traf Maßnahmen, um an Westwährungen zu kommen. Einreisende BRD-Bürger mussten pro Tag 10 Westmark (später mehr) eintauschen. Von der Entrichtung des Geldes an den Arbeiter- und Bauernstaat war Tante Bärbel natürlich überhaupt nicht begeistert.

Außerdem wurden „intershop“-Läden eingerichtet, in denen nur mit Westwährungen bezahlt werden konnte. Es durften dort sogar DDR-Bürger die begehrten Westwaren einkaufen, wenn sie im Besitz „harter“ Währungen waren.

Zu dieser Zeit trafen sich auch meine Schwiegermutter und meine Eltern nach ihrem Zerwürfnis das erste Mal wieder und berieten über Hannos depressives Verhalten.

Hannos Zustand war für mich bedrückend.

Trotzdem arbeitete ich bei meinem Fernstudium mit Erfolg, denn ich konnte gut einschätzen, was in meinem Studium wichtig war und womit ich mich nicht zu belasten brauchte. Für mich selbst war es auch selbstverständlich, etwas Angefangenes zu Ende zu bringen.

Meine Schwiegermutter hatte es wirklich geschafft, in ihrem Heimatort eine Arbeitsstelle für Hanno zu bekommen. Er arbeitete nun ab 11.2.1975 als stellvertretender technischer Leiter in einem Betrieb, der Gummiartikel herstellte. Hanno wohnte an den Arbeitstagen bei seiner Mutter und am Wochenende kam er mit dem Bus nach Hause.

Wende mit 40

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