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Hornstachler-Winter Winter 1022-1023

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Mit dem ersten Schnee nach dem viel zu kurzen Bergsommer waren auch die Frostgeister wieder da. Und Taephe lernte zwei Dinge:

Erstens, das, was sie in Shioges Burg als Winter betrachtet hatte, war hier in den Bergen bestenfalls ein laues Lüftchen.

Und zweitens, das Leben in einem Sippenhaus im Winter unter Frostgeisterbelagerung war nichts, was sie ihr ganzes Leben lang ertragen wollte.

Es war eng im einzigen noch bewohnten Haus Ganens. Daran konnten auch die Anbauten, die die Männer in den letzten Monden geschaffen hatten, nichts ändern. Eng, laut, und es stank, denn neben all den Menschen drängten sich auch noch die Hunde, die Ponys und die Hornziegen im Haus. Draußen hätten die Frostgeister sie gefressen. Drinnen fraßen sie Taephes Nerven. Keine Ruhe, tags nicht, weil dann alles im Haus herumwuselte, nachts nicht, weil dann die Frostgeister angriffen. Keine Möglichkeit, sich einfach einmal für ein paar Minuten alleine zurückzuziehen. Nicht einmal einem Tempel oder eine Kapelle kannte man in Ganen, nur einen Hausaltar, der – natürlich – mitten im Haus stand.

Da war es dann schon fast eine Erlösung, wenn sie Nachtschicht hatte und zusammen mit anderen Frauen und Männern draußen bei den Hornstachlern wachte. Wobei Taephe immer mehr den Eindruck bekam, dass die Hornstachler intelligent waren. Es war schon fast unheimlich, in ihre Augen zu blicken. Nur gut, dass sie diese meist unter fetten weißen Wülsten verborgen hielten. Taephe war, als ob die Hornstachler tief in ihre Seele blickten. Entnervend. Die Einzige, die ihr zuvor ebenfalls dieses Gefühl vermittelt hatte, war ihre Ziehmutter Sirit mit ihren Spiegelscherbenaugen gewesen.

Eines jedenfalls wusste Taephe nun: Sie würde sich nie, nie, absolut nie hier in den Bergen wirklich zuhause fühlen.

Zusammen mit den beiden Hornstachlern schafften sie es tatsächlich, die Frostgeister in Schach zu halten, auch wenn immer wieder einzelne der Tiere durchbrachen und es bis ins Haus schafften. Irgendeine gnädige Gottheit verfügte, dass sie dort nur Tiere töteten.

Aber auch so kostete der Winter einiges. Er kostete Leben, denn die Bisse der Frostgeister führten immer wieder zu üblen Entzündungen. Er kostete Nerven, bei denen im Haus, die langen Nächte zitternd den Kampfgeräuschen draußen lauschten, und bei denen draußen, die sich immer wieder dem gefräßigen Tod stellen mussten. Die Nerven aller Bewohner Ganens lagen blank.

Es war die reinste Erlösung, als die Tage wieder länger wurden und der Schnee endlich zu tauen begann.

Taephe schickten einen der Männer, die ihr verstorbener Gatte ihr als Schutz mitgegeben hatte, zurück nach Karapak. Er sollte Informationen einholen. Ob Grau oder irgendein anderer Drache irgendwo gesichtet worden war. Und wie es um Orteges Burg aussah.

*

Immer noch keine Spur von dem Drachenherrn. Missmutig starrte Jo in den nebeligen Abend hinaus. Das war jetzt die dritte Frostgeisterhorde, die er erledigt hatte. Alleine, denn Fü hatte der Schutz der Ostprovinz übernommen. Zusammen mit den meisten der Hornstachlern. Im Osten war Tolor am wärmsten. Dort lagen die größten Städte – und auch die größten Getreidefelder. Folglich lebten dort auch die meisten zu schützenden Menschen. Jo gab es ungern zu, aber König Pattas Planung war einleuchtend. Und trotzdem. Er vermisste Fü. Und das nicht nur, weil ein einzelner Zauberer unter Nicht-Zauberern immer alleine war.

Hinter ihm im Schnee bewegte sich eine plumpe Gestalt. Einer der Hornstachler. Sie hatten ihn anstelle der Hunde mitgenommen. Er bemerkte die Frostgeister deutlich früher als ein Hund. Und er kämpfte besser. Widerwillig hatte Hauptmann Hako eingestehen müssen, dass so ein einzelner Hornstachler mindestens ebenso viele Frostgeister erledigen konnte wie die Hälfte seiner Männer zusammen. Zudem schienen die Hornstachler niemals zu schlafen. Sie bewegten sich lediglich im Hellen langsamer und ungeschickter als im Dunkeln. Offenbar waren ihre Augen so extrem lichtempfindlich, dass sie es tagsüber vorzogen, sie zu verbergen.

Die Soldaten hielten den Hornstachler für eine Art Tier. Vielleicht etwas intelligenter als ein Hund, aber ein Tier. Jo wusste es besser. Er hatte den Geist des Hornstachlers gespürt. Das Wesen war intelligent. Beunruhigend intelligent. Jo war sich sicher, dass der Hornstachler die tolorische Sprache inzwischen einwandfrei verstand. Nur konnte er nicht sprechen. Noch nicht.

Eine breite Soldatenhand schlug den Eingang des Zeltes zurück. „Wollt ihr nicht endlich hereinkommen, Meister Jo? Unser beinloser Wachhund wird schon aufpassen. Wenn ihr da draußen bleibt, holt Ihr Euch noch den Tod.“

Als Jo nicht gleich reagierte, fügte Hauptmann Hako hinzu: „Wir haben auch eine schöne, warme Suppe fertig.“

Wie auf ein Stichwort knurrte Jos Magen. Hakos Argumente waren überzeugend.

*

„Die sieht nicht so aus, als ob sie irgendetwas kann. Kochen kann sie jedenfalls nicht.” Der Soldat ließ missmutig den Löffel sinken.

Fü zog unbehaglich die Schultern hoch. Was erwarteten diese Männer eigentlich? Kochen war nicht ihre Aufgabe. Die konnten von Glück sagen, dass sie überhaupt für Essen gesorgt hatte. Außer Frostgeisterfleisch und etwas geschrotetem Getreide war ja nichts dagewesen. Noch nicht einmal Holz. Sie hatte einen halben Feuerball verbraucht, nur, damit diese undankbare Brut einen warmen Eintopf kriegte. Und das, obwohl sie selbst zum Umfallen müde war.

„Ist vermutlich ganz gut, dass die eine Zauberin ist. Heiraten würde die eh keiner. Zu dünn, zu hässlich. Und sie kocht schlecht.”

Das reichte. Fü fuhr herum. „Mag sein, dass ich schlecht koche. Aber ich höre ausgezeichnet. Wollt ihr lieber mit leerem Magen gegen die Frostgeister antreten? Oder vielleicht sogar ohne Feuerbälle? Dann bräuchtet ihr nicht die ganze Zeit eine hässliche Frau anzuschauen.”

Die Männer tauschten unbehagliche Blicke. Dann klapperten die Löffel wieder in den Essgeschirren. Keiner sagte noch ein Wort.

„Ihr müsst sie von der Flanke aus angreifen.”

Der Hauptmann würdigte Fü keines Blickes und fuhr fort, seine Soldaten frontal aufzustellen.

„Das sind Frostgeister, keine Menschen. Sie kämpfen anders. Wenn ihr von vorne angreift, müsst ihr durch die Talsohle. Dann werden sie euch von oben anspringen. Und wenn sie über euch sind, kann ich die Feuerbälle nicht einsetzen.”

Der Hauptmann musterte sie mit eisigem Blick. „Das ist Männersache. Misch dich da nicht ein.”

Verdammt noch mal! In Karapak hätte kein einziger Mann gewagt, ihr so etwas zu sagen. Sie war schließlich eine Zauberin! Man merkte verdammt gut, dass Tolor schon Jahrhunderte keine Zauberer mehr gesehen hatte.

„König Patta hat mich aber zum Schutz der östlichen Hochlande abgestellt. Und ich bin mir absolut sicher, dass er Euch mitgeteilt hat, dass ich volle Weisungsbefugnis habe. Also …?”

Anstelle einer Antwort gab der Hauptmann den Angriffsbefehl.

Die Soldaten galoppierten ins Tal. Fü hockte sich auf einen Felsbrocken, der aus dem Schnee herausragte, und wartete.

Die ersten Pferde erreichten die Frostgeister. Dann war es, als ob eine Lawine ins Rollen kam. Schreiende Männer, kreischende Pferde, fauchende Frostgeister. Die Tiere sprangen auf die Soldaten herab, fünf, sechs von ihnen auf jeden einzelnen Reiter. Der Schnee färbte sich rot. Die Soldaten wendeten panisch, versuchten zu entkommen. Nur die hinteren Reihen schafften es.

Als die ersten von ihnen sich vor ihr den Hang wieder herauf mühten, stand Fü auf und hob die Hand. Wie ein gehorsamer Hund schwebte der Feuerball darauf zu. Sie konzentrierte sich und ließ ihn mit einer ausholenden, gleitenden Bewegung losfliegen, über die Köpfe der Männer hinweg, hinab ins Tal. Und dort unten zerplatzte er zu einer Walze aus Feuer, die zischend den Hang hinauf rollte und auf ihrem Weg jeden Frostgeist verschlang.

„Greift sie von der Seite an und treibt sie ins Feuer!”

Füs Stimme war so kalt wie ihre Gedanken. Narren. Starben lieber, als gleich auf eine Frau zu hören.

Die Soldaten gehorchten, mit verkniffenen Mienen. Lediglich der Hauptmann blieb zurück, saß auf seinem Pferd und starrte in das Tal, in dem seine Männer gestorben waren. Als er den Blick hob und Fü ansah, konnte sie den Hass in seinen Augen erkennen.

Fü hatte beschlossen, dass sie diesen Winter ohne weitere direkte Nachbarschaft zu den Soldaten verbringen wollte. Eine einzige Patrouille hatte gereicht, sie davon zu überzeugen. Trotz der Feuerbälle, die sie produzierte, nahmen die Soldaten eine Frau einfach nicht für voll, schon gar nicht, wenn sie noch sehr jung war. Na schön, sollten die Männer halt alleine kämpfen. Beziehungsweise zusammen mit den sechs Hornstachlern, die König Patta ihnen für die Patrouillen zugestanden hatte. Die restlichen Hornstachler hatten sie auf die Städte verteilt und die Dörfer für die Dauer des Winters evakuiert.

Es war ja nicht so, dass sie ohne die Patrouillen nichts tun konnte. Fü konzentrierte sich darauf, weitere Feuerbälle zu erschaffen, sowohl für die Soldaten als auch für die Bevölkerung, und den Leuten deren Gebrauch sowie elementare Verhaltensmaßregeln für das Überleben unter Frostgeisterbelagerung einzubläuen.

Sie erinnerte sich nur ungern an die Proteste der Bevölkerung wegen der Evakuierungen. Noch weniger gerne allerdings erinnerte sie sich an den Grund, weshalb es inzwischen keine Proteste mehr gab. Jener kleine Baron im Silbersteintal, der dem Befehl getrotzt hatte. Dessen Dörfer die Frostgeister vor der Patrouille und den Hornstachlern erreichten. Es war nicht viel übrig geblieben, was man dem Scheiterhaufen übergeben konnte.

Wie mochte es den Orten im Norden gehen, in denen jetzt die geflohenen Kirsitaner lebten? Patta hatte auch ihnen Feuerbälle zukommen lassen, aber keinen einzigen Soldaten. Die behielt er lieber für seine eigenen Leute. Und die Hornstachler weigerten sich, nach Norden zu gehen.

*

Kira sah die Flammen tanzen. Die Flammen sahen schön aus. Sie lachte, als sich die Gesichter formten. Doch als die Gesichter zu erzählen begannen, verstummte ihr Lachen, und als sie schwiegen und sich wieder in Funken auflösten, rannen ihr Tränen die Wangen hinab.

„Was hast du gesehen, Kind?“ Ihre Mutter strich ihr sanft über das Haar.

„Sie ist tot.“

„Wer ist tot?

„Die Frau, die uns hierher geführt hat.“

„Marle“, murmelte eine der älteren Frauen im Hintergrund. „Die Duka ist tot.“

„Vermutlich hatte sie es geahnt. Sie hat eine andere erwählt für Ganen.“

„Betha.“ Die Stimme der Alten war leise, aber in der Stille des Hauses gut zu vernehmen. „Betha ist aber nicht aus dem Blut der Duka. Nur jemand aus dem Blut der Duka kann ihr folgen. Betha ist nur eine Stellvertreterin.“

„Aber Marle hat keine Tochter.“

Die alte Frau wies mit dem Kinn auf Kira. „Die da ist aus dem Blut der Duka. Sie ist das Kind ihrer Mutterschwestertochter. Und sie hat die Gabe.“

Kira spürte, wie die Arme ihrer Mutter sich fest um sie schlossen.

„Wie kann das sein? Wenn es wirklich die Gabe ist, wie kann sie so stark sein? Seit Generationen hat keine Duka mehr direkt mit den Flammengeistern gesprochen.“

„Vielleicht hat es damit zu tun, dass der Bann auf den Drachenbergen gebrochen ist. Oder es liegt daran, dass wir jetzt in Tolor sind und nicht mehr in Kirsitan. Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist, dass wir eine neue Duka brauchen. Eine richtige Duka. Wie es scheint, ist Kira geeignet.“

„Sie ist doch noch ein Kind. Mit kaum fünf Wintern ist sie noch viel zu jung. Und außerdem – müsste nicht die Duka selbst ihre Nachfolgerin wählen?“

„Diese Duka ist ihren Pflichten in mehr als einer Hinsicht nicht nachgekommen. Also werden wir für sie wählen.“

Die alte Frau erhob sich und kam näher. Direkt vor Kira kniete sie nieder und sah dem Mädchen aufmerksam ins Gesicht. „War es das erste Mal, dass die Flammen mit dir sprachen?“

„N-nein“, murmelte Kira verlegen.

„Und was haben sie dir vorher gesagt?“

„Sie haben mir erzählt, wo meine Puppe lag, als ich sie verloren hatte.“

Belustigtes Murmeln klang in der Runde der Frauen auf und verklang wieder.

„Antworten sie dir, wenn du Fragen stellst?“

„Na ja, manchmal.“ Kira versuchte sich zu erinnern. „Manchmal sagen sie dann auch Dinge, die ich nicht verstehe.“

Die Alte nickte bedächtig. „Kein Zweifel, dieses Kind hat die Gabe. Ich würde sagen, die Göttin selbst hat uns damit gezeigt, wer die nächste Duka sein soll. Was meint ihr, Schwestern?“

„Ich sage, wir warten noch mit unserer Entscheidung.“ Das war Sinene, eine Cousine von Kiras Mutter. „Wir leben derzeit auf fünf verschiedene Siedlungen verteilt. Vielleicht ist in den anderen Siedlungen noch jemand, der die Gabe hat. Jemand, der ein wenig älter ist als Kira. Oder wollen wir uns wirklich von einer Fünfjährigen leiten lassen?“

„Nun gut“, gab die Alte nach. „Wir werden warten. Vielleicht hast du Recht. Wenn ja, dann werden wir es im Frühling erfahren, wenn wir wieder Kontakt zu den anderen Sippen aufnehmen können. Aber wenn wir dann dort keine Frau finden, die den Platz der Duka einnehmen kann, wird es dieses Kind tun.“

„Immerhin ist sie dann wenigstens schon sechs Winter alt.“ Erneut flackerte leises Lachen auf.

Kira spürte, wie die Arme ihrer Mutter sie ein wenig fester drückten.

*

Es war ein langer, dunkler Winter.

Als der Winter vorbei war, gab es nur noch drei bewohnte Siedlungen im Norden Tolors. In einer davon lebte Kira. Und das erste, was die Flammen ihr sagten, war, dass sie die Kirsitaner aus den anderen beiden Siedlungen im nächsten Winter zusammenholen sollte. Nur vereint würden sie überleben können.

Feuerwind

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