Читать книгу Feuerwind - Chris Svartbeck - Страница 9
Eine königliche Hochzeit
ОглавлениеInagoro musste sich zur Ruhe zwingen. Seine Bräute würden gleich eintreffen. Bräute, die außer den Priestern keiner richtig wollte. Nicht einmal das Volk, das verdächtig still dem Hochzeitszug Spalier stand.
Niemand hatte damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Ein einziges, höfliches Anschreiben an Drakbur, den Herrn der Grauen Schluchten, mit dem Angebot, durch diese Heirat die vergangenen Unstimmigkeiten zwischen den Seefahrern und dem Reich zu beseitigen und zur Steigerung des allgemeinen Wohlstandes wieder besser zusammenzuarbeiten. Drakbur hatte geradezu begeistert reagiert und ihm nicht eine, sondern gleich zwei Frauen geschickt. Schwestern. Weil, wie der alte Seefuchs schrieb, die beiden ohnehin unzertrennlich waren, und es überdies Situationen gäbe, wo ein Mann zwei Frauen in seinem Bett bevorzugen mochte.
Inagoro hatte ein ganz, ganz übles Gefühl in der Magengrube. Zwei Töchter des Herrn der Grauen Schluchten gleichzeitig, das bedeutete Schwierigkeiten im Doppelpack.
Und es bedeutete eine neue Herrscherin im Sommerharem.
Ob seine Mutter sich sofort in den Winterharem zurückziehen würde?
Inagoro war sich ziemlich sicher, dass er das nicht wünschte. Irgendjemand musste ein Auge auf seine neuen Frauen haben. Wer war dafür besser geeignet als Sirit mit ihren Zauberaugen? Gesagt hatte er nichts. Seine Mutter war keine, der man Vorschriften machte. Und sobald seine neuen Gemahlinnen ihm einen ersten Sohn geboren hatten, konnten sie eh darauf bestehen, dass die Mutter des Königs sich in den Winterharem zurückzog. So war es immer schon gewesen.
Er meinte fast, spüren zu können, dass auch seine Mutter nervös war. Sehen konnte er sie nicht, sie stand hinter ihm, wie es das Protokoll vorschrieb. Aber auch die Herren des Thronrates wirkten angespannt, selbst die Abordnung der Kristallkammer. Die hatten auch allen Grund dazu. Die grauen Schluchten waren der Kristallkammer verschlossen, schon seit Jahrhunderten. Bereits vor dem Aufstand in den Drachenbergen hatten die Zauberer die Grauen Schluchten verlassen müssen. Und sie hatten niemals auch nur den kleinsten den Versuch gemacht, ihr Einflussgebiet wieder dorthin auszudehnen.
Was immer die Grauen Schluchten genau waren, eines wusste Inagoro bestimmt: Dort lag ein Machtzentrum unbekannter Stärke, dass sich gerade entschlossen hatte, wieder im Spiel der Politik aktiv zu werden.
Fanfarenstöße.
Der Brautzug bog auf den großen Platz vor dem Palasttor ein.
Inagoro spürte einen Schweißtropfen, der ihm den Nacken hinunterrann.
Zwei Sänften, über denen an langen Stangen die Wimpel der Grauen Schluchten flatterten. Eine Mannschaft Fußtruppen vor den Sänften, eine dahinter. Die Männer waren deutlich größer als karapakische Soldaten. Ein Mann zu Pferd, ebenfalls von ungewöhnlicher Größe, führte sie an. Seiner schmalen Statur und den schlanken, fast zarten Fingern nach hätte er eher in eine Schreibstube gepasst als zu einem Soldatentrupp.
Die Träger setzten die Sänften direkt vor Inagoro am Fuß er Palasttreppe ab. Der Reiter stieg vom Pferd und kam die Treppe hoch. Inagoro bemerkte, dass er leicht hinkte. In seinen Händen hielt er eine Rolle. Den Ehevertrag.
Der Gesandte verneigte sich leicht. Gerade genug, dass es nicht vollends unhöflich wirkte. „Inagoromehme, seid gegrüßt im Namen der Grauen Schluchten”, sagte er mit einer überraschend starken, weittragenden Stimme. „Ich bringe Euch, wie vereinbart, zwei Töchter Drakburs, des Herrn der Grauen Schluchten, dass Ihr unter ihnen Eure Erste Gemahlin und Eure Zweite Gemahlin wählt.” Er entrollte die Schriftrolle und hielt sie so, dass Inagoro sie lesen konnte. „Wie Ihr seht, ist der Vertrag ordnungsgemäß von meinem Herrn unterzeichnet worden. Unser Angebot gilt wie besprochen.”
Normalerweise hätte jetzt sein Vater den Ehevertrag unterschrieben. Aber der lebte nicht mehr. Schweigend griff Inagoro nach dem Pinsel, den der Hofmarschall ihm reichte, und setzte schwungvoll sein Namenszeichen auf das Papier.
Der Gesandte des Herrn der Grauen Schluchten lächelte kaum wahrnehmbar. Ein geringschätziges, leicht spöttisches Lächeln, wie Inagoro zu sehen meinte. Ein zweiter Schweißtropfen rann ihm in den Nacken. Auf was hatte er sich da bloß eingelassen?
Der Mann stieg die Treppe wieder herab, trat zu der ersten Sänfte und schob den Vorhang zur Seite. Die Frau darin nahm seine Hand und ließ sich heraushelfen. Ein weiter silberner Umhang hüllte sie ein, und ein Perlennetz verbarg ihr Gesicht. Als sie sich aufrichtete, sog Inagoro scharf die Luft ein. Die Frau war mindestens einen Kopf größer als er. Hatten die Grauen Schluchten etwa nur Riesen aufzubieten?
Der Führer des Brautzuges trat zu der zweiten Sänfte. Auch hier die gleiche Prozedur. Den Göttern sei Dank! Diese Frau wenigstens schien von normaler Größe zu sein. Damit war die Frage der ersten Gemahlin so gut wie entschieden.
Noch nie war ihm der Weg in den Sommerharem so lang vorgekommen. Seine beiden Gemahlinnen schritten in gebührendem Abstand hinter ihm, zudem bewacht von einem Dutzend der besten, zuverlässigsten Palastwachen. Und dennoch hatte Inagoro ständig das Gefühl, dass ihm Gefahr im Nacken lauerte. Bei den Göttern, so hatte er sich seine Heirat wirklich nicht vorgestellt. Einen flüchtigen Moment wanderten seine Gedanken zu seiner Mutter. Hatte Sirit sich ähnlich gefühlt, als man sie an den Thronfolger der Erbfeinde Tolors verheiratete? Er lauschte, aber er hörte nichts außer den Tritten der weichen Sandalen hinter sich. Kein Laut. Seine Gemahlinnen redeten nicht.
Dann hatten sie das Brautgemach erreicht. Ein frisch dekorierter Pavillon in den grünblauen Farben der Grauen Schluchten. Triste, uninteressante Farben. Seine Mutter hatte es so gewünscht. Inagoro war nicht ganz klar, warum, aber er hatte längst gelernt, seine Mutter nicht um Erklärungen zu bitten.
Der Raum war, bis auf das breite, einladende Bett, nicht möbliert, dafür aber über und über mit Blumengirlanden geschmückt, deren schwerer, sinnlicher Duft die Luft erfüllte. Neben dem Bett wartete ein kleines Tablett mit einer Weinkaraffe und einigen Gläsern. Die Fresken an den Wänden und an der Decke zeigten eindeutig, was hier erwartet wurde.
Inagoro trat in die Mitte des Raumes und drehte sich zu seinen Gemahlinnen um.
Die größere Frau schon die kleinere, die auf der Schwelle zu zögern schien, förmlich in den Raum hinein. Hinter den Frauen fiel der Seidenvorhang zu. Die Wachen würden vor dem Pavillon warten, so, wie Inagoro es angeordnet hatte. Solange, bis sichergestellt war, dass er die Ehe vollzogen und den Pavillon lebend wieder verlassen hatte. Inagoro war nicht geneigt, seinen beiden frisch angetrauten Gemahlinnen zu vertrauen.
Die beiden standen starr und schweigend vor ihm. Offensichtlich erwarteten sie, dass er die Initiative ergriff. Gut, also hatten sie zumindest eine brauchbare Erziehung genossen.
„Wir sind verheiratet“, begann er. „Und wir sind im Sommerharem. Hier brauchen meine Gattinnen sich nicht zu verbergen. Hier ist Euer Reich.“ Er trat zu der Kleineren und nahm ihr behutsam den Schleier ab. Die junge Frau, die er erblickte, war fast noch ein Kind, vermutlich jünger als er selbst. Ein weiches, rundes Gesicht mit großen, dunklen Antilopenaugen, weiche, geschwundene Wimpern, runde Wangen, auf denen die rot-goldene Brautbemalung sanfte Linien wob, volle, jetzt zitternde Lippen, hinter denen kleine, sehr weiße Zähne sichtbar wurden. Sie sah ihn nicht an.
Inagoro legte ihr sanft beide Hände auf die Schultern. „Ich habe Euch zu meiner Ersten Gemahlin erwählt“, sagte er. „Ihr werdet hier im Sommerharem herrschen, Ihr werdet den Erben meines Thrones gebären, Ihr werdet dem Namen meines Hauses Ehre bringen.“
Das Zittern erfasste jetzt ihren ganzen Körper, wie er spürte. Hatte sie nicht damit gerechnet? Hatte sie gedacht, dass ihre große Schwester die Erste Gemahlin werden würde?
Inagoro drehte sich zu der anderen Frau um. Einen Moment zögerte er. Wie sollte er mit dieser Riesin umgehen?
Die Frau nahm ihm die Entscheidung ab. Rasch und formlos zog sie ihren Schleier weg. „Da meine Schwester bereits als Erste Gemahlin ausgewählt wurde, können wir uns vermutlich kurz fassen“, sagte sie.
Schwestern?
Inagoro starrte die Frau entgeistert an. Sie war … alt. Alt genug, um die Mutter seiner frisch erworbenen Ersten Gemahlin zu sein. Scharf geschnittene Gesichtszüge, braungebrannt in der Salzluft der Küste. Muskeln, die nicht aussahen, als ob sie zum Sticken benutzt wurden. Hände, vernarbt und rau, die jetzt den Schleier zu einem Strick zusammendrehten. Einem Strick, der unangenehm lang und fest aussah. Scharfe, durchdringende Augen, die ihn zusammengekniffen musterten. Und ein schmaler Mund, dessen Worte so zusammengekniffen waren wie ihre Augen. „Euch scheint nicht zu gefallen, was Ihr seht, junger Gemahl.“
Inagoro wich zur Wand zurück. Würden die Wachen rechtzeitig kommen, wenn er sie rief?
Ein spöttisches Lächeln erschien auf dem Gesicht der Frau. „Keine Angst, junger Gemahl. Unser Vater hat uns zwar aufgetragen, Euch bei passender Gelegenheit umzubringen, aber zuerst braucht er einen Thronerben aus seinem Blut. Darüber hinaus töte ich prinzipiell keine Kinder. Ihr dürft Euch also zunächst noch sicher fühlen.“
Inagoro stieg das Blut in den Kopf. Er hörte den Pulsschlag in seinen Ohren hämmern. Deutlicher hätte der Herr der grauen Schluchten nicht zeigen können, was er von den Mehme hielt.
Sein Vater hätte diese beiden Frauen sofort getötet. Sein Großvater auch. Inagoro hatte nicht übel Lust, es ihnen gleichzutun. Wenn da nicht die Priester und ihr verdammtes Orakel gewesen wären, die irgendwie diese missratenen Ehen für nötig hielten. Und wenn Inagoro nicht aus den spärlichen Erzählungen seiner Mutter eines ganz sicher gelernt hätte: Es hatte keinen Zweck, sich gegen die Entscheidungen der Götter aufzulehnen. So oder so bekamen sie ihren Willen.
„Zieht Euch aus!“, presste er hervor. „Und dann zeigt Euch so, dass ich Euch von allen Seiten sehen kann.“
Die Augenbrauen der älteren Frau rutschen hoch. „Ihr befürchtet, dass wir Waffen tragen?“ Sie bog spielerisch den improvisierten Strick. „Ich denke nicht, dass das nötig wäre.“ Sie legte den Strick zur Seite und schob das weite Obergewand von ihren Schultern. „Wollt Ihr nicht vielleicht wenigstens wissen, wie wir heißen, bevor Ihr uns in Euer Bett nehmt?“
Inagoro wäre am liebsten aus dem Zimmer gerannt. Aber das kam überhaupt nicht infrage. Der ganze Hofstaat lauerte darauf, dass er diese Ehe vollzog. „Dann sagt mir schon Eure Namen!“, zischte er.
Die Frau ließ gerade das erste Untergewand fallen. „Mein Name ist Kaleka. Und meine kleine Schwester heißt Kikina.“
Auch ihr zweites Untergewand fiel. Sie drehte sich wie befohlen. In den Strahlen der Sonne, die durch das geschnitzte Fenstergitter in das Brautgemach fielen, glänzten harte Muskeln. Dann trat sie zu der Jüngeren, die sich nicht gerührt hatte. Langsam und liebevoll begann sie ihre Schwester zu entkleiden. Als auch Kikina nackt war, nickte sie ihr zu und berührte sie sanft an der Wange. „Nun dreh dich, kleine Möwe. Zeig unserem Gemahl, dass du ohne Waffen zu ihm kommst. Und keine Angst, ich werde aufpassen, dass er dir nicht weh tut.“
„Weh tut?“, brauste Inagoro auf. „Was denkt Ihr eigentlich von mir? Ich bin doch kein Barbar!“
„Mag sein“, gab Kaleka ungerührt zurück. „Aber Euer Vater war ganz sicher einer. Ihr könntet ja nach ihm schlagen.“
Inagoro stöhnte entnervt auf. Das auch noch! Warum mussten ihn die Götter mit dieser beleidigenden Frau schlagen? „Ich … bin . .. nicht … mein … Vater!“
„Fein. Nachdem wir das geklärt haben, könnten wir alle unsere Pflichten erfüllen.“ Kaleka gab ihrer Schwester einen Klaps. Gehorsam begann die junge Frau, sich zu drehen. Natürlich trug sie keine Waffe am Leib. Inagoro kam sich vor wie ein Trottel. Und wie sollte es jetzt weitergehen?
Kaleka nahm ihm die Entscheidung ab. Sie kam zu ihm, nahm seine Hand und zog ihn zum Bett. „Ich bin die Ältere, also ist es angemessen, dass Ihr mit mir beginnt.“
Kaleka war nicht nur die Ältere. Sie war auch mit absoluter Sicherheit keine Jungfrau mehr. Nicht, dass Inagoro das überhaupt noch erwartet hätte. Aber wäre nur diese Frau zu ihm geschickt worden, dann hätte er das als Beleidigung und offene Kriegserklärung des Herrn der Grauen Schluchten werten müssen.
Immerhin war sie geschickt wie die Sklavinnen, die ihn bislang in den Nächten verwöhnt hatten. Schon nach wenigen Berührungen dachte er nicht mehr an den Herrn der Grauen Schluchten. Er dachte überhaupt nichts mehr. Und als sie mit ihm fertig war, war er müde und erschöpft genug, um ihre jüngere Schwester nur noch in einem sanften, fast traumartigen Nachspiel zu beglücken, bevor er endgültig einschlief.
Es war das erste und zugleich einzige Mal, dass er Kaleka beiwohnte. In den Nächten danach verzichtete Kikina auf den Schutz ihrer älteren Schwester. Und kaum einen Mond später war sie schwanger. Inagoro war maßlos erleichtert, dass er fortan den Sommerharem weitgehend meiden konnte.