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Drachenbrut

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Endlich Frühling. König Patta war sich nicht sicher, wann er das letzte Mal dermaßen erfreut über Tauwetter gewesen war. Frühling, das bedeutete, dass die Frostgeister sich in die Höhenlagen zurückzogen. Dass die Bergbauern die Almwiesen wieder nutzen konnten. Frühling bedeutete auch, dass es nicht mehr lange dauern würde bis zur Geburt der ersten Drachenjungen.

Die Drachenherren selbst hatten sich den ganzen Winter nicht wieder in Tolor blicken lassen. Was immer er bislang von den karapakischen Zauberern gedacht hatte, Patta war bereit, zuzugeben, dass zumindest diese beiden hier, Jo und Fü, wirklich alles in ihrer Macht stehende getan hatten, um die Frostgeister aufzuhalten. Abgekämpft sahen sie aus. Jo war hager geworden. Scharfe Linien hatten sich in sein Gesicht gegraben. Fü wirkte erschöpft und ausgelaugt, gleichzeitig ein wenig traurig. Und so sehr sie ein Kind zu sein schien, ihre Augen erzählten etwas anderes.

Tolor schuldete diesen beiden Zauberern etwas. Patta war sich nur noch nicht sicher, wie er diese Schuld zurückzahlen konnte. Vorerst behielt er sie erst einmal als seine persönlichen Gäste im königlichen Palast, in dem praktischerweise auch gleich alle Frauen untergebracht waren, die Drachenbrut in sich trugen.

Ein wenig unheimlich war es ja schon, wie schnell diese Brut wuchs. Nach dem, was die Hebammen und Zauberin Fü sagten, würde die Drachenbrut volle zwei Monde früher geboren werden als ein Menschenbaby. Patta hatte keine Einwände. So würden sie lange genug vor dem nächsten Winter geboren werden, um im Sommer zu einer sehr kampftüchtigen Größe heranzuwachsen, und alles, wirklich alles, was Frostgeister aufhalten konnte, brauchte Tolor verzweifelt.

Noch aber waren die beiden jungen Zauberer seine größte Sorge. Hoffentlich kamen sie nicht auf die Idee, wieder nach Karapak zurückzukehren. Pattas Geheimkorrespondenz mit Sirit hatte mehr als einen Hinweis seitens der Königinmutter enthalten, dass die Kristallkammer keineswegs einverstanden war mit dieser unbezahlten Hilfe für Tolor.

*

Großmeister Ro schrieb erneut einen Brief nach Tolor. Dieses Mal hochoffiziell. Wenn dieser wohlmeinende Idiot Jo nicht von alleine auf die Idee kam, dass er in die Kristallkammer zurückkehren musste, würde er ihn daran erinnern. Ro konnte nicht tolerieren, dass dieser noch nicht einmal fertig ausgebildete Zauberer zusammen mit einer bloßen Adeptin Tolor sozusagen im Alleingang und außerhalb seiner Einflusssphäre rettete. Zumal Jo damit auch so ziemlich alle Regeln gebrochen hatte, die die Zauberer in den letzten achthundert Jahren für den Verkehr mit bloßen Menschen aufgestellt hatten. Wenn das Schule machte, bekam die Kristallkammer womöglich den nächsten Aufstand. Oder, schlimmer noch, die Leute würden irgendwann erwarten, dass die Kristallkammer nur noch gratis für sie arbeitete. Das ging auf keinen Fall. Ro sah seine Spiegel dank der Frostgeisterplage schon jetzt schneller schwinden, als ihm lieb war.

erwarte ich daher, dass du unverzüglich zurückkehrst, um deine unterbrochene Ausbildung wieder aufzunehmen und endlich ordnungsgemäß zu beenden. Adeptin Fü hat sich ebenfalls hier einzufinden, widrigenfalls werde ich sie nur noch als Spiegelmaterial betrachten.

Ja, das klang deutlich genug. Nur wusste Ro verdammt gut, dass er auf Jos freiwillige Kooperation angewiesen war. Was konnte er schon machen, wenn der Junge ihm den Gehorsam verweigerte? Nichts. Zumindest zunächst.

Jos Antwort kam umgehend. Ro starrte düster auf die Zeilen. Es war wie befürchtet. Der Junge gehorchte nicht. Schrieb, er müsse Feuerbälle auf Vorrat arbeiten für den nächsten Winter, und zudem benötige Tolor Hilfe bei den ersten Drachenbruten, weswegen es auch für Adeptin Fü unmöglich sei, Ros Aufforderung Folge zu leisten. Er habe einfach keine andere Möglichkeit, seine Ehrenschuld gegenüber Tolor habe Vorrang vor seiner Ausbildung.

Ehrenschuld? Was für eine Ehrenschuld?

Was gab es da noch alles, was dieser Jo nicht für nötig gehalten hatte, ihm zu erzählen?

Aber wenigstens hatte Ro jetzt eine Begründung für diese zuvor so unverständliche Gratis-Hilfe. Eine Ehrenschuld, das war etwas, was selbst der dümmste Bauer im hinterletzten Dorf Karapaks verstehen würde. Ehrenschulden mussten bezahlt werden. Ohne Ausnahme. Selbst von Zauberern.

*

Unbemerkt von Großmeister Ro hatte ein zweiter Brief die Kristallkammer in Richtung Tolor verlassen. Dieser Brief, der auf den ersten Blick nur ein paar höfliche Nachfragen nach dem Stand der Dinge enthielt, trug eine magiegeschützte zweite Botschaft in sich. Zeilen, die erst sichtbar wurden, als Fü den Brief persönlich öffnete. Ihrer Mentorin Pi bat um ein informelles Treffen. In einem kleinen, unscheinbaren Gasthaus nahe der Zollstation zwischen Karapak und Tolor am Hufeisenpass. Unter dem Mantel völliger Verschwiegenheit.

Pi wartete geduldig mit einem Krug lauwarmen Bieres. Außenstehende würden nur den Zauber sehen, den sie über sich gelegt hatte, eine abgearbeitete mittelalte, nichtssagend aussehende Händlerin mit einem kümmerlichen Sortiment an Tontöpfen in einer Kiepe.

Fü war pünktlich. Auch sie kam getarnt, als jene weder explizit weibliche noch männliche graue Gestalt, die so gut wie kein merkfähiges Detail zeigte, ganz so, wie sie es von Pi gelernt hatte. Die Zauberin war zufrieden. Fü war eine gute Schülerin.

Ein wenig größer war das Mädchen geworden, und so, wie sie sich bewegte, musste sie ein paar Muskeln entwickelt haben. Das war zu erwarten gewesen, nachdem die Kleine sich fast ein ganzes Jahr in den Bergen bewegt hatte.

Noch etwas hatte sich geändert, und Pi schaute zweimal hin, bevor sie glaubte, was sie sah. Füs Signatur war drastisch stärker geworden. Stark genug für einen voll ausgebildeten Zauberer. Aber genau das war Fü noch lange nicht! Pi wusste nicht, was sie davon halten sollte, aber eines wusste sie ganz sicher.

„Du darfst vorerst nicht nach Sawateenatari zurückkommen.“

Fü musterte sie verblüfft. „Das hatte ich doch ohnehin nicht vor.“

„Ich weiß.“ Pi seufzte. „Aber Ro hat bereits einen Versuch gestartet, dich und Jo zurückzubeordern. Denkt euch Ausreden aus, schiebt Verpflichtungen vor, was auch immer, aber kommt auf keinen Fall jetzt zurück.“

„Warum nicht?“

„Weil ihr eine Entwicklung begonnen habt, die außerhalb von Ros Kontrolle liegt. Und weil unser verehrter Großmeister dafür am Ende nur eine einzige Lösung kennt. Spiegel.“

Einen Moment erzitterte nicht nur das junge Mädchen, sondern auch ihre Illusion. Dann stabilisierte sie sich wieder.

„Übrigens wäre da noch etwas.“

Fü sah sie nur wartend an.

„Diese Drachenbrut in Tolor. Du wirst die schlüpfenden Larven beruhigen können, stärker als die Kräuter der Hebammen. Kümmere dich um sie, damit ihre Mütter überleben. Und danach … kümmere dich um die Mütter. Jene unter ihnen, die nach der Drachenbrut noch gebären können, menschliche Kinder gebären können, werden zukünftige Zauberer zur Welt bringen. Zauberer, die Tolor gehören, und die Tolor dringend braucht. Pass auf sie auf, lehre sie, was immer sie wissen müssen, denn außer dir und Jo kann das in Tolor niemand.“

„Und wenn wir nicht hier wären?“

„Dann würde die Kristallkammer diese Kinder für sich fordern. Und Ro würde kein Risiko eingehen. Die Kinder wären schneller Spiegel, als du dir vorstellen kannst. Ro mag keine potentielle Konkurrenz.“

Eine Weile schwiegen beide. Pi nahm einen Schluck von dem Bier. Es schmeckte nicht.

Dann fragte Fü leise: „Meisterin Pi, warum sagt Ihr mir all das? Warum schützt Ihr mich und jene Ungeborenen in Tolor? Würde der Großmeister Euer Verhalten nicht als Verrat ansehen?“

„Ro hat mich zuerst verraten.“ Pi erhob sich. Es gab Dinge, über die sie nicht zu reden bereit war.

Außerdem war ihre Mission hier beendet.

*

Die Drachenbrut würde ziemlich früh in diesem Sommer schlüpfen. Nach Pis Instruktionen wusste Fü jetzt mit Sicherheit, dass ihre Mitarbeit bei den Hebammen bitter nötig sein würde. Vermutlich würde sogar Jo helfen müssen. Fü war sich bloß noch nicht sicher, wie sie den tolorischen Frauen beibringen sollte, dass bei diesen speziellen Geburten tatsächlich auch ein Mann anwesend sein musste.

Die erste Geburt war ein Schock. Trotz aller Warnungen, trotz aller Berichte aus Kirsitan waren weder die Hebammen, noch die Frauen, noch die beiden Zauberer wirklich vorbereitet auf das, was da schlüpfte. Die Gebärende brüllte ihren Schmerz hinaus und war von den vier Frauen, die sie festhielten, kaum zu halten. Ihr geschwollener Leib beulte sich aus in einer Weise, die kein menschliches Kind geschafft hätte, und sie blutete schon vor Beginn der Geburt stark. Die Hebammen halfen pressen, verabreichten ihr den bitteren Tee, der das Wesen in ihrem Leib ruhigstellen sollte, und sprachen ihr Mut zu. Fü griff mit ihren Gedanken nach dem Ungeborenen. Zu ihrer Verblüffung bekam sie einen aktiven Kontakt. Was immer in diesem Bauch steckte, hatte bereits ein waches Bewusstsein, auch wenn es kaum mehr als Gefühle und Eindrücke vermitteln konnte. Fü zeigte dem Wesen, was seine Bewegungen anrichteten. Es reagierte umgehend und wurde ruhig, fast reglos, während sein Bewusstsein eine Frage bildete, ein diffuses, erstauntes Warum.

Weil die, die dich austrägt, ein denkendes Wesen ist wie du.

Erstaunen, Zweifel, wieder Fragen.

Sie ist von einer anderen Art als du.

Eine drängendere Frage, Suche nach Bestätigung.

Nein, ich bin nicht von deiner Art. Oder nur ein winziges bisschen. Aber ich kenne deinen Erzeuger, und ich weiß, was du bist. Besser, was du sein wirst.

Zögern, erneut Zweifel, dann Entschlossenheit.

Der Rest der Geburt verlief erträglich, auch wenn das Wesen durch seine Höcker weitere starke Blutungen verursachte. Zusammen mit den Hebammen gelang es Fü, das Schlimmste zu verhindern. Die Frau blieb am Leben.

Das Wesen, das seine Mutter fast getötet hätte, konnte beim besten Willen nicht als Mensch bezeichnet werden. Allerdings auch nicht als Drachen. König Patta musste sich zusammenreißen, um seine Abscheu nicht offen zu zeigen. Die fette, mit spitzen Höckern besetzte Made krümmte sich vor ihm auf dem Boden, bewegte das, was vermutlich ihr vorderes Ende war, sacht hin und her und wedelte mit einem Stummelärmchen, das mitten aus dem unförmigen Leib wuchs. Fü legte dem Wesen ein totes Entenküken hin. Patta schluckte, als sich am Vorderende ein Rachen öffnete, der fast über die gesamte Breite des Wesens ging und zwei Reihen dicht stehender, nadelspitzer Zähne zeigte. Das Entenküken verschwand in einem Stück.

„Zum Winter sind sie größer und stärker, wenn wir sie gut füttern“, sagte Fü. „Dann können sie so schnell springen, wie ein Pferd galoppiert. Und Frostgeister verschlingen sie dann noch schneller als dieses Küken.“

Patta dachte an Eishaar. War der etwa auch einmal so eine Missgeburt gewesen? Eines war sicher. Hätte er nicht genau gewusst, was er da vor sich hatte, er hätte Befehl gegeben, dieses scheußliche Neugeborene und alle ihm folgenden zu töten, sie vom Erdboden zu vertilgen. So aber … Tolor konnte es sich nicht leisten, auf irgendwelche Hilfe zu verzichten. Egal, wie hässlich sie einher kam.

Außerdem war da immer noch die Aussicht auf zukünftige eigene Zauberer.

Die weitere Drachenbrut wurde in kurzen Abständen geboren, in einem Zeitraum von nur wenigen Tagen, als ob ein Signal sie alle zur Geburt rief. Ohne Jos Hilfe wäre das schiefgegangen. Alleine hätte Fü kaum ein Drittel der Frauen betreuen können, und unter den restlichen hätte es mit Sicherheit Tote gegeben. Auch wenn sich die Hebammen zunächst heftig gegen die Einmischung eines Mannes in ihre Arbeit gesträubt hatten, überzeugte sie das Ergebnis. Alle Frauen überlebten, etliche so wenig verletzt, dass die Hebammen ihnen die Möglichkeit weiterer Kinder versprechen konnten.

König Patta sorgte diskret dafür, dass die Ehemänner dieser Frauen schnellstmöglich wieder mit ihren Gattinnen zusammenlebten, unter seiner Aufsicht, in seinem Schloss, verstand sich. Und dass jene Frauen, die zurzeit keinen Ehemann hatten, willige Bettpartner fanden. Kaum zwei Monde nach der Geburt der Hornstachler wusste Patta mit Sicherheit, dass Tolor im kommenden Jahr einige potentielle Zauberer bekommen würde.

Und die würden sie brauchen. Weder Eishaar noch ein anderer Drachenherr hatte sich in Tolor wieder blicken lassen.

*

Pi hatte Recht gehabt. Die Drachenbrut reagierte auf sie. Fü war mehr als froh, zur Abwechslung mal für Leben und nicht für Tod zu sorgen. Und auch wenn die jungen Hornstachler abgrundtief hässlich waren, ihre Gedanken fühlten sich warm und weich an, und im Gegensatz zu menschlichen Kindern konnte Fü sie in den Arm nehmen, ohne ihnen dabei versehentlich Lebenskraft zu rauben. Fü genoss es, sich uneingeschränkt kümmern zu dürfen.

Die Mütter hatten auch absolut nichts dagegen, dass die junge Zauberin bei der Versorgung der Drachenbrut mithalf. Einige waren dermaßen entsetzt über das, was sie geboren hatten, dass sie ihre Kinder kaum ansehen mochten. Zwei der Frauen flohen sogar aus dem Palast.

Danach kümmerte sich Fü auch um die Mütter, hörte sich ihre Sorgen und Ängste an und schaffte es, sie wieder zu stabilisieren.

Allerdings gab es jetzt ein anderes Problem, wie Fü und Jo König Patta schonend beibrachten. Die Hornstachler würden nur einen einzigen Winter als Hilfe zur Verfügung stehen. Bei so vielen Frostgeistern würden sie danach so gut im Futter stehen, dass sie sich bereits im zeitigen Frühjahr in die Hochtäler absetzen konnten, um sich dort zu verpuppen. Wenn also keiner der Drachenherren in diesem Jahr nach Tolor zurückkehrte und für neuen Nachwuchs sorgte, würde Tolor im folgenden Jahr diese zusätzliche Unterstützung nicht mehr haben.

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