Читать книгу Feuerwind - Chris Svartbeck - Страница 6

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Inana

„Du verwöhnst deine Söhne!“

Taephe drehte sich um. „Ist das schlimm?“ Die Frau vor ihr war mindestens doppelt so alt wie sie und unübersehbar schwanger. Vermutlich im letzten Mond.

„In Karapak vielleicht nicht. Aber die Männer sind schwach und zerbrechlich. Wenn du deine Söhne derart verwöhnst, werden sie in den Bergen nicht lange leben, sobald sie deinen Schutz verlassen.“ Die Frau lächelte, um die Schärfe ihrer Worte zu mildern. „Ich bin übrigens Inana, vom Steinweidenclan.“

Taephe erwiderte das Lächeln. „Dann zeige mir, wie ich meine Söhne behandeln muss, damit sie auch in den Bergen überlegen.“

Inanas Lächeln wurde breiter. „Gerne – wenn du mir dafür etwas über die Ebenen erzählst. Ich wollte immer einmal dorthin reisen, habe es aber nie geschafft, Und jetzt sind meine zwei Schwestern nach Karapak gegangen. Erzähl mir, wie sie dort leben werden.“

Inana war lustig. Ihr Lachen steckte an. Taephe fand, dass ihr diese Gesellschaft gut tat. Sie kam auf andere Gedanken, wenn sie mit Inana zusammen war.

Umgekehrt hörte die ältere Inana ihr zu, wenn Taephe von Zuhause erzählte. Zuhause, das war für sie, zu ihrem eigenen Erstaunen, immer noch der königliche Palast in Sawateenatari.

„Du vermisst deinen Bruder.” Es war eine Feststellung, keine Frage.

Taephe senkte bejahend die Hand. „Es ist … nicht üblich. Eine Frau verlässt bei ihrer Heirat die Sippe ihres Vaters und gehört von da an zur Sippe ihres Gatten.” Sie zögerte. „Es ist auch nicht üblich, dass Brüder und Schwestern miteinander reden. Nur, in unserem Falle war niemand sonst da. Alle unsere anderen Geschwister und Halbgeschwister waren tot.”

„Weil dein Vater sie getötet hat.”

Taephe nickte nur.

Inana schauderte sichtlich. „Ein Vater, der seine eigenen Kinder umbringt? Sogar die Töchter? Karapak muss ein fürchterliches Land sein.”

„Genau dasselbe sagen sie bei uns über Kirsitan. Wilde in den Bergen, die sich von Frauen regieren lassen und die Köpfe ihrer karapakischen Opfer am Wegrand stapeln, anstatt sie ehrenhaft zu verbrennen.”

„Oh, normalerweise verbrennen wir sie schon.” Inana nagte an ihrer Unterlippe. „Aber wir haben festgestellt, dass diese Totenköpfe ein besserer Schutz für unsere Grenzen sind als noch so viele Bewaffnete.”

„Ihr lasst euch von Geistern schützen?”

„Es gibt Schlimmeres als Geister. Geister versklaven keine Kinder. Geister vergewaltigen keine Frauen.” Inanas zögerliches Lächeln versuchte, ihren Worten die Schärfe zu nehmen.

Taephe seufzte. „Vermutlich hast du Recht.” Mit einer zornigen Geste wischte sie sich eine unbotmäßige Träne weg. „Aber ich vermisse meinen Bruder trotzdem.”

Inana rückte zu ihr und umarmte sie. „Du darfst ruhig weinen”, sagte sie. „Bei uns wird keiner dich wegen ein paar Tränen missachten.” Sie strich der jüngeren Frau sanft über das Haar. „Taephe, dein Bruder wird niemals hierher kommen können. Erlaube mir, stattdessen deine Schwester zu sein.”

So kam es, dass Taephe Marles Gästebank verließ und in Inanas Sippenhaus zog. Sehr zur Freude von Ortege, der sich sofort Inanas jüngstem Sohn Prui anschloss und ihm auf Schritt und Tritt folgte. Der elfjährige Prui ließ den Kleinen gutmütig gewähren.

Taephe lernte, dass eine karapakische Burgherrin und eine kirsitanische Sippenfrau tatsächlich engste Freundinnen werden konnten. Freundinnen genug, dass Inana ihr anvertraute, dass sie Drachenbrut in sich trug. Und dass sie Angst hatte vor der Geburt.

Taephe war zu betroffen, um darauf zu antworten.

Inana musste wohl ahnen, was Taephe bewegte, denn sie lächelte, wenn auch etwas verzerrt. „Ich weiß, dass längst nicht alle Frauen die Drachenbrut überleben. Und dass wir uns nicht mehr auf den Schutz der Hornstachler verlassen können. Es mag also durchaus sein, dass ich mein Leben umsonst opfere. Aber meine Mutter hat mir immer gesagt, wir Menschen hoffen, solange wir leben, und wir leben, solange wir hoffen. Was sonst könnte ich Besseres tun, um meinen Kindern eine Chance zu geben, dass die Drachenberge ihre Heimat bleiben können?“

Taephe schluckte. Dann dachte sie an ihre Söhne. Und sie stellte fest, dass sie an Inanas Stelle genauso gehandelt und gedacht hätte.

*

Beim Schafe füttern spürte Inana die ersten Wehen. Sie redete erst darüber, als die Arbeit getan war. Taephe sorgte umgehend dafür, dass eine der Hebammen kam, die Erfahrung mit Drachenbrut hatte. Sie hielt Inanas Hand, als diese trotz des betäubenden Tranks ihre Schmerzen hinausbrüllte. Und sie sah mit fasziniertem Grauen das merkwürdige Raupenwesen, das aus Inana geschlüpft war und nun als seine erste Mahlzeit seine eigene Plazenta verschlang.

Inana überlebte, wenn auch sehr geschwächt von dem Blutverlust. Taephe übernahm es für ihre Freundin, den Hornstachler zu füttern. Das Tier – war es wirklich ein Tier? – schien sie zu erkennen. Bereits am zweiten Tag robbte es jedes Mal zu der Mauer, wenn Taephe in Sicht kam. Einmal hatte sie nichts zu Essen dabei. So blieb sie nur eine Weile stehen und redete mit dem Wesen. Es sah fast so aus, als ob es zuhörte.

Der vierte Tag kam. Der gut gefütterte Hornstachler hatte seine Größe fast verdoppelt. Taephe sah zu, wie er mit Appetit ein Huhn verspeiste. Wie merkwürdig! Trotz seiner Hässlichkeit verspürte sie ein Gefühl von Bedauern darüber, dass auch dieser Hornstachler vermutlich bereits am nächsten Tag in die Berge aufbrechen würde.

Am fünften Tag nahm sie zwar einen Brotfladen mit, rechnete aber nicht wirklich damit, das Wesen noch in dem Pferch vorzufinden. Zu ihrem größten Erstaunen wartete es wieder an der Mauer. Sie fütterte es. Es fraß den Brotfladen sanft aus ihrer Hand, ohne ihr auch nur einen Kratzer zu versetzen.

Marle entging das natürlich nicht. Sie wartete gespannt.

Auch am sechsten Tag war der Hornstachler noch da. Marle ging zu dem Pferch und beobachtete ihn. Vielleicht gab es ja doch neue Hoffnung.

Aber der nächste Hornstachler, der in den Pferch gesetzt wurde, machte sich nach drei Tagen auf in die Berge. Auch der übernächste. Nur der, den Taephe fütterte, blieb.

In dem Sippenhaus, in dem Taephe jetzt lebte, wurde ein zweiter Hornstachler geboren. Auch der blieb. Nur er, und sein älterer Bruder, Inanas Kind. Alle anderen wanderten fort.

Marle erkannte das Muster. Grau hatte Shioge Schutz für seine Familie versprochen. Der Drachenherr hielt sein Versprechen durch seine Kinder. Aber der Rest von Kirsitan blieb auf sich alleine gestellt.

Es war eine Erlösung, als endlich Antwort aus Tolor eintraf. König Patta war mit einer Übersiedlung einverstanden, solange die kirsitanischen Sippen in Nord-Tolor in den von Toloriern geräumten Ortschaften blieben. Sie konnten die Weiden, die Vorratshäuser und alle sonstigen Gebäude nutzen, die leer standen. Und sie würden von den Patrouillen und den Zauberern Hilfe gegen die Frostgeister bekommen. Mehr versprach Patta nicht. Auch nicht, wie viel Hilfe sie erwarten duften. Seine eigene Bevölkerung hatte immer noch Vorrang.

Marle reichte es. Eine Chance, egal wie klein, war besser als gar keine Chance. Sie begann ihr Volk gen Süden zu schicken.

Einige wollten nicht. Trotz der Forstgeistergefahr bestanden sie darauf, in Ganen zu bleiben. Die alte Betha sprach für sie. „Solange auch nur ein einziges Sippenhaus bewohnt bleibt, solange wird Kirsitan existieren. Solange werdet ihr einen Ort haben, an den ihr zurückkehren könnt.“

„Ihr seid viel zu wenige.“

Betha schüttelte den Kopf. „Du irrst, Duka. Es bleiben nicht nur etliche von uns hier. Es kommen auch noch viele aus Karapak zurück. Und sie sagen, dass sie ihre Heimat niemals wieder verlassen wollen.“

„Dann werden sie sterben.“

„Besser, wir sterben“, mischte sich ein Mann ein, „als dass wir als Geduldete oder sogar als Sklaven in einem anderen Land leben. Die Karapakier werden uns niemals erlauben, dort Kirsitaner zu bleiben.“

„Außerdem bin ich nicht so sicher, dass wir tatsächlich sterben werden“, nahm Betha den Faden wieder auf. „Immerhin gibt es ein Sippenhaus hier, das weiterhin unter dem Schutz der Drachenherren steht.“

Marle sah sich um. Taephe stand neben ihrer Freundin Inana. Sie ging zu ihr. „Heißt es das, was ich denke?“

Taephe schlug bejahend die Augenlider nieder. „Ich werde bleiben. Wenn ich weiter nach Süden gehe, werden meine Söhne vielleicht niemals ihr Erbe sehen. Wenn ich jetzt zurückgehe nach Karapak, werden sie es zwar sehen, aber mit Sicherheit dabei sterben. Also bleibe ich hier, an dem Ort dazwischen, der mir alle Möglichkeiten offenlässt.“

Betha war Marle nachgekommen. Sie sah der Duka gerade in die Augen. „Diejenigen, die bleiben wollen, werden zu Taephe und Inana in das Sippenhaus des Steinweidenclans ziehen. Wir werden das Haus entsprechend vergrößern. Wir werden es so bauen, dass wir es besser verteidigen können. Und wir werden es groß genug machen, dass Tiere und Vorräte unter dem gleichen Dach Platz finden.“

Marle nickte. „Der Plan klingt vernünftig.“ Sie ging zurück zum Feuer. „Hört mich, meine Schwestern! Ihr kennt Bethas Vorschlag, und ich heiße ihn gut. In einem halben Mond werden alle, die nach Tolor gehen wollen, Ganen verlassen. Wir müssen noch vor dem Einbruch des Winters dort sein. Auch ich werde Ganen verlassen. Aber Kirsitan braucht eine Duka. So will es unser Gesetz. Und da ich keine Töchter habe, und weil ich, genauso wie die vorherige Duka, meine Großmutter, Fehler gemacht habe, die mein Volk teuer zu stehen kamen, schlage ich vor, dass die neue Duka aus einer anderen Sippe gerufen wird. Ich schlage eine Frau vor, die überlegter handeln wird als ich. Eine Frau mit ausreichender Erfahrung. Betha soll eure neue Duka sein.“

Zwölf Tage später brachen die Bewohner von Ganen nach Tolor auf, Menschen Tiere, Hab und Gut. Eine lange Karawane schlängelte sich durch die Täler und über die Bergpässe. Die, die zurückblieben, sahen ihnen lange nach, bevor sie wieder an ihre Arbeit gingen.

„Haben wir richtig gehandelt, hierzubleiben?“, fragte Inana, als die Sippenfrauen abends um das gemeinsame Feuer saßen.

„Ich weiß es nicht“, sagte Taephe leise. „Aber immerhin haben wir Hoffnung. Und ein Versprechen.“

Du hast ein Versprechen. Wir nicht.“

„Dann bleibe ich solange, bis auch ihr ein Versprechen habt.“

Betha spuckte ins Feuer. Es zischte kurz. „Adoptivtochter Sirits, bist du dir im Klaren über das, was du da gerade gesagt hast? Wir haben jetzt ein Versprechen. Deines.“

Taephe korrigierte ihre Worte. „Ich bleibe solange, bis auch ihr sein Versprechen habt.“

In Betha gluckste ein Lachen auf. „Du lernst schnell, Frau aus der Ebene. Deine Ziehmutter hat dich anscheinend gut ausgebildet. Vielleicht hätte Marle nicht mich, sondern dich zur nächsten Duka machen sollen.“

Taephe schüttelte den Kopf. „Meine Söhne sind Karapakier. Wenn schon nicht für meine Ehre, dann schulde ich es auf jeden Fall ihrer Ehre, dafür zu sorgen, dass sie ihr Erbe eines Tages erhalten werden.“

Betha spuckte erneut ins Feuer. „Söhne, Töchter“, brummelte sie. „Das bedeutet nichts, so wenig wie die Ehre. Wichtig ist nur, dass sie unsere Kinder sind und dass wir versuchen, ihnen einen Platz zum Leben zu geben.“

Taephe schwieg und rückte enger an Inana heran.

Feuerwind

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