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HJ-Kampfverbände, Panzervernichtungstrupps und Werwölfe

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Nachdem nun alle Jugendlichen ab 16 Jahren innerhalb von Wehrmacht, Waffen-SS oder im Volkssturm kämpften, blieben im Frühjahr 1945 noch 14- und 15-jährige Hitlerjungen unbewaffnet. Viele von ihnen besaßen einen unbändigen Willen, endlich auch ihren Teil zur Verteidigung der Heimat beitragen zu dürfen und zu den Großen dazuzugehören. Diese kindliche Kampfmoral machten sich fanatische HJ-Führer oder NSDAP-Funktionäre zunutze. Bereits im Herbst 1944 hatte die Reichsjugendführung bestimmt, dass alle Jungen in Wehrertüchtigungslagern neben den gängigen Waffen auch an der Panzerfaust ausgebildet werden. Sie waren also häufig schon junge Panzerbrecher-Experten. Artur Axmann ließ bei der letzten HJ-Gebietsführertagung im März 1945 anordnen, aus allen Teilnehmern von Wehrertüchtigungslagern umgehend Panzervernichtungseinheiten zu bilden und die Ausbilder zu ihren Führern zu machen. Die HJ sollte dabei nur für die Rekruten sorgen, aber nicht über konkrete Modalitäten des militärischen Einsatzes bestimmen. So stand zwar immer die Panzerbekämpfung im Vordergrund, praktisch jedoch kämpften die Jungen je nach Bedarf in jeder infanteristischen Disziplin und an allen verfügbaren Waffen. Eine Kontrollinstanz gab es nicht mehr. Panzervernichtungseinheiten bildeten sich darüber hinaus aus RAD-Lagern, Adolf-Hitler-Schulen, Deutschen Heimschulen und Nationalsozialistischen Erziehungsanstalten. Die selbst ernannten Führer, nicht selten erfahrene und bewährte Frontkämpfer im Offiziers- oder Unteroffiziersrang, sammelten de facto alle Jugendlichen ein, die in einer Hitlerjugend- oder Luftwaffenhelfer-Uniform steckten und keiner erkennbaren Volkssturmeinheit angehörten. Häufig suchten sie in Flüchtlingstrecks nach neuen Rekruten und fanden dort in großer Zahl Jungen, die ihre Eltern und Familien verloren hatten. Die so zusammengefassten und oftmals im Schnellverfahren an der Panzerfaust geschulten Kämpfer sollten dem Sinne nach die Lücken der regulären Truppen schließen, wurden aber in den letzten Kriegswochen eigenständig eingesetzt, kämpften an der Seite von Wehrmachtseinheiten oder gingen eigenen Kommandos nach. Von diesen Kampfeinheiten existierten wahrscheinlich Hunderte Kleinstgruppen, die sich wiederum in größeren Formationen zusammenschließen konnten. Die stärksten Verbände kamen mit bis zu 3000 Kindersoldaten auf Brigadestärke. Da ihre vornehmlichen Aufgaben darin bestanden, feindliche Panzereinheiten zu bekämpfen, vergab man entsprechende, aber nicht einheitliche Namen, oftmals mit einem Zusatz HJ oder einer Angabe, die auf den Aufstellungsort oder den Namen ihres militärischen Führers schließen ließen. So tauchen in Berichten Bezeichnungen wie Panzervernichtungs-Ersatz-Brigade Hitlerjugend Voigt oder Panzervernichtungsbrigade südliche bayerische Ostmark auf. In kleineren Einheiten kämpften unter vielen anderen etwa das Panzer-Zerstörer-Bataillon Hitlerjugend Franken, das Jagd-Bataillon Hitlerjugend Braunschweig oder die Regimentsgruppe der Hitlerjugend Hirsch. Außer auf die Unterstellung einer Armee und die Teilnahme an einem größeren Unternehmen lässt sich heute kaum mehr auf konkrete Wege und Aufträge dieser Selbstmordkommandos schließen. Am Ende des Krieges fanden sich vor den Toren umkämpfter Orte an der gesamten Ostfront Minderjährige in HJ-Uniform, die von Panzern überrollt worden waren. Todesmutig hatten sie versucht, sich mit Panzerfäusten oder Haftminen unter feindliche Fahrzeuge zu legen, um diese von hinten auszuschalten. In aller Regel aber wurden die anfänglich enthusiastischen Jugendlichen nach den ersten tatsächlichen Kampfeinsätzen, den vielen toten Kameraden und traumatischen Erlebnissen desillusioniert. Doch ein Zurück gab es für sie dann nicht mehr.

Um entschlossene oder vermeintlich unerschrockene Jugendliche am Ende des Krieges bildeten sich unter den Alliierten auch zahlreiche Mythen. Immer wieder war von Werwölfen die Rede, die Terroranschläge auf Soldaten verüben würden. Tatsächlich existierte die militärisch und politisch-revolutionäre Institution Werwolf, die vermutlich im Herbst 1944 von Heinrich Himmler als Widerstandsorganisation ins Leben gerufen worden war und dazu bestimmt sein sollte, Kleinkriege durch Hinterhalte oder Überfälle zu führen. Das Oberkommando der Partisanentruppe, die ihr Hauptquartier auf Schloss Hülchrath in Grevenbroich hatte, aber von der man nicht als einer zentral und flächendeckend operierenden Organisation sprechen kann, oblag SS-Obergruppenführer Hans-Adolf Prützmann. Seine Kleinkriegseinheiten sollten auch möglichst klein gehalten werden, entsprechend bestand eine Jagdgruppe aus nur einem militärisch erfahrenen Führer und vier Jägern. Nur in schwach vom Feind besetzten Gelände oder bei sehr guten Unterschlupfmöglichkeiten sollten sich nach Vorstellungen ihrer Führer mehrere Jagdgruppen zu einem Jagdzug mit zehn bis vierzig Mann zusammenfinden, und in Ausnahmefällen mehrere Jagdzüge zu einem Streifzug. Die Bewaffnung der Jäger sollte leicht sein. Neben den für die Operationen unentbehrlichen Handgranaten und anderen Sprengkörpern wurden laut Schulungsmaterial Pistolen mit Schalldämpfern, Karabiner und Dolche für den einzelnen Jäger empfohlen, für einen Zug zusätzlich ein leichtes Maschinengewehr. Nach Möglichkeit sollten sich die Jäger in der Bekleidung von Bauern tarnen. Ausgebildet wurden die Werwölfe besonders in Gelände- und Kartenkunde, Straßensperrenbau, Tarnung und Nahkampf. In die Bedeutungen von erlernter Geheim- und Zeichensprache sollte die Bevölkerung des Operationsgebietes eingebunden werden. Bis Ende 1944 existierten wahrscheinlich bis zu 5000 Werwölfe, die sich aus HJ, SA und SS rekrutiert hatten. Die bekannteste Aktion, die dem Werwolf zugeschrieben wird, ist die Penzberger Mordnacht vom 28. April 1945, während der Partisanen der Gruppe Werwolf Oberbayern per Standgericht 16 Menschen töteten.

Insgesamt lässt sich aber nicht klar ausmachen, wie viele und welche Aktionen dem Werwolf zuzurechnen sind. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Kommandos, in die Hitlerjungen involviert wurden, aufgrund des nahenden Kriegsendes scheiterten.

Seine stärkste Wirkung auf den Feind entwickelte der Werwolf auch nicht durch tatsächlich ausgeführte Anschläge, sondern vielmehr durch Propaganda- und Legendenbildung, die auch Goebbels für sich nutzte, indem er am 1. April 1945 über den Radiosender Werwolf verkünden ließ, dass unter diesem Namen eine spontane Untergrundbewegung existiere, die Jagd auf alliierte Soldaten mache. Diese Kriegspropanda von den unaufhörlich kämpfenden und siegenden deutschen Kriegern erfasste sämtliche Kindersoldaten, wie sich in ihren nachfolgenden Erinnerungen zeigen wird.

Die verlorene Generation

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