Читать книгу Die verlorene Generation - Christian Hardinghaus - Страница 9

Kriegsfreiwillige und eine HJ-Panzer-Division

Оглавление

Die Jahresparole des Reichsjugendführers lautete für 1944 nicht ohne Grund Jahr der Kriegsfreiwilligen. Ursprünglich hatte das Wehrgesetz des nationalsozialistischen Staates die Wehrpflicht nicht für unter 18-Jährige vorgesehen. Doch die enormen Verluste durch den Totalen Krieg forderten nach stetig mehr und damit vor allem jüngeren Soldaten. Ende 1943, als die Wehrmachtsverluste bereits weit über vier Millionen Soldaten betrugen, wurden schon 17-Jährige verpflichtend eingezogen, ab 1945 dann sogar vereinzelt 16-Jährige. Vereinfacht wurde die Rekrutierung in jedem Falle durch das Heranziehen von sogenannten Kriegsfreiwilligen. Ab einem Alter von 17 Jahren konnten sich Jugendliche freiwillig zum Dienst melden. Jungen, die sich erfolgreich als Offiziersanwärter beworben hatten, wurden sofort gezogen. Vertreter der Wehrmacht und Waffen-SS setzten daneben die 16-jährigen Hitlerjungen in Wehrertüchtigungslagern unter Druck, sich umgehend als Reserve für die Front zu melden. Die Waffen-SS verkaufte sich auch im letzten Kriegsjahr noch als Elite-Einheit, lockte mit Versprechungen und Anerkennungen, veranstaltete massenweise Werbeveranstaltungen oder großzügige Feste in RAD-Lagern. Klappte das nicht, wurden irritierte Jungen auch eingeschüchtert oder vorschnell mit Knebelverträgen überrumpelt. Ob nun überzeugt oder nicht – beide, Wehrmacht und SS, fanden über unterschiedliche Strategien ihren minderjährigen Nachwuchs bis fast zur Erschöpfung. Reichsjugendführer Artur Axmann war so angetan von der Idee einer kämpfenden Jugend, dass er dem Führer zum 55. Geburtstag eine eigene Elite-Division der Hitlerjugend schenken wollte – eine Junior-Leibstandarte. Während Propagandaminister Joseph Goebbels kritisch auf eine solche Aufstellung reagierte, weil er befürchtete, das Ausland würde eine Kampftruppe von Minderjährigen als Eingeständnis einer drohenden Niederlage werten, zeigte sich Hitler sofort begeistert und setzte auf den propagandistischen Effekt, den eine Armee aus Hitlerjungen in Bezug auf Opferbereitschaft und Heldenmut erzielen konnte. Darauf wurden zum 1. September 1943 20 000 überwiegend 16- und 17-Jährige aus der Hitlerjugend eingezogen und in einer sechswöchigen Grundausbildung zu einer Panzer-Division geformt. Dabei wurden auf Wunsch des Führers bürokratische Hindernisse, die dem Einsatz im Wege stehen könnten, beiseitegeräumt. So beschloss Axmann, eine elterliche Zustimmung für die Bewerbung sei nicht mehr nötig. Reichsführer SS Heinrich Himmler setzte die Mindestgröße für SS-Rekruten von 1,77 Meter extra für die neue Division auf 1,70 Meter herunter. Nachrichtenpersonal konnte sogar schon ab einer Größe von 1,68 Meter angeworben werden. Es wurde Wert darauf gelegt, nach außen zu kommunizieren, dass es sich um eine reine Freiwilligen-Division handeln sollte, doch in Wirklichkeit wurden Unfreiwillige so lange durch die SS unter Druck gesetzt, bis sie unterschrieben, um Schlimmeres zu verhindern. Im März 1944 war die 12. SS-Panzer-Division Hitlerjugend unter dem Kommando von SS-Brigadeführer Fritz Witt kampfbereit und wurde in die Normandie verlegt, wo sie der Panzergruppe West unterstellt wurde, um die Landung der Alliierten zurückzuschlagen. Die Division verfügte über 177 Panzer, 700 Maschinengewehre und 70 Granatwerfer, dazu kamen Haubitzen, Feldgeschütze und Panzerabwehrkanonen.

Amerikanische Truppen, die auf die Division stießen und kaum glauben konnten, dass selbst die Unteroffiziere im Teenageralter waren, tauften sie mit dem Namen Baby-Division und wiesen ihnen auf ihren Karten als taktisches Zeichen eine Milchflasche zu. Tatsächlich erhielten die noch nicht ausgewiesenen Jungsoldaten neben ihrer militärischen Verpflegung 3,5 Liter Frischmilch pro Kopf und Woche. Wie auch an die Luftwaffenhelfer wurde an sie kein Tabak ausgegeben, stattdessen erhielten sie Bonbons und Schokolade. Schnell wurde den Alliierten allerdings klar, dass sie es mit erstklassig ausgebildeten, mit modernsten Waffen ausgerüsteten, fanatischen Jugendlichen zu tun kriegten, die jederzeit dazu bereit waren, ihr eigenes Leben im Kampf aufs Spiel zu setzen, und die sich durch einen unbändigen Siegeswillen und eine tödliche Entschlossenheit auszeichneten. Und sie fügten ihrem Feind herbe Verluste zu. Schon am Tag ihres ersten Einsatzes schossen die Babys 28 kanadische Sherman-Tanks ab, 245 Kanadier ließen bei den folgenden Rückzugskämpfen ihr Leben. Am 30. Juni 1944 eroberte die 12. SS-Panzer-Division Hitlerjugend die schwer umkämpfte Höhe 112 von den Briten zurück. Letztendlich hatten aber die Jungen keine Chance gegen die Übermacht der Landungstruppen. Im Juli 1944 verzeichnete die Division bereits 6000 Verluste und drohte völlig aufgerieben zu werden. Auch Divisionskommandeur Witt war bei Kämpfen um Caen am 14. Juni gefallen. Sein Nachfolger, SS-Standartenführer Kurt Meyer – genannt Panzermeyer –, erbat nun den Abzug seiner auf Soldaten getrimmten ausblutenden Hitlerjungen, die angesichts der eigenen Verluste immer erbarmungsloser vorgingen. Die Ermordung von 187 kanadischen Kriegsgefangenen durch Angehörige der Baby-Division, für die sich Panzermeyer nach dem Krieg verantworten musste (er wurde zunächst zum Tode, dann zu lebenslanger Haft verurteilt und 1954 begnadigt), markiert das schwerste Kriegsverbrechen während der Kämpfe um die Normandie. Hitler bestand aber unter allen Umständen auf absolutem Durchhaltewillen und verbot einen Rückzug. Im Kessel von Falais kämpfte die Division noch Tausende deutscher Soldaten frei, verlor zuletzt dabei an nur einem Tag selbst über 1000 Kämpfer, und das Sterben ging weiter. Als seine gesamte Aufklärungskompanie von britischen Panzern überrollt wurde, notierte Panzermeyer:

Die 12. SS-Panzer-Division Hitlerjugend wird größtenteils aus 17-Jährigen zusammengestellt.

Ich kannte jeden einzelnen von diesen jungen Soldaten […] Die Jungen haben noch nicht leben gelernt – aber weiß Gott, sie verstehen zu sterben! Knirschende Panzerketten beenden ihr junges Leben. Mir laufen die Tränen übers Gesicht – ich beginne, den Krieg zu hassen.40

Im September 1944 verfügte die 12. SS-Panzer-Division über nur noch 2000 Angehörige. Mindestens 10 000 Hitlerjungen der Einheit überlebten den Krieg nicht.

Die verlorene Generation

Подняться наверх