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DIE DEUTSCHE JUGEND IM KRIEG Grundlagen der Hitlerjugend

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»In unseren Augen muss der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.« So beschrieb Adolf Hitler das Idealbild seiner männlichen Jugend vor 54 000 Hitlerjungen während des Reichsparteitages am 14. September 1935 in Nürnberg. Nicht mal vier Jahre später begann mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg, und in der Tat gab es zu diesem Zeitpunkt weltweit keine Jugend, die besser für einen Krieg ausgebildet war als die deutsche Hitlerjugend, von der der Führer von Anfang an wusste, dass sie den Nachwuchs für seine Soldaten auf dem Feld stellen würde. Deshalb war eines der wichtigsten Statuten im Ausbildungsprogramm der HJ die vormilitärische Erziehung. Dass die Hitlerjungen allerdings ohne eine reguläre Wehrmachtsausbildung in den bewaffneten Kampf ziehen würden, hatte selbst die Reichsjugendführung bis 1943 nicht vorgesehen, weil niemand dort damit gerechnet hätte, dass sich der Krieg so lange hinziehen würde.

Als Jugendorganisation der NSDAP am 4. Juli 1926 auf dem Reichsparteitag in Weimar gegründet, war die Hitlerjugend zunächst nur eine von Tausenden überregional existierenden Gruppen, die während der Weimarer Republik unter dem Sammelbegriff Bündische Jugend, der sich mehr als 4 Millionen Jugendliche anschlossen, zusammengefasst wurden. Als die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung die Jugend gleichschalteten und somit sämtliche Bünde und Jugendverbände verbieten ließen, wurde aus der bis zuletzt auf nicht mehr als 100 000 Jungen und Mädchen angewachsenen Parteijugend bald die größte Jugendorganisation der Welt. Im Mai 1939 verfügte die HJ über 8,7 Millionen und in der Spitze im Jahr 1941 über mehr als 10 Millionen Mitglieder. In den ersten beiden Jahren wahrte die HJ noch den Anschein einer freien, selbst geführten Jugendbewegung, die mit dieser Methode Jugendliche aller sozialen Schichten anzog. Zeltlager, Wanderungen, Naturverbundenheit, Sport, Spiel und Kameradschaft waren Ideale, die von der Bündischen Jugend übernommen wurden, und so merkten viele junge Menschen den Übergang zur HJ nur an der wechselnden Uniform.

Nach Gleichschaltung sämtlicher Jugendorganisationen wurde aus der Hitlerjugend bald die größte Jugendorganisation der Welt.

Zunächst traten 7,7 Millionen Jungen und Mädchen freiwillig in die HJ ein; erst mit dem Gesetz über die Hitler-Jugend vom 1. Dezember 1936, das diese zur Staatsjugend erklärte, und noch einmal untermauert durch die Einführung der Jugenddienstverordnung vom 25. März 1939 (Jugenddienstpflicht), wurde die HJ zur Pflicht. Auf Kurt Gruber, den ersten Reichsführer HJ, folgten von 1931 bis 1940 Baldur von Schirach und von 1940 bis zum Ende des Dritten Reiches Artur Axmann. Unter dem Dach HJ, die Hitler direkt unterstellt war, formten sich fünf Unterorganisationen. Am 19. April eines jeden Jahres wurden alle zehnjährigen Jungen feierlich in das Deutsche Jungvolk (DJ) und die gleichaltrigen Mädchen in den Jungmädelbund (JM) aufgenommen. Zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr dienten Jungen dann in der HJ, Mädchen von 14 bis 18 (später 17) Jahren im 1931 gegründeten Bund Deutscher Mädel (BDM). Einzig die Teilnahme an der Organisation Glaube und Schönheit für Mädel zwischen 17 und 21 Jahren blieb freiwillig.

Neben der geschlechtlichen Trennung wurden die HJ-Mitglieder nach Altersgruppen zusammengefasst. Der Kameradschaft gehörten in der Regel zehn möglichst gleichaltrige Jungen an. Vier Kameradschaften bildeten eine Schar mit bis zu 50 Jungen und darüber vier Scharen eine Gefolgschaft mit bis zu 160 Jungen, die in ihrer Struktur nach dem Vorbild einer militärischen Kompanie organisiert wurde. Wiederum drei bis fünf Gefolgschaften machten einen Stamm mit bis zu 600 Jungen aus und vier bis acht Stämme einen Bann mit bis zu 5000 Jungen. Ein HJ-Bann entsprach in der Hierarchie und Struktur auf Partei-Ebene der NSDAP-Kreisleitung. Je 20 Banne wurden geografischen Gebieten zugeordnet, von denen 1942 insgesamt 42 existierten.33

Eine der fünf Unterorganisationen der HJ war der Bund Deutscher Mädel, in den Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren aufgenommen wurden.

Hitlerjungen trugen Uniformen, die Eltern nach Anmeldung ihrer Kinder in einem sogenannten Braunen Laden kaufen konnten. Die Sommeruniform bestand entsprechend aus einem braunen Hemd, an dem auf der Brusttasche eine Anstecknadel mit Abzeichen der HJ befestigt war. Über der roten Hakenkreuzbinde am linken Ärmel war ein kennzeichnendes Gebietsdreieck aufgenäht, und um den Hemdkragen trugen die Jungen ein schwarzes, zu einem Dreieck gefaltetes Halstuch. Die Schulterklappen waren farblich umrandet und wiesen die Zugehörigkeit zu einer Gattung der HJ aus. Eine rote Umrandung markierte dabei die Allgemeine HJ, weitere Farben bestimmten Sonderformationen: Blau kennzeichnete die Flieger-HJ, Gelb die Marine-HJ und Pink die Motor-HJ. Die Nummern auf den Schulterklappen gaben die zugehörige Gefolgschaft und den Bann des Trägers bekannt.34 Diagonal von der rechten Schulter bis zur linken Taille zog sich ein Schulterriemen, der mit Karabinern an der schwarzen Lederkoppel mit silberner Schnalle und Gravur »Blut und Ehre« befestigt war. An der linken Seite der Koppel, über der kurzen schwarzen Hose, hing das Fahrtenmesser, und auf dem Kopf trugen die Jungen ein sogenanntes Käppi aus braunem Leinenstoff. Unten herum zogen sie Bundschuhe mit langen entweder grauen oder braunen Strümpfen an. Im Winter gab man den Hitlerjungen eine schwarzblaue M37 Winteruniform, bestehend aus Überfallhose, dicker Bluse und Mantel, sowie eine M35 Feldmütze und schwere Marschstiefel aus.

Wöchentlich kamen HJ-Scharen in ihren HJ-Heimen oder angemieteten Räumlichkeiten zweimal für je zwei Stunden zum Dienst zusammen. Der sogenannte Heimabend fand in der Regel am Mittwoch statt und diente der Erziehung im Sinne der NS-Ideologie. Auf Festen, in Liedern und Gedenkstunden sollten die Hitlerjungen die Feindbilder der Nationalsozialisten verinnerlichen und sich selbst bewusst werden, dass Deutschland einen Führungsanspruch in der Welt besitzt. Anhand von Vorträgen, Lesungen, gemeinsamem Musizieren oder Diskussionsrunden wurden Themen wie Heimat, Deutsche Einheit, Kameradschaft, Volk und Persönlichkeit (berühmte Deutsche der Geschichte, inklusive fortwährend Adolf Hitler) oder Volk und Bluterbe (Rassenkunde), gesunde Lebensführung, Naturkunde oder Soziale Arbeit vermittelt. Jeden Samstagnachmittag kamen die Jungen außerdem zur Leibesertüchtigung zusammen. Hier standen entweder Sport oder Wehrertüchtigung auf dem Dienstplan. Ab Juli 1936 übernahm die HJ die Organisation des gesamten außerschulischen Sports sowie im selben Jahr auch die des Leistungssports. Eine alternative, legale Möglichkeit, Sport zu treiben, gab es für Jugendliche fortan nicht mehr. Besonders gefördert wurden Disziplinen, die dem zukünftigen Soldaten nützlich waren. Leichtathletik zur allgemeinen Fitness und Gelenkigkeit, Wandern oder Boxen für Ausdauer und Abhärtung. Auch Fußball, Turnen, Schwimmen und Tauchen standen regelmäßig auf dem Programm. Wenn die heimatliche Umgebung es zuließ, waren Skifahren und Bergsteigen Teil des HJ-Sports. Durch die kontinuierliche Ausrichtung von Wettkämpfen, Sportfesten und die Vergabe von Leistungsabzeichen wurden die Jungen zu Höchstleistungen angehalten. Für sie galt als oberste Prämisse: keine Schwäche oder Angst zeigen. Im Rahmen der Wehrertüchtigung erfreuten sich Geländespiele großer Beliebtheit. Weniger gemocht, aber stets mit allem Eifer ausgeführt, wurden militärischer Drill, Exerzieren und Marschieren. Jungen, die sich entschlossen, statt der allgemeinen HJ einer Sondereinheit beizutreten, die darauf abzielte, die Teilnehmer schon früh soldatisch zu spezialisieren, hatten neben den Grunddiensten außerdem zwei zusätzliche theoretische und einen praktischen Dienst im Monat abzuleisten. Begehrt war allen voran die Flieger-HJ, die in Zusammenarbeit mit dem Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK) organisiert wurde. Hier fühlten sich Jungen angesprochen, die ihre berufliche Zukunft in der Luftwaffe oder Zivilfliegerei sahen. Die Marine-HJ bot sich für Interessenten einer Laufbahn in der Kriegsmarine oder Handelsflotte an. Entsprechend konnten Angehörige notwendige Führerscheine erwerben. Die Motor-HJ bildete in Kooperation mit dem Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) den kraftfahrttechnischen Nachwuchs aus und zog vor allem Motorrad-begeisterte Jungen an, die später im Feld als Kradmelder Dienst taten. Daneben konnten Mitglieder der Nachrichten-HJ das Funken, Morsen und Fernsprechen erlernen, und die Reiter-HJ bot mit Unterstützung des Nationalsozialistischen Reiterkorps (NSRK) eine vollständige Reitausbildung an. Außerdem existierten für kulturell Begeisterte und Begabte die sogenannten Spielscharen – darunter Singschar, Theaterschar, Rundfunkspielschar – und für medizinisch Interessierte die Feldscher-HJ. Eine weitere Sondereinheit bildete der HJ-Streifendienst, der Ordnungs- und Wachdienste übernahm und für Nachwuchs in den Polizeien oder der Feldgendarmerie sorgen sollte.

Der Kriegsbeginn beeinflusste die HJ nicht nur politisch, sondern machte sie von Beginn an zu einem kriegswichtigen Bestandteil, auf den immer mehr Last abgewälzt wurde. Zunächst hatte die HJ mit einer erheblichen Umstrukturierung in der Führungsebene zu kämpfen, da sich innerhalb eines halben Jahres 95 Prozent aller ehrenamtlichen HJ-Führer freiwillig zur Wehrmacht meldeten. Auf regionaler Ebene mussten die Lücken, die die jungen Erwachsenen rissen, von zunehmend jüngeren Mitgliedern aufgefüllt werden. Fahrten und Freizeitveranstaltungen rückten schon kurz nach Kriegsbeginn zugunsten von Sammelaktionen in den Hintergrund. Die Hitlerjugend organisierte zur Unterstützung der auf Rohstoffe angewiesenen Kriegswirtschaft Altkleider-, Altmetall- oder Flaschensammlungen. Besonders die Pimpfe des Jungvolkes durchkämmten regelmäßig Wald und Flur, um Heilkräuter für die Front aufzulesen, oder trieben in den Wintermonaten mit Trillerpfeifen und Blechbüchsen Spenden für das Winterhilfswerk ein, das mit ihren Leistungen seine Einnahmen von 1939 noch 680 Millionen Reichsmark innerhalb von nur drei Jahren auf 1,6 Milliarden Reichsmark im Jahr 1942 steigern konnte.

Die älteren Jungen der HJ sollten jetzt systematisch auf ihre Wehrdienstzeit vorbereitet werden. Für die 16- bis 18-Jährigen wurde neben ihren allgemeinen Dienst- und Sonderdienstverpflichtungen die Teilnahme an einer insgesamt zwölfmonatigen Spezialausbildung im Geländedienst und Kleinkaliberschießen Pflicht. Alle 14 Tage wurden sie dazu an den Wochenenden von ausgebildeten Gelände- und Schießwarten trainiert; meistens waren das ehemalige HJ-Führer, die schon über Fronterfahrungen verfügten und durch Verletzungen abkömmlich waren. Am Ende erwarben die Teilnehmer den sogenannten Kriegsausbildungsschein der Hitlerjugend. Nach den im Juli 1942 herausgegebenen Richtlinien des Kriegseinsatzes der HJ erfolgte die militärische Ausbildung der 16- bis 18-jährigen Hitlerjungen nunmehr in speziellen Wehrertüchtigungslagern, von denen insgesamt 262 errichtet wurden. Die übertrieben harte vormilitärische Schulung in der Kaserne dauerte drei Wochen. Neben theoretischem und praktischem Unterricht an Infanteriewaffen wie dem Karabiner 98k oder dem Maschinengewehr (MG 34 und MG 42) wurde Handgranatenzielwurf trainiert und später der Umgang mit der Panzerfaust. Die Ausbilder brachten die militärischen Komponenten in Einklang mit ideologischer Schulung durch politische Propaganda. Ziel war es, die Leidenschaft der Jugendlichen für Opferbereitschaft und Heldenmut zu entfachen, sodass kein Hitlerjunge auch nur im Ansatz die Frage nach der Notwendigkeit seines Kriegseinsatzes stellte. Eine Siegesgewissheit über alle anderen Völker sollte den angehenden Soldaten eingeimpft werden. Sowohl Wehrmacht als auch Waffen-SS schickten Ausbilder für die Lager, die ihre Zöglinge mit konkurrierendem Interesse auf ihrer Suche nach militärischem Nachwuchs genau beäugten. Bis 1942 wurden außerdem 700 000 Jungen in sogenannten Feuerwehrscharen für die Freiwillige Feuerwehr ausgebildet, 23 000 weitere in Schnellkommandos zur Unterstützung der Polizei in der Meldung und Ermittlung von Brandherden, für den Flugmeldedienst oder den Sicherheitsdienst.

In der Hitlerjugend sah ihr Führer die Generationen zukünftiger Soldaten. Hier auf dem Reichsparteitag in Nürnberg 1935.

Mit dem Beschluss des Grenzeinsatzes der HJ im Frühherbst 1944 und dem damit einhergehenden Befehl über Maßnahmen des totalen Kriegseinsatzes der HJ befahl Reichsjugendführer Artur Axmann alle Hitlerjungen, die noch nicht anderweitig eingezogen worden waren, zum sogenannten Schanzeinsatz. Eine halbe Million Minderjährige wurden zur Grenzsicherung an den Ost- oder seltener auch Westwall abkommandiert. In Matsch und Kälte stehend, bauten sie Unterstände, Bunker und MG-Stände und hoben Hunderte kilometerlange Panzergräben aus. Auch 125 000 BDM-Mädel, die für Versorgung und medizinische Betreuung der Jungen verantwortlich waren, wurden verpflichtet.

Eine besondere Herausforderung für die Hitlerjugend im Krieg bildete zudem die sogenannte Erweiterte Kinderlandverschickung (KLV), die am 27. September 1940 von Baldur von Schirach eingeleitet wurde. Damit gemeint war die Evakuierung von Jugendlichen zwischen 10 und 16 Jahren sowie Müttern mit Kleinkindern aus besonders für Luftangriffe gefährdeten Gebieten in die Provinz. Während das Reichsministerium des Innern dafür Gaststätten, Hotels oder öffentliche Gebäude beschlagnahmte, die Reichsbahn mit dem Transport beauftragt wurde und das Reichsministerium für Landwirtschaft die Zuweisung erhöhter Lebensmittelrationen übernahm, sollte die HJ zusammen mit den Dienststellen der Volkswohlfahrt und dem NS-Lehrerbund sämtliche Betreuungsaufgaben der Jugendlichen übernehmen. Die Teilnahme an der KLV erfolgte freiwillig und umfasste eine Zeit von mindestens sechs Monaten bis hin zu mehreren Jahren. Der Unterricht wurde von mitreisenden Lehrern an den Evakuierungsorten abgehalten. Neben dem Schutz der Gesundheit der Minderjährigen bot die KLV den Nazis eine zusätzliche, einmalige Möglichkeit, nämlich den Großteil der Jugend vollständig und ohne Widerstand aus dem Elternhaus erfassen und propagandistisch beeinflussen zu können. 1944 existierten über 5500 KLV-Lager in Gegenden des Deutschen Reiches, die nicht oder kaum von Bombenangriffen bedroht waren, vor allem war dies der Fall in Ostpreußen, im Reichsgau Wartheland und in Oberschlesien. Insgesamt lebten bis Kriegsende mehr als 850 000 Kinder und Jugendliche in Jugendherbergen, Hotels, Gaststätten oder bei Gastfamilien der KLV-Lager. Trotz des gerade für Jungen in den Lagern vorherrschenden uniformierten und militärischen Drills überwiegt in den Erinnerungen der Teilnehmer der Eindruck eines Abenteuers oder langen Urlaubes.

Die verlorene Generation

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