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Lu Meng saß in einem Wartebereich des Flughafens Haneda in Tokio, zog die Foil aus seiner Sporttasche und rollte sie auf dem runden Tischchen vor sich auf. Etwas Reales, Materielles im Blick zu haben und physisch darauf zu tippen, half ihm bei der Konzentration. Er nahm in Kauf, dass er auf diese Weise sein Umfeld aus den Augen verlor und Agenten des DDC übersah.

Aber was wollten die hier schon ausrichten? Ihn festnehmen? Hier auf dem Flughafen, vor den Augen von Reisenden und der japanischen Polizei? Wohl kaum. Sie würden ihn beschatten, um herauszufinden, was er vorhatte.

Er versuchte, sich zu entspannen. Die erste Etappe hatte er geschafft. Er war im Westen. Wieder. Jenseits der Großen Firewall. In einer Gesellschaft ohne eine klare Ordnung. In einer Welt, die ein undurchsichtiges Spiel mit den Menschen spielte. In der sich alles um Konsumentscheidungen drehte, die die Leute aber nicht selbst trafen, sondern bei denen die Umweltverträglichkeit im Vordergrund stand. Darum befriedigten die Westler ihr Fernweh nicht mehr. Sogar der einzig verbliebene Flughafen der größten Stadt des Westens, Tokio, wirkte idyllisch. Ein paar Reisende warteten auf die zehn oder zwanzig Abflüge dieses Tages.

Japan war nach dem Fall von Taiwan und Südkorea die letzte Bastion des Westens im Fernen Osten, wie ein Stachel im Fleisch des Reichs der Neuen Seidenstraße. Peking hatte gar nicht erst versucht, es auf die übliche Weise – durch eine wirtschaftliche Umarmung – einzunehmen. Eine militärische Invasion kam auch nicht infrage, nicht einmal, wenn man dabei war, die USA als Supermacht einzuholen – fast zwei Dekaden früher, als es der Große Präsident Xi Jinping geplant hatte. Das hätte nur zu einer kollektiven Kamikazeaktion der Japaner geführt.

Doch das interessierte Meng auf seiner Durchreise kaum. Vor wenigen Stunden, auf dem Schiff, hatte er die silbrig glänzende Schatulle geöffnet und ihr Kontaktlinsen westlichen Fabrikats entnommen. Er hatte sie gegen seine alten ausgetauscht. Sie gaben ihm die Identität einer Person, die im Westen lebte. Das Schiff hatte ihn im Hafen von Yokohama abgesetzt, zusammen mit einigen unfreiwilligen Absteigern, die Flucht dem Selbstmord vorzogen. Er war gleich nach der Landung in den Vorstadtzug gestiegen und direkt hierher zum Flughafen gefahren. Der Zwischenstopp im Hotel, wo er Frau und Kinder hatte unterbringen wollen, war überflüssig gewesen. Dank seiner Kontaktlinsen hatten die wenigen verbliebenen Sicherheitssysteme des Flughafens bis zum Gate keinen Pieps getan.

Er ließ den Blick schweifen. Nichts Verdächtiges zu sehen. Eine Frau saß selig lächelnd mit im Nacken liegenden Kopf zwei Stühle neben ihm. Sie schwelgte wohl in der Wahrnehmung eines dieser Helden des Gutlebens. Vereinzelt rollten vermeintliche oder echte VIPs ihre Koffer durch die Halle, hinter deren Glaswand tiefblau die Bucht von Tokio lag.

Die Luft war rein. Er konnte sich auf den nächsten Baustein seines Plans konzentrieren. Als Erstes griff er in die Schatulle und holte ein seidig schimmerndes Ei von der Größe eines Fingerglieds heraus. Er hielt sich den Prototyp eines der Schnittstellen-Entwickler des Silk Road Technology Institute an die Stirn und blicke zur Foil hinunter. Ein Gehirnsymbol zeigte an, dass die Bluetooth-Verbindung zur Foil hergestellt war. Ein Schlitz erschien. Meng memorierte die Symbole des 50-stelligen Passwortes. Entsprechend reihten sich schwarze Punkte im Eingabefeld aneinander. Als er fertig war, poppte ein Dialogfenster auf. Sein Trojanisches Pferd. Darin erschienen die Silhouetten von fünf Köpfen in unterschiedlichen Farben. Sie symbolisierten die Zielpersonen. Er steckte das Ei wieder ein.

Meng tippte auf die rote Silhouette. Vor ein paar Tagen, an Bord des schwer in der Dünung des Pazifik rollenden Schiffs, hatte er die blaue gewählt. Die Maßnahmen waren geringfügig, aber entscheidend. Minimalinvasive Eingriffe, Nadelstiche, die wie bei der Akupunktur größere Energieflüsse in Gang setzten.

Ein altmodisches Kommandozeilen-Fenster öffnete sich, darunter blendete die Foil eine Tastatur ein. Mengs Finger flogen darüber. Er kopierte eine Datei in das Verzeichnis der roten Figur. Dann startete er die Simulation. Ein Chatfeld öffnete sich, in das er eine Nachricht eingab und die Malware hinzufügte. Dann berührte er den Senden-Button und setzte damit einen der wirkungsvollsten Nadelstiche.

Meng lehnte sich zurück und atmete zufrieden durch. Es wurde Zeit. Er stand auf, aktivierte die Weitwinkel-Vision und schlenderte in Richtung Gate. Am rechten Rand seines erweiterten Blickfelds tippte ein Mann in einem mausgrauen Anzug unschlüssig und ratlos wirkend an einem Getränkeautomaten herum. Meng fiel das Fehlen jeglicher Gaia-Logos auf dem Flughafen auf. Der Konzern stellte seine Dienste hier nicht zur Verfügung. Der graue Anzug am Automaten schielte zu ihm herüber. Meng spazierte an einer inaktiven Bildschirmwand vorbei, auf der bei seinem letzten Aufenthalt Werbung für einen Urlaub in Deutschland geflackert hatte, mit Bildern von diesem Märchenschloss. Vor sich bemerkte Meng einen leeren Kasten für Werbeplakate. In der Scheibe spiegelte sich der Korridor. Er sah, dass der graue Anzug hinter ihm ging. Noch eine Minute zum Gate. In den Sitzreihen vor dem Abfertigungstresen drängten sich die Passagiere. Die meisten von ihnen blendeten die trostlose Umgebung durch immersive Simulationen aus. Köpfe lagen in den Nacken, oder wackelten lebhaft mit vergnüglichem Grinsen im Gesicht, Hände und Arme gestikulierten ohne Gegenüber, Beine stampften auf und zitterten. Meng erblickte einen freien Sitzplatz zwischen einer traditionell in einen rosa Kimono gekleideten Frau mit hochgestecktem schwarzen Haar, die aufrecht und würdig blickend dasaß, ihre Hände mit einer Handtasche auf dem Schoß liegend und einem eifrig mit den Armen fuchtelnden Gnom. Er zwängte sich, die Frau freundlich grüßend, zwischen die beiden. Er hielt Ausschau nach dem grauen Anzug, entdeckte ihn aber nicht. Meng atmete durch und schloss die Augen, um bis zum Aufruf zu dösen.

Eine ratternde Lautsprecherstimme, die von den kahlen Betonwänden widerhallte, weckte ihn. Vor dem Schalter hatte sich schon eine Schlange gebildet. Meng erhob sich und stellte sich an. Er blickte sich um. Keine Spur vom Verfolger. »Guten Abend, Mister Sheng«, begrüßte ihn wenig später eine schmächtige, junge Frau mit knapper Verbeugung. Er lächelte, verbeugte sich und trottete an ihr vorbei in die Gangway. Im Flugzeug angelangt, zwängte er sich durch den engen Gang, verstaute die Tasche im Handgepäckfach und setzte sich auf seinen Platz neben einer dicklichen Frau, die er lächelnd grüßte. Er spürte das warme, wabbelige Fleisch ihres Unterarms an seinem. Die Knie stießen am Vordersitz an. Meng schloss den Sicherheitsgurt. Mit dem sanften Klicken lehnte er sich zurück und versuchte, sich zu entspannen.

Als er den Kopf an die Lehne legte, sah er ihn als letzten Passagier den Gang herunterkommen: Grauer Anzug.

Sein Körper spannte sich an. Der Mann ging an ihm vorbei, wobei er abbremste und ihn mit einem kühlen Lächeln anblitzte. Meng hörte, wie er sich hinter ihn setzte und seinen Sitznachbarn freundlich grüßte.

Meng griff nach der Schnalle des Sicherheitsgurtes, unterdrückte aber den Impuls, sie zu öffnen. Er konnte sich nicht sicher sein, dass der Mann ihn verfolgte. Grauer Anzug konnte genauso gut ein harmloser Reisender sein. So viele Flüge gingen nicht ab, also war es wahrscheinlich, dass jemand, der den gleichen Korridor entlangging, auch denselben Flug nahm. »Boarding completed«, beendete eine Lautsprecherdurchsage seine Grübeleien. Das dumpfe Klacken der sich schließenden Türen nahm ihm die Alternativen. Somit lehnte er sich wieder zurück, versuchte zu entspannen und wartete auf den Abflug. Er würde seinen Plan unbeeindruckt weiterverfolgen.

K.I.

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