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Vor der filigranen Gebirgslandschaft des Malers Dong Qichang an der Rückwand reckte der Vorsitzende der Digital Defense Unit of China die rechte Faust zur kirschholzroten Holzdecke.

»Den Chinesischen Traum für die Welt!«, rief er.

Die Führungskader, die stramm um den Lagebesprechungstisch in der Pekinger DDC-Zentrale herumstanden, hoben ihre Fäuste zur Antwort.

Wie auf Kommando setzten sich die elf Männer auf ihre knarzenden ledergepolsterten Holzstühle.

Einer der Stühle blieb leer.

»Die Lage, Genosse Lien«, sagte der Vorsitzende an einen schmalen Mittzwanziger gewandt. Der Angesprochene schob sich seine Brille zurecht. Kontaktlinsen und andere Körpertechnik blieben vor den Türen dieses Saales. Kein Kader des DDC trug Implantate, anders als die meisten ihrer Landsleute. Lien blätterte in den Unterlagen, die vor ihm auf der lackglänzenden Tischplatte lagen. Der Vorsitzende trommelte mit den Fingern. Die anderen schielten zu Lien.

Nachdem dieser sechs Bögen umgeblättert hatte, räusperte sich der Vorsitzende.

»Die Löcher in der Großen Firewall nehmen mit der bekannten Rate zu«, sagte Lien schließlich.

Der Vorsitzende spitzte den Mund. »Und die Selbstmorde?«, fragte er.

»Die Zahl der Suizide hat sich weiter erhöht«, antwortete Lien. »Dreizehntausenddreihundertzwölf in der letzten Woche. Ein Plus von achtzehn Prozent. Damit ist die Suizidrate über fünfmal so hoch wie normal. Es fällt immer schwerer, die Sache unter der Decke zu halten.«

Vielstimmiges Murren rund um den Tisch. Der Vorsitzende reckte das Kinn und zog die schmalen Mundwinkel nach unten.

»Bedauerlicherweise gehört zu den Betroffenen auch die Familie eines unserer verdientesten KI-Experten. Lu Meng, einer der Väter der KI hinter dem Weg. Meng hat die Motivations-Module des Wegs entwickelt«, fuhr Lien fort. »Seine Frau Lin, sein Sohn Tao und seine Tochter Aya haben sich vergiftet.«

Der Vorsitzende starrte zu dem leeren Stuhl. Sekundenlang sagte er nichts. Mühsam gelang es ihm, Überraschung und Sorge nicht an die Oberfläche steigen zu lassen.

»Und Meng?«, fragte er, um einen geschäftsmäßigen Ton bemüht.

Der Berichterstatter fuhr sich mit der Handfläche über die Stirn. »Er ist... verschwunden!«

»Verschwunden?! Wie könnte er verschwinden

»Vergiss nicht, Genosse Vorsitzender«, mischte sich ein grauhaariger Mann mit sanften Gesichtszügen ein. »Meng ist Experte genug, um sich unsichtbar zu machen. Er kennt die Hintertüren und Tricks.«

»Unsichtbar, Genosse Zhao?«, blaffte der ranghöchste Offizier im Raum zurück. »Besitzt er eine Tarnkappe?«

»Natürlich nicht«, gab Zhao zurück. »Aber er schlüpft in fremde Identitäten. Seine Linsen gaukeln unserer KI etwas vor. Ich vermute, dass er sein Verschwinden von langer Hand geplant hat. Seine Vertrauenswürdigkeit hat sich um zehn Prozent vermindert in den letzten vier Monaten. Er hat sich von uns entfernt. Wahrscheinlich ist er außerhalb des Reiches der Neuen Seidenstraße. Es ist auf dem Seeweg nicht allzu weit von Shanghai nach Japan.«

Der Vorsitzende schüttelte den Kopf. »Wie soll das mit dem Selbstmord an seiner Familie zusammenpassen? Wahrscheinlich ist er am Boden zerstört und betrinkt sich in einer Spelunke.«

Einige in der Runde sahen sich an, befremdet von der untypischerweise persönlich verletzenden Aussage ihres Bosses.

»Könnte es sein, dass er in den Westen will, um sich zu rächen?«, fragte ein Mann mittleren Alters, der ganz am Ende des langen Tisches saß.

»Rächen? An wem?« Der Vorsitzende zuckte demonstrativ die Achseln und setzte einen verständnislosen Blick auf.

»An uns«, antwortete der Mann verhalten. »Am Weg, weil er denkt, er ziehe Bürgern willkürlich Sozialkreditpunkte ab. Das System hat seine Familie in den Tod getrieben.«

»Gut möglich, dass er uns vom Westen aus attackieren will«, sagte Zhao. »Einen privaten Cyberkrieg führen. Das wäre ihm durchaus möglich. Er kennt unsere Systeme.«

Der Vorsitzende schnaubte, schüttelte vehement den Kopf.

»Was soll das? Der Weg macht keine Fehler! Dahinter stecken Hacker aus dem Westen!«

»Das wissen wir nicht«, meinte ein weiteres Mitglied des DDC, das Zhao gegenübersaß.

»Woher kommen die Löcher in der Großen Firewall der Neuen Seidenstraße dann?«, wollte der Vorsitzende wissen.

»Schwer zu sagen«, gab Zhao zurück. »Unser digitaler Eiserner Vorhang wehrt westliche Angriffe immer noch zuverlässig ab. Möglicherweise ist es ja doch ein Fehler unserer KI.«

Der Vorsitzende schlug mit der flachen Hand auf die Tischfläche. Alle erschraken. Er reckte das Kinn und fixierte denjenigen, der die Perfektion der Herrschaftstechnologie anzweifelte, aus engen Augenschlitzen.

»Ich sagte doch schon: Der Weg macht keine Fehler!«, stieß er scharf aus. »Es sind Angriffe aus dem Westen!«

Sein Blick wanderte nun streng über die Runde und landete bei Lien.

»Wir entwickeln doch die ganze Zeit Gegenmaßnahmen für mögliche Schläge. Wie ist der Stand, Genosse?«

»Es ist nicht leicht«, antwortete Lien. »Die Große Firewall wirkt bekanntlich in beide Richtungen. Aber wir sind am Problem dran.«

Der Vorsitzende zog die Mundwinkel nach unten.

»Es ist nicht leicht!?«, sagte er. »Natürlich ist es nicht leicht, Genosse! Finden Sie einen Weg! Wir müssen dem Westen die Zähne zeigen, ihm vorführen, dass wir das Gutleben kippen können, wenn wir es wollen.«

Er stützte die Hände auf den Tisch und deutete, vorgebeugt, ein Aufstehen an, wobei er nochmal in die Runde blickte.

»Noch etwas?«

»Ja«, sagte der Offizier mit den verschränkten Armen.

Alle sahen ihn fragend an.

»Was machen wir mit Meng?«, fragte er.

Der Vorsitzende sank in den Stuhl zurück. Seine Lippen verhärteten sich. Er wandte sich an ein weiteres Mitglied der Runde, das bislang noch nichts gesagt hatte. Ein junger Mann, mit kurzgeschorenem Haar, schmalem Mund und einem militärisch stechenden Blick.

»Was empfiehlst du, Genosse Song?«

»Wir sollten handeln«, Song feuerte die Worte heraus wie eine Maschinengewehrsalve. »Ich weiß nicht viel über ihn, er ist äußerst unauffällig. Aber eins weiß ich: Er und seine Familie waren früher im Westen. Er hat sicherlich Kontakte dort und könnte sich mit den Westlern vereinen, ihnen wertvolles Wissen liefern. Das könnte dem Westen einen entscheidenden Vorteil verschaffen. Wir sollten ihn liquidieren.«

Der Vorsitzende hob erschrocken den Finger und wedelte damit.

»Moment«, sagte er. »Nicht so schnell. Wir müssen ihn eng observieren. Vielleicht führt er uns zu den Hackern. Wir können immer noch die Notbremse ziehen. Setzt Dschung Yong auf ihn an. Der weiß, wie so etwas geht.«

K.I.

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