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Der Vorsitzende der Digital Defense Unit of China stieg aus dem Wagen und schritt zur Shanghai Railway Station, deren Glasfassade von blütenähnlichen Baldachinen beschattet wurde. In Hefei wollte er Steve Wong besuchen, der an westlichen Eliteuniversitäten studiert hatte. Dort hatte er auf Sicherheitslücken von künstlichen Intelligenzen hingewiesen. Sein spektakulärster Coup, der seinen internationalen Ruf begründet hatte, war der Hack eines prädiktiven Polizeisystems vor bald zehn Jahren gewesen. In der Innenstadt von München zogen sich damals an die hundert Polizeistreifen zusammen. Wong hatte der KI vorgegaukelt, im Herzen der deutschen Stadt sei die Wahrscheinlichkeit für Einbrüche am höchsten: an einem Samstag zur besten Geschäftszeit! Es gab ein Verkehrschaos. Wegen der Polizeiautos befürchteten viele einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag. Im letzten Moment verhinderte die Polizei eine Massenpanik. Wong hatte scharfe Kritik geerntet und wäre fast wegen Landfriedensbruchs angeklagt worden. Doch der Hack hatte allen vor Augen geführt, wie eine Behörde der Entscheidung einer künstlichen Intelligenz blind folgte. Ein Trend, der sich dennoch fortgesetzt hatte. Was sich indessen verbessert hatte, war die Sicherheit von KI-Systemen. Man glaubte ihnen daher umso mehr.

Doch irgendwie hatten es die westlichen Hacker geschafft, in das digitale Bürgerbewertungssystem Chinas einzudringen und aufrichtige Bürger in Misskredit zu bringen. Wenn jemand wusste, wie, dann Steve Wong.

An der Zugangskontrolle zu den Gleisen eilte der Vorsitzende an langen Schlangen vorbei zum Durchgang für Parteikader und hohe Beamte. Er bog in den von Stangen begrenzten Zugang ein. Ein abweisendes Brummen erschreckte ihn. Er prallte gegen die Glastür, die nicht wie üblich servil vor ihm aufgeglitten war. Der Vorsitzende griff sich an die schmerzende Nase.

»Kein Zugang«, meldete seine Linse. »Kreditstatus unzureichend.« Das konnte doch nicht wahr sein! Er hatte noch nie erlebt, dass sein Punktestand geprüft worden wäre. Er kannte ihn nicht einmal.

Der Vorsitzende drehte sich herum und sah sich mit gerecktem Kinn und herabgezogenen Mundwinkeln in der Halle nach einem Bediensteten um.

»Du!«, rief er einem Polizisten zu. Der schwarz uniformierte Mann trottete auf ihn zu.

»Was ist, Genosse? Hast du dich falsch eingereiht?«, rief der ihm entgegen.

Der Vorsitzende verengte die Augen und spitzte den Mund. »Weißt du nicht, wen du vor dir hast?«

Der Polizist drehte die Augäpfel ein Stück nach oben, wie es Leute taten, wenn sie Text lasen, den ihre Kontaktlinsen anzeigten.

»Du bist der Leiter irgendeines Ausschusses der Regierung.«

Der Vorsitzende trat vor den Polizisten, den er um einen Kopf überragte, und sah auf ihn hinab.

»Das bin ich! Also sorge gefälligst dafür, dass ich hier passieren kann! Sonst sorge ich für deine sofortige Entlassung!«

Der Polizist behielt seinen entspannten Ausdruck. Erneut verdrehte er die Augäpfel, um eine ihm angezeigte Information wahrzunehmen. Dann nahm er den Vorsitzenden wieder in den Blick und verengte die Augen. Seine Lippen bewegten sich. Er redete über Kehlenelektroden, die die Muskelaktivität beim lautlosen Sprechen maßen, zu jemandem. Dann wandte er sich wieder an den Vorsitzenden. »Mag ja sein, dass du ein hohes Tier bist, Genosse.« Der Polizist griff an seinen Gürtel und holte einen Taser heraus, den er auf den Vorsitzenden richtete. Der trat einen Schritt zurück und zog dabei die Mundwinkel weiter in die Tiefe. »Was tust du da! Ich werde dafür sorgen, dass du degradiert wirst!«

Der Polizist schüttelte den Kopf. »Ich habe meine Pflicht zu tun, Genosse. Und die besagt, dass Staatsfeinde unverzüglich festzunehmen sind.«

Die Knie des Vorsitzenden schienen sich zu verflüssigen. Er fühlte sich erniedrigt, wie ein Hund.

»Punktestand anzeigen«, sagte er lautlos. Zum ersten Mal überhaupt. Leute wie er rutschten nicht unter die Schwelle der Vertrauenswürdigkeit ab, niemals.

Doch die Linse zeigte eine große rote Null.

Nicht 500, nicht 250 oder einen sonstigen Verlierer-Score. Nein: Null. Das galt nur Dissidenten, Staatsverrätern oder Schwerstkriminellen.

Aus Richtung des Hauptportals lief ein Trupp Polizisten heran. Der erste Polizist deutete auf den Vorsitzenden. Zwei der herbeilaufenden Staatsdiener lösten sich von der Gruppe, näherten sich dem Vorsitzenden, ergriffen ihn an den Armen und zerrten ihn von dem Durchgang weg. Hinaus in das abendliche Shanghai.

Der Vorsitzende verlor jedes Gefühl für seine Umgebung. In ihm war etwas implodiert. Alles war zu Ende! Wenn der Westen jemanden wie ihn diskreditieren konnte, dann würde das Reich der Neuen Seidenstraße bald sein Fundament verlieren. Und was dann mit der Welt geschah, wagte der Vorsitzende sich nicht auszumalen. Die Sonne sank. Sie sank weiter als nur hinter die Wolkenkratzer, die sich vor ihm türmten.

K.I.

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