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Kapitel 3: Von einem blauen Planeten
ОглавлениеVielleicht ist diese Welt die Hölle eines anderen Planeten[53]. (Aldous Huxley)
„Oh... Bosta!“
(bis zu 100.000 Männer, Frauen und Kinder, Lissabon, 1755)
Was hat der Herr eigentlich gegen rund?
Wenn Sie sich noch immer vorstellen, Sie wären allmächtig – hätten Sie den Planeten eierförmig und die Umlaufbahn um die Sonne wie eine Ellipse gestaltet? Mit all den Folgen, die das für eine Spezies wie den Menschen und für die ganze Natur hat, eine Natur, die auf eine gewisse Stabilität der Umweltbedingungen angewiesen ist?
Eierförmig ist der Planet und elliptisch ist die Umlaufbahn aufgrund von Naturgesetzen, die wir doch selbst erst erschaffen haben. Warum also lassen wir uns von solchen Kleinigkeiten aus dem Takt bringen?
Aber mal davon abgesehen: Diesen Planeten als einen zu beschreiben, der für den Menschen geschaffen sei – das ist, gelinde gesagt, absurd. Würde man den Auftrag haben, einen fiesen, kleinen, gemeinen Popelplaneten zu erschaffen, der so ziemlich alles hat, um das Leben für die Krone der Schöpfung so unangenehm wie möglich zu gestalten, dann wäre die Erde eine prima Betastudie. Dieser Planet ist für das Leben im Allgemeinen, für menschliches Leben aber im Besonderen nicht nur nicht perfekt. Im Gegenteil müsste man bei genauerer Betrachtung eigentlich feststellen, dass dieser Planet höheres Leben mehr schlecht als Recht zulässt und man höchstens behaupten kann, dass er es zumindest nicht sofort zerstört.
Unser Planet. Erde. Schon der Name ist komisch gewählt – die Erde. Die „Wasser“ wäre treffender, wie Isaac Asimov bemerkte, denn unsere Heimat besteht aus mehr Meer als aus Land.
Und im Meer kann der Mensch nicht überleben. Das ist jetzt blöd organisiert, denn wir werden schließlich immer mehr – gemäß unserem Auftrag „Seid fruchtbar und mehret euch und reget euch auf Erden“[54] – und ja, ich rege mich. Auf. Das hier soll Perfektion sein? Wie wäre es denn dann mal mit ein paar Kiemen? Vielleicht könnte Herbert Grönemeyer dann singen? Aber darum geht es nicht. Es geht darum:
Es ist ja nicht einmal Süßwasser, was da so über unseren Heimatplaneten schwappt, es ist untrinkbares Salzwasser. Es ist versetzt mit allen möglichen unbrauchbaren Stoffen, die dafür sorgen, dass wir verdursten, wenn wir davon trinken. Salzwasser ist schlimmer als Kamillentee. Wenn wir es trinken, müssen all unsere Körperzellen das Wasser, das sie schon haben, dazu benutzen, die vielen zusätzlichen Salze abzutransportieren. Auch ist unsere Haut nicht dafür gemacht, sich länger als ein paar Stunden in diesem Wasser aufzuhalten und sogar, wenn man dieses viele Wasser mal genießen möchte, wenn man in Cuxhaven mal baden gehen will, ist in dem Moment bestimmt grad Ebbe.
Tatsächlich besteht der größte Teil der Oberfläche unseres Planeten aus Wasser, alle Landmassen zusammen kommen auf weniger als 30%[55].
Aber selbst auf Land kann man nicht unbedingt behaupten, dass der Mensch wirklich willkommen wäre. Ein überwiegender Teil der Landflächen ist zu kalt, zu heiß, zu hoch, zu steinig, zu gefährlich, zu trocken, zu feucht, zu giftig, zu sandig oder zu steil, als dass dort Menschen leben könnten, und ein noch kleinerer Teil ist landwirtschaftlich nutzbar. Tatsächlich sind es, wenn man von der ganzen Erde ausgeht, nur wenige Prozent der Fläche auf der die Menschen[56] – oftmals nur mit Ach und Krach – leben können. Da sind die nur halbwegs bewohnbaren Steppen und die Tundra schon mit eingerechnet, und Bayern auch. Alles in allem ist dies hier ein erstaunlich nutzloser Planet.
Aber es ist der einzige, den wir haben.
Wenn es doch nur ein kleinwenig mehr Wasser gäbe.
Also nicht: Meerwasser. Mehr Wasser! Und zwar Trinkwasser. Die Reserven hier sind, so sie nicht im Eis gebunden sind, recht gering. Um nicht zu sagen erschreckend wenig. Die Problematik des fehlenden Trinkwassers ist vielen nicht so bewusst wie die Endlichkeit der Ölreserven, und das ist einfach zu und zu komisch – immerhin hat Wasser im Allgemeinen ja ein viel besseres Image als Öl. Vielleicht wegen der weiten Sicht auf See, oder weil es bei uns stets aus der Leitung kommt, haben sich viele Menschen diese Krux noch gar nicht so richtig bewusst gemacht – aber es fehlt, das Wasser, und zwar so ziemlich überall[57]. Wasserwiederaufbereitung ist sündhaft teuer und kompliziert, und die Menge an Frischwasser auf der Welt ist bei einer steigenden Weltbevölkerung erstaunlich knapp. Viele dursten jetzt schon, und diese Leute werden das Fehlen des Wassers unter Umständen gar nicht einfach zu und zu komisch finden. Dieses Problem wird sich in Zukunft exponentiell steigern. Eigentlich macht die Erde eher den Eindruck, als seien die Menschen hier gar nicht vorgesehen. Schon gar nicht so viele. Wenn man wie im letzten Kapitel erneut aus Europa, aus Amerika einmal einen Blick hinauswirft, stellt man fest, wie schwer das Leben sein kann – nicht nur im Weltraum, sondern hier auf Erden. Und da die Kreationisten ja gerne auch in Entwicklungsländern missionieren, kann ich mir die Situation geradezu bildhaft vorstellen, wie der Herr Missionar zu einem Kind, das gerade verdurstet, hingeht und sagt: Schau dich doch nur mal um! Wie perfekt der Herr alles eingerichtet hat, wie paradiesisch diese Welt ist, alles passt zueinander und ist wie für den Menschen geschaffen…! Wobei dies zynisch klingen mag, aber nicht so gemeint ist, denn es ist Realität – tatsächlich arbeiten evangelikale Missionare momentan mit Vorliebe in den ärmsten Regionen der Welt und fundamentalistische Ideen breiten sich gerade auf der Südhalbkugel zurzeit noch schneller aus als hier in Europa.
Überhaupt sind die Ressourcen auf unserem Planeten recht stark begrenzt. Die vollen Supermarktregale und die funktionierende Stromversorgung in der westlichen Welt lassen schnell vergessen, dass einige wichtige Ressourcen hier langsam echt knapp werden – und was für Folgen das haben wird. Für jede Plastiktüte, die wir wegwerfen, wurde Öl[58] verbraucht, und Öl ist für sehr viel mehr Dinge notwendig als nur das Autofahren. Ohne Öl wird es keine Tabletten mehr geben, keine Dichtungen für Rohre, keine elektrischen Anlagen, Isolationsstoffe und keine Petrochemie. Letztere ist die Grundlage für Farben und Lacke, Arzneimittel, Wasch- und Reinigungsmittel und einiges mehr. Sogar Karl-Theodor zu Guttenberg macht sich schon Sorgen um seine Frisur.
Auch die sogenannten Seltenen Erden zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass wir sie unbedingt brauchen für vieles, was wir im Alltag benutzen – von Computern bis zum Telefon, vom Elektroherd bis zum Radio – sondern vor allem dadurch, dass sie ihren Namen absolut zurecht tragen: Sie sind verdammt selten.
Es ist sicher nicht notwendig, dass wir hier eine vollständige Liste machen mit Dingen, die auf unserem Planeten wirklich knapp werden – wer interessiert ist an der Frage, was es alles schon jetzt nicht mehr gibt und was demnächst ausverkauft sein wird, der schaue in die entsprechenden Statistiken der UNO, bei Greenpeace, beim B.U.N.D. und anderen entsprechenden Quellen. Nein, was die Ressourcen angeht, ist die Erde nicht gerade reich. Wir sind zu viele, verbrauchen zu viel und haben zu wenig. Das Leid der Menschen ist schon heute unerträglich. Schaut man aus Europa und den USA heraus, stellt man schnell fest, was für ein widerlicher Drecksplanet die Erde sein kann. Von den Unannehmlichkeiten, die uns dieser Planet darüber hinaus noch bietet mal ganz zu schweigen.
Auch hier, wo wir fließend Wasser und Tiefkühlpizza haben, ist das Leben alles andere als optimal. Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, wo keine Gefahr droht. Erdbeben gibt es fast überall, und ihre Folgen sind für einen perfekten Planeten nicht ohne.
Haben Sie einmal Bilder von verschütteten Menschen, von zerquetschten Gliedmaßen und abgerissenen Körperteilen gesehen? Nicht, dass wir uns falsch verstehen – das sind keine Folgen menschlicher Sünde, von Kriegen, Terror oder Unfällen. Es sind die Folgen von Geschehnissen, für die alleine der Planet verantwortlich ist. Ein perfekter Planet muss keine Erdbeben haben, sie bringen keine Vorteile und sind in einem Design von Grund auf an sogar unnötig. Und doch töten Erdbeben Jahr für Jahr bis zu 320.000 Menschen[59], und zwar auf undenkbar grausame Art und Weise. Für viele andere, die nicht tot, sondern nur verletzt und verstümmelt sind, ist es ebenfalls eine furchtbare Katastrophe. Es muss nicht jedes Mal ein Atomkraftwerk in die Luft fliegen, um schrecklich zu sein. Wie viele Leute verlieren Jahr für Jahr ihr Haus, ihr Eigentum und einzigen Besitz, und haben noch jahrelang an den Folgen eines einzigen Bebens zu leiden.
Aus geologischer Sicht sind Erdbeben natürlich eine sinnvolle Sache, sie sind das Ergebnis plattentektonischer Verschiebungen – und die Plattentektonik ist, mehr als man denkt, verantwortlich für das Gedeihen des Lebens auf der Welt. Aber eben nur im Kontext eines wissenschaftlichen Weltbildes, nur, wenn man die Evolution und die Geologie versteht. Durch die Plattentektonik wird der sogenannte große Kohlenstoffkreislauf[60] in Gang gehalten, und ohne diesen wäre Leben auf der Erde unmöglich, weil der Planet in einer Höllenhitze verschmoren würde. Dann wäre hier niemand, der sich fragen würde, warum es Erdbeben gibt.
In einer geschaffenen Welt, in einer Welt, die von einem Schöpfer ein gutes Design bekommen hat, sind Erdbeben allerdings nicht notwendig. Nun könnten einige Halbkreationisten[61] natürlich auf den Gedanken kommen zu argumentieren, dass der Schöpfer um die Notwendigkeit von Erdbeben für die Entstehung und den Erhalt des Lebens wusste. Einige Opfer jedes Jahr sind nun mal notwendig für den großen Plan, für das große Ganze. Gott hat also die Plattentektonik entworfen und damit Erdbeben als unausweichliches Übel in Kauf genommen, um den Menschen letzten Endes das Dasein zu ermöglichen. Er konnte gar nicht anders.
Aber ist er nicht allmächtig? Ist Gott gezwungen, solche Kompromisse einzugehen? Schöpfte er wirklich sieben Tage so vor sich hin, nur um dann festzustellen:
„Och nööö, jetzt ist so viel CO2 in der Luft. Wir brauchen eine Plattentektonik, um das in den Griff zu bekommen. Verdammter Mist[62], dann gibt’s ab und an Erdbeben. Aber naja, irgendwas ist ja immer…“
Er konnte Eva aus einer Rippe und Adam aus dem Nichts schöpfen, einfach, indem er sie in die Existenz sprach, aber er konnte den Kohlenstoff nicht einfach verhindern? Oder unschädlich machen? Und deswegen leiden heute Hunderttausende regelmäßig an den Folgen von Erdbeben? Dies ist, wenn man die Idee des Intelligent Design ernst nimmt, die Schlussfolgerung.
Und was ist mit anderen Naturkatastrophen, etwa mit Tsunamis und Hochwasser, die keinesfalls immer auf Vorgänge zurückzuführen sind, die den Erhalt des Lebens gewährleisten? Tsunamis entstehen nicht nur durch Unterwasserbeben, sondern auch durch Erdrutsche und andere Katastrophen, die nichts mit dem Kohlenstoffkreislauf zu tun haben[63]. Wofür sind diese gut? Ertrinkende Menschen, Menschen, die in Fluten durch mitgeschwemmte Trümmer zerquetscht werden, sind auf diesem Planeten keine Seltenheit, nicht nur in Zeiten der Sintflut. Wer sich im Angesicht der Gefahren auf diesem Planeten – Hurrikane, Lawinen, Strudel – wirklich einen „perfekten“ Planeten vorstellt, sollte sich einmal mit den Opfern solcher Ereignisse unterhalten. Ein perfekt für den Menschen ineinanderpassendes System ist dieser Planet jedenfalls nicht. Oder man argumentiert als Kreationist damit, dass diese Naturkatastrophen Strafen für Sünder seien. Wenn man dies allerdings ernsthaft in Erwägung zieht, sollte man daran denken, dass solche Vorfälle regelmäßig alle möglichen Regionen treffen und Menschen aller Religionen töten. Statistisch ist keine Bevorzugung bestimmter Gebiete und Glaubensrichtungen festzustellen. Außerdem sterben bei solchen Ereignissen regelmäßig auch Babys, Kinder, Jungfrauen und nicht zu vergessen Tiere auf qualvolle Weise. Was also bringt den gütigen Schöpfer von Allem und Jedem dazu, uns dieser ständigen Folter auszusetzen? Hat er damit erst angefangen, nachdem Eva sich von der Schlange verführen ließ – und war demnach dies alles für den Erhalt des Planeten vorher noch nicht notwendig – oder war diese Folter von Anfang an Teil seines Konzepts?
Es ist ja gerade die Behauptung des Intelligent Design, dass alle Systeme die beobachtbar seien, perfekt funktionieren würden[64]. Die funktionieren aber nur dann perfekt, wenn man die Vernichtung von Leben als Ziel definiert. Auf einem Planeten ohne Ziel, ohne Sinn mag dies eine Beobachtung sein, die einen nicht weiter in Erstaunen versetzt. Auf einem Planeten, der intelligent designt wurde aber muss man sich schon diese Frage stellen: Gab es nach dem Sündenfall hier massive Umbaumaßnahmen, um Tiere und Menschen zu ärgern – das richtige Wort wäre eigentlich: quälen - oder wäre die Schöpfung auch ohne den Sündenfall derart deutlich zum Töten ausgelegt? Denn im ersten Fall laufen die Argumente des Intelligent Design ins Leere, weil sie sich nicht mehr auf die tatsächlichen Beobachtungen beziehen und somit nicht mehr sind als ein Glaube – was das Intelligent Design ja ausdrücklich zu widerlegen sucht. Im zweiten Fall sticht das Argument des Kreationismus von vornherein nicht mehr.
Ich habe hier bisher ja keinesfalls alle Arten von Naturkatastrophen aufgeführt, der Leser sei gerne eingeladen, seine eigene Fantasie und die Erinnerung an die letzte Tagesschau zu bemühen. Möglichkeiten zur Qual bietet dieser perfekte Planet auf jeden Fall genug. Alles spielt tatsächlich perfekt ineinander – wenn man eine perfekte Folterkammer für einen möglichst großen Teil der Menschheit zum Ziel hat. Nehmen wir nur einmal die regelmäßigen Vulkanausbrüche als Beispiel.
Im Inneren der Erde wabert glutflüssiges Gestein hin und her, frisst sich ab und an an verschiedenen Stellen bis zur Erdoberfläche durch und tritt dort aus. Dass dort Tiere und Menschen und gegebenenfalls ganze Städte begraben werden, sich mikroskopisch feiner Staub über große Flächen ausbreitet, die zu einem qualvollen Tod führen, wenn man sie einatmet, ist dem Herren natürlich egal. Manchmal will so ein Arschloch es eben auch richtig knallen lassen[65]. Dann verteilt sich Asche über die Welt bis in höchste Atmosphärenschichten. Es kann sich soviel Kraft anstauen, dass glühend heiße Gesteinsbrocken noch kilometerweit entfernt niederregnen. All diese Folgen und das Leid durch Vulkanausbrüche kann sich der Leser selbst vorstellen, ausmalen und auf sich wirken lassen. Aber es kommt noch etwas dazu.
Vulkanausbrüche – wie auch Blitze – lenken unseren Blick auf ein noch grundsätzlicheres Problem in dieser Schöpfung. Durch Vulkanausbrüche und Blitze können durch die entstehende Hitze Feuer ausbrechen. Nun hält man dies vielleicht zunächst nicht für etwas Besonderes und manch ein Raucher wird im Gegenteil der Meinung sein, er genieße die Existenz von Feuer. Aber warum genau bricht auf dieser Welt immer und überall so leicht Feuer aus?
Die Antwort ist einfach: Des Sauerstoffs wegen. Das ganze System des Lebens auf diesem Planeten basiert auf Sauerstoff. Und das ist nicht unbedingt die beste Idee eines Designers. Im Gegenteil. Sauerstoff ist ein hochaggressives Gas, das andere Elemente angreift und zerstört[66]. Ein wenig Sauerstoff in der Atmosphäre zu haben wäre vielleicht ganz gut, aber in dieser Schöpfung spielt Sauerstoff eine viel zu entscheidende Rolle. Die Zellen höherer Lebewesen nutzen den Sauerstoff, um ihren Stoffwechsel zu beschleunigen, aber durch genau dieses System altert die Zelle und wird langsam zerstört – Atemzug für Atemzug. Chemisch wäre die Umwandlung von Nährstoffen in Energie auch anders zu lösen gewesen, aber der Designer entscheidet sich für Sauerstoff. Dieses Grundprinzip erfordert es nun, dass in jeder Zelle Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden müssen, die dafür sorgen, dass der Abbau der Nährstoffe langsam und stetig voranschreitet – Sauerstoff ist so aggressiv, dass es sonst zu einer Zerstörung der Zelle kommen würde, besonders in Gegenwart von Wasser. Gleichzeitig greift der Sauerstoff alles an, was mit Luft in Berührung kommt, und zum Ausgleich sorgt es sogar, wie oben beschrieben, für eine übertrieben große Brandgefahr auf dem gesamten Planeten. Weniger Sauerstoff, weniger Brände, weniger Zellgift, weniger Leid, weniger Mutation, weniger Evolution, mehr Effizienz. Es ist wirklich ein saurer Stoff, auf den dieses Design basiert.
Nein, das Leben in dieser Schöpfung auf das Fundament dieser Substanz zu stellen war keine gute Entscheidung des Designers. Es fällt Lebewesen wie uns Menschen zunächst vielleicht schwer, den Sauerstoff, den wir so dringend benötigen und der uns wie ein Lebenselixier vorkommt, als etwas Schlechtes zu begreifen – immerhin sind wir dergestalt designt und layoutet[67] – aber objektiv betrachtet ist dies bei all den entstehenden Gefahren und Folgen die schlechteste Idee, die ein Designer haben konnte. Oder die beste Idee, wenn er absichtlich und willentlich unnötiges Leid für alle seine Lebewesen im Sinn hatte. Und dafür spricht einiges:
Es sind auch nicht nur die ewigen Katastrophen und die Feuer, die diesen Planeten zur Hölle machen. Radioaktive Strahlung in Gesteinen, unsichtbar und unmerklich – und tödlich – gibt es an viel zu vielen Orten der Welt. Und es steht gemeinhin nicht einmal ein Hinweisschild in der Nähe, welches einem sagen könnte, dass an dieser Stelle der Welt bitte keine Menschen leben sollten. Oder wenigstens nur Ungläubige. Ganze Städte sind auf Gesteinsschichten errichtet, die Gefahren bergen, sei es in der Art einer höchst ungesunden Strahlung oder einer Erdbebenverwerfungszone. Und wo die Erde nicht ordentlich mitspielt, finden Wirbelstürme statt oder das Land ist unfruchtbar. Wenn es einen Plan für diesen Planeten gibt, dann ist es ein Todesplan.
Und dies keinesfalls nur im lokalen Maßstab. Auch global bietet die Erde kein beständiges, schönes Plätzchen für die Krone der göttlichen Schöpfung. Das Klima auf unserem Planeten ist alles andere als stabil – und das schon seit Milliarden Jahren und ganz ohne Zutun der Menschheit. Sicherlich ist es an dieser Stelle nur ein kleines Sahnehäubchen, dass Gott uns Menschen dergestalt geschaffen hat, dass wir wie blöd auf Öl und andere fossile Brennstoffe abfahren und es uns angewöhnt haben, sie zu verbrennen, als gäbe es kein Morgen. Ein wenig mehr Vorsicht oder Umsichtigkeit hätte er hier schon in die Masse der Menschen hineinschöpfen können. Also in die Gehirnmasse. Aber ganz unabhängig von unserem eigenen Einwirken in das Klimageschehen ist dieses nicht so sonnig-halbklar-mitteltemperiert wie unsere Wetter-App auf dem Handy es uns morgens stets prophezeit. Auch ohne menschliches Zutun schwankt das Klima auf der Welt zwischen arschkalt und höllenheiß, und der Mensch ist nicht dahingehend designt, solche Temperaturen auszuhalten. Wir leben momentan in einer kurzen Zeit eines gemäßigten Klimas, geologisch gesprochen in einer der wenigen Warmperioden innerhalb einer Eiszeit[68]. Alles andere wäre auch nichts für uns.
Es wird nicht so bleiben. Viel zu abhängig ist unser Klima von den unterschiedlichsten Variablen. Vom mittleren Abstand zur Sonne in einem Jahr – welcher sich stetig verändert – über das Kohlendioxid in der Luft bis zur Neigung der Erdachse, welche ebenfalls in Bewegung ist und die Lage der Kontinente spielen vielerlei Faktoren zusammen, die das Klima unseres Planeten verändern. Wir leben diesbezüglich auf Messers Schneide, und haben vom gütigen Schöpfer nicht einmal ein Gespür für diese Wackelangelegenheit mitbekommen – wir verschlimmern die Situation durch unser Handeln nur noch mehr[69].
Der Golfstrom ist Teil der globalen thermohalinen Zirkulation und transportiert Wärmeenergie vom Äquator nach Europa. Ohne diesen Wärmeaustausch auf dem Planeten wären große Teile der Nordhalbkugel gefroren. Man könnte ein solches System wie das System eines Designers bewerten, wenn es nur nicht so instabil wäre. Ursache und Motor für die Strömung sind die Unterschiede im Salzgehalt und damit in der Dichte von unterschiedlich temperiertem Wasser. Wird nun die Erde ein wenig wärmer und schmelzen Eismassen an den Polen nur ein kleinwenig, so ergießt sich eine Menge Süßwasser ausgerechnet an jene Stellen der Erde, die den Golfstrom in Gang halten; ein Abbruch der Ströme kann mitunter sehr plötzlich in einem Zeitraum von 10-15 Jahren passieren. Änderungen in der Strömungsgeschwindigkeit und den Richtungen der verschiedenen weltweiten Ströme hat es zu jeder Zeit in der Geschichte des Planeten gegeben und in seiner Folge kam es immer wieder zu Eiszeiten, Hitzeperioden und Klimaveränderungen. Das System ist ausgeklügelt – wenn man nur den Moment betrachtet. Im großen Maßstab hingegen ist dieses System höchst störanfällig und auch kleine Veränderungen haben gegebenenfalls große Wirkungen, wie bei einer Stricknadel, die man auf ihrer Spitze balancieren lässt, und die auf jeden noch so kleinen Windhauch massiv reagiert. Das schöne, mitteltemperierte Klima, das wir Menschen für so stabil halten, existiert seit wenigen 1000 Jahren. Und um die Sache ein wenig spannender zu machen, hat der Herr gleich noch auf Messers Schneide stehende Todesfallen mit eingebaut. Zum Beispiel Methan[70].
Sind schon Kohlendioxid und der Wasserdampf starke Treibhausgase, deren Schwankungen das Klima erheblich beeinflussen und, wie im Falle des Wasserdampfs sogar rückgekoppelte Systeme sind (ein wärmerer Planet lässt mehr Wasser verdunsten, mehr Wasserdampf in der Atmosphäre lässt weniger Strahlung entweichen, mehr festgehaltene Strahlung lässt den Planeten weiter erwärmen) so ist Methan ein tausendfach stärker wirkendes Treibhausgas[71]. Es findet sich zu Millionen Tonnen gefroren im Erdboden und durch Druck niedergehalten auf dem Meeresboden. Erwärmt sich nun das Klima und damit das Meer, verringert sich auch die Dichte des Meeres und damit das Gewicht, das auf den Meeresboden drückt. Da es der Druck ist, der das Methan auf dem Meeresboden festhält, drohen einige der Systeme umzukippen. Wie instabil das Festhalten des Methans ist, lässt sich in den letzten Jahrhunderten bereits im Bermudadreieck beobachten, wo viele der berühmten Horrorgeschichten auf gelöstes und zur Wasseroberfläche blubberndes Methan zurückzuführen sind. Lösen sich mehr und größere Methanfelder weltweit, und strömen dadurch größere Mengen Methan in die Atmosphäre, so wird das Klima nicht zu halten sein.
Diese Wackelangelegenheit hat Auswirkungen – nicht nur hier und heute, sondern schon immer. Wie perfekt diese Welt für das Leben wirklich ist, zeigt sich vor allem, wenn man alle erdgeschichtlichen Ereignisse mitdenkt. Da hat der Herr doch wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt tatsächlich einen Planeten geschöpft, auf dem fast alle Arten – nämlich 99,99% – die jemals gelebt haben, bereits wieder ausgestorben sind. Überleben ist auf der Erde eine wirklich schwierige Angelegenheit, und es gab bisher kaum eine Spezies, die darin wirklich erfolgreich war. Eigentlich nur die Quallen[72], die seit Urzeiten hier herumplanschen[73], aber ausgerechnet die ahnen das wahrscheinlich nicht einmal. In der Erdgeschichte gab es fünf große und viele kleine Aussterbeereignisse, in denen das gesamte Leben auf dem Planeten kurz vor der Vernichtung stand, und auch heute leben wir in einer Zeit, in der das Artensterben eine Geschwindigkeit angenommen hat, dass man von einem sechsten großen Artensterben sprechen kann. Da aber bei diesem sechsten Massensterben der Mensch selbst die wahrscheinlichste Ursache ist, gehört es thematisch nicht in dieses Buch. Die meisten Arten aber sind schon lange vor unserer Zeit ausgestorben. Und es macht nicht den Eindruck, als ob die Menschheit, die noch ein Küken im Vergleich mit anderen Spezies ist, in Sachen Überleben erfolgreicher sein könnte. (Wer an dieser Stelle darauf hinweisen möchte, dass die Welt nicht, wie die Geologen sagen, Milliarden Jahre alt ist, sondern nur knapp 10000 Jahre, der möge bitte direkt zum Kapitel über „falsche Spuren“ springen, und sich die Frage stellen, warum Gott auf der Welt überall Fossilien und Gesteine hinterlassen hat, die ganz offenkundig den Eindruck vermitteln sollen, die Erde sei viel älter.)
Überleben ist auf diesem Planeten, dessen deutlichste Eigenschaft der Wankelmut ist, nicht das Ergebnis, auf das die Perfektion hinauslaufen kann. Perfekt ist die Erde eigentlich eher in der Vernichtung des Lebens. Und daran ist keinesfalls nur das instabile Klima schuld.
Sind Erdbeben und Vulkane vor allem ein großes Ärgernis und Teil eines ausgeklügelten Foltersystems für einzelne Mitglieder einer Art – etwa uns Menschen – so birgt unser Planet ähnliche Gefahren auch für ganze Ökosysteme und das Leben im globalen Maßstab. Erst in den letzten Jahrzehnten ist sich die Menschheit über die ständig drohende Gefahr sogenannter Supervulkane[74] wirklich klar geworden. Supervulkane haben das Potenzial, die gesamte Menschheit auszurotten, mit einem einzigen großen Bums. Und es ist nicht nur der Bums selbst, den der Herr uns hier als faules Ei ins Nest gelegt hat. Er hat bis dahin erst mal vor allem für eben die Angst gesorgt, die die Menschheit seit der Entdeckung der Existenz dieser Supervulkane vor einem solchen Ereignis nun haben kann. Sowas macht das Leben ja nun auch nicht unbedingt schöner. Inzwischen gibt es ganze Dokumentationsreihen, in denen von den Supervulkanen bis zu Meteoriteneinschlägen alle möglichen Aussterbeereignisse beschrieben werden und N24 sendet solche Apokalypsen regelmäßig immer dann aus, wenn sie keine Reportage über Hitler mehr im Archiv haben, die sie in den letzten 14 Tagen nicht schon dreimal gesendet hätten.
Und vor noch etwas können wir als Zivilisation Angst haben: dem Schwanken des Erdmagnetfelds. Das Erdmagnetfeld entsteht, weil im Erdinneren der Metallkern der Erde sich weniger schnell dreht als die äußere Hülle[75]. Wie in einem Dynamo werden dadurch Ströme und durch diese Ströme ein Magnetfeld erzeugt. Dieses Magnetfeld schützt den Planeten vor kosmischer Strahlung. Gäbe es diesen Schutz nicht, hätte das Leben auf der Erde sich gänzlich anders entwickelt, als es das hat. Höheres Leben hätte nur unter Wasser stattfinden können, weil das Wasser einen gewissen Schutz vor der Strahlung bietet; Lebewesen die auf Land zu leben gedachten, hätten zunächst einen gewissen Schutz aufbauen müssen, der ihnen ein Leben in dieser Strahlung ermöglicht. Das Leben auf der Erdoberfläche aber hat einen solchen Schutz nicht und alle höheren Lebewesen, auch der Mensch, wird der nächsten Schwankung des Erdmagnetfelds recht hilflos gegenüberstehen. Das Erdmagnetfeld wiederum schwankt alle paar Jahrtausende, und ist schon jetzt, in diesem Moment, dabei zusammenzufallen. Es wird sich auch wieder aufbauen; daran besteht kein Zweifel, aber ob unsere Zivilisation diese Übergangszeit überleben wird, kann man nicht sagen[76]. Tatsächlich benutzt der Kreationismus den Rückgang der Stärke des Magnetfelds der Erde als Begründung dafür, dass die Erde erst 10.000 Jahre alt sein könne. Die Begründung geht so: Wenn das Magnetfeld schwächer wird, dann muss es früher stärker gewesen sein, und wenn die Erde älter als ein paar Jahrtausende wäre, dann wäre vor 20.000, 50.000 oder 100.000 Jahren das Erdmagnetfeld derart stark gewesen, dass es die Erde vaporisiert hätte[77]. Ich weiß, was Sie jetzt denken. Aber nein, die meinen das ernst.
Und damit zurück zu den tatsächlichen Beobachtungen unseres Planeten, zu Vulkanen, Supervulkanen, dem Klima, zur Tundra und der Steppe, zu Tsunamis und den zur Neige gehenden Ressourcen, zu Hurrikanen und Orkanen, Überflutungen und radioaktiven Gesteinen:
Ein sorgenfreies Leben jedenfalls stand beim Herrn nicht an oberster Stelle der Prioritätenliste seiner Schöpfung. Angst machen kann er, dieser Gott, das muss man ihm lassen.