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Kapitel 5: Von der Lust, Aphrodite zu töten

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„Kannst Du Dich eigentlich noch an Dein erstes Mal erinnern?“

„Ja, aber die Kirche hat mir Geld gezahlt, damit ich nicht mehr darüber rede.“

(Jackys Stations)

„Wir kommen von den Zeugen Jehovas.“

„Ach nee, zum Zeugen bin ich zu alt.“

(Mein Opa)

Was macht man, wenn man ein hassender, ein bösartiger Gott ist, wenn man in seiner Schöpfung Wesen haben will, die man so richtig foltern möchte, die so richtig chancenlos sind, wenn man die Hölle schon vorgeheizt hat und Gesetzgeber, Ankläger, Richter und Henker in einem sein möchte?

Man stattet seine Schöpfung mit einem Sexualtrieb[141] aus.

Und dann verbietet man alles, was daran Spaß macht.

Ausgerechnet die Leute, die sich selbst als streng gläubige Christen oder Muslime bezeichnen, die die Evolution ablehnen und alles für eine Schöpfung halten, von der Darmzotte bis zur Gehirnzelle, ausgerechnet diese Leute sind es, die am entschiedensten gegen alles vorgehen, was mit Sexualität zu tun hat. Sei es der Aufklärungsunterricht an Schulen, die Gleichberechtigung von Homosexuellen oder die Gesetzeslage zur Abtreibung (schließlich sollen vor allem Frauen nur Sex haben, wenn es zu Nachwuchs führt[142]) – alles, was irgendwie klingt, als sei es etwas Anderes als Sex im Dunkeln unter der Bettdecke mit dem Ehepartner zum Zwecke der Fortpflanzung, alles, was darüber hinausgeht, wird abgelehnt. Begründbar mit Bibel, Koran und Tanach ist dies schnell, die Verse und Suren sind stets zur Hand – also wenn die Hand frei ist. Aber dass ausgerechnet jene Leute, die alles für eine intelligente Schöpfung halten an dieser Stelle nicht stutzen, wundert dann doch:

Hätte man das als intelligenter Designer nicht anders regeln können?

Man ist allmächtig. Man ist allwissend. Muss man seine Schöpfung so eindeutig chancenlos in eine Falle schicken – und dann mit ewiger Qual in der Hölle drohen, wenn jemand schwach wird? Wenn die Welt, wenn der Planet, wenn wir, die Menschen, wirklich bis ins Deteil[143] Geschaffene sind, dann ist unser Hormonhaushalt und das Lustzentrum im Hirn eine außergewöhnlich bösartige Angelegenheit.

Oder andersherum – wenn der Sexualtrieb, wenn die Hormone[144] gewollte und gute Aspekte der Schöpfung sind, dann sind die Texte in den Heiligen Büchern eine bodenlose Unverschämtheit. Ich werde hier nicht die vielen Textstellen heraussuchen, auf die sich die Religiösen mit Nachdruck beziehen – und das Wort „Nachdruck“ mag hier jeder lesen, wie er will – das kann der geneigte Gottesflüsterer selbst tun. Meiner Erfahrung nach ist das Lesen der Bibel und auch des Korans sowieso sehr empfehlenswert, nicht wenige Menschen fallen direkt vom Glauben ab, wenn sie zum ersten Mal sich wirklich mit ihrer Religion beschäftigen; und zwar selbst, nicht vorgekaut von den Leuten auf den Kanzeln. Die heiligen Bücher sind mit frauenverachtenden, lustverachtenden, unmenschlichen, barbarischen und rigorosen Vorstellungen ihrer Sexualmoral derart vollgestopft, und diese sind so eindeutig, dass hier die Interpretation, Gott habe das so nicht gemeint, wirklich schwerfällt. Die biblischen Auffassungen davon, was Sexualität ist und sein soll, sind ihrer Entstehungsgeschichte, der Steinzeit, vollkommen angemessen. Was erwartet man auch von einer Religion, deren Erfinder unaufgeklärte, verklemmte, alte Herren waren. Während Zeus noch der Lust frönte und sein göttliches Ding überall hineinsteckte, wo er konnte, während Aphrodite noch eine Göttin war, und als Venus erst, der römischen Ausgestaltung dieser Gottheit, die das Verlangen ihrer Gläubigen nicht nur akzeptierten, sondern die Lust an der Lust feierten[145], müssen die Texte, die durch Menschenhand geschrieben und inspiriert durch Jahwes Wort, als geradezu impotent gelten. Solche verklemmten Vorstellungen findet man sonst nur noch bei dem verbitterten alten Hausmeister, der heimlich lüstern aus dem Fenster schaut und wortreich über die Unmoral und den viel zu tiefen Ausschnitt der jungen Frau schimpft – verbittert vor allem deswegen, weil er weiß, dass er in seinem Leben einen solchen Ausschnitt nie wieder berühren wird. Viele Leute wären viel entspannter, wenn sie mehr Sex hätten. Vor allem Hausmeister.

Die Frage aber bleibt: Warum, wenn Gott seine Texte so meint, wie er sie schreiben ließ, hat er diesen Trieb zuvor erst in dieser Form geschaffen?

Gott hat ja nicht grundsätzlich etwas gegen Sex. Daheim, verheiratet und mit dem Ziel, dass dabei etwas rauskommen soll – ganz wörtlich – ist Sex ja erlaubt. Und wie mir einige Katholiken versicherten, muss er dann auch nicht jedes Mal der Fortpflanzung dienen. Geachtet werden müsse nur darauf, dass es sich um etwas Heiliges handele, etwas Besonderes, das geehrt werden muss und – wohl nicht nur bei Katholiken – man möchte sagen: hochgehalten.

Andere Formen der Lust, besonders solche, die Spaß machen, sind hingegen tabu. Auch wenn ich den rheinischen Katholiken im Karneval nicht immer abnehme, dass sie sich stets strikt nach den Vorschriften des Papstes richten, und auch den vielen tausend Jugendlichen beim Kirchentag nicht unbedingt glaube, dass dort an den Abenden alle Hände stets über der Bettdecke geblieben sind – die Zahl derer, die jegliche Form der außerehelichen Lust strikt ablehnen, steigt[146]. Sex wird zu etwas Unnahbarem, etwas Göttlichem verklärt, und während in Berlin, Hamburg, München, Köln und – nicht zuletzt, wie ich versichern kann - auch in Hannover junge Menschen ein entspanntes, lüsternes und vor allem dabei glückliches Leben leben, Fetische und Spielzeuge testen und einfach gerne Menschen berühren – berühren! und zwar auch seelisch, denn voreheliche Erotik ist nicht gleichzusetzen mit liebloser Massenabfertigung – während all dies passiert und niemandem schadet, wächst die Zahl derer, die dies für Sodom und Gomorra halten. Die alten Texte aus der Steinzeit brauchen Sadomasochismus, Analsex, Oralsex, Dirty Talk, Swingerklubs und Fußleckereien nicht namentlich zu nennen; die Schriften sind in anderer Form deutlich genug, als dass die Gläubigen genau genug wissen, dass solche Praktiken auf jeden Fall igittigitt sind. Die eigene Prüderie und Minderwertigkeitskomplexe können leicht als eine moralische Stärke dargestellt werden, wenn man sie als gottbefohlen beschreibt, und „gottbefohlen“ ist stets, wie in allen Bereichen, nicht sehr leicht zu begründen, wie man an den öffentlichen Interviews führender VertreterInnen, etwa der Initiative Pontifex[147] bewundern kann. Selbst das Onanieren gilt als verwerflich, obgleich kein Mensch auf der Welt dies verhindern kann. Ähnlich wie bei Electroswing-Musik. Niemand mag es öffentlich so richtig zugeben, aber keiner kann sich davor schützen und irgendwann schnippst die Hand halt doch ganz von selbst im Takt.

Nun ist Abstinenz und ein Sich-Vorhalten bis zur Ehe zum einen etwas sehr Privates und zum anderen nichts Schlimmes; es schadet keinem Dritten, jeder hat das Recht und sollte das Recht haben, dies für sich zu entscheiden. Wer gerne Sex hat, sollte daher auch niemanden, der abstinent leben möchte, verurteilen oder gar zum Sex zu überreden suchen. Dies geschieht aber auch sehr selten. Andersherum allerdings gehört das Missionieren durchaus zu den Kernelementen der Wahre Liebe wartet-Bewegung, wie Katharina Liebsch[148] sehr richtig aufzeigt. Die Überhöhung und Glorifizierung des einzig echten, des innerehelichen Aktes mit der einen wahren Liebe, hat enorme Folgen für das Seelenheil bei den Betroffenen[149]. Liebe wird zum Besitztum erklärt, Loyalität mit körperlicher Treue verwechselt. Sex wird nicht mehr als Normalität erlebt und schlimmer noch: auch niemandem anderen gegönnt.

Während andere natürliche Bedürfnisse wie Hunger und Durst problemlos auch mit Genuss befriedigt werden können und niemand auf dem Standpunkt steht, Hunger sei etwas Heiliges und dürfe ausschließlich durch feierliche 5-Sterne-Menüs gestillt werden oder gar, dass der gelegentliche Verzehr von Fast Food oder eine gelegentliche Diät die Heiligkeit und wahre Erfüllung von 5-Sterne-Menüs kaputtmache – niemand kann noch das Festmahl eines Sternekochs genießen, wenn er in seinem Leben vorher bereits einmal einen Hot Dog aß! – so ist eine solche Argumentation im religiösen Fundamentalismus bezüglich der Sexualität weit verbreitet. Sex kann nur mit der einzig wahren Liebe gut und sinnvoll sein, Sex mit jemandem, den man nicht liebt, sondern nur mag, sei verwerflich. Und dies – so kann man in den heiligen Schriften lesen – sei Gottes Wille. Das Arschloch mag keinen Sex.

Dabei ist dieses Konzept der Liebe, das vergessen einige, relativ neu. In vielen Epochen der Menschheitsgeschichte, und noch vor wenigen hundert Jahren, war die Heirat keine Frage des Herzens, und es ging nicht um Liebe, die Ehe war vielmehr eine Angelegenheit für den Geldbeutel, für die Absicherung, den Stand und die organisatorische Verbindung zweier Familien. Die Ehe, die Treue, die Liebe und der Sex waren in der Menschheitsgeschichte nicht immer in einer Schublade. Die Werthers dieser Welt haben nicht immer schon gelitten: Nicht zu selten kannten sich zwei Ehepartner bis zum Tag der Hochzeit nicht. Von einem ordentlichen Schreiner, Maurer, Bäcker oder Bauern erwartete man, verheiratet zu sein, und zwar möglichst mit der Tochter eines anderen ordentlichen Schreiner, Maurer, Bäcker oder Bauern, also aus dem eigenen Stand; nach Möglichkeit eine, die eine Werkstatt, Werkzeuge, Land oder andere Güter mitbrachte, die man gebrauchen konnte[150]. Man suchte und fand nicht nur einen Partner aus dem eigenen Stand, die Ständeordnung verbot es sogar, etwas Anderes zu wollen. Wobei die Menschen zu allen Zeiten dennoch Sex hatten, der nicht standesgemäß war – man durfte nur nicht heiraten, darauf achtete die Kirche. Als uneheliches Kind des Pfarrers oder Bischofs in die Welt geboren zu sein, bedeutete häufig genug nicht nur, in einer fremden Familie aufzuwachsen, sondern auch, auf dem Heiratsmarkt nicht vermittelbar zu sein – ob man jemanden liebte oder nicht. Auch wenn zwei Königshäuser einen Krieg beenden wollten, der ihnen zu teuer wurde, verheirateten sie kurzerhand den Prinzen aus dem einen Haus mit der Prinzessin aus dem anderen. Und wenn die Prinzessin noch vor der Heirat an Typhus starb, dann heiratete der Prinz halt deren Schwester, da kam es dann nicht so drauf an. Was eine Ehe ist und sein soll, das schwankte im Laufe der Menschheitsgeschichte sehr, und auch das Bild, das man von der Sexualität hatte, war niemals einheitlich. Galt das Weib über Jahrhunderte als das unreine, ausschweifende, unzüchtige, willensschwache und allzu leicht von Dämonen besessene Wesen, das den armen Mann verführt und ins Unheil stürzt, so war das Bild der Frau vor 200 Jahren plötzlich das der züchtigen, asexuellen, keuschen Jungfer, die sich nicht für Sexualität interessiert und deren Gedanken niemals lüstern sind, während dem Mann zugestanden wurde, stetig brünstig zu sein. Mätressen im absolutistischen Frankreich hatten großen politischen Einfluss[151], und es war wichtig, dass sie sich mit der Ehefrau des Königs, der Königin, gut verstanden. Im antiken Griechenland hielten verheiratete Männer sich Lustknaben. Die Geschichte der Menschheit – hier dargestellt durch eine blaue Ersatzflüssigkeit – war stets auch die Geschichte des Auslebens der Lust und ihrer Rituale.

Und heute sind die Vorschriften, wie die Vorschriften sind. Du sollst keusch sein, sonst brennst du ewig in der Hölle. Dabei wäre es für einen allmächtigen Schöpfer doch so einfach gewesen, das ganze Dilemma zu verhindern – wenn es ihm denn so wichtig ist. Zum Beispiel durch Prägung.

Nicht nur manche Vögel kennen dieses Konzept. Kurz nach dem Schlüpfen aus dem Ei sehen und erkennen sie ihre Mutter – und folgen ihr danach auf ewig.

Das Konzept der Prägung[152] war dem Schöpfer also nicht unbekannt – was bei einem allwissenden Schöpfer auch nicht verwunderlich ist. Umso erstaunlicher ist seine Entscheidung, die vorhandene Technik nicht auch da einzusetzen, wo es ihm wichtig ist: Bei den Menschen und deren Sexualität. Weniger gebildete Kreationisten mögen an dieser Stelle von Willensfreiheit reden, aber ich gebe zu bedenken, dass der menschliche Geist voll ist von Reflexen, angeborenen Verhaltensweisen und Instinkten[153]. Wer beim Menschen von der Willensfreiheit redet, der möge gerne einmal probieren, drei Tage am Stück nichts zu essen – und sich dann auf etwas Anderes zu konzentrieren, als die Frage, wie man seinen Hunger stillen kann. Oder seine Hand ein paar Minuten auf eine heiße Herdplatte zu halten, nur weil er es will. Triebe und Instinkte bestimmen den menschlichen Geist mehr, als die Willensfreiheit gerne wollen würde. Warum ausgerechnet in der Sexualität – die zudem ebenfalls sowieso in mannigfaltiger Weise von Instinkten dominiert ist – ausgerechnet auf das einfache Konzept der Partner-Prägung verzichtet werden soll, ist unklar – man muss nur einen Verhaltensforscher fragen, um zu erfahren, wie sehr auch der menschliche Geist ansonsten durch Prägungen dominiert wird[154].

Wie einfach wäre es gewesen, den Menschen diesbezüglich mit einer Prägephase auszustatten: Der Partner, mit dem man zum ersten Mal schläft, ist jener, auf den man den Rest seines Lebens scharf ist. Nichts einfacher als das. Und auch nicht schwer umzusetzen: Ein schickes Hormon, dessen Ausschüttung die erste Prägung im richtigen Moment einleitet – fertig. Schließlich ist man ja allmächtig und hat viel kompliziertere Dinge geschaffen. Da wird dem Gott doch vor einem kleinen zusätzlichen Hormon nicht bange sein…

Manch einem wird vielleicht bei der Erinnerung an seine allererste Freundin oder den allerersten Freund bei diesem Gedanken ein eher ungutes Gefühl beschleichen. Aber die Gesellschaften der Menschen würden sich, um diese Prägung wissend, weil es schon immer so war, ganz anders verhalten. Der erste Akt wäre wirklich ein Akt der Liebe, der Entscheidung, und weder Mann noch Frau hätte je wieder Lust auf jemand anderen. In der Werbung würden schlagartig alle Brüste verschwinden, alle Nachmittagstalkshows mit Treuetests würden abgeschaltet werden, der Playboy wäre ein Literaturmagazin und xhamster pleite: Wer einmal Sex hatte, der ist geprägt, und möchte in seinem Leben nie wieder an Sex mit einem Anderen denken.

Gott aber entscheidet sich für eine andere Lösung. Er stattet den Menschen mit dem stärksten Trieb[155] neben dem Hunger aus, wartet, und veröffentlicht dann seine Meinung dazu in einem Buch. Noch dazu in einem Buch, von dessen Sorte es auf der Welt viele gibt – einer heiligen Schrift, und die hat leider so ziemlich jede Religion, auch die falschen. Er erwartet also, dass die Menschen sich von selbst für die richtige Religion entscheiden, dort lesen, und dann ihren dort als sündig beschriebenen Trieb soweit unterdrücken, wie er es dort fordert. Ansonsten droht er mit ewiger Qual. Gleichzeitig aber ist der Trieb so stark, dass es quasi keinen Menschen gibt, der ihn tatsächlich unterdrücken kann: Nicht umsonst ist einer der größten Missbrauchsskandale unserer Zeit ausgerechnet dort aufgetreten, wo die striktesten Auslegungen gelten. Wer gerne mit Suchmaschinen recherchiert, kann sich einmal den Spaß erlauben und sich Karten zeigen lassen, in denen die Dichte und Strenge religiöser Einstellungen in der Bevölkerung aufgezeigt sind – in Deutschland in der Gegend von Bayern, in Europa Gegenden von Spanien, Italien und Irland, weltweit der sogenannte Bible-Belt in den USA und ungenauere, weil inoffizielle Statistiken aus Iran, Syrien und Indonesien, und dann mit den einschlägigen Abrufstatistiken der Pornoseiten vergleichen, und staunen. Oder auch nicht staunen: Auf Fetisch-Partys ist man vor nicht-einvernehmlichen sexuellen Übergriffen recht sicher[156]. In kirchlichen Einrichtungen hingegen gab es bereits viele, inzwischen gut dokumentierte, reale Vergewaltigungen.

Das ist, neben der unerquicklichen Aussicht auf die ewige Qual in der Hölle, ein weiterer Aspekt in Gottes Sexualschöpfung: Das Leid, das er damit verursacht. Überall auf der Welt mühen und arbeiten Gläubige daran, die irrsinnigen Vorgaben ihrer heiligen Bücher einzuhalten – und scheitern. Eine Qual ist es dennoch[157], wenn man öffentlich immer und stetig sich als sittsam präsentieren muss, als gottesfürchtig und moralisch, im Innersten aber seine eigene Lust und seine Bedürfnisse spürt. Oder sie sogar auslebt – heimlich, ohne dass die Gemeinde es wissen darf. Zu welch einer Qual hat Gott seine Schäfchen verdammt[158], obgleich es einfachere Wege gegeben hätte.

Denn Prägung wäre allemal nicht die einzige Möglichkeit gewesen, das Problem rein biologisch zu lösen – es gäbe so einige Möglichkeiten, den Sexualtrieb kontrollierbar zu machen. Das sind nur die Möglichkeiten, die mir einfallen – ein ordentlicher Schöpfergott sollte doch eigentlich mehr im Petto haben, als das, was ich mir so ausdenke. Alle Möglichkeiten wären um so vieles einfacher, menschlicher, ja: göttlicher gewesen. Sex hätte in Gottes Schöpfung etwas Einfaches, sogar etwas Nebensächliches sein können, notwendig, aber nicht erwähnenswert. Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, hätte sogar eine Fortpflanzung ganz ohne Sex ausgereicht. Dann wäre Sex nicht heutzutage in aller Munde[159], auf allen Plakaten und für pubertierende Halbstarke plötzlich das wichtigste Thema der Welt. Und vor allem würde den Menschen die eigene Sexualität nicht nur nicht mehr besonders interessieren – ganz und völlig im Desinteresse verschwinden würde vor allem die zum Teil völlig überhöhte Anteilnahme an der Sexualität der Anderen.

Hast du schon gehört? Tanja hat bei der letzten Party mit Micha rumgemacht! Tobias nimmt auch alles mit, was nicht bei drei auf den Bäumen ist! Jana ist doch eine totale Schlampe, wie die sich schon anzieht! Max und Marie sind doch beide verheiratet, aber nicht miteinander, und jetzt stehen sie dahinten zusammen und flirten die ganze Zeit – geht da noch was?

Je mehr Menschen Probleme mit der eigenen Sexualität haben – ob auf religiöser Grundlage oder nicht – desto mehr scheinen sie sich für die Sexualität der anderen zu interessieren. Und es wird behauptet, verurteilt, getuschelt, ausgegrenzt und fremdgeschämt, ausgedacht und verteufelt, dass sich die Balken biegen. Wer Sex als etwas Natürliches und Normales definiert, gilt als pervers. Wer sich Handschellen kauft, gleich dreimal. Wer in einer offenen Beziehung lebt, gilt als niveaulos, und wer in eine Talkshow geht, um sich einem Treuetest per Lügendetektor[160] zu unterziehen, nicht. (Wobei das Wort „Niveau“ in den letzten Jahren eine Evolution, eine Entwicklung durchgemacht zu haben scheint. Hatte Niveau vor einigen Jahren noch mit Bildung, Eloquenz, Intelligenz und Stil zu tun, so wird dieses Wort heute vor allem von Leuten ohne Bildung, Eloquenz, Intelligenz oder Stil benutzt, um Menschen zu beschreiben, die gerne Sex haben, wobei der eigene Bildungsgrad und Stil unbeachtet bleibt; die ursprüngliche Bedeutung von Niveau hingegen wird gerne mit Überheblichkeit verwechselt. Die neue Definition von Niveau lautet: „Das, was andere nicht haben.“)

Und so wird neben dem Getuschel auf dem Schulhof und im Büro der politische Kampf gegen offene Sexualität zu einem Hauptthema der religiösen Rechten. Gleich, ob sie sich über die Frage nach dem unverwechselbar wahren, wirklich echt absolut unbestreitbar einzigen Gott[161] die Köpfe einschlagen, bei der Frage, wann und wie andere Leute Sex haben dürfen stehen fanatische Christen und eifernde Muslime Seit an Seit. Wenn sie sich doch nur einfach selbst einschränken und bändigen würden – jeder kann sein eigenes Leben schließlich so keusch leben, wie er will – aber es geht ihnen viel mehr darum, auch das Leben Anderer einzuschränken. Nicht wenige verbringen ihr halbes Leben damit, sich professionell für die Sexualität ihrer Mitmenschen zu interessieren, religiöse Lobbyisten geben ihr Bestes, sowohl die öffentliche Meinung zu beeinflussen als auch Einfluss auf politische Entscheidungen[162] in Fragen der Familienpolitik, der Medizin, der Gesundheitspolitik, der Aufklärung, der Erziehung und der Bezahlung für Vorsorge durch Krankenkassen zu nehmen. Damit wird der Kreationismus zu einem Einfallstor für Radikalreligiöse, denn wenn die Aussagen und Inhalte einer Heiligen Schrift bezüglich der Schöpfung stimmen, dann stimmen auch die moralischen Vorgaben und Vorschriften in jenem Text, so die Argumentation.

Das alles hätte nicht sein müssen. Wenn in der Schöpfung die Sexualität nur einen etwas geringeren Stellenwert bekommen hätte, die Hormone nicht ganz so verrückt spielen würden und das Lustzentrum im Hirn etwas kleiner wäre, bräuchte sich auch niemand Gedanken über die perversen Ausschweifungen anderer Leute zu machen. Oder die eigene Frigidität: Sex bestimmt zu einem guten Teil die Gedankengänge, Träume und viele Taten einer Großzahl der Menschen, ob sie es nun ausleben, in Kunst und Kultur umsetzen oder es vor allem nutzen, um sich um das moralische Seelenheil Anderer zu kümmern: Es lässt sich nicht abschalten. Und da die Anweisungen in den Heiligen Schriften eindeutig sind, wird die Angst vor der eigenen Sexualität zu einer Triebfeder gesellschaftlicher Missstände: Ausgrenzung, Unterdrückung, Drohung, Mord – der Hass, mit dem manche Religiöse auf Frauen reagieren, die offen ihre Lust ausleben, oder auf Homosexuelle, die nichts tun als ihre biologischen Rechte einzufordern, ist mitunter stärker und beständiger als Rassismus oder Höhenangst. Die Bibelstelle, die den Verzehr von Schalentieren untersagt[163] ist nicht besonders weit weg von der Stelle, die Homosexualität untersagt[164], und doch gibt es nirgendwo eine auch nur annähernd so starke Bewegung zum Verbot von Schalentieren, wie es entsprechendes zur Homosexualität gibt. Die Lust auf Muscheln und Hummer ist im Gehirn nicht annähernd so stark verankert wie der Sexualtrieb, und man kann sich kaum einen Menschen vorstellen – ob mitten in der Pubertät oder nicht – der durch die Stadt geht und dessen Gedanken sich plötzlich ausschließlich um Meeresfrüchte drehen. Andererseits kann die Libido bei keinem Menschen – keinem! – einfach abgestellt werden und entsprechende Gedankengänge verfolgen nachweisbar jeden – ein Unterdrücken derartiger Gedanken oder der Libido allgemein kann schwerwiegende körperliche und seelische Folgen haben[165]. Wenn Gott also von uns verlangt, den Sexualtrieb im Zaum zu halten, hat er gleich noch ein paar üble Überraschungen für uns ab Werk mit eingebaut, die in Erscheinung treten, wenn wir seinem Wort zu folgen versuchen. So ist unser Design eben.

Und wenn der Versuch, die Libido zu unterdrücken schon gewisse Folgen hat, so ist ein vollständiges Unterdrücken gar nicht erst möglich. Gehen Sie also ruhig davon aus, dass auch die Sprecherin des katholischen Jugendnetzwerkes Generation Benedikt[166], die Ihnen eben noch die Vorzüge des sexuellen Verzichts erklärt hat und mit ihrem „Jesus-liebt-dich“-Marktstand versucht, Religion als cool zu verkaufen, regelmäßig masturbiert, genau wie ihr Lieblingspastor und der Imam. Und jedes Mitglied in Ihrer Gemeinde und alle Demonstranten der „Demo für alle“, die versuchen, Aufklärungsunterricht an Schulen zu verhindern. Alle. Viele davon jeden Abend. Und manch einer im Latexoutfit.

Die Tatsache, dass sich Triebe nicht unterdrücken lassen, führen im Bereich des Sexualtriebs zu Heimlichkeiten und einem stetig sündhaften Selbstbild. Es mag ja sein, dass Gott die Sexualität nicht besonders mag – ob nun der christliche, der jüdische oder der muslimische – aber wenn es keine Evolution gibt, braucht es im Design des Menschen auch nicht den Trieb, möglichst viele und möglichst unterschiedliche Nachkommen zu hinterlassen. Die ständige Erklärung „Wir alle sind Sünder“[167] klingt so profan, wenn es als Entschuldigung herhalten muss, weil gleichzeitig Millionen von Menschen, ob mit Latexoutfit oder nicht, vor sich selbst und ihrem Anspruch scheitern – und scheitern müssen. Wie viele junge Frauen, wie viele junge Männer hassen sich selbst dafür, dass sie manch nächtliche Träume nicht unterdrücken können, ihnen aber am nächsten Tag in der Schule, in der Kirche und von der dicken Tante Greta immer und immer wieder eingetrichtert wird, wie böse das alles sei. Die – wahrscheinlich nett- und ernst gemeinte – Beschwichtigung von Tante Greta „Ach aber DU bist doch immer sooo lieb und gottgefällig, DU tust doch so was sicherlich nicht…!“, begleitet mit einem liebevollen Kneifen in die Wange trägt bei dem kleinen pubertierenden Onanisten sicherlich nicht besonders zur Beruhigung bei, und der Fernsehprediger Ted Haggard bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „I think I know what you did last night!“[168]

Er weiß es tatsächlich. Es ist keine Kunst zu wissen, er tat es alles selbst[169]. Wobei er natürlich nicht tatsächlich „alles selbst“ tat – er ist älter und reicher als die meisten pubertierenden Gören und konnte sich Prostituierte leisten. Im Gegensatz vielleicht zu Tante Greta.

Die Heimlichkeiten sind nicht nur schwer zu ertragen, sondern auch Teil des Designs. Sie betreffen nicht nur junge Menschen, sondern auch alle, die nach außen hin ein gesittetes und züchtiges Leben leben wollen – oder müssen, weil die Gemeinde es so verlangt oder die Familie es so erwartet. Das schlechte Gewissen[170] ist systemimmanent. Diese Sonderausstattung haben wir gratis. Ab Werk. Danke, Arschloch.

Generationen von Moralisten waren und sind gezwungen, ihre heimlichen Bedürfnisse zu verabscheuen, die ihnen vom Herrn gleichsam in den Kopf designt und verboten wurden – und natürlich nicht nur Pastoren, Prediger oder andere heilige Leute, sondern viele ganz normale Gemeindemitglieder, sittsame Familienoberhäupter oder Teilnehmer an religiösen Jugendveranstaltungen. Viele von ihnen halten die eigene Zerrissenheit nicht aus und kümmern sich daher mit Inbrunst um die Moral anderer Leute - lieber als um die eigene. Oder sie lassen es gleich selbst richtig krachen:

Das ständige schlechte Gewissen und die Zerrissenheit zwischen Erwartung und Bedürfnis war stets nur eine Ausprägung des Umgangs mit dem sadistischen Design der Lust. In anderen Fällen, bei anderen Leuten, stand das rücksichtslose Frönen dieser Lust im Vordergrund, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Die niederen Triebe der höheren Töchter wurden nicht nur ausgelebt, sondern gefeiert. Wohl gemerkt – nur jene der höheren. Ganze Zeitepochen hindurch wurde dem Volk Verzicht und Sitte gepredigt, die Scheidung verboten, der Ehebruch mit dem Tode bestraft und Liebe verpönt, während sich gleichzeitig Hofstaaten Orgien hingaben und ganze Klöster zu Lustschlössern wurden. Nicht nur zur Befriedigung wurde hier Sex benutzt und eingesetzt, wie man in dem hervorragend recherchierten und grandios geschriebenen Werk[171] des Kirchenhistorikers Hubert Wolf nachlesen kann. Wenn hier die Novizin Maria Luisa der nackt auf einem Bett liegenden Äbtissin vorgeführt und zum Cunnilingus gezwungen wird – nicht ohne sich hinterher mit den feuchten Fingern bekreuzigen zu müssen – wähnt man sich zwischenzeitlich in einem schlechten Pornofilm, bis man realisiert, dass die Darstellungen aus historischen Prozessakten stammen. Einem Prozess indes, der nicht den Missbrauch der damals 13jährigen Novizin untersuchte, sondern bei dem Maria Luisa selbst auf der Anklagebank saß, weil sie später, inzwischen ihrerseits Äbtissin, gemeinsam mit dem Seelsorger und Papstvertrauten Joseph Kleutgen ein derart ausschweifendes System aus Sex, Gewalt, Verführung, Abhängigkeit, Gehorsam, Tyrannei und Giftmorden etabliert hatte, dass es auffallen musste. Aufgefallen sind zwar auch andere Ausschweifungen in anderen Klöstern – aber der Grund für die Anklage gegen Maria Luisa lag in einer gewissen politischen Motivation. Kleutgen war nicht nur Marie Luisas Liebhaber und frönte einem Leben als Lustmörder und Sadist, sondern eben auch namhafter Theologe, Vater der Neuscholastik und Papstberater, aus dessen Feder hauptverantwortlich das Unfehlbarkeitsdogma stammte[172]. Wenn heutzutage Kirchenvertreter den Grund für das Unheil der Welt in dem Verfall von Sitte und Moral („seit den Zeiten der 68er-Bewegung“) erkannt haben wollen, nur weil heutzutage auch Teile des gemeinen Volkes auf Festivals, bei Partys, in Swingerklubs und Diskotheken ihre Sexualität nicht mehr als Sünde betrachten, sondern sie ausleben – und zwar ohne Missbrauch, Giftmord und Kerkerverließ, dafür aber safe, sane, consensual: sicherheitsbewusst, mit gesundem Menschenverstand und einvernehmlich – dann möge man diese Kirchenvertreter mit Nachdruck auf diejenigen historischen Kirchenakten hinweisen, die man heute einsehen kann und die, im Gegensatz zu den meisten, nicht mehr verschlossen und versteckt sind.

Das alles wäre, wie gesagt, bei einer vernünftig organisierten Schöpfung zu verhindern gewesen und niemand würde sich heute über Sex unterhalten, wenn die Fortpflanzung selbst über einen unspektakulären Mechanismus gesichert wäre, der nicht gleichsam einen so verdammten Spaß machen oder Machtbestrebungen, Abhängigkeiten und Unterdrückung Tür und Tor öffnen würde.

Ja, mit Sex hat uns der Herr ein ganz schönes Ei[173] ins Nest gelegt. Womit wir endlich bei der Anatomie im Design der Sexualität angelangt sind. Ich freue mich schon die ganze Zeit darauf.

Ich meine –

Intelligent Design?

Echt jetzt?

Ich meine -

Ich meine - haben Sie einmal Ihrer Freundin, Ihrem Freund beim Orgasmus ins Gesicht geguckt? Oder auch nur ihren Nachbarn zugehört? Und Sie halten unsere Fortpflanzungstechnik wirklich für das Ergebnis eines Designs? Eines – äh – intelligenten Designs?

Auch, wenn viele Männer auf ihren Penis stolz sind, ihn sogar als Gemächt[174] bezeichnen, ihn Johannis[175], Hammer[176] oder Gurke[177] nennen, im Grunde bleibt er doch ein Dödel[178]. Selbst der schönste und mächtigste Schwanz ist am Ende des Tages, wenn man es objektiv betrachtet, doch eher eine alberne Angelegenheit. Bei allem nötigen Respekt vor der Männlichkeit, aber hält man diese Wurst[179] wirklich für intelligentes Design? Bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit versteift sich der Penis unangenehm, ohne, dass man etwas dagegen machen könnte, und selbst wenn er schlapp ist, macht er Probleme. Wenn man mal nackt durch die Wohnung läuft, schlackert er unangenehm an die Knie. Der gemeine Penis kommt auch nicht beschnitten auf die Welt, obgleich es in zwei der drei monotheistischen Religionen sowie in der dritten, dem Christentum, noch in einigen Kirchen wie der die Koptisch-Orthodoxen Kirche gefordert wird. Aber der Designer zog es vor, den Penis unbeschnitten zu designen und es den Menschen zu überlassen, so gefährlich[180] und unhygienisch[181] es oftmals auch sein mag und im Laufe der Menschheitsgeschichte immer war[182]. Doch unbeschnitten zu sein ist nicht das einzige Merkmal des Designs.

Zu kurz ausgefallene Exemplare führen bei dem einen oder anderen Herren zu Komplexen und Befangenheiten, die dann mühselig durch Porschefahren, Ehefrauschlagen oder Waffenkaufen[183] ausgeglichen werden müssen. Und auch das Design der Hoden möchte man nicht zu ausgiebig breittreten.

Der Schmerz, der entsteht, wenn diese zwei empfindlichen Kügelchen einen Schlag abbekommen, weil man über einen Zaun geklettert ist, einen Fußball nicht mehr abwehren konnte oder im heroischen Kampf um die holde Maid getreten worden ist, ist kaum zu beschreiben. Warum zum Henker designt der Designer die empfindlichste Stelle der Welt einfach so frei baumelnd zwischen den Beinen?

Auch das Geschlechtsorgan der Frauen macht bei näherer Betrachtung[184] keinen besonders gut organisierten Eindruck. Wobei es bei diesem „Eindruck“ bereits anfängt. Was, genau, soll man denn da am besten eindrücken, wenn man mit einer Frau Sex haben will? Die sind da alle anders, das ist sehr verwirrend.

Was eingedrückt werden muss bei einer frischen und ungeöffneten Frau, ist das Jungfernhäutchen. Ähnlich wie bei Deckeln von Colaflaschen, die beim ersten Aufdrehen einreißen, kann hier bei jeder Frau nachgeprüft werden, ob sie bereits einmal Sex hatte oder nicht[185]. Und dieser Frischesiegel nun ist alles andere als eine fesche Designidee. Nicht nur, dass es dem einen oder anderen Mädchen durchaus Schmerzen bereitet, zum ersten Mal Sex zu haben. Vielen Mädchen in jungen Jahren ist es eine gerade furchterregende Horrorvorstellung, wenn sie hören, dass dieses Häutchen, wenn sie irgendwann eine Frau sind, durchstoßen werden muss. Und nicht nur, dass es blutet und schmerzt – auch gesellschaftlich hat dieses Häutchen in der Menschheitsgeschichte zu einigen Traditionen geführt, die mit bestialisch sehr wohlwollend umschrieben wären. In manchen Gegenden der Welt ist es üblich, das Bettlaken mit deutlich sichtbaren Blutflecken[186] nach der Hochzeitsnacht öffentlich aufzuhängen – und die älteren Frauen im Dorf achten genau darauf, dass das junge Paar nicht geschummelt hat und etwa mit einem kleinen Schnitt in den Finger die Jungfräulichkeit nur vortäuschte. Bei Männern gibt es einen solchen Beweis für die Jungfräulichkeit nicht, und es wird auch nicht erwartet, dass ein Mann noch niemals Sex hatte – bei Frauen hingegen ist der Sicherheitsverschluss systemimmanent gleich mit eingebaut. Dies Häutchen ist im Laufe der Geschichte nicht zu selten als Druckmittel und zur Unterdrückung der Frau benutzt worden – und wird es zum Teil noch heute. Tatsächlich führt es sogar dazu, dass hier und da aus verschiedenen Gründen der Versuch unternommen wird, das Hymen wieder zusammenzunähen. Ein Googeln[187] nach „Jungfernhäutchen zusammennähen“ erbrachte über 1000 Treffer[188]. Frauen, so scheint es, lassen vieles mit sich machen, wenn der Designer es vorschreibt.

Aber auch, wenn eine Frau einmal ordnungsgemäß geöffnet wurde, ist der Ärger mit dem Blut nicht vorbei. Jeden Monat hat die Frau eine gewisse Zeit, in der sie ohne jeden Grund zwischen den Beinen blutet. Ohne jeden Grund bedeutet hier: ohne jeden Grund im Design. Warum produziert eine Frau Ovarialfollikel, wenn sie nicht befruchtet werden soll? Sex, der nicht der Fortpflanzung dient, ist – das habe ich oben recht ausführlich beschrieben – nicht im Sinne des Designers, also wäre eine regelmäßige Bereitstellung einer Eizelle auch nicht nötig. Andere Tiere haben eine induzierte Ovulation[189], d. h. es kommt überhaupt nur dann zu einem Eisprung, wenn eine Paarung stattfindet. Und wo nichts ist, da muss nichts ausgeblutet werden. Beim Menschen aber hatte der Designer diese Idee nicht, und so müssen die Frauen heute jeden Monat leiden.

Aber selbst wenn man das Design einer regelmäßigen Eiproduktion mit anschließender Beseitigung als gegeben annimmt, sind die Schmerzen, die Stimmungsschwankungen und Unannehmlichkeiten, mit denen viele Frauen in den Tagen der Tage zu kämpfen haben, nicht unbedingt notwendig. Das Ei könnte auch einfach – Plopp! – hinausrutschen, ohne Krämpfe, Kopfschmerzen und „ICH SCHREIE NICHT!“. Außerdem bezieht sich das alles nur auf die unerquicklichen Folgen der Menstruation bei modernen, aufgeklärten Frauen heute – und die wissen immerhin, was da passiert. Früher, bevor es die moderne Medizin gab, Aufklärung und Vorbereitung, da wusste die Frau noch nicht einmal, wie ihr geschah. Monster und Dämonen wurden verantwortlich gemacht[190] für das plötzliche Blut, es ranken sich Geschichten und Irrglauben rund um den weiblichen Zyklus. Die Sätze und Anweisungen, die der Designer seinen Propheten in Tanach, Bibel und Koran diktiert hat, waren auch nicht unbedingt hilfreich, und so musste manche Frau neben den körperlichen Freuden einer Menstruation auch Ausgrenzung, Ekel und Angst erleben. Allerdings sind das nicht die einzigen Schmerzen, die der weibliche Körper bietet. Nicht nur bei den Männern baumelt etwas am Körper herunter, auch die Frauen haben Körperteile, die bei schnellen Bewegungen lustig aussehen: Fragt man eine Frau nach ihren Brüsten, dann können zwei Dinge passieren. Entweder, wenn man sie nicht kennt, bekommt man eine Watschen. Oder, wenn man die Frau ein wenig besser kennt, dann wird sie berichten, dass beim Laufen, Springen oder Bücken das Gewebe sehr schnell mal ziehen, drücken oder kneifen kann, und zwar, soweit ich die Damen verstanden habe, sogar sehr heftig. Ich mag Brüste, und in einer schönen Slowmotion-Aufnahme kann das Schwingen und Baumeln wunderschön aussehen. Aber machen wir uns nichts vor: Wenn es wehtut, ist es ein schlechtes Design. Egal wie es aussieht.

Nein, die Geschlechtsorgane und andere zum Sex gehörende Ausformungen des Körpers bieten keinen Anlass, das Design zu loben.

Die Tatsache, dass manche Frauen beim Orgasmus ejakulieren führt im Übrigen zu einigen Missverständnissen. In England zum Beispiel ist es verboten, Pornofilme zu produzieren, in denen Frauen beim Sex urinieren; und obwohl Squirting nichts mit Urin zu tun hat, hat der zuständige parlamentarische Ausschuss nach ausgiebiger Sichtung entsprechender – sagen wir – Dokumentationsmaterialien beschlossen, dass weibliches Ejakulieren in die verbotene Kategorie fällt. Das Schauen solcher Pornos, die in anderen Ländern hergestellt wurden, ist nicht untersagt, nur das Herstellen dieser Filme im Königreich. Gleichzeitig ist in Großbritannien Prostitution in großen Bordellen verboten. Diese Mischung aus Gesetzen hat nun zur Folge, dass eine Frau, die beim Sex ejakuliert, mit ihrem Freund gemeinsam nicht privat einen Film drehen darf, und sei es nur für sich selbst, obgleich sie solche Filme gemeinsam schauen dürfen, solange sie woanders gedreht worden sind. Gleichzeitig aber darf eine Frau in einem großen Haus keine sexuellen Dienste gegen Geld anbieten - sie darf dort aber Pornos drehen, solange sie dabei nicht sichtbar ejakuliert - was zur Folge hat, dass in London eine Reihe großer Filmproduktionsstätten entstanden sind, in denen Männer und Frauen, die kein Paar sind und sich nicht weiter kennen, beschließen können, gemeinsam einen Porno zu drehen, der nach dem Sex direkt wieder gelöscht wird.

Derartige Gesetze gibt es viele in der Welt. Hätte Gott doch nur auf das Squirten[191] verzichtet.

Das Design der Sexualität bietet eine Menge Raum für solche – nennen wir sie – Missverständnisse. Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob Urin bei Sexspielen eine erregende oder eklige Angelegenheit ist. Ich bin kein Mensch, der die Fetische und Gelüste anderer Menschen als abscheulich abstempelt, auch wenn sie mir selbst unangenehm sind. Aber –

Aber was zum Teufel haben die Sexualorgane überhaupt dort verloren, wo uriniert wird? Welcher Designer, der noch ganz bei Verstand ist, baut das Lustzentrum der Schöpfung in den Abwasserkanal? Was haben diese beiden Funktionen überhaupt in ein und demselben Organ verloren? Jede Plastikflasche wird getrennt recycelt, aber der menschliche Vergnügungspark wird ausgerechnet dorthin geschöpft, wo die Abfallbeseitigung stattfindet und dieselbe Gegend, in der entwässert wird, wird auch für Sex benutzt? Hat der Designer gesoffen[192]?

Und dann der Akt selbst. Man liegt auf-, bei- oder nebeneinander, und solange man sich nicht unmoralischen Spielen hingeben möchte, in denen Handschellen benutzt oder nicht vorgesehene Löcher im Körper zweckentfremdet werden, muss man zunächst einmal die richtige Öffnung zum Stöpseln finden. Hat man dann erfolgreich eingestöpselt, beginnen einmütige Bewegungen, wobei die beiden beteiligten Körper einen gemeinsamen Rhythmus finden müssen. Erledigt man dies ausreichend, schaffen beide Aktvollzieher es zu einem Orgasmus und sehen dabei gemeinhin eher unvorteilhaft aus. Für viele sind das immer wieder die schlimmsten drei Minuten im Jahr. Aber selbst ein langes, ausgiebiges Liebesspiel mit allen Schikanen und der dringenden Aussicht, am nächsten Morgen ziemlich müde zu sein, macht bei objektiver Betrachtung eigentlich nicht den Eindruck, unbedingt designt zu sein. Wenn das das perfekte Ergebnis einer Ausarbeitung der Fragestellung ist, wie man die Fortpflanzung an sinnvollsten regelt, möchte ich lieber nicht die verworfenen Skizzen der zuständigen Designabteilung sehen.

Erst langsam, seit wenigen Jahrzehnten beginnt die Menschheit Sexualität wieder als etwas völlig Normales zu erleben – so, wie es vor den Zeiten der monotheistischen Religionen bereits mitunter der Fall war. Noch immer gibt es frustrierte Menschen, die – ob nun religiös motiviert oder nicht - mit ihrer eigenen Sexualität nicht so recht klarkommen, und deswegen gerne vor allem Frauen, die offen ihre Sexualität ausleben, als „Schlampen“ beschimpfen. Dies sagt meist mehr über den Schimpfer aus als über die Beschimpfte.

Aber sexuell aktive Frauen sind nicht die einzige Gruppe, denen frustrierte und religiöse Mitmenschen mit einer solchen Abscheu und widerlicher politischer Propaganda begegnen.

Gott ist ein Arschloch

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