Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 1 - Flucht - Christian Linberg - Страница 10
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ОглавлениеEs war bereits später Nachmittag, als ich mit hämmerndem Herzen wieder erwachte. Der Traum wirkte so real, dass ich einen Moment lang erwartete, mein Blut auf dem weißen Pflaster auslaufen zu sehen.
Jiang und Kmarr schliefen noch, aber Anaya war erwacht. Sie bemerkte mich und setzte sich vorsichtig auf.
„Hast Du uns versorgt?“, wollte sie wissen.
„Sonst war keiner mehr übrig“, gab ich lakonisch zurück. Ich war noch nicht richtig wach. Mein Blut pochte noch immer in meinen Adern.
„Gute Arbeit. Das hätte ich nicht viel besser machen können.“
„Danke.“
Ihr Lob war mir gegenwärtig ziemlich egal. Bisher hatte sie immer etwas zu beanstanden gehabt. Aber vielleicht lag das auch nur daran, dass sie so aussah, wie ich mich fühlte.
„Wo ist Droin?“, fragte ich nach einem Blick in die Runde.
„Ich glaube er wollte eine Runde durch das Dorf machen“, entgegnete sie.
„Okay, dann werde ich mal anfangen mit kochen.“
„Du? Muss das sein? Ich bin nicht hungrig.“
Anaya machte ein wirklich entsetztes Gesicht.
Kochen war nie eines meiner Talente gewesen. Was ich zubereitete konnte man essen, auch wenn Anaya behauptete, Droins Stiefel würden besser schmecken. Nicht dass ich sie probieren würde.
Und Jiang hatte bemerkt, nachdem sie einmal einen meiner Eintöpfe probiert hatte, dass man das was ich als Mahlzeit betrachtete auch dann nicht essen konnte, wenn man kurz vor dem Verhungern war.
Also verzichtete ich nach so vielen gut gemeinten Ratschlägen darauf, mich darin zu versuchen.
„Danke, das hab ich verstanden. Dann sehe ich mal nach Droin“, antwortete ich beleidigt. Zu wissen, dass man etwas nicht kann, und es von anderen zu hören, war nicht unbedingt das Gleiche.
Es dauerte eine Weile, bis ich ihn aufgespürt hatte, weil mein schmerzender Fuß mich nicht unbedingt zum Langstreckenläufer machte. Er war gerade dabei, unser ursprüngliches Lager erneut zu inspizieren.
Beim Geräusch meiner Schritte wandte er sich um: „Ich denke, wir sollten wieder hier einziehen.“
„Warum?“
„Na zumindest ist die Pacht schon mal niedrig“, begann er aufzuzählen: „Und die Belüftung ist gut. Vor allem aber ist es gut geschützt und leicht zu beheizen.“
„Du willst bleiben?“ Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. „Warum hier?“
„Aus den gleichen Gründen wie vorher.“
Droin klopfte gegen den Türrahmen.
„Das hier ist das stabilste Gebäude, das wir gefunden haben. Selbst mit dem Loch in der Wand ist es besser als der Rest. Glaub mir, ich hab sie mir alle angesehen.“
Da hatte ich keine Bedenken. Wenn es um Gebäude ging, waren Naurim unübertroffen. Wenn Droin ein Gebäude für stabil hielt, war es das auch.
„Wäre es nicht besser, wir würden weiterziehen? Wo der seltsame Arkanist herkam, könnten noch mehr sein. Und die Telpare dürfen wir auch nicht vergessen. Wenn das hier zu ihrem Territorium gehört, werden wir ziemlich bald wieder Besuch bekommen“, erwiderte ich zweifelnd.
Droin begann damit, den Schutt bei Seite zu räumen, den Kmarr in der Nacht bei seinem Sprung durch die Wand verursacht hatte.
„Grundsätzlich würde ich Dir zustimmen, aber wenn es noch mehr gibt, wieso dann nur einen schicken?“
Ich bückte mich, um ihm dabei behilflich zu sein.
„Gutes Argument.“
Irgendwie war mein Verstand noch nicht wieder richtig auf Trab, daher dauerte es eine Weile, ehe mir dazu etwas einfiel: „Vielleicht haben sie uns unterschätzt? Viel mehr als mich haben sie ja nicht gesehen.“
Im Grunde sogar nur mich, wurde mir dabei bewusst.
„Hmm, stimmt. Das ist mir vorher noch gar nicht aufgefallen.“
Gemeinsam räumten wir weiter den Schutt zur Seite. Das ging nicht wirklich schnell voran, weil uns unsere zahlreichen Verletzungen ziemlich bei der Arbeit behinderten. Außerdem war ich noch nie ein Freund von Hausputz gewesen.
„Meinst Du nicht, sie werden ihn suchen kommen?“, fragte ich schließlich.
„Schon möglich. Aber ich glaube, wir sind nicht in der Verfassung, von hier zu verschwinden. Ich denke es ist besser, wenn wir noch ein paar Tage ausruhen.“
„Wir sollten die Anderen fragen, wie sie die Sache sehen. Aber Dein Vorschlag klingt vernünftig. Auch wenn ich sagen muss, dass es mir nicht gefällt.“
„Mir gefällt es auch nicht.“
Droins Stimme konnte ich entnehmen, dass er keinen Deut begeisterter war, als ich.
„Bleiben noch die Telpare.“
Er überlegte nur kurz: „Ich glaube nicht, dass die von hier kommen. Ich habe nirgends Eingänge in ihre Bauten gesehen. Keine Erdhügel, keine Gänge. Außerdem riecht es nicht nach ihnen.“
Meistens stanken die Gegenden in denen Telpare lebten schon von weitem nach ihren Exkrementen und den Resten ihrer Mahlzeiten.
„Ist mir auch aufgefallen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht in der Nähe leben.“
„Natürlich nicht. Aber ich glaube einfach nicht, dass wir eine andere Möglichkeit haben. In ein oder zwei Tagen vielleicht.“
„Wenn die Telpare früher wiederkommen, sind wir nur eher tot.“
Er nickte: „Dann hoffen wir, dass sie nicht vorher hier auftauchen.“
Wir saßen auf dem Präsentierteller. Und alle Gäste wussten, wo wir zu finden waren. Es würde nicht lange dauern, bis die Feier beginnen würde.
Nachdem wir den Schutt notdürftig aus der Hütte beseitigt hatten, gingen wir wieder zurück zu den Anderen.
Wir weckten sie nacheinander vorsichtig auf und trugen ihnen Droins Vorschlag vor.
Erst widersprach keiner, doch dann meldete sich Jiang zu Wort: „Was ist mit den Telparen? Wenn die hier leben, können wir nicht bleiben.“
Anaya grübelte einen langen Augenblick, aber sie kam zum gleichen Schluss wie Droin: „Ich glaube nicht, dass dies ihr Territorium ist. Es gibt keine Anzeichen für einen Bau, weder in noch um das Dorf herum. Außerdem glaube ich nicht, dass sie mit einem Angriff gewartet hätten, bis wir es uns bequem gemacht haben. Das passt nicht zu ihrem normalen Verhalten.“
Wir wussten, dass sie vermutlich richtig lag mit ihrer Einschätzung, denn was die Lebensweisen von Tieren und Pflanzen betraf, war Anaya die Expertin. Sie kannte sich nicht nur mit den nützlichen und gefährlichen Eigenschaften von Pflanzen aus, sondern wusste auch um das Verhalten der meisten Tiere. Für eine Druidin war dieses Wissen notwendig, um das Gleichgewicht der Natur zu erhalten.
Also zogen wir wieder zurück in die Unterkunft.
Während Droin und ich die Ausrüstung transportierten, stützten sich die anderen gegenseitig. Das schwierigste war, die Magana wieder in die Hütte zu schleppen. Ich war fußlahm, Jiangs Arm war gebrochen, Anaya hatte ein paar gebrochene Rippen und wie Kmarr Verbrennungen überall.
Schließlich schleifte Droin sie auf einer Decke eher unsanft mühsam quer durch das Dorf.
Obwohl der Weg nur kurz war, erschöpfte er sowohl Anaya als auch Kmarr ziemlich. Beide schliefen fast sofort wieder ein. Nur Jiang hielt sich eine Weile wach, um eine Suppe aus unseren Vorräten zu kochen, die hervorragend schmeckte.
Nach dem Essen begannen Droin und ich damit, die Hütte etwas besser vor dem Wetter zu schützen.
Mit meiner Hilfe kletterte er auf das Dach und flickte es notdürftig. Unterdessen war ich damit beschäftigt, die Fenster mit Brettern zu vernageln, die ich kurzerhand aus den anderen Häusern riss.
Viel machten sie nicht her, aber es waren genug, um die Öffnungen zu verschließen. Dabei verbrauchte ich allerdings den Rest meiner Nägel.
Damit waren wir praktisch bis zum Einbruch der Dunkelheit beschäftigt. Ohne groß darüber zu reden, verständigte ich mich mit Shadarr und Droin darauf, dass wir drei uns die Wache teilen würden. In dieser Nacht blieben wir dicht bei unseren Kameraden, da sich diese nicht in der Verfassung befanden, sich gegen eventuelle Feinde verteidigen zu können.
Zu unserem Glück blieb alles ruhig. Irgendwann in der Nacht erlegte Shadarr einen Büffel. Normalerweise teilte er seine Beute nicht, aber als wir am nächsten Morgen die Hütte verließen, lag der Büffel direkt vor der Tür. Ich fand ihn, indem ich darüber stolperte.
Dankbar für vernünftiges Essen, begann ich sofort damit ihn zu zerlegen, ehe die Mahre auf die gleiche Idee kamen.
Ich konnte zwar nicht kochen, aber wie man Beute zerlegte und über dem Feuer briet, wusste ich.
Die Innereien hatte Shadarr bereits für sich beansprucht. Schon öfter hatte ich mich gefragt, wie er es fertig brachte selbst bei kleinen Tieren die Innereien so sauber wie ein Fleischer zu entfernen.
Einmal hatte ich den Versuch gemacht, ihn dabei zu beobachten. Es lohnte sich nicht. Man musste nicht alles wissen.
Ich war gerade dabei, den Büffel sauber in seine Einzelteile zu zerlegen, als Anaya langsam aus der Hütte trat. Sie warf einen Blick auf die blutige Arbeit, die ich gerade verrichtete und gab einige würgende Laute von sich.
Zugegeben, ich hätte vielleicht vom Eingang weggehen können.
Sie machte drei schnelle Schritte zur Seite und übergab sich.
Schuldbewusst trat ich zu ihr hinüber. Sie hob ihren Kopf ein wenig an, erblickte meine blutigen Hände und das ebenfalls blutige Messer darin und übergab sich gleich noch einmal.
Jetzt war ich doch überrascht. Anaya gehörte zum Kiaiji-Kult der Alchemisten und Druiden von Zar'gan'f. Blut war bei ihren Riten und Experimenten nichts Ungewöhnliches.
Ich hatte Anaya schon des Öfteren dabei gesehen, wie sie selbst Tiere ausnahm und zerlegte.
Sicherheitshalber ging ich ein paar Schritte weiter weg.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich aus sicherer Distanz.
„Jetzt schon, aber das war nicht unbedingt das, was ich heute Morgen sehen wollte.“
„Entschuldige. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass außer mir noch jemand so früh aufstehen würde.“
„Ich habe den ganzen letzten Tag und die Nacht dazu geschlafen. Das war fürs Erste genug. Danke.“
„Und wie geht’s Dir?“, wollte ich wissen.
„War schon mal besser. Aber immerhin lebe ich noch. Du wirst bei allen die Verbände wechseln müssen, das ist noch nichts für mich. Wir werden wohl noch ein paar Tage hier lagern müssen.“
„Das hat Droin auch schon gesagt. Ich vermute, ihr habt Recht, auch wenn mir das nicht gefällt. Wer immer den Arkanisten und die Reiter geschickt hat, könnte noch andere schicken.“
Sie ging vorsichtig zurück zum Eingang: „Das kann schon sein, aber egal wo wir auf sie treffen, wir sind im Augenblick wohl kaum in der Lage uns richtig zu verteidigen. Es wäre besser, wir würden die Zeit nutzen und uns ausruhen.“
„Lass uns das beim Frühstück besprechen. Ich bin hier gleich fertig. Dann braten wir uns ein paar Büffelsteaks.“
„Bäh, doch nicht zum Frühstück.“
Angewidert verzog sie das Gesicht und flüchtete nach drinnen.
Mir persönlich war das gleich. Ich aß lieber ein Steak zum Frühstück als Hartbrot und Dörrobst.
Mit einer Keule des Büffels bewaffnet, die ich in fingerdicke Scheiben geschnitten hatte, betrat ich unsere provisorische Unterkunft.
Die Anderen waren alle erwacht, mit Ausnahme der Magana. Anaya beugte sich gerade sorgenvoll über sie.
„Hier stimmt etwas nicht. Ihre Verletzungen sind nicht so schwer, sie hätte längst aufwachen müssen. Die Kopfwunde ist ernster, als ich gedacht habe. Vielleicht müssen wir einen Geistheiler suchen.“
Grübelnd zog sie einige Fläschchen und Tiegel aus ihrem Gepäck. Sie machte sich daran, daraus ein Heilmittel herzustellen.
Das war nicht gut. Manchmal wachten Opfer einer Kopfverletzung einfach nicht mehr auf, selbst wenn die eigentliche Verletzung schon längst verheilt war. Manchmal sprachen sie danach wirr oder konnten sich an nichts und niemanden mehr erinnern. Ich hatte sogar einmal einen Mann getroffen, der bestimmt über fünfzig Winter erlebt hatte, aber nachdem ihn ein Ziegelstein am Kopf getroffen hatte, musste er sogar laufen und essen neu erlernen, als wäre er ein kleines Kind.
Geistheiler konnten manchmal die Verletzten zurückholen. Wie sie das taten, wusste ich nicht, aber es mochte helfen. Leider waren sie sehr selten und sehr teuer.
Mit derlei Gedanken beschäftigt, lud ich unterdessen die Steaks ab und ging nach draußen zurück, um eine weitere Keule des Büffels zu holen.
„Shadarr hat uns einen Büffel gefangen und vor der Tür abgelegt. Wer also nach draußen geht, nicht darüber stolpern.“
„Fleisch. Hervorragend.“
Kmarr hatte sich hingesetzt und ich reichte ihm die Keule. Er ergriff sie dankend und begann damit sie zu verspeisen. Nach Möglichkeit aß er sein Fleisch am liebsten roh. Außerdem vertilgte er mehr als wir anderen zusammen.
Jiang hatte die Glut zu einem gemütlichen Feuer angefacht und einen Kessel mit Wasser aufgesetzt. Gemeinsam hängten wir eine Pfanne daneben, in der wir nacheinander die Steaks brieten. Das konnte ich ziemlich gut. Aber es machte mich in den Augen der anderen nicht zu einem Koch.
Schon bald stieg der Duft von frisch gebratenem Fleisch mit Kräutern auf und machte mir den Mund wässrig.
Kaum war das Fleisch soweit, griff ich auch schon zu. Das trug mir die missbilligenden Blicke der anderen ein, aber das war mir egal. Hauptsache ich hatte etwas zu Essen. Schließlich hatte ich auch die ganze Arbeit geleistet.
Naja, vielleicht bis auf das Fangen, Töten und Herschleifen des Büffels.
Als wir alle beim Frühstück saßen, begann ich damit, die Ereignisse des letzten Tages im Geiste zu wiederholen.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich, als ich am Ende angelangt war: „Ziehen wir weiter oder bleiben wir noch ein paar Tage hier?“
„In unserem Zustand werden wir nicht weit kommen. Ich bezweifle, dass ich im Sattel sitzen könnte.“
Anaya hatte sich ebenfalls ein Steak gegriffen und zerkleinerte es nachdenklich auf ihrem Teller, ganz entgegen ihrer Ankündigung.
„Was mich viel mehr interessiert, als die Frage, ob wir hier bleiben sollten, ist die Frage, warum die Reiter und der Arkanist so scharf auf die Magana waren.“
Droin hatte sein Steak kurzerhand zwischen zwei Scheiben Brot geklemmt und gestikulierte damit: „Ich denke auch, wir sollten fürs Erste hier bleiben. Anaya, Jiang und Kmarr sind ziemlich stark verletzt und dann müssten wir die Magana auch noch irgendwie transportieren.“
Jiang und Kmarr nickten zustimmend.
„Also gut, bleiben wir für eine Weile hier.“
Ich gab mich geschlagen.
„Was hast Du eigentlich getan, um sie zu einem Angriff zu provozieren?“, wollte er von mir wissen.
„Ich? Nichts. Ich bin nur aus dem Schatten des Waldes geritten, weil Shadarr hungrig war.“
„Na dann kann ich sie verstehen. Fressen lassen würde ich mich auch nicht.“
„Aber das konnten sie doch gar nicht wissen.“
„Was? Sie sehen Dich auf dem Biest aus dem Wald auf sie zukommen und Du denkst, sie warten freundlich auf Dich, weil sie glauben, dass Du sie nach dem Weg fragen willst?“
Anaya lachte.
„Du hast Dich wirklich noch nie mit Shadarr auf jemanden zu reiten gesehen.“
„Ich hätte Dich auch mit meinem Speer begrüßt“, fügte Droin hinzu.
„Vermutlich wollten sie nur einfach nicht getötet werden.“
„Vielleicht wollten sie auch keine Zeugen“, mutmaßte Anaya als nächstes.
Droin war nicht überzeugt: „Klingt zwar vernünftig. Aber sie hätten auch einfach behaupten können, die Magana sei eine entflohene Gefangene, statt gleich zu versuchen, Drakk zu töten. Das wäre bei weitem unauffälliger gewesen.“
„Wenn wir sie fragen könnten…“, Jiang lies den Satz offen: „Mir gefällt das nicht. Untote, Soldaten aus Morak und eine Magana. Dazu der seltsame Arkanist, die Telpare, die riesigen Hunde und ein nykianischer Globus.“
„Warum heißt das Ding eigentlich so?“, wollte Droin wissen: „Es ist schließlich nicht rund.“
„Das liegt an dem unsinnigen Glauben der Nykianer. Sie halten unsere Existenz nur für eine Facette von mehreren.“ Jiang zählte an ihren Fingern auf: „Geist, Körper, Glaube, Welt, Götter und Zeit. Das ist der Globus des Wissens, der für die Nykianer der Schlüssel zur Ewigkeit ist, die sich im Inneren befindet. Praktischerweise lässt sich daraus ein Würfel herstellen.“
„Also alles Aberglaube?“, Droin war ebenso wenig religiös, wie ich, aber es schadete nicht, den Glauben anderer Völker zu verstehen. Das hatte Vorteile, wenn man verhindern wollte, wegen des Bruchs eines religiösen Tabus verfolgt zu werden. Außerdem war es lukrativ, Relikte für religiöse Fanatiker zu suchen.
„Nicht für die, die daran glauben“, widersprach Anaya.
„Das bringt uns alles nicht weiter.“
Jiang wedelte mit der Hand: „Wir müssen entscheiden was wir machen werden und ob wir die Magana weiter mitschleppen.“
„Du willst sie zurücklassen? Kommt nicht in Frage. Ich werde sie zumindest bis zu einem Geistheiler begleiten. Ich will wissen, warum mich ihre Verfolger töten wollten.“
Ein Versuch mich umzubringen machte mich immer neugierig auf das Warum. Es half ungemein, wenn man wusste wer einen aus welchen Gründen nach dem Leben trachtete.
Anaya sagte nach kurzer Überlegung bestimmt: „Sie ist verletzt, wir werden sie hier nicht zurücklassen. Ich stimme Drakk zu: Es ist sinnvoll, wenn wir herausfinden, wer hinter der Magana her ist.“
„Ich habe sie bis hierher getragen, hätten wir sie sterben lassen wollen, hätten wir sie zurücklassen können, wo wir sie gefunden haben.“, Kmarr war also auch meiner Meinung: „Außerdem würde sie eine brauchbare Sklavin abgeben.“
„Wenn dann meine und ich brauche keine“, gab ich trocken zurück.
Kmarr neigte bedächtig sein Haupt – Ein Problem weniger.
Dafür würde Droin eins werden. Kaum hatte ich den Gedanken beendet, mischte er sich auch schon ein.
„Es geht mich nichts an, was mit der Magana ist. Ich kenne sie nicht. Ich arbeite nicht umsonst.“
Ich kannte den Naurim schon seit Jahren, aber diesen Aspekt ihrer Kultur hatte ich noch nie verstanden. Sie arbeiteten niemals ohne Lohn. Wer sie nicht bezahlte – und zwar im Voraus – der konnte sie zu wenig mehr bringen, als Wasser aus einem Brunnen zu holen. Alles was über alltägliche Tätigkeiten hinaus ging oder möglicherweise sogar gefährlich war oder zumindest werden konnte, erforderte eine wie auch immer geartete Bezahlung.
Nur Mitglieder eines Klans oder Angehörige des Volkes der Naurim kamen im Allgemeinen um die Zahlung eines Lohns herum.
Vor Jahren hatten wir nach langer Überlegung beschlossen, uns um die Aufnahme in Droins Klan zu bemühen. Die Entscheidung war uns nicht leicht gefallen, aber nur so waren wir wirklich in der Lage auf Dauer mit ihm zusammen zu arbeiten und vielleicht sogar befreundet zu bleiben.
Zudem waren seine Erfahrung und seine Fähigkeiten von unschätzbarem Wert, wenn es darum ging, unter der Erde auf Jagd zu gehen oder einen besonders zähen Gegner zur Strecke zu bringen.
Doch über allem stand die Freundschaft, die wir im Laufe der Jahre unbeabsichtigt zueinander entwickelt hatten – Trotz der Distanz und Unabhängigkeit, die wir uns alle bewahrt hatten.
Dennoch war die Aufnahme in den Klan vor allem eine persönliche Entscheidung gewesen, die jeder von uns alleine getroffen hatte. Ich war der Erste gewesen, der sich dafür entschieden hatte.
Allerdings war ein Jahr mit Nachdenken vergangen, nachdem Droin mir den Vorschlag gemacht hatte.
Eine große Ehre, besonders nachdem, was er mit mir zusammen erlebt hatte. Irgendwann würde ich das auch den Anderen erzählen, aber die Zeit war einfach noch nicht reif und würde es vermutlich auch nie werden wenn es nach mir ging.
Jiang war zu meinem Erstaunen die Nächste gewesen. Seit ihrer Flucht aus Shâo hatte sie zum ersten Mal eine Chance gesehen, eine Art Heimat zu bekommen. Daher hatte sie sich sofort in die Aufgaben gestürzt, die die Naurim ihr gestellt hatten. Jetzt trug auch sie die Klantätowierung über dem Herzen.
Anaya und Kmarr hatten die Prüfungen gemeinsam begonnen und waren unmittelbar nach uns zum Klan gestoßen.
Die Prozedur war lang, schwierig und schmerzhaft, aber wir trugen alle die Klantätowierung der Fenloth, der Naurims des Eisenmauer Klans. Droins Klan.
Die Namen der Klans waren keine wirklichen Namen, sondern eine Beschreibung der wichtigsten Eigenschaft, die die Klanmitglieder besaßen. Im Fall von Droins Klan war dies Ausdauer und Zähigkeit. Daher hatten wir fast zwei Winter gebraucht, um die Prüfungen zu bestehen, die uns eine Aufnahme in ihren Klan ermöglichte.
Nach Droins Verständnis war die Magana also kein Klanmitglied. Daher musste sie für die Hilfe von seiner Seite bezahlen.
Ich seufzte und löste einen Beutel von meinem Gürtel: „Hier, das sollte dafür reichen.“
Ich warf ihm den Beutel zu.
Eigentlich wollte ich damit ein neues Kettenhemd aus blauem Stahl bei Droins Klan erwerben. Es waren meine Ersparnisse des gesamten Jahres.
Er wog den Beutel mit einer Hand. „Was ist denn darin? Ziemlich schwer.“ Vorsichtig löste er den Knoten und zog die Schnüre auseinander. Dann blickte er hinein.
Es dauerte einen Augenblick, bis er mich wieder ansah. Und noch länger dauerte es, bis er wieder sprach.
„Das ist zu viel. Ich nehme die Hälfte. Danke mein Freund, Du bist sehr großzügig, indem Du die Bezahlung für eine Fremde übernimmst, deren Namen Du noch gar nicht kennst.“
„Was? Wann bist Du denn auf den Kopf gefallen?“
„Ich habe auch nicht vor, das Geld zu verschenken. Ich leihe es ihr nur“, fügte ich hinzu.
Dabei sah ich ihn entgeistert an. Noch nie in den fünfzig Wintern seit ich ihn kannte, hatte er auch nur einen kleinen Teil des Lohns abgelehnt der ihm angeboten wurde. Er verlangte höchstens mehr, aber niemals weniger.
Nicht das ich undankbar war.
Kmarr und die anderen starrten ihn ungläubig an. Kommentarlos zog Droin die Bänder des Beutels weiter auf. Darin befand sich makelloser, funkelnder roter Sand.
Zugegeben, das war nicht gerade wenig, aber was sollte es. Im Vergleich zu einem Leben, war auch roter Sand nicht viel wert. Irgendwie war es bei mir mit Geld wie mit Wasser. Ich konnte es einfach nicht festhalten.
„Wo hast Du das her?“, wollte Anaya wissen: „So viel habe ich in einem ganzen Jahr noch nie verdient.“
„Ich auch nicht“, verkündete Kmarr nicht weniger erstaunt.
Das war allerdings ungewöhnlich. Leoniden verdienten normalerweise das Zehnfache eines einfachen Söldners. Und sie waren jede Münze wert.
In Jiangs Stimme schwang etwas mit, dass ich nicht deuten konnte, aber für mich klang es wie Spott: „Unser furchtloser Anführer hat einen wahrlich großen Schatz und ein noch größeres Herz, dass er ihn für eine Fremde hergibt.“
„Oder er ist schlicht dumm“, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.
Ich winkte ab: „Ich denke pragmatisch. Der Sand bleibt sozusagen in der Familie. Und so sorge ich dafür, dass Droin mit mir kommt, ohne dass er den wichtigsten Schwur seines Volkes brechen müsste. Den Sand kann ich auch wieder verdienen.“
Hoffentlich nicht.
„Wofür hast Du den eigentlich bekommen?“, wollte Kmarr wissen.
Auch Anaya beugte sich vor: „Das würde mich auch interessieren.“
Ich sah sie an und schwieg.
„Hey, mach kein Geheimnis daraus. Wir sind’s. Das müssen ja enorm gut bezahlte Aufträge gewesen sein.“
Ich hob einen Finger.
„Was? Nur einer? Das nächste Mal komme ich mit.“ Anaya schien ernstlich beleidigt zu sein.
Kmarr machte dagegen ein ernstes Gesicht: „Ein Auftrag? Wo?“
Ich holte einmal tief Luft: „Droin hat nicht alles erzählt. Wir haben uns zwar in Llûn getrennt, aber ich bin nicht die ganze Zeit dort gewesen.“
Droin sah von seiner Tätigkeit auf. Er war dabei, den Sand sehr genau in zwei Teile zu teilen, die er mit einer feinen Waage abmaß, die er immer im Gepäck mit sich führte.
„Das ist mir neu. Du kannst nicht weit weg gewesen sein. Wir haben uns höchstens eine Woche lang nicht täglich gesehen.“
„Es waren zwölf Tage, um genau zu sein. Und genau die meine ich.“
Ich zögerte, ehe ich weitererzählte.
Anaya wurde ungeduldig: „Nun mach schon.“
Es dauerte einen Augenblick, ehe ich mir überlegt hatte, wie ich den heikelsten Punkt des Themas wohl umschiffen konnte. Seit Jahren war ich auf der Suche nach Wissen über mein Volk. Kaltländer waren keine Menschen, auch wenn wir so ähnlich aussahen.
Wir waren viel größer und massiger, kaum einer war kleiner als sieben Fuß und wog weniger als hundert oder hundertzehn Stein.
Ich zählte mit fast acht Fuß zu den Größeren meiner Rasse. Und ich war auch durch mein Handwerk kräftiger und wog somit gut hundertfünfzig Steine.
Wie bei den Kaltländern üblich, war meine Haut bleich, fast weiß mit einem bläulichen Schimmer und nahezu völlig unbehaart.
Nur mein Haupthaar wuchs wie bei anderen Rassen auch, es war von tiefem, bläulichem schwarz und meine Augenfarbe die von hellem Schiefer mit silbernen Punkten darin. Beides ungewöhnlichere Charakteristika für Kaltländer und vor allem war beides bei Menschen gänzlich unbekannt.
Mein Volk war zäh und ausdauernd, was bei unserer Heimat, den Steppen und Tundren im ewigen Eis des Nordens auch notwendig war. Wir ertrugen eisige Temperaturen und karge Lebensbedingungen stoisch und nur selten fand sich unter uns einer wie ich, mit rastlosem, aufbrausendem Temperament. Im Gegenteil, die meisten Kaltländer waren langmütig und eher langsam in ihrer ganzen Art. Dies war einer der Gründe, warum ich sie verlassen hatte. Unsere Wesensarten waren einfach zu verschieden.
Natürlich könnte das daran liegen, dass ich nur zur Hälfte ein Kaltländer war, während der Rest dämonischem Blut entstammte. Aber ich verdrängte diesen Teil meiner Verwandtschaft.
Doch das Ungewöhnlichste an meinem Volk war die fehlende Geschichte. Es gab nichts, das älter als ein paar Jahrhunderte war. Es war, als wären wir von einem Moment auf den anderen vom Himmel gefallen oder aus dem Nichts aufgetaucht. Dieses Rätsel hatte mich schon als Kind fasziniert, als ich mein Talent für die arkanen Künste entdeckt hatte.
Die Anderen wussten davon, da ich über die Jahre hinweg immer wieder nach Hinweisen gesucht hatte. Daher begann ich auch an dieser Stelle mit der Erzählung:
„Ihr habt euch alle schon oft genug über meine Suche nach der Geschichte meines Volkes lustig gemacht.“
„Vermutlich, weil Du nichts gefunden hast.“
„Ja, ich weiß. Für Dich sind wir nur ein paar unkultivierte Wilde.“
Gefährliche Wilde, aber eben nur Wilde.
Nachdem ich viele Jahre durch die Länder meines Volkes gereist war, konnte ich ihnen nicht widersprechen. Nur zugeben würde ich das nicht.
Anaya hatte zu dem Thema auch eine Meinung, bevor ich fortfahren konnte: „Und wenn Du der Maßstab für Zivilisation bist, hat er damit auch Recht.“
„Sehr lustig. Wollt ihr jetzt wissen, was ich gemacht habe?“
„Schon gut. Kein Grund sich aufzuregen.“
Aus Kmarrs ruhiger Stimme war kein amüsierter Unterton herauszuhören.
Seufzend fuhr ich fort: „ Auch in der Bibliothek von Llûn hatte ich zunächst kein Glück. Egal welches Buch ich in die Hand nahm, es war nichts Brauchbares zu finden. Fast hätte ich aufgegeben, als mich ein Archivar ansprach. Er hatte mich bei meiner Suche beobachtet und mir dabei geholfen, die richtigen Werke aus den endlosen Regalen zu holen. Er macht schließlich auch den Vorschlag, aus den obskuren Werken von Tian einen ganz besonderen Band herauszusuchen und es damit zu probieren.“
Jiang überlegte einen Moment: „Ich kenne den Autor. Das sind Märchen.“
„Das habe ich dem Archivar auch gesagt, aber er meinte, wenn in den Geschichtsbüchern nichts zu finden ist, bleiben nur noch Märchen und Legenden.“
„Ich habe die Geschichten gelesen, die Kaltländer werden da mit keinem Wort erwähnt.“
„Ja, ich glaube wir haben die Geschichten alle gelesen. Aber in Llûn gibt es eine sehr alte Ausgabe, die noch in Imperyal geschrieben ist. Und darin gibt es einen Unterschied. Der Archivar zeigte mir die Ausgabe und wies mich darauf hin, dass die Dämonen in dem Buch wirklich auch eine ihrer infernalischen Sprachen sprechen. Sprich Tian hat alles was sie sagen auch in einer dämonischen Sprache aufgeschrieben.“
„Und das steht in einem Märchenbuch?“
Ich konnte Anayas Einwand verstehen. Ich hatte es auch erst nicht geglaubt.
„Der Archivar hatte eine ganz besondere Theorie zu dem Thema. Ihm zufolge sind das keine Märchen, sondern wahre Geschichten von vor sehr, sehr langer Zeit. Seine Kollegen halten ihn allerdings für bescheuert.“
„Ich auch.“, meinte Jiang: „Schade das ein so gebildeter Mensch an geistiger Verwirrung leidet.“
„Das habe ich auch erst gedacht. Aber dann habe ich das Buch gelesen. Und darin stand folgendes.“
Um die Worte auszusprechen, musste ich ein gewisses Maß meiner magischen Kraft in meine Stimme fließen lassen. Nur so waren die Laute auszusprechen, die in der Sprache der Dämonen geschrieben standen.
„ U’rat, a shuraa,
mahr ann uth,
ssa’ thaak si’an sath,
ch’as ta Ber’en.”
Meine Stimme donnerte durch das ganze Dorf, das Dach zitterte, Putz rieselte von den Wänden. Die anderen hielten sich die Ohren zu.
„Drakkan Vael, Du wirst diese Sprache nie wieder in meiner Gegenwart aussprechen.“
Jiang hatte sich erhoben und starrte mich wütend an: „Das ist die Sprache der Onii. Der Dämonen der Unterwelt.“
„Ja, ich weiß, aber anders würdet ihr die Bedeutung nicht verstehen.“
Der große Leonide wirkte verwundert: „Wie meinst Du das? Ich habe nichts verstanden.“
„Lasst mich erklären. Übersetzt heißt das: Der Verschlinger der Schatten suchte die Geflohenen nach dem Fall im Wald von Beren.“
„Ja und? Wo bitte findest Du darin einen Hinweis auf Dein Volk?“, Anaya war nicht beeindruckt: „Und woher kannst Du diese Sprache?“
„Der Archivar hat mir bei der Übersetzung geholfen.“
Das war glatt gelogen, aber die Wahrheit wäre an dieser Stelle noch weniger hilfreich gewesen. Droin sah mich scharf an, sagte aber nichts. Er erkannte die Lüge, und er kannte auch die richtige Antwort. Doch er war der Meinung, jeder müsse seine eigenen Geheimnisse waren.
„Zuerst habe ich es auch nicht gesehen“, fuhr ich fort: „Das Wort Uth, bedeutet in Imperyal „geflohen“, „Fliehende“, „entfliehen“, „entkommen“, „Schutz suchen“, oder so was in der Art, und wird so“ – ich zeichnete ein paar Symbole in den Lehmboden neben der Feuerstelle – „geschrieben. Wenn man nun den alten Namen meines Volkes kennt, so lautet dieser in Imperyal: Uth-an-ar. “Entkommen in die kalten Länder“ und wird so“ – wieder zeichnete ich einige Symbole – „geschrieben.“
Die Anderen beugten sich vor und stießen überraschte Laute aus. Die Symbolreihen waren fast identisch.
„Wow, scheint so, als hättest Du dieses Mal etwas gefunden.“, Droin sah mich misstrauisch an: „Aber das hast Du in der Stadt herausgefunden. Dafür bekommst Du doch keinen ganzen Beutel roten Sand. Also, wofür ist der gewesen?“
Jetzt gab es kein Zurück mehr.
„Als ich das gesehen hatte, stellte sich mir der Archivar vor. Und stellt euch vor, es war Solan Belantar der Erste Gelehrte von Llûn.“
„Wie bitte? Du hast mit dem Ersten Gelehrten zusammengearbeitet? Du steckst voller Überraschungen mein Freund,“ sagte Kmarr mit einem amüsierten Tonfall in der Stimme.
„Ja, ich war auch verblüfft. Vor allem weil ich eine Audienz erbeten hatte, die mir aber verweigert wurde.“
Ich ahmte den piepsigen Tonfall des Schreibers nach, der mich abgewiesen hatte: „Der Erste Schreiber darf mit solchen trivialen Anliegen nicht behelligt werden.“ – „Was für ein Schwachsinn. Vermutlich war mein Bestechungsgeld nicht hoch genug.“
„Ich dachte, Bestechung sei in Llûn ein schweres Verbrechen.“
„Hab ich auch gedacht Anya. Aber das hängt nur davon ab, wie man das beschreibt. Man bringt ein „Geschenk“ mit. Und je nach dem wie teuer das ist, bekommt man eben mehr oder weniger was man haben will. Die Schreiber haben ein einträgliches Geschäft aus den „Geschenken“ gemacht.“
„Und was hast Du gemacht als sie Dich abgewiesen haben?“, wollte Droin wissen.
Ich konnte mir ein böses Grinsen nicht verkneifen: „Ich habe dem Vorsteher der Bibliothek einen Tipp gegeben. Der Schreiber wurde verhaftet und ich bekam als Belohnung Zugang zu den besonders alten Büchern.“
„Sie haben Dich belohnt, weil Du versucht hast, einen Schreiber zu bestechen?“, Anaya schüttelte lachend den Kopf.
„Wenn Du das so ausdrücken willst, dann ja. Jedenfalls, nachdem sich Solan zu erkennen gegeben hat, hatte er ein Anliegen. Er führte mich in einen besonderen Teil der Bibliothek, nämlich seine privaten Räume.
Dort hatte er Karten und Schriftstücke über ein ganz besonderes Thema ausgebreitet. Wie es scheint, versucht auch er herauszufinden, woher die Kaltländer stammen. Und durch die Übersetzung hatten wir nun beide einen Anhaltspunkt.“
Kmarr sah mich an: „Irgendwas entgeht mir hier. Welchen Anhaltspunkt?“
„Der Wald von Beren.“
Einen Augenblick herrschte Totenstille.
Anaya sah mich an, stand auf und kam langsam zu mir herüber. Sie beugte sich vor, bis ihr Gesicht beinahe meins berührte.
„Willst Du uns damit sagen, dass Du im Wald von Beren warst?“
Ihre rauchige Stimme war sehr leise geworden, und zitterte leicht.
„Ja.“
Mit einer blitzschnellen Bewegung verpasste sie mir eine gewaltige Ohrfeige, die meinen ganzen Kopf zum klingen brachte.
„Du bist vollkommen wahnsinnig! Du gehst alleine in den Wald von Beren! Ohne uns.“
„Wolltest Du Dich umbringen?“, fragte Jiang ganz ruhig.
„Nein, ich bin dafür bezahlt worden.“
„Soso, das ist natürlich eine Entschuldigung. Würdest Du ihm bitte von mir auch noch Eine verpassen Anya?“
Das ließ sich Anaya nicht zweimal sagen. Noch ehe ich reagieren konnte, hatte sie mir noch eine Ohrfeige verpasst.
Ich sah sie an: „Wenn Du das noch mal machst, verpasse ich Dir auch eine.“
Kaum hatte ich den Satz zu Ende, hatte ich ihre Hand zum dritten Mal im Gesicht.
„Was habe ich gerade gesagt?“, brüllte ich sie an. Ohne es zu beabsichtigen hatte ich wieder Macht in die Stimme gelegt, so dass sie wieder durch das ganze Dorf donnerte.
Erschrocken machte sie einen Schritt rückwärts.
„Aber, aber. Kein Grund so zu reagieren.“
Droin hob beschwichtigend die Hände.
Da erst wurde mir bewusst, dass meine Hände vor geballter Macht leuchteten und meine Augen in einem roten Schein glühten. Ich zwang mich ruhiger zu atmen und ließ die Energie langsam wieder los.
„Ja, ich war im Wald von Beren. Ja, ich habe einen ganzen Beutel roten Sand dafür bekommen, und ja, es hat sich gelohnt. Ich habe eine kleine Siedlung eine halbe Tagesreise weit im Wald gefunden und dort ein paar interessante Entdeckungen gemacht. So, jetzt wisst ihr Bescheid.“
Meine Wangen brannten. Ich war allergisch gegen Ohrfeigen. Ich war stocksauer. Vor allem, weil Anaya das auch genau wusste.
„Hey, kein Grund beleidigt zu sein“, versuchte Droin mich zu beruhigen.
Aber ich hörte ihm gar nicht richtig zu.
„Ist mir egal.“
Ich stand auf und verließ die Hütte.