Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 1 - Flucht - Christian Linberg - Страница 6
- 4 Dörfliche Idylle -
ОглавлениеDie Häuser, die vor uns lagen, waren allesamt ziemlich verfallen. Wind und Wetter hatten im Laufe der Zeit viele der Dächer eingedrückt.
Durch die Fensteröffnungen, die uns wie leere Augenhöhlen anstarrten, konnten wir das Unkraut sehen, das zwischen den aufgeweichten und vermoderten Bodenplanken empor wuchs.
Ein guter Teil der Häuser bestand nur noch aus ein oder zwei Wänden und einem Haufen Schutt, der daneben lag.
Es musste Jahrzehnte her sein, seit der letzte Einwohner das Dorf verlassen hatte. Die Seele des Dorfes war schon lange verloren gegangen.
Jetzt war es das Zuhause von Ratten, Kaninchen und Vögeln, die in den Dachbalken nisteten. Mit etwas Glück zählten keine Banditen zu den neuen Einwohnern. Ich war nicht in der Stimmung ein paar Straßenräuber aus meinem Nachtlager vertreiben zu müssen.
Zuerst hatten wir überlegt, am Rand des Waldes entlang weiter nach Norden zu reisen, aber das erschien uns zu offensichtlich, also waren wir schließlich nach Nordwesten abgebogen. Eigentlich wollten wir nur ein paar Hügel zwischen uns und den Ort des Kampfes bringen, das Dorf vor uns war ein Glücksfall, weil es uns die Möglichkeit bot, bequemer zu nächtigen.
Kmarr trug stoisch die bewusstlose Magana in seinen riesigen Armen. Dabei hatte ich Zeit ihn in Ruhe zu betrachten.
Um den Hals trug er eine Kette aus gewaltigen Schneidezähnen, die er von unterschiedlichen Raubtieren erbeutet hatte. Seine Mähne hatte er im Gesicht zu zahlreichen winzigen Zöpfen geflochten und deren Enden mit Perlen und Steinen behängt, die er häufiger wechselte.
Seine löwenähnliche Schnauze wurde von zahlreichen Narben geziert und aus seinem Maul ragten fingerlange Eckzähne. Seine Flamberge hing wieder in einer speziellen Halterung auf dem Rücken, neben zwei dicken Bündeln mit Ausrüstung. Überrascht entdeckte ich, dass sein Rock nicht einfach nur aus Leder bestand, sondern von innen Stahlscheiben aufgenäht waren, ganz im Stile einer Brigantine. Das war neu. Offensichtlich hatte er Gründe dafür gefunden, sich zu rüsten. Das versprach eine interessante Geschichte. Leoniden waren sonst nicht für Rüstung zu haben, weil es sie langsam machte.
Anaya war von ihrem Nachtmahr abgestiegen und als Vorhut bereits ins Dorf geschlichen. Man konnte nie wissen wer oder was sich solche Ruinen als Zuhause gesucht hatte.
Ich ließ mich von Shadarr gemütlich nebenher tragen und amüsierte mich heimlich über die giftigen Blicke, die Jiang mir wegen ihrer verdreckten Kleidung zuwarf. Dabei war ich sorgsam darauf bedacht, dass sie mich nicht grinsen sah.
Droin beobachtete das Ganze mit einem gewissen Vergnügen, wie ich an seinen Augen erkennen konnte, aber auch er gab sich Mühe, sich nicht von Jiang dabei erwischen zu lassen.
Allmählich brach die Abenddämmerung herein, denn wir hatten den Rest des Tages genutzt, um möglichst viel Strecke zurückzulegen. Wir alle hatten die Reisekleidung gegen unsere Rüstungen eingetauscht, nachdem Anaya die unterschiedlichen Verletzungen behandelt hatte. Jetzt trugen außer Jiang alle mindestens einen Verband oder eine übel riechende Kräutersalbe – Sehr zum Leidwesen meiner Nase. Das Zeug roch wie Kuhpisse.
Das Kmarr verletzt worden war, hatte ich überhaupt nicht bemerkt: Der Baumschleicher hatte ihn mit einer seiner Klauen am Bein getroffen. Die Wunde war zwar nicht tief, aber ohne Behandlung konnte sich auch ein kleiner Schnitt schnell entzünden.
Anaya tauchte an der Ecke eines Hauses auf und winkte uns in das Dorf.
Droin glitt am ersten Haus aus dem Sattel und warf einen Blick hinein.
„Ich hoffe es ist auch eins mit intaktem Dach dabei“, kommentierte er kritisch.
„Wahrscheinlich nicht“, erwiderte Kmarr.
Ich konnte die Anstrengung in seiner Stimme hören, obwohl man seinem Schritt nichts ansah. Zu stolz es zuzugeben – wie üblich.
„Lasst uns Anya folgen, ich bin sicher, sie hat bereits einen geeigneten Lagerplatz gefunden.“
„Der erste vernünftige Vorschlag von Euch“, bemerkte Jiang und ritt weiter.
'Euch. Verflucht, die war wirklich sauer', dachte ich genervt.
Wir erreichten den Mittelpunkt des Dorfes, in dem sich auch der Dorfbrunnen befand. Die Wände des Brunnens waren zum Teil eingestürzt und von der Winde, mit der man die Wassereimer hatte hochziehen sollen, war nur noch die verrostete Kurbel übrig, die neben dem Brunnen lag.
Anaya stand zwischen zwei Gebäuden und wartete auf uns.
„Diese hier sind noch am besten erhalten. Bei den anderen fehlt das Dach, oder es sind Löcher drin. Oder es wirkt auf mich so, als würde ein lautes Wort genügen, um sie zum Einsturz zu bringen.“
„Sieht nicht gerade viel versprechend aus, aber besser als auf der Ebene.“
Ich war skeptisch.
„Ja, es sind keine Schönheiten, aber die Substanz ist in Ordnung.“
„Sie hat Recht“, meinte Droin, als er einen Blick durch die Türöffnung geworfen hatte: „Die Tragbalken sind dick und in Pech getränkt. Die werden noch einmal hundert Winter halten. Wenn wir Decken vor die Fensteröffnungen hängen, werden wir sogar Feuer darin machen können, der Boden ist hier aus Lehm.“
„Gut, dann ist es beschlossen.“
Kmarr bückte sich fast auf alle Viere, um durch die Tür zu passen. Vorsichtig hielt er die Magana dabei mit seinen beiden gewaltigen Händen. Ihr Körper wirkte darin wie ein Spielzeug.
„Was machen wir mit den Mahren?“, fragte ich die anderen.
Anaya deutete auf das andere Gebäude: „Ich denke wir machen aus dem da einen Stall. Es ist groß genug. Wenn wir den Türrahmen vergrößern, passen sie problemlos alle hinein.“
„Okay, das übernehme ich“, ließ Droin verlauten. Er zog eine kleine Axt aus einer Halteschlaufe am Gürtel und schritt auf das Haus zu.
„Ich sehe zuerst nach der Magana und später will ich eure Wunden auch alle noch einmal sehen“, verkündete Anaya.
„Zu Befehl.“
Ich salutierte nach Art des alten Imperiums mit geballter Faust über den Herzen.
Jiang glitt ohne ein Wort aus dem Sattel und verschwand hinter Kmarr im Haus.
Ich bat Valon, den Gott des Krieges inständig um Mut, und folgte ihr, nachdem ich Shadarr den Sattel und die Packtaschen abgenommen hatte.
‚Suche Futter.’
‚Was auch sonst’, antwortete ich ihm, als er lautlos zwischen den Ruinen verschwand.
Das Haus, oder vielmehr die Hütte bestand aus einem einzelnen Raum, der vielleicht zwei mal vier Mannslängen durchmaß. Die Wände waren aus einem Balkengerüst, zwischen denen ein Weidengeflecht befestigt war, auf das man ein Gemisch aus Stroh und Lehm aufgetragen hatte. Die Decke war niedrig, kaum höher als die Tür. Das Dach bestand aus kleinen Holzschindeln, die mit einer zähen pechartigen Masse vor Wind und Wetter geschützt wurden. Zum Glück waren nur wenige Schindeln verrottet, so dass das Dach weitgehend dicht war.
Es gab drei Fenster, alle hatten früher einmal Läden besessen, aber die waren schon lange verfault. Nur noch die Angeln zeugten von ihrer früheren Existenz. In der Mitte des Raumes gab es eine kleine gemauerte Vertiefung, die wohl als Kochstelle gedient hatte. Reste eines Kochgestells waren noch vorhanden. Ansonsten gab es so gut wie kein Mobiliar. Ein paar vermoderte Bretter könnten einmal ein Regal gewesen sein. Sonst war nichts mehr übrig geblieben von der Einrichtung.
Kmarr saß in der Ecke links gegenüber dem Eingang. Die Magana hatte er vorsichtig auf sein Bündel Ausrüstung neben sich gebettet. Er blickte nicht auf, als ich eintrat sondern rollte sich mit dem Gesicht zur Wand zusammen.
Ich konnte mir gut vorstellen, wie erschöpft er sein musste. Die Magana hatte sich, seit wir sie aus dem Wald gezogen hatten, nicht mehr bewegt. Sie atmete zwar, war aber weiterhin bewusstlos. Anaya wandte mir den Rücken zu, denn sie hatte sich über die Magana gebeugt und wickelte gerade den Verband um den Kopf ab.
Auf der gegenüberliegenden Seite hatte Jiang mit einer Leine eine Ecke der Hütte mit einem Seil abgetrennt, über das sie eine Decke als Sichtschutz gehängt hatte. Obwohl ich sie schon einige Jahre kannte, war sie im Bezug auf ihre Schlafstätte schon immer eine Einzelgängerin gewesen. Wir hatten uns mittlerweile alle daran gewöhnt.
Da wir eine bessere Chance hatten, wenigstens minimal Wärme in der Hütte zu erzeugen, wenn wir alle auf einer Seite der Hütte schliefen, ließ ich meine Ausrüstung rechts von der Eingangstür zu Boden sinken. Mit einer Decke bewaffnet machte ich mich daran, das Fenster direkt neben der Tür zu verhängen. Ich nagelte sie kurzerhand oben und unten am Fensterrahmen fest. Im Laufe der Jahre hatte es sich bezahlt gemacht, Nägel mitzuführen. Und mein Helm war ein hervorragender Hammer.
Anschließend ging ich nach draußen, um das Gepäck von Anaya und Droin in unser temporäres Heim zu tragen. Droin hatte inzwischen ein ansehnliches Loch in die Wand über der Tür des anderen Gebäudes geschlagen. Ich sah ihm einen Moment zu, dann schleppte ich die Sättel nacheinander zu unserer Schlafstätte.
Die Mahre standen gelangweilt um den Brunnen herum oder suchten am Boden nach Spuren von Ratten oder anderer lohnender Beute. Nur Shadarrs Nähe hielt sie davon ab, sich zu weit von uns zu entfernen. Sie vertrugen sich nicht gerade gut miteinander.
Ich lud das Gepäck neben meinem ab und machte mich dann daran, die beiden Fenster auf der Rückseite des Hauses mit Decken zu verschließen.
Anaya hatte inzwischen damit begonnen, den Kopf der Magana mit der übel riechenden Salbe einzureiben.
„Muss das sein?“, maulte Kmarr ohne sich umzudrehen. Für seinen empfindlichen Geruchssinn war der Geruch doppelt unangenehm.
„Nur wenn es schlecht riecht oder schmeckt, hilft es auch. Und ja, es muss sein“, erwiderte Anaya, ohne sich bei der Arbeit stören zu lassen.
Ich fand, ich hatte fürs Erste genug getan und machte mich daran, meinen Schlafplatz zu gestalten. Es zahlte sich aus, zu wissen, wo in der Dunkelheit was lag, sollte es Probleme geben. Das Schwert links, den Schild rechts. Sattel als Kopfkissen, die übrige Ausrüstung griffbereit verschnürt daneben.
Dann ließ ich mich mit dem Rücken gegen die Wand sinken und tat das, was ich am Besten konnte: Nichts.
„Drakkan?“
Ich musste wohl kurz eingenickt sein, denn als ich die Augen wieder öffnete, stand Jiang nur einen Schritt von mir entfernt und sah mich mit einem stechenden Blick an.
„Hmm?“, entgegnete ich wortgewand.
„Du hast die Magana gefunden, oder?“, dabei zeigte sie auf den reglosen Körper.
„Naja eigentlich war es Shadarr“, antwortete ich ausweichend, weil ich ahnte, was kam.
„Das ist Dein Reittier, also bist Du verantwortlich.“
„Siehst Du die Grasflecken auf meiner Kleidung?“, wollte sie wissen und deutete dabei anklagend auf ihre Knie, die wie der Rest von ihr von ihren typischen Seidengewändern in schillernden Farben bedeckt wurden. Dieses Mal war es ein hellgrünes Gewand mit silbernen Shâo- oder Tempellöwen darauf.
„Jaaa“, erwiderte ich gedehnt.
Sie sah mir direkt in die Augen, während sie mit einer Hand die zwei Knebelverschlüsse an ihrer linken Schulter löste und gleichzeitig mit ihrer anderen Hand den Knoten am Rücken ihres Gewandes öffnete.
Ohne den Blick von mir zu nehmen, ließ sie die Sachen zu Boden gleiten. Sie trat einen Schritt rückwärts darüber hinweg. Splitternackt, nur in ihren hölzernen Schuhen stand sie vor mir.
Ich musste kräftig schlucken. Zwar hatte ich sie schon ein paar Mal beim Baden gesehen, aber noch nie so unmittelbar und ohne den verhüllenden Nebel eines Dampfbades. Und vor allem noch nie so unvorbereitet.
Sie war sehr schlank, fast zierlich mit einer alabasterfarbenen Haut und kleinen, aber sehr wohlgeformten Brüsten deren Brustwarzen sich steil aufgerichtet hatten. Ihr Schamhaar war in Form einer Lotusblüte geschnitten und…
„Au!“, entfuhr es mir. Ein Stück Seife hatte mich am Kopf getroffen.
Jiang lies mich nicht aus den Augen und für einen winzigen Augenblick glaubte ich ihre Mundwinkel amüsiert zucken zu sehen, aber ich war mir nicht sicher.
„…sauber bis morgen früh!“
Sie deutete mit einem Finger auf ihre Kleidung zu meinen Füßen.
Der Rest des Satzes war mir entgangen. Ich sah kurz zu Anaya und Kmarr, aber beide wandten mir noch immer den Rücken zu. Keiner von beiden hatte die Szene beobachtet.
Ich atmete erleichtert auf und blickte wieder zurück zu Jiang, die sich bereits umgedreht hatte und wieder zu ihrem Lager ging. Ihr gesamter Rücken war mit einer großflächigen Tätowierung verziert, die einen kleinen Tempel mit grünem Dach das von roten Säulen getragen wurde darstellte, vor dem ein Teich mit Seerosen lag um den sich ein schlangengleicher Drache mit rotgoldenen Schuppen wand, gebettet auf Lotusblüten.
Ich schluckte nochmals und hob dann die Seife auf. Als ich wieder nach Jiang sah, war sie gerade dabei, neue Gewänder anzulegen. Schade eigentlich.
Droin trat ein und sah sich um.
„Sieht ja schon recht gemütlich aus. Dann mach ich mal Feuer.“
Er öffnete eine Packtasche und holte einen kleinen Sack daraus hervor. Zusammen mit einer kleinen Schaufel und einer metallenen Kugel ließ er sich vor der alten Feuerstelle nieder.
Zunächst befreite er sie von Unrat, Laub und Unkraut. Dann schraubte er die Kugel auf und befestigte drei kurze Beine an der runden Unterseite einer Hälfte, die er aus dem Inneren der Kugel befreit hatte. Im Inneren der anderen Hälfte waren zahlreiche Runen eingraviert. Er platzierte die Konstruktion in der Senke der Feuerstelle.
Anschließend schüttete er den Inhalt des Säckchens in die aufgestellte Kugelhälfte. Zwei handvoll eiförmiger Kohlestücke fielen heraus. Mit zwei Kienspänen schuf er in der Mitte eine Lücke. Droin goss ein schwarzes Pulver hinein, das wie Wasser aus einer kleinen Blechdose floss, die zusammen mit der Kohle in dem Leinenbeutel gewesen war. Zuletzt schlug er mit Feuerstein und Stahl ein paar Funken hinterher. Sobald diese in der Kugel landeten, verglühte das Pulver zischend. Es gab eine Stichflamme und das innere der Kugel fing Feuer. Droin schraubte die obere Hälfte der Kugel darauf, wobei er darauf achtete, oben eine klein Luke für den Rauch und die Hitze zu öffnen. Dann räumte er die übrigen Utensilien wieder zusammen und verstaute sie in seinem Bündel.
Die seltsame Konstruktion verbrauchte weniger Brennmaterial, gab keinen Feuerschein ab und hielt deutlich länger warm, als ein normales Lagerfeuer.
Außerdem war sie unglaublich teuer. Deshalb hatte Droin als einziger eine dabei. Wir anderen mussten uns mit Kohle und Holz begnügen.
„Wir sollten noch die Tür verhängen“, schlug Anaya vor, die mittlerweile den Verband der Magana gewechselt hatte und nun dabei war Kmarrs Beinverletzung zu behandeln.
„Auf jeden Fall. Sobald Drakk die Grasflecken erfolgreich aus Jiangs Kleidung entfernt hat, bin ich sicher, er macht das gerne.“
Droin sah mich grinsend.
„Vorher solltest Du sie aber waschen“, hörte ich Anaya kichern.
„Sehr witzig.“
Aber ich machte mich ergeben mit der Seife von Jiang und einem Wasserschlauch daran, erst mich und dann das Gewand zu reinigen. Eine Weigerung hätte vermutlich dazu geführt, dass ich nicht mehr aus dem Schlaf erwacht wäre. Also lieber das kleinere Übel.
Ich bemühte mich, vorsichtig zu sein, deshalb dauerte es ziemlich lange.
„Wann hast Du jetzt eigentlich die Erfahrung mit dem Baumschleicher gemacht?“, erkundigte sich Anaya.
„Das ist schnell erzählt.“
Kmarr stützte sich träge auf einen Ellenbogen: „Da war ich noch jünger und dümmer. Ich hatte gedacht, ich könnte von Gi’tay einen Weg durch den Wald finden, um nach Naurach zu reisen.“
Er hob seine Hand, um unsere Einwände abzuwehren: „Natürlich weiß ich heute, dass das eine blöde Idee war, aber damals dachte ich an den Ruhm, den mir eine erfolgreiche Durchquerung des Waldes eingebracht hätte.
Wie ihr euch denken könnt, hat es nicht funktioniert. Zu Beginn lief es gut. Erst bin ich auf ein paar Schleichkatzen gestoßen, die aber kein Problem waren. Doch dann hatte ich das Pech erst über Klingenblattranken zu stolpern, dann waren da noch blaue Faulpilze und eine Kolonie des Dornenvolks, bevor ich auf den Baumschleicher getroffen bin. Zu meinem Glück war ich da bereits auf dem Weg nach draußen. Ich habe das Biest weder gehört, noch gerochen. Es ist praktisch ein lebendiger Baum. Er roch auch so.
Der Kampf hat lange gedauert. Ich habe nur knapp überlebt und war äußerst schwer verletzt. Ohne die Schleichkatzen, die ich davon überzeugen konnte, mich zu beschützen, wäre ich vor Ort verblutet. Danach habe ich mir eine Flamberge ähnlich dieser hier machen lassen, für die Reichweite und Schlagkraft.“
„Du hast ihn also besiegt. Bemerkenswert. Aber die lange Klinge hätte Dir im Wald nichts genützt. Äxte oder Kriegshämmer mit langem Dorn wären besser geeignet.“
Droins ruhige Einschätzung war zwar sicher richtig, aber die Leistung so viele Bedrohungen im Wald überwunden zu haben, war trotzdem beeindruckend.
„Zum Glück für uns hast Du überlebt. Ich hätte die Kreaturen tiefer im Wald gerne gesehen“, fügte Anaya hinzu.
„Ich bin sicher, irgendwann werden wir dazu die Gelegenheit haben.“
Auch wenn es gefährlich war, war ich neugierig. Eine erfolgreiche Durchquerung des Schattenwaldes würde unsere Preise als Kopfjäger gewaltig steigern.
„Dann sollten wir es tun.“
Jiang erschien hinter ihrem Vorhang und stellte einen mit Wasser gefüllten Kessel auf die Kohlen, ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen. Wie sie festgestellt hatte, wann die Kohle genügend Hitze erreicht hatte, war mir ein Rätsel.
„Einverstanden“, erwiderte Droin.
„Ich auch. Weckt mich, wenn das Essen fertig ist.“
Kmarr rollte sich in seiner Ecke zusammen.
Jiang hatte bereits Zutaten herausgelegt. Sie übernahm das Kochen meistens, nachdem sie uns einmal erklärt hatte, unsere Kochkünste würden nicht für die Schweine im Stall reichen. Niemand hatte protestiert, denn kochen war unterwegs nicht unbedingt die beliebteste Arbeit. Auch wenn ich fand, das Schweine gar nicht so schlecht aßen.
Droin hämmerte unterdessen geduldig mit einem Hammer auf die zahlreichen Beulen in seiner Rüstung ein.
„Ich werde eine Schmiede brauchen, sobald sich die Gelegenheit ergibt.“
„Besser eine Schmiede als einen Sarg.“
„Wenigstens würde er dann weniger Lärm machen.“
Nachdem ich einen Grasfleck zu meiner Zufriedenheit entfernt hatte, stand ich auf und nagelte eine Decke an drei Stellen vor die Tür.
So konnte man nur an einer Seite die Decke zur Seite schlagen und es hielt den Wind besser ab.
In der dritten Jahreszeit war es nachts bereits empfindlich kalt. Besonders hier im Norden würde sich bald das erste Eis auf den kleinen Seen bilden.
Anaya hatte sich inzwischen Droin zugewandt und dieser legte nun nach Anweisungen der Aliana seine Rüstung ab. Von Zeit zu Zeit stöhnte er dabei leise auf.
„Wer übernimmt die erste Wache?“, wollte er dabei wissen.
„Ich werde das tun“, erwiderte ich. Nach den Ereignissen des Tages war mir nicht nach schlafen zu Mute.
„Gut dann übernehme ich die Zweite und Droin kann die Dritte haben.“
Anaya tastete vorsichtig die Seite des Naurims ab. Dieser sog scharf die Luft ein.
„Der Baumschleicher hat dir zwei Rippen gebrochen. Ich werde Dir einen stützenden Verband anlegen. Und etwas von der Calmea-Salbe auftragen.“
„Muss das sein?“, Droin rümpfte die Nase: „Das Zeug riecht wie Pisse und ist ungefähr genauso nützlich.“
Ich musste grinsen, denn er hatte Recht. Zumindest was den Geruch anging.
„Na dann wird man bei Dir ja keinen Unterschied merken“, kam es leise aus Kmarrs Ecke.
Anaya kicherte. „Stell Dich nicht so an, Du wirst doch wohl kaum mit den gebrochenen Rippen rumlaufen oder?“, fragte sie und piekste ihm mit einem Finger genau auf die Bruchstelle.
Stöhnend winkte Droin ab: „Also gut, Du hast gewonnen.“
Ich hatte unterdessen den zweiten Grasflecken beseitigt und erhob mich: „Dann will ich mich mal draußen umsehen, bevor die Sonne völlig verschwunden ist. Ruft mich, wenn das Essen fertig ist.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, flüchtete ich nach draußen. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken, und wollte mir gleichzeitig ein Bild von der Umgebung machen. Allerdings hatte ich vor allem das Bild von Jiangs nacktem Körper vor Augen.
Während ich zwischen den Gebäuden hindurch ging und hin und wieder einen Blick hinein warf, versuchte ich mir einen Reim auf Jiangs Verhalten zu machen. Bisher hatte ich nicht den Eindruck gehabt, dass sie besonders an mir interessiert gewesen wäre. Aber jetzt hatte sie sich praktisch angepriesen, wenn auch nicht mit Worten.
Mir war nicht klar wie ich darauf reagieren sollte. Verlockend fand ich das Angebot auf jeden Fall.
In einem der Häuser scheuchte ich ein Rudel Ratten auf, die quiekend und fiepend in alle möglichen Richtungen davon stoben. Lustlos erschlug ich eine, die nicht schnell genug gewesen war und spießte sie mit meinem Schwert auf. Vermutlich würde ein Nachtmahr das Blut riechen und sie fressen.
Wir hatten die Biester nicht ohne Grund gewählt. Man musste sie nicht füttern, weil sie als Raubtiere selber auf die Jagd gingen. Es war nicht notwendig sie anzubinden oder sonst irgendwie einzusperren. Dafür hatte es auch ein Jahr gedauert, bis sie nicht mehr die Tendenz hatten, bei jeder Gelegenheit zu versuchen, uns zu fressen.
Dass wir ihnen ein Haus als Unterstand geöffnet hatten, hatte mehr etwas mit Kameradschaft zu tun, als mit echter Notwendigkeit. Sollte es regnen oder einen Sturm geben, würden sie sich dort unterstellen, was ihre Laune am nächsten Morgen bedeutend verbesserte.
Bevor ich Shadarr getroffen hatte, hatte ich selbst ein Nachtmahr besessen und es nie bereut, auch wenn ihre Unterbringung in einer Stadt teuer oder manchmal sogar verboten war. Die Vorteile auf Reisen überwogen diese Nachteile allemal.
Was also würde ich mit Jiang tun? Und wie würden die anderen darauf reagieren? Besonders Anaya. Zwischen uns bestand eine Art Verbindung, auch wenn wir uns oft viele Monate nicht sahen. Uns als Liebespaar zu bezeichnen, würde zu weit gehen, aber wir genossen die Lust aufeinander in vollen Zügen. Ich mochte sie und ihre körperlichen Vorzüge, war aber froh darum, meine Freiheit dabei zu behalten. Und auch sie fühlte sich nicht eingeengt und hielt es ebenso wie ich. Zumindest hatte sie mir bisher keinen Grund gegeben, etwas anderes anzunehmen.
Aber mit Jiang und jetzt auch noch der bewusstlosen Magana waren eindeutig zu viele Frauen auf einmal in meinem Leben. Wobei mich die Magana nicht wirklich ansprach. Zwar war sie nicht unattraktiv, aber mehr auch nicht.
Grübelnd umrundete ich das Dorf und beschloss, mir ein besonders verfallenes Haus am Rand zu suchen, von dem aus ich einen guten Blick nach Süden und Westen hatte, den wahrscheinlichsten Routen für unsere etwaigen Verfolger. Natürlich wussten die das auch, und so kam es zu dem alten Spiel „wer denkt was der andere denkt dass man denkt“. Sprich, es war im Grunde egal wo man sich postierte, Hauptsache man konnte besser sehen, als dass man gesehen wurde.
Dafür hatte ich noch eine Überraschung parat.
Ich war sicher, dass der geflüchtete Reiter mit Verstärkung zurückkommen würde. Da alle Reiter eine einheitliche Rüstung getragen hatten, waren wir uns darin einig, dass es sich um Soldaten gehandelt haben musste. Und wo ein Soldat war, gab es gewöhnlich noch mehr. Dass es allerdings Untote waren, machte mir einige Sorgen. Leichen zu neuem Leben zu erwecken war nicht einfach und stand im Buch der verbotenen Künste ganz weit oben.
Ein leiser Pfiff erinnerte mich daran, dass das Essen fertig war. Die Anderen hatten sich bereits bedient, als ich zurückkam. Nur Kmarr hielt sich zurück.
Die Mengen, die ein Leonide in sich hineinschaufeln konnte, konnten durchaus mit dem Futterbedarf von Shadarr konkurrieren. Dafür brauchte Kmarr allerdings nur alle paar Tage etwas zu Essen, wohingegen Shadarr schon übellaunig wurde, wenn die Portionen eines Tages nicht zu seiner Zufriedenheit ausfielen. Ich erwartete daher nicht, ihn so bald wiederzusehen.
Ganz entfernt konnte ich ihn über unsere telepathische Verbindung erspüren, aber ich wollte ihn nicht bei der Jagd stören. Ich holte eine hölzerne Schale aus meinem Gepäck und schaufelte mir mit der Suppenkelle eine Portion Eintopf hinein.
Nachdem ich mich an meiner Schlafstätte niedergelassen hatte wandte ich mich an die anderen: „Ich nehme an, euch interessiert, was passiert ist.“ In kurzen Worten schilderte ich alles, was vom am Abend zuvor an bis zu dem Moment passiert war, an dem wir uns getroffen hatten.
„Ich nehme nicht an, du hast den Wein noch?“, fragte Anaya.
„Doch, ein Rest ist noch drin und ich habe auch noch eine unberührte Flasche.“
Ich kramte eine Flasche aus dem Gepäck und reichte sie ihr.
„Wieso hast Du den eigentlich mitgenommen?“, wollte sie verwirrt wissen: „Wenn er so schlecht schmeckt.“
Sie betrachtete die Flasche erst von allen Seiten und brach dann das Wachssiegel, das den Korken in der Flasche hielt.
„Na ich hab ihn schließlich bezahlt. Warum soll ich ihn dann nicht auch mitnehmen.“, entgegnete ich entrüstet.
Vorsichtig zog sie diesen heraus, roch daran und tauchte dann ihre Fingerspitze hinein. Als sie mit der Zungenspitze daran kostete, zog sie überrascht eine Augenbraue hoch.
„Was hat Dir der Wirt gesagt, woher der Wein kommt?“
„Aus dem Altenthal. Das ist eine kleine Provinz in Orenoc.“
„Wo das Altenthal liegt weiß ich“, erwiderte sie auf meine Antwort hin.
„Entweder weiß er es nicht besser, oder er hat Dich angelogen.“
Wir sahen sie verwundert an.
„Warum sollte er das tun?“, fragte Droin.
„Was ist denn daran so besonders?“
„Erstens ist das gar kein Wein, sondern ein starker Likör und zweitens enthält er ein Gift, dass viel weiter aus dem Süden stammt.“
„Wie bitte? Ein Gift?“
Ich muss wohl ziemlich entsetzt ausgesehen haben, denn sie hob beschwichtigend die Hände.
„Wohl eher ein Rauschmittel. Richtig dosiert ist es in der Lage die arkanen Fähigkeiten einer Person zu verstärken. Wird es zu hoch dosiert, bewirkt es allerdings Übelkeit, Schwindelgefühle und starke Kopfschmerzen. Da dies aber auch die Symptome übermäßigen Alkoholgenusses sind, wird es nicht oft entdeckt.“
„Du meinst der Wirt wollte mich vergiften?“, fragte ich zornig.
Im Bezug auf Gift hatten Anaya und Ich völlig unterschiedliche Auffassungen. Während ich Gift verabscheute, gehörte es für sie zur Natur. Schließlich gab es viele Tiere deren Biss oder Stich giftig war.
„Wenn Du mich so direkt fragst: nein, ich glaube, er wusste nicht, was er da ausschenkt. Vermutlich hat ihm ein Händler das Zeug als besonders seltenen und edlen Tropfen angeboten.“
„Aber wieso sollte jemand Gift in die Flasche schütten?“, hakte Kmarr nach.
„Das war gar nicht nötig. Wenn man Berrsha-Früchte gären lässt, entsteht das Gift sozusagen als Nebenbei. Daher weiß ich auch, dass der Wein sicher nicht aus dem Altenthal stammt, sondern aus meiner Heimat Galladorn, denn das ist der einzige Ort, an dem die Früchte wachsen. Früher haben die Alian daraus goldenen Feuerwein hergestellt. Heutzutage schaffen sie es gerade noch, einen Likör daraus zu machen.“ Ein wenig traurig gab sie mir die Flasche zurück.
„Heb sie gut auf. Wenn Du nicht mehr als ein Glas trinkst, sollte es Deine Fähigkeiten steigern.“
Sie wandte sich an Jiang: „Das gilt auch für Dich. Das Zeug stärkt alle Arten von arkanen Kräften.“
Skeptisch sah Jiang sie an: „Eine Mystikerin aus dem Palast des Imperators von Shâo hat keine solchen Hilfsmittel nötig.“
„Wenn Du meinst“, gab Anaya kurz angebunden zurück.
Droin und Kmarr sahen mich an und ich sah in ihren Blicken das gleiche Unverständnis, das ich fühlte. Was war denn das schon wieder?
Irgendwas bekam ich hier nicht mit.
Um die unangenehme Spannung zu brechen, wandte ich mich an Anaya: „Sag mal, was war das eigentlich für ein weißes Zeug, dass Du auf den Schleicher losgelassen hast?“
Einen Augenblick sah sie mich verwirrt an, doch dann lachte sie: „Was? Du meinst die Holzböcke?“
„Was ist ein Holzbock? Sägt man darauf nicht Brennholz?“ Ich hatte das Gestell vor Augen, auf dass man Baumstämme legte, um sie zu zersägen.
„Unsinn. Das sind kleine Käfer mit einem winzigen Geweih, wie bei einem Hirsch. Also einem Bock. Und da sie Holz fressen, eben Holzbock.“
„Und die mögen Baumschleicher?“
Droins Frage war verständlich, denn eigentlich hatte ich immer gedacht, dass die Viecher nur im Wald lebten, statt selber Teil von ihm zu sein.
„Nein, aber ich habe meine Messer im Kampf mit einem klebrigen Harz bestrichen, auf dass sie ganz verrückt sind. Dann musste ich den Schleicher nur noch damit verletzen und schon sind die Holzböcke auf ihn losgegangen, wie Drakk auf einen Kuchen.“
„Was soll das denn heißen? So verfressen bin ich gar nicht.“
Anaya winkte ab: „Natürlich nicht.“
Allerdings sagten mir die amüsierten Blicke der anderen, dass sie ganz anderer Meinung waren.
Danach schweifte das Gespräch zum Glück zu den Erlebnissen ab, die wir während unserer Trennung gehabt hatten.
Kmarr, der mit Droin zusammen unterwegs gewesen war, berichtete, wie sie zuerst im Grasmeer von Llûn Zlad-Echsen gejagt hatten, die die Grashirten töteten, bevor sie von der Stadt der Türme mit einem Handelsschiff nach Ragad und weiter nach Rellinn gereist waren.
Auf ihrer Reise hatten sie zweimal die Angriffe von Piraten abwehren müssen, die in letzter Zeit verstärkt die Meerenge von Birtain unsicher machten.
Jiang und Anaya hatten den in Denelorn gesuchten Derek Feltan in der Grenzstadt Sarand gestellt und von dort in Ketten durch das halbe Land geschleift, bevor er in der Hauptstadt Dinera zu zwanzig Wintern Kerker verurteilt wurde.
Das Rechtssystem in Denelorn war seltsam, denn ein Verbrecher durfte nur am Ort des Verbrechens verurteilt werden. Die gängigste Methode sich einem Urteil zu entziehen, bestand daher darin, so schnell wie möglich so viele Meilen wie möglich zwischen sich und den Tatort zu bringen.
Daher waren die Geschäfte für Jäger wie uns oder Abenteurer und Söldner dort stets lukrativ und vielfältig vorhanden.
„Wie ist es Dir ergangen?“, fragte Droin: „Hast Du etwas über Deine Vorfahren herausgefunden?“
Wir hatten uns in Llûn getrennt. Ich war in der Stadt geblieben, und hatte in der großen Bibliothek nach den Vorfahren meines Volkes geforscht.
Wochenlang hatte ich mich durch alte und noch ältere Geschichtswerke gekämpft, die sich mit allem beschäftigten, was auch nur entfernt mit den Kaltländern zu tun hatte, wie man mich und mein Volk nannte.
„Es scheint so, als wären wir vor ca. dreihundert Jahren vom Himmel gefallen. Zwar fand ich Hinweise darauf, dass wir irgendwo aus dem Süden kamen, aber genaueres war auch in Llûn nicht in Erfahrung zu bringen. Es scheint, als blieben nur die Archive der Naurim als Quelle übrig. Oder ich finde einen Drachen, der lieber mit mir redet, statt mich zu fressen.“
„Schade mein Freund. Ich hatte gehofft, Du würdest etwas finden“, grollte Kmarr in seiner tiefen Stimme voll Mitgefühl.
Ich musste Schlucken, ehe ich ihm antwortete: „Danke.“
Seit Jahren versuchte ich etwas über die Geschichte der Kaltländer in Erfahrung zu bringen, doch vergeblich. Es gab Legenden und Geschichten bei uns, aber nicht mehr. Auch in anderen Ländern wusste man zwar von uns, aber keiner konnte sagen, woher wir kamen, oder wie es kam, dass wir im unwirtlichsten Teil der Welt lebten.
„Also Drakk, da Du über die Magana gestolpert bist, was machen wir mit ihr?“, wollte Jiang wissen.
Anscheinend hatte sich ihre Stimmung gebessert, sie duzte mich wieder, trotzdem war ihr Tonfall noch immer nicht besonders freundlich.
„Darüber habe ich schon nachgedacht. Ich denke, wir transportieren sie bis zur nächsten Siedlung und quartieren sie dort in einer Herberge ein. Dann suchen wir einen Heiler für sie und ziehen weiter. Wir wissen nicht, was zwischen ihr und Morak vorgefallen ist, und ich mische mich ungern in Dinge ein, die mich nichts angehen.“
„Das hast Du doch schon getan, als Du und Shadarr zwei ihrer Reiter getötet habt“, entgegnete Droin.
„Da wusste ich noch nicht, woher die Reiter kamen. Ich habe nur einen Flüchtenden gesehen, der von Reitern verfolgt wurde“, verteidigte ich mich: „Ich hatte gar keine Gelegenheit herauszufinden, wer woran Schuld ist. Da sind sie schon über mich hergefallen.“
„Ruhig mein Freund. Ich bin sicher Droin hat das nicht so gemeint, wie Du es verstanden hast.“
Kmarr sah von mir zu Droin, in beide Richtungen die Hände beschwichtigend ausgestreckt.
„Nein, so war das nicht gedacht. Aber ich fürchte, der Reiter, der entkommen ist, wird das anders berichten“, ergänzte Droin seine Aussage.
„Dann müssen wir also davon ausgehen, dass sie zumindest Drakkan für ihren Feind halten.“
Anaya stocherte mit ihrem Löffel in ihrem Eintopf herum. „So wie sie auf ihn reagiert haben, glaube ich nicht, dass es sie interessiert, ob er etwas damit zu tun hat oder nicht. Gleiches gilt dann wohl auch für uns.“
Jiang blies vorsichtig auf den Tee, den sie inzwischen gemacht hatte: „Was machen die Soldaten Moraks so weit von ihrem Land entfernt?“
Ratlosigkeit und Schweigen war die Folge. Ich konnte sehen, dass keiner der Anderen darauf eine Antwort wusste.
Jiang fuhr fort: „Was immer es ist, muss ihnen wichtig sein. Ihr Land ist weit weg und weder Denelorn noch Orenoc werden sie unbehelligt durch ihr Land ziehen lassen.“
„Vor allem nicht als Untote“, ergänzte ich.
„Das wird ja immer besser“, schimpfte Droin.
„Untote?“, wollte Anaya wissen: „Warum hast Du vorher nichts gesagt, ich hätte ihre Seelen zur Ruhe gebettet.“
„Ich glaube es waren nur animierte Leichen. Außerdem haben sie sich in Staub und Rost aufgelöst, als sie zum zweiten Mal gestorben sind. Da war nichts übrig, das Du hättest retten können. Der eine Reiter, der entkommen ist, hat sie kontrolliert.“
„Woher willst Du das wissen?“, fragte sie: „Mit Untoten kenne ich mich besser aus als Du.“
„Du hast Recht. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Das nächste Mal werde ich daran denken“, versprach ich ihr.
Sie nickte: „Bitte. Du weißt, dass ich Untote nicht ertrage.“
Das stimmte. Druiden waren die Hüter des Gleichgewichts. Sie wachten über die natürliche Ordnung und bekämpften alles, was dagegen verstieß. Untote standen auf dieser Liste ziemlich weit oben.
Ich schüttelte den Kopf: „Mir gefällt die Sache nicht. Wir sollten so schnell wie möglich hier verschwinden und die Magana loswerden.“
Ich blickte in die Runde. Einer nach dem anderen nickte. „Darin sind wir uns wohl einig. Ich nehme an, wir brauchen zwei Tage bis wir das nächste Dorf erreichen. Dort sehen wir dann weiter.“
Wieder ein Nicken der Anderen.
Da wir unsere nächsten Schritte besprochen hatten, tauschten wir weiter Neuigkeiten über die Länder aus, die wir durchquert hatten. Nach den langen Monaten der Trennung genossen wir alle die Gesellschaft der Anderen und ergingen uns in Schilderungen der Veränderungen die es hier und da gegeben hatte. Die Jagdsaison war zu Ende und wir freuten uns alle auf die Wintermonate im Schoß der Berge, bei unserem und Droins Klan.
Wir folgten diesem Ablauf bereits seit mehr als einem Jahrzehnt, zu Beginn des Frühjahrs brachen wir in die unterschiedlichsten Länder auf, um unser Gold mit der Jagd zu verdienen. Wir jagten Wölfe die Schafe rissen, Verbrecher, die aus dem Kerker entkommen waren, einfache Leute, die dem Steuereintreiber zu entgehen versuchten, Monster und Räuberbanden, die Dörfer und Handelswege unsicher machten, kurzum alles, was eine Jagd lohnte.
Jeder von uns tat dies aus unterschiedlichen Gründen. Leoniden waren geborene Jäger und für sie war dies einer ihrer normalen Lebenswege. Anaya hingegen war Druidin und für sie war die Jagd teil des ewigen Kreislaufs zwischen Jäger und Beute, einem wichtigen Bestandteil der Natur.
Über Jiangs Motive war ich mir nicht so recht im Klaren, aber es hing wohl damit zusammen, dass sie neugierig auf die Welt war und nicht gerne lange an einem Ort weilte.
Droin und ich waren wiederum verwandte Seelen. Wir schätzten zwar Orte, die man ein Zuhause nennen konnte, aber uns trieb die Wanderlust dazu an, dort wenig Zeit zu verbringen. Zudem musste ich zugeben, dass mich der Reiz der Jagd begeisterte.
Etwas, dass uns allen mehr oder weniger intensiv im Blut lag. Mit etwas Glück würden wir diese Art zu leben noch viele Jahre verfolgen können.
Schließlich, war es an der Zeit, mich auf Wache zu begeben. Daher ergriff ich Schwert und Schild, hüllte mich in meinen Mantel und verschwand nach draußen. Es war inzwischen stockdunkel geworden. Die beiden Monde waren zwar schon aufgegangen, standen aber nur flach über dem Horizont. Ihr fahles Licht reichte nicht aus, um mir bei der Orientierung zu helfen.
Ich blieb am eingestürzten Brunnen stehen und wandte mich nach innen. Das düstere Loch in meiner Seele wartete auf mich. Ich lies ein dünnes Rinnsal heraus fließen und lenkte es durch meinen Körper. Ohne es zu merken flüsterte ich ein Mantra in einer dämonischen Sprache, die nicht dafür gemacht war von einer menschlichen Zunge ausgesprochen zu werden. Hätte mich jemand dabei beobachtet, so hätte er gesehen, wie meine Augen allmählich ihre Farbe verloren während sie sich in schwarze, glanzlose Löcher verwandelten. Ein Erbe meines dämonischen Blutes.
Ich sah mich um und konnte nun wieder alle Häuser und selbst einzelne Grashalme in den Häusern so deutlich sehen, wie es sonst nur im hellen Tageslicht zur Mittagszeit möglich war.
Mit einer einfachen Willensanstrengung wechselte ich die Sichtweise. Jetzt nahm ich die Lebensenergie von Tieren und Pflanzen in unterschiedlichen Farben wahr. Ganz in der Nähe hockte eine Ratte und beäugte mich misstrauisch aus einem Riss in der Hauswand des Hauses gegenüber.
In der Gasse dahinter konnte ich ein Nachtmahr sehen, wie es mit dem Kopf dicht über dem Boden ihrer Spur folgte.
Nicht mehr lange, dann würde die Ratte zu einer Mahlzeit werden.
Ich begann meine Wache mit einem Rundgang durch das Dorf, wobei ich mich im Dunklen gründlicher umsah, als beim ersten Mal.
Aber auch jetzt gab es nichts Auffälliges.
Ich erreichte meinen erwählten Beobachtungsposten und machte es mir dort so gemütlich, wie es ging. Das Schwert legte ich mit blanker Klinge neben mich, den Schild lehnte ich an meine Beine. Dann breitete ich über alles meinen Mantel aus und schlug die Kapuze hoch, so dass mein Gesicht davon völlig verborgen wurde. Zum Schluss hängte ich noch den Schleier ein, ein Stück Kettengeflecht, das innen mit Leder ausgekleidet war und außen von einem einfachen Stück Stoff verborgen wurde. Ein Beobachter hätte von mir jetzt nur noch den schmalen Streifen um meine Augen herum sehen können. Der Rest würde von weitem wie ein Haufen Schutt wirken, da mein Mantel aus unterschiedlich farbigen Stoffstücken in Braun-, Grün- und Grautönen zusammengesetzt war.
Die Kunst beim Wache schieben nicht einzuschlafen, besteht darin sich nicht zu sehr auf die Umgebung zu konzentrieren, sondern gleichzeitig den Verstand mit Dingen zu beschäftigen, die möglichst kompliziert waren. In meinem Fall waren das beinahe immer Frauen, und heute besonders Jiang. Ich musste wieder an die Szene von vorhin denken. Oder vielmehr an ihren Körper. Das erste Mal seit ich sie kannte, nahm ich sie bewusst als Frau war, und nicht nur als Weggefährtin. Mein Interesse war auf jeden Fall geweckt.
Hin und wieder warf ich einen Blick aus dem Fenster und ließ meinen Blick über den Ausschnitt der Umgebung schweifen, den ich von meinem Posten aus überblicken konnte. Draußen war alles leer. Ruhig war es nachts nie, aber die Geräusche, die ich hörte, waren die üblichen von kleinen Tieren und dem Wind in den Zweigen und den Blättern der Büsche und Bäume. Wer noch nie nachts Wache geschoben hat, wird in jedem Geräusch eine Bedrohung vermuten. Aus irgendeinem Grund schloss der Verstand aus fehlendem Licht, dass jetzt auch alle Geräusche zu verschwinden hatten.
Es dauerte eine Weile, bis man lernte die Geräusche zu deuten und sich nicht davon verrückt machen zu lassen.
Ich forschte in meinen Gedanken nach Shadarr und stellte überrascht fest, dass er bereits satt und zufrieden von seinem Ausflug zurück war. Was er gefressen hatte, wollte ich gar nicht wissen, aber satt bedeutete, vermutlich eine kleine Herde Rehe oder Büffel.
Er hatte sich eine Hütte auf der anderen Seite des Dorfes gesucht und schlief darin. Sehr gut, aus dieser Richtung musste ich mir also keine Sorgen machen.
Die Sanduhr, die Kmarr nach Bildern aus einem alten Buch gefertigt hatte, diente mir dabei als Zeitmesser. Seine handwerkliche Begabung hatte schon allerlei Gerätschaften zu Tage gefördert, einige davon so winzig, das ich mich fragte, wie er sie mit seinen Pranken überhaupt hatte herstellen können, bis ich einmal gesehen hatte, wie er sich Ringe über die Klauen streifte aus denen kleine Werkzeuge über seine Krallen hinaus ragten.
Die Sanduhr bestand aus zwei großen Kegeln aus Glas, die an den Spitzen verbunden waren. Darin befand sich sehr feiner Sand, der durch die Öffnung von einem Kegel in den anderen rieseln konnte. Die Besonderheit bestand darin, dass man die Öffnung in der Mitte mit einem kleinen Rädchen verkleinern oder vergrößern konnte, so dass der Sand langsamer oder schneller fließen konnte. Das Rädchen zeigte an wie lange der Sand bei einer bestimmten Einstellung hindurch fließen würde. Die Uhr ruhte in einem Gestell mit hölzernem Deckel das von vier bronzenen Röhren in Form von kleinen Säulen zusammengehalten wurde. Daran konnte man die ganze Konstruktion gut festhalten.
Für den Transport hatte Kmarr einen ledernen Behälter gebaut, den er an seinen Gürtel knoten konnte.
So lange ich daran dachte, die Uhr regelmäßig umzudrehen, wusste ich, wie lange meine Wache dauerte. Nach zweiundzwanzig Umdrehungen war Anaya dran.
Egal wie man es betrachtete, und womit man sich ablenkte und wach hielt, Wache schieben war langweilig. Daher war ich froh, als endlich der Sand zum letzten Mal durch die Uhr gelaufen war. Vorsichtig bewegte ich meine mittlerweile steifen Glieder. Ich wickelte mich aus meinem Mantel und ergriff Schwert und Schild.
Am Eingang der Hütte sah ich mich nochmals gründlich um. Doch weder mit meinen normalen Augen, noch mit der Kraft meiner dämonischen Vorfahren konnte ich irgendetwas erkennen. Daher wanderte ich langsam durch das Dorf zurück zu unserem Lager. Zwischendurch ging ich immer wieder in andere Gebäude um eventuelle Beobachter darüber zu verwirren, wo sich unsere Schlafstätten befanden.
Als ich am Ziel angekommen war, trat ich ohne zu zögern ein und ließ dabei die Decke am Eingang sofort wieder an ihren Platz fallen.
So leise wie es ging legte ich Schwert und Schild ab. Ich trat an Anayas Schlafplatz heran, den sie neben unserem verletzten Gast aufgeschlagen hatte und berührte sie erst an Handgelenk und legte dann eine Hand über ihren Mund. Wir hatten das vor langer Zeit so vereinbart, damit jeder wusste, dass keine Gefahr bestand. Ohne ein Geräusch schlug sie die Augen auf.
In der Zeichensprache der Diebe von Rellinn fragte sie mich: ‚Irgendwas passiert?’
‚Nein, alles ruhig’, erwiderte ich.
Shadarr, fügte ich hinzu und zeigte in die Richtung, in der er sich niedergelassen hatte.
‚Gut. Dein Posten?’, wollte sie wissen, während sie ihren Bogen und den Köcher aufhob.
‚ Eine Hütte im Westen.’
Sie deutete auf sich: ‚Ich nehme einen Baum im Süden.’
Das hatte ich erwartet, denn Anaya konnte mit Tieren und Pflanzen „sprechen“. Wie das funktionierte, verstand ich nicht richtig aber sie hatte mir klargemacht, dass es nicht mit Magie zu tun hatte, auch wenn Jiang etwas Anderes behauptete. Tatsache war aber, dass sie einen Baum bitten konnte, sie auf ihn klettern zu lassen. Wenn man ihr dabei zusah, hatte man den Eindruck, der Baum hatte Sprossen in seinem Stamm, jedenfalls bewegte sie sich wie auf einer Leiter am Baum empor. Und das war nur eine der vielen nützlichen Fähigkeiten, um die sie eine Pflanze bitten konnte.
Sie wandte sich zum Gehen, doch ich legte ihr noch einmal die Hand auf den Arm.
‚ Weck uns persönlich.’
Auf diese Weise wären wir alle zusammen und konnten uns gegenseitig schützen und gemeinsam verschwinden.
Sie zuckte die Schultern, dann nickte sie und verschwand in der Nacht.
Sobald sie weg war, zog ich vorsichtig die Kettenhaube vom Kopf, ehe ich mich zum Schlafen niederließ. Ich hatte einmal den Fehler gemacht, darin zu schlafen. Drei Tage lang ein verspannter Nacken war es eindeutig nicht wert.
Vermutlich schlief ich schon, bevor ich richtig lag, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, worüber ich beim Einschlafen nachgedacht hatte.