Читать книгу Ostkreuz - Christian Mackrodt - Страница 4

1.

Оглавление

An einem Dienstagvormittag im März sah ich die Marzahner wieder. Ich war seit einer Woche zurück aus Südamerika und hatte Ärger mit meiner Freundin. Wir sammelten uns in Mahlsdorf vor dem Friedhof, um David zu beerdigen, der auf dem Weg zur Ostsee gestorben war.

Die Sonne schien, die Büsche zeigten ein erstes Grün und die Vögel zwitscherten. Ich trug zu bunte Sachen und war im Gegensatz zu den anderen braun gebrannt. Zwei der Jungs, die mit David verunglückt waren, standen benommen zwischen uns, der Fahrer lag noch immer im Krankenhaus. Das Blau des Himmels leuchtete durch die noch kahlen Bäume, einige Wenige sprachen leise mitei­nander, mehrere rauchten, die Gesichter waren müde und betroffen.

Auf ein Zeichen hin traten wir mit langsamen, kurzen Schritten durch das Tor und formierten uns vor den Stufen der zu kleinen Kapelle. Wir hörten die unpassende Totenrede und Davids Lieblingsmusik an, dann folgten wir der Familie zum Grab. Es wurde geweint. Nachdem der Sarg in der frisch ausgehobenen Grube verschwunden war, reihten wir uns auf, um seinen Eltern und seinem Bruder die Hände zu schütteln. Davids Freundin hatte einen Nervenzusammenbruch. Sie hielt das Geräusch des trockenen, kiesigen Sandes auf dem hölzernen Gefäß nicht aus und sank mit einem schwachen Schrei in die Knie. Mit ihrem zarten siebzehnjährigen Körper wirkte sie in ihrem Trauerkleid wie aus einer anderen Welt.

Ich war einer der Letzten, der die offene Erde erreichte, und die Mutter erkannte mich nicht. Ihr Blick war stumpf und ihre Hand weich. Sie suchte Halt an dem starr aufgerichteten Körper ihres Mannes. Davids Bruder hatte rote, aber trockene Augen und wirkte abwesend. Ich schaute nicht hinab und stellte mich vor dem Friedhof wieder zwischen die Marzahner Kids. Dann fuhr die Familie weg.

Nach ruhiger Diskussion setzte sich ein Teil der Clique in Bewegung und wanderte in loser Reihe durch die kleinen Straßen mit Einfamilienhäusern. Am Nordufer des Kaulsdorfer Sees schlugen wir unser Lager auf und tranken Wein aus Flaschen. Die Angler beäugten uns skeptisch. Außerhalb der Badesaison hatten sie den von dichten Büschen umgebenen Baggersee meistens für sich. David war der Zweite von uns, der unfreiwillig von dieser Welt gegangen war, und wir trauerten um ihn. Ich setzte mich etwas abseits, um mit Björn zu reden, den ich seit einem Vierteljahr nicht gesehen hatte. Während wir uns unterhielten, stiegen mir Tränen in die Augen. Björn legte seinen Arm um mich. Die kühle, klare Luft und das helle Licht drangen unter meine Haut. Irgendwann war Torte so betrunken, dass er sich trotz des Anlasses daneben benahm. Streit brach aus.

Ich lief schweigend mit ein paar anderen zurück zum S-Bahnhof. Sie stiegen Friedrichsfelde Ost aus, um die Bahn nach Springpfuhl zu nehmen, und ich fuhr allein weiter nach Friedrichshain. Bis zum Ostkreuz gab ich mich meiner Stimmung und meinen Erinnerungen an David hin.

Im letzten Herbst hatten wir Torben geholfen, seine Wohnung zu renovieren, und gemeinsam ein paar Konzerte besucht. Im November hatte David auf dem Friedhof, auf dem er jetzt lag, noch Bilder von Torbens Band gemacht, die ich damals zu düster fand. Das ganze Gothic-Ding habe ich nie wirklich verstanden.

Die Friedrichshainer saßen vor den Häusern und hielten ihre blassen Gesichter in die Sonne. Ich wollte nicht nach Hause gehen und allein sein und klingelte an den Türen meiner Freunde, bis ich jemanden fand, der den Tag mit mir verbrachte.

Ostkreuz

Подняться наверх