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„Ein guter Artikel. Der Gebirgsjäger wird immer besser.“ Prähausner scrollte ein wenig zurück und las laut vor:

„Österreich ist ein schönes Land. Nur die Sonne zeigt sich so selten“, sagt Ahmed aus Kabul. „Hoffentlich ist es in Helsinki wärmer. Bald werden wir dort sein.“ Ich verabschiede mich und bringe es nicht übers Herz, Ahmed wissen zu lassen, dass es in Finnland weit weniger Sonne geben wird als hier in Österreich.

Ich bringe es nicht übers Herz, ihn wissen zu lassen“, wiederholte Prähausner. „Das ist fast schon literarisch ausgedrückt.“ Er strich sich ein paar Haarsträhnen, die sich aus seinem Pferdeschwanz gezaust hatten, hinter das rechte Ohr zurück.

„Ja. Das Thema liegt ihm. Er ist ein politischer Kopf.“ Annabel stand von ihrem Schreibtisch auf und räkelte ihre Arme in Richtung Decke. „Ah, das tut gut. Gestern Abend war wieder Yoga-Kurs. Du könntest dich eigentlich auch mal ein bisschen bewegen.“ Sie streckte ihre Arme V-förmig in Richtung Decke. Es sah aus, als hätte sie sich als menschliches Ausrufezeichen hinter ihren letzten Satz gesetzt. Das war eine Aufforderung wie ich sie nur allzu gut von Hertha kenne, hättest du, könntest du, würdest du. Höflich bis zur Selbstverleugnung, aber mit einem derart leidenden Unterton, dass sich das schlechte Gewissen sofort zur Hintertür hereinschleicht und ich das Erbetene sofort erledige. Nein, ich werde mich nicht bewegen, ich werde an meinem Schreibtisch sitzen, bis sich meine Finger über der Tastatur versteifen, bis ich nicht mehr aufstehen kann und du, liebe Annabel, mich in Richtung Friedhof schleppen musst. Jetzt beugt sich die Kollegin mit durchgestreckten Beinen nach vorne und nimmt eine seltsam baumelige Körperhaltung ein, Kopf und Arme hängen nach unten. Mit einer Stimme, die unter ihrem Schreibtisch gründelt, fordert sie mich noch einmal auf, etwas für meinen Körper zu tun. Danke, Annabel, mein Gehirn ist auch so ganz gut durchblutet, ich brauche meinen Kopf nicht hängen zu lassen.

Ach, was muss ich ständig an Frauen geraten, die sich nach fernöstlicher Spiritualität verrenken, die sich an mich heranmeditieren oder mich mit ihrer Safranglut verbrennen? Warum kann Annabel nicht einfach in die Kirche gehen und niederknien, warum liest Hertha in einem Achtsamkeitsratgeber, statt ein Vaterunser zu beten?

Zufrieden schnaufend richtet sich die Kollegin wieder auf. Das Blut, das in ihr Gesicht gelaufen ist, steht ihr ausgezeichnet, gleich sieht sie weniger büroblass aus als zuvor – und die Haltung erst! Ihr Busen strafft in meine Richtung, die Brustwarzen spitzen durch den Stoff. Wild zwirbelt ihr Haar in alle Richtungen. Wie sehr ich sie doch um dieses Haar beneide, um seine Widerspenstigkeit, um sein brünettes Quirlen, Strähnen und Strubbeln, in das mein Blick sich jetzt hineinverirrt; so dicht ist dieses Haar, dass ich noch niemals wirklich ihren Nacken gesehen habe, noch nie das sanft von den Wirbelfortsätzen durchhügelte Stückchen jungfräulich weißer Haut, wohlgeborgenes Hymen, das nur durch einen gezielten Biss zerrissen werden kann. Ich merke, dass ich starre, dass sich mein Blick peinlich versteift hat. Da hilft nur noch, ein möglichst finsteres Gesicht zu machen: Yoga kommt für geile Männer mittleren Alters, die sich vor sich selber grausen, einfach nicht in Frage.

Enttäuscht blickt sie zu mir herüber, jetzt setzt sie sich wieder vor den Bildschirm und ihr Rücken rundet sich. Schade. Ihr Busen verkriecht sich zwischen ihren Schultern.

„Äh, warum ziehen sich Hindu-Frauen eigentlich oft das Sarituch über den Kopf?“, fragte Prähausner. „Hat das religiöse Gründe?“

„Keine Ahnung“, sagte Annabel. „Wieso?“

Der Journalist erzählte ihr vom gestrigen Wohnzimmer-Catwalk und von Maras gelungener Sari-Präsentation.

Mit kraus gezogener Stirne blickte ihn die Kollegin einen Moment lang skeptisch an, dann öffnete sie die Lade mit ihren Duftölen. „Tasmanisches Berg-Eukalyptus-Öl oder Tiroler Latschenkiefern-Extrakt?“ Leise klirrten die Glasfläschchen aneinander.

„Kiefer“, wählte Prähausner, der sich wieder seinem Bildschirm zugewandt hatte. „Wir könnten den Gebirgsjäger damit beauftragen, sich einen Sunniten, einen Alewiten, einen orientalischen Christen und so weiter zu suchen. Er könnte Artikel über die jeweiligen Lebens- und Fluchtgeschichten schreiben. Daneben könnten wir in einem Kästchen die dazugehörenden Religionen erklären.“

„Latschenkiefer!“, sagte Annabel mit Nachdruck. „Diese Mara beschäftigt dich ziemlich, was?“ Sie nahm eines der Fläschchen aus der Lade, schraubte es auf und gab einige Öltropfen in die Wasserschale, die neben ihrer Tastatur stand. Sofort verbreitete sich ein harzigherber Duft im Raum.

„Ja. Aber vielleicht auf … auf eine andere Weise, als du denkst“, antwortete Prähausner. „Wahrscheinlich ist sie wirklich aus Indien, so selbstverständlich, wie sie den Sari trägt.“

„So selbstverständlich wie ich meinen Kapuzenpullover?“ An Annabels mokantem Unterton merkte Prähausner, dass sie ihm nicht glaubte. Wenn sie wollte, konnte sich die Kollegin ausgesprochen sarkastisch geben. Besonders Hubert pikste sie nicht selten mit ihren spitzen Bemerkungen.

„Zuerst Hertha mit ihren Hosenanzügen, ihren Kostümen. Dann jahrelang nichts, und dann plötzlich so ein bunter Sari. Da muss Mann ja schwach werden“, höhnte Annabel. Sie saß plötzlich kerzengerade da und griff mit der rechten Hand nach hinten, an die Lehne ihres Bürosessels, anschließend drehte sie ihren Oberkörper. Ihr Kopf folgte dieser leicht spiraligen Bewegung, und so grünten auch ihre Augen nach hinten, an die Wand, wo Prähausner die Urkunde aufgehängt hatte. Der Medienpreis des Bundeslandes war vor nun schon sechs Jahren an die Neuesten Grätzelnachrichten gegangen, für die „außergewöhnliche Berichterstattung im lokalen Bereich“. Hertha und er waren damals als ein privat wie beruflich erfolgreiches Paar gefeiert worden, dabei war die Trennung bereits absehbar gewesen.

Prähausner seufzte auf. Er hatte längst niemanden mehr, der die Nachrichten nach außen repräsentierte, der effiziente Werbung für das Werbeblatt zu machen verstand. Daran würde auch Huberts App nichts ändern.

Die beängstigenden Zahlen vor dem inneren Auge, seufzte der Redakteur noch einmal auf, dann sagte er zu Annabel: „Weißt du was, ich mache die religionsspezifischen Interviews selbst. Ich muss mal wieder raus aus diesem Büro, sonst werde ich schier verrückt. Kommst du mit? Ich brauche jemanden, der fotografiert.“

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