Читать книгу Historische Hilfswissenschaften - Christian Rohr - Страница 10
3.1 Was versteht man unter historischen Quellen?
ОглавлениеDas Wort Quelle wird in der Geschichtswissenschaft in einem übertragenen Sinne verwendet: Wie man aus einer Quelle im wörtlichen Sinn (reines) Wasser schöpfen kann, so entnimmt der Historiker seinen Quellen Informationen für seine Fragestellungen an die Geschichte. Dabei ist zwischen Überlieferungen und Quellen zu unterscheiden. Nach Hans-Werner Goetz sind Überlieferungen alle Zeugnisse, die über geschichtliche (= vergangene) Abläufe, Zustände, Denk- und Verhaltensweisen informieren, d. h. letztlich über alles, was sich in der Vergangenheit ereignet hat, diese kennzeichnet, von Menschen gedacht, geschrieben oder geformt wurde. Jede Überlieferung, die etwas über die Vergangenheit aussagt, ist (potenzielle) historische Quelle. Es gibt grundsätzlich nichts, das nicht Quelle werden könnte. Ob diese brauchbar ist und ob es sich um eine bessere oder schlechtere Überlieferung handelt, entscheidet sich erst von der jeweiligen konkreten Fragestellung her. Zur „Quelle“ wird dieses Zeugnis erst unter den Händen der Historiker, die daraus Kenntnisse über die Vergangenheit gewinnen wollen. Der Begriff „Quelle“ kennzeichnet also nicht das Zeugnis an sich, sondern dessen Funktion für die Geschichtswissenschaft.
Quellen sind in vielen Fällen nicht schon als solche geschaffen. Sie haben ursprünglich vielmehr ein von der Benutzung durch den Historiker unabhängiges Eigenleben [<<15] und einen Eigenwert. Sie wollen (fast immer) etwas Bestimmtes aussagen, aber nicht zwangsläufig das, was uns an ihnen interessiert.
Daraus ergeben sich zwei Folgerungen für die praktische Arbeit: Erstens darf bei der Benutzung einer Überlieferung als Quelle niemals vergessen werden, dass sie ursprünglich (wahrscheinlich) ganz andere Absichten als die erfragten verfolgte, die für eine angemessene Auswertung entsprechend zu berücksichtigen sind. Zweitens ist die Überlieferung selbst nicht „die“ Vergangenheit, sondern sie gibt Zeugnis von ihr. Sie bedarf also der geschichtswissenschaftlichen Bearbeitung, um in diesem Sinne aussagekräftig zu werden: Die methodische Erschließung der Quellen ist eine zentrale Aufgabe der Geschichtswissenschaft.
Im Rahmen der Historischen Hilfswissenschaften sind in erster Linie die schriftlichen, die bildlichen und die gegenständlichen Quellen (in einem weiteren Sinn) von Bedeutung, wobei dieselbe Quelle in vielen Fällen mehreren Gruppen zugeordnet werden kann. So ist eine illustrierte Chronik aus dem Mittelalter sowohl Text- als auch Bildquelle, besiegelte Urkunden bieten neben der textlichen Überlieferung auch die bildliche und gegenständliche.