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DIE ITALIENISCHE OPER

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Wer je in einer Gerichtsverhandlung das Plädoyer eines neapolitanischen Rechtsanwaltes erlebt hat, begreift, weshalb die Kunstform Oper nur in Italien entstehen konnte. Ein solcher Vortrag mit seinem dramaturgisch klug gegliederten Aufbau, seiner steigenden und fallenden Sprachmelodie, seinen dynamischen Abstufungen, seinen wechselnden Tonarten und Tempi, seinen expressiven Stimmfarben, seiner vehementen Dramatik, seinen melodramatischen Übertreibungen und seiner sprachlichen Virtuosität beinhaltet all das, was eine Arie zu einer Arie und eine Oper zu einer Oper macht.

Nikolaus Harnoncourt hat daraus den Schluss gezogen: „Oper kann man nur in italienischer Sprache komponieren, alle anderen Lösungen sind interessante Entgleisungen.“ Das inkludiert nicht nur alle italienischen Opern von Monteverdi bis Puccini, sondern selbstverständlich auch jene von W.A. Mozart und all die Werke, die von nicht-italienischen, beispielsweise deutschen Komponisten wie Georg Friedrich Händel, Johann Adolph Hasse oder Johann Simon Mayr usw. in italienischer Sprache komponiert wurden. Dass sich der Bayer Mayr in Italien niederließ, dort als Giovanni Simone Mayr zu einem italienischen Komponisten wurde, mehr als 60 erfolgreiche italienische Opern verfasste und darüber hinaus der Lehrer von Gaetano Donizetti war, ist ein schöner Beweis für die Richtigkeit dieser Aussage.

Was reale, gelebte Popularität italienischer Opern bedeutet, haben Regietheater-Regisseure ebenso wie ihr Stammvater Eduard Hanslick nicht begriffen. Es geht dabei nicht primär um außerordentliches kompositorisches Können, philosophischen Tiefsinn, Bekanntheit oder Ruhm, sondern um das gesellschaftliche Phänomen der Identifizierung einfacher Menschen mit einer dem Gesang verpflichteten Musikgattung.

Hanslick ist, wie zu sehen war, dem Missverständnis erlegen, eine Oper – auch eine italienische – müsse nach den Methoden und Maßstäben der von ihm geliebten Symphoniker von J.S. Bach bis Brahms komponiert werden, um vor seinem selbstherrlichen Urteil bestehen zu können. In gleicher Weise glauben Regietheater-Regisseure, italienische Opern müssten unbedingt ihrer Gedankenwelt angepasst werden. Hätten sie je verstanden, worum es bei der italienischen Oper in Wahrheit geht, würden sie nicht beständig versuchen, etwas, das sie selbst nicht verstehen, das Publikum aber sehr wohl versteht, in penetranter Art und Weise mit ihren Arbeiten „verständlich“ zu machen.

Es war überraschenderweise ein Deutscher, nämlich der Schriftsteller Frank Thiess, der das Wesen der italienischen Oper nicht nur verstanden, sondern auch pointiert definiert hat: „[...] ein Donizetti, ein Rossini, ein Ponchielli, ein Verdi, ein Puccini [sind] unter allen Umständen, selbst auf dieser Höhe der Kunst, italienisches Volksgut. Ich habe noch nie eine deutsche Köchin die große Leonoren-Arie singen hören, aber sehr oft einfache Italienerinnen ariose Stellen aus Verdis oder Puccinis Opern.“[27]

Was damit zum Ausdruck gebracht wird, ist das altbekannte, dennoch seltsame Verhältnis zwischen Nord und Süd, das in der Operngeschichte immer wieder Gegensatzpaare hervorgebracht hat: Gluck und Piccinni, Mozart und Cimarosa, Weber und Rossini, Wagner und Verdi, Strauss und Puccini.

Die Musikfreunde nördlich der Alpen sind an Ideendramen in Opern interessiert, an Hintergründigkeit, Intellektualität, Tiefsinn, Metaphysik; sie lieben es, auf der Bühne tiefschürfende philosophische und weltanschauliche Abhandlungen zu verfolgen und musikalisch untermalt zu hören, was eigentlich die ideale – und einzige – Spielwiese für das Regietheater wäre.

Demgegenüber wollen die Musikfreunde südlich dieser Grenze ein nachvollziehbares menschliches Drama miterleben, dessen musikalische Darstellung dem Gesang verpflichtet ist und ein Maximum an emotionellem und dramatischem Ausdruck ermöglicht, wobei es nicht das Orchester ist, das die Handlung vorantreibt und im Zentrum des Interesses steht, sondern die Singstimme. Aus diesem Grund langweilen sich die meisten Opernbesucher südlich der Alpen bei den tiefsinnigen Opern der „Nordländer“ zu Tode, da in ihnen der im 19. Jahrhundert oft beschworene, den Südländern („deren geistige Tätigkeit gering ist“ und die „in der geistigen Bequemlichkeit“, wie Hanslick erkannt hat, dahinvegetieren) überlegene „deutsche Geist“ weht, wir wir ihn bei Arthur Schopenhauer oder Richard Wagner vorfinden.

Herr Hanslick hätte, als er zum Gegner Wagners geworden war, nie zu hoffen gewagt, dass jemand auf Wagners Lohengrin oder Walküre so reagieren könne wie so mancher italienische „Musikbold“. Einer von diesen, Giuseppe Verdi, hat schon siebzehn Jahre vor der ersten Aufführung einer Wagner-Oper in Italien sein elementares Credo zur Theaterpraxis zu Protokoll gegeben: „Im Theater [= im Opernhaus] ist lang ein Synonym für langweilig, und Langeweile ist das schlimmste aller Übel“[28]. Er teilte diese Auffassung mit seinem deutschen Kollegen und Freund Ferdinand von Hiller[29], der zu einer Wagner-Oper angemerkt hatte:

Im Theater geben sie jetzt das „Rheingold“ (die „Walküre“ kommt nach), das Einen verrückt machen kann vor Langeweile, – aber doch viel Geld macht, da die Leute von allerwärts herkommen, um die schwimmenden Nixen und die glühenden Dämpfe zu sehen und sich nebenbei an den Recitativen des Göttergesindels zu erfreuen. Ich muß jedoch sagen, dass das Publikum sich sehr kühl dazu verhält.[30]

Unwillkürlich denkt man in diesem Zusammenhang an das bekannte Diktum: „Wagner hat geglaubt, dass alles, was zu lang ist, eine Oper ist.“

Verdi war im November 1871 anlässlich der italienischen Erstaufführung des Lohengrin (gleichzeitig die erste Aufführung einer Wagner-Oper in Italien) nach Bologna gereist, um diese Oper zu hören. Er trug in seinen Klavierauszug zahlreiche Bemerkungen über die Aufführung (im 1. Akt z.B.: „zu laut / unverständlich / schön, doch schwer erträglich wegen der ständigen hohen Noten der Violinen [am Ende des Vorspiels] / sehr falsch [Chor] / hässlich / schlecht / schön, schlecht gesungen, um einen Viertelton zu tief“ usw.) und seine Eindrücke von dem Werk ein. Sein Gesamturteil:

Insgesamt: Mittelmäßiger Eindruck. Musik schön; wenn sie verständlich ist, hat sie Gedankentiefe. Die Handlung ist schleppend wie das Wort. Also langweilig. Schöne Wirkung der Instrumente. Missbrauch von langen Noten und schwer erträglich. Mittelmäßige Aufführung. Viel verve, doch ohne Poesie und Feinheit. An den schwierigen Stellen immer schlecht.[31]

Zum Unterschied von den Werken seines gleichaltrigen Kollegen waren Verdis Opern nie langweilig, weitschweifig oder umständlich. Mosco Carner, der weiter unten zitiert wird, hat zum Thema Verdi-Wagner scharfsinnig bemerkt: „In gewissem Sinne stellt Otello die Lösung dar, die ein großer Italiener für die Probleme gefunden hatte, die das deutsche Musikdrama aufwarf.“[32]

Der zweite „Musikbold“, der hier zitiert werden soll, ist Arrigo Boito, Komponist, Übersetzer, Literat und Verdis Librettist bei der Überarbeitung von Simon Boccanegra sowie bei Otello und Falstaff. Er war in seiner Jugend ein glühender Wagnerianer gewesen und berichtete 1893 dem offensichtlich interessierten Verdi über eine Walküre-Vorstellung an der Mailänder Scala:

Die Mailänder Presse hat sich auf Mascheroni[33] wie auf einen tollwütigen Hund gestürzt und ihn für die unendliche Langeweile verantwortlich gemacht, die die Oper hervorgerufen hat, und das ist ungerecht.

Der Hauptgrund, weshalb die Oper nicht gefiel, muss in der Oper selbst und in dem von Wagner angewandten System gesucht werden. Ein weiterer Grund ist die Weiträumigkeit der Bühne, die die gesamte Struktur des Dramas dürftig erscheinen lässt. Eine läppische Handlung, die langsamer als ein Personenzug vorankommt, der bei jeder Station anhält, und eine endlose Abfolge von Duetten durchfährt, während derer die Bühne kläglich leer bleibt und die Figuren stupide bewegungslos verharren. All das ist nicht geeignet, [den Zuhörer] zu erfreuen.[34]

Warum das von den Südländern (im Gegensatz zu den überlegenen „Nordländern“) mit einiger Berechtigung so wahrgenommen wird, hat der britische Musikwissenschaftler, Dirigent und Kritiker Mosco Carner (1904-1985) in seinem Standardwerk über Puccini[35] sehr schön erklärt. Er hat das Wesen, die Funktionsweise und die Wirkung der italienischen Oper so gescheit beschrieben, dass jeder halbwegs intelligente Regisseur, der der Regietheater-Ideologie anhängt, von vornherein von seinem Tun ablassen müsste. Hier die wesentlichen Passagen zu diesem Thema:

„‚Das oberste Gebot ist es, zu gefallen und zu rühren; alle anderen Gebote dienen nur, um dieses erste zu erfüllen.‘ Dieser Ausspruch Racines ist wahrscheinlich die knappste Formulierung der Grundregeln des dramatischen und musikalischen Theaters in den romanischen Ländern. [...]

Von Monteverdi bis zu Verdi und Puccini [...] haben alle Komponisten in den romanischen Ländern sich immer bemüht, alle anderen Gebote diesem obersten Gebot unterzuordnen. Ein vollkommenes Gleichgewicht in diesem Sinne hat Mozart erreicht, der seiner im Grunde romanischen Grundkonzeption der Oper eine Tiefe hinzugewann, die er aus dem deutschen Element seiner übernationalen Genies einbringen konnte. [...]

Gleichbleibendes Thema der italienischen Opernkomponisten sind die miteinander streitenden einfachen Leidenschaften des Herzens; die elementare Polarität von Freude und Schmerz sorgt sowohl bei Monteverdi wie auch bei Puccini für die dramatische Bewegung. Die traditionelle italienische Oper ist an die Grundgefühle gebunden; deren Gegensatz erzeugt ein einfaches menschliches Drama unter den Vorzeichen von Liebe und Hass, Freude und Traurigkeit, Entzücken und Verzweiflung. [...]

Die Vielfalt dieser Konzeption führt zu Konsequenzen, die für das Verständnis der Ästhetik der italienischen Oper überaus wichtig sind sind. Sie erklären die hohe Gefühlsanspannung, den starken Stimmunggegensatz, den unfehlbaren dramatischen Zugriff und, musikalisch gesehen, die Konzentration auf die Melodie als das Element mit vitalem Zugang zu unseren Gefühlen. Die unmittelbarste Form der Melodie ist der Gesang, daher die Vormachtstellung der Singstimme in der italienischen Oper. Die menschliche Stimme ist das natürlichste Instrument und am meisten befähigt, sinnliche und emotionale Wirkungen hervorzurufen. Für den italienischen Opernkomponisten macht die Stimme fast die ganze Figur aus, und deshalb muss die Zeichnung der Figur in erster Linie durch die Gesangsstimme zustande kommen. Zudem ist die Stimme auch die klangliche Äußerung des Sexus, und als solche eine charakterisierende Kraft par excellence. Allein der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Stimme ist schon in sich dramatisch. Wenn wir die Gewalt und Sinnlichkeit der italienischen Stimme und die dramatische Kraft und erregende Eigenschaft der italienischen Sprache hinzunehmen wird verständlich, weshalb die italienische Oper jahrhundertelang Hauptwirkungen mit den Mitteln des Stimme erzielt hat. Diese Vorherrschaft der Stimme erklärt auch, weshalb die italienische Oper des 18. Jahrhunderts eine so fruchtbarer Boden für gesangliche Ausschreitungen wie die Koloratur-Arie, für den Kult der Stimmvirtuosen (Prima donna und primo uomo) und das Kastratenwesen werden konnte. In der italienischen Kantilene verbinden sich Rede, Gedanke und Empfindung zu solcher Einheit, dass man glauben könnte, die musikalische Phrase entstehe erst in dem Augenblick, in dem sie gesungen wird. Und eben dies verleiht der italienischen Opernarie ihre unwiderstehliche dramatische Wirkung.

Monteverdi stand am Aufgang der italienischen Oper, Puccini an ihrem Untergang, beide verdeutlichen ebenso wie die lange Reihe von Opernkomponisten zwischen ihnen die vier Grundmerkmale der italienischen Opernkunst: umanità, sincerità, passione, effetto. ‚Effetto‘ bedeutet nicht bloß den augenfälligen Bühneneffekt, sondern muss auch als der Inbegriff aller dramatischer Faktoren verstanden werden. Keine wirklich italienische Oper vernachlässigt diese vier Punkte, wenngleich sie durch Zeit, Geschmack und Stil variiert werden. [...]

In den Augen der italienischen [...] Komponisten ist das Opernhaus kein Tempel, keine moralische Anstalt, wie Schiller und Wagner wollten, sondern eine Arena, in der ein großes und vielschichtiges Publikum sich einfindet, um in angenehmer oder ergreifender Weise, oder beides zugleich, unterhalten zu werden. Verdi sagte, wenn er komponiere, sei er mit einem Auge bei der Kunst, mit dem anderen beim Publikum. Puccini forderte einen Gegenstand, der ein breites Publikum bezaubern konnte, „denn ich schreibe für Menschen jeglichen Schlages“. Die italienische Oper des 19. Jahrhunderts wendet sich an die Massen und möchte vom breiten Publikum verstanden werden. Bellini, Donizetti, Verdi und Puccini und ihre Zeitgenossen hätten ohne Zögern eine Äusserung Defoes unterschrieben: „Wenn ich nach dem vollkommenen Sprachstil gefragt würde, gäbe ich zur Antwort: der, in dem man sich fünfhundert gewöhnlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Idioten und Verrückte ausgenommen, gleichermaßen verständlich machen kann.“ Sie würden genau so bereitwillig Baudelaire zugestimmt haben, der in beabsichtigter Übertreibung schrieb: „Jedes Buch, das sich nicht an die Mehrzahl der Menschen wendet und zugleich Ansprüche an die Auffassungsgabe seine Leser stellt, ist ein dummes Buch.“ Die Kehrseite dieses Bemühens um ein breites Verständnis und Popularität sind Züge von Naivität und Vulgarität, die ein nichtitalienisches Publikum oftmals befremden. Gewiss verletzen manche Eigenschaften der italienischen Oper das Empfinden der strengen Puristen, der Intellektuellen, der Ästheten, der Menschen mit schrecklich verfeinertem Geschmack; aber man müsste schon dreist sein, um zu behaupten, dass kraftvolle Leidenschaftlichkeit mit rein ästhetischem Genuss unvereinbar sei, denn sie kann in der Tat ein Zeichen gesunden und unverdorbenen künstlerischen Instinktes sein. Ich zitiere noch einmal Baudelaire: ‚Die intellektuellen Autokraten, diejenigen, die Lob und Tadel austeilen, die Monopolisten in Geistesdingen, haben euch erzählt, dass ihr kein Recht habt zu fühlen und zu genießen, sie sind Pharisäer.‘“[36]

So weit der kluge Mosco Carner. Man könnte die „intellektuellen Autokraten“ und die „Monopolisten in Geistesdingen“ durch „Regietheater-Regisseure“ ersetzen. Die Schlussfolgerung wäre dieselbe.

Hätten die Regietheater-Regisseure, die den Großteil des heutigen Publikums mit ihren idiotischen Einfällen quälen und verärgern, all das Obgesagte gewusst und verstanden, hätten sie allen Beteiligten viel Ärger erspart.

Ein erstes, charakteristisches Symptom, die Natur zu vergewaltigen, hatte schon Herr Wagner – auch er in dieser Hinsicht ein Vorläufer der Regietheater-Ideologie – höchstselbst erkennen lassen. Die berühmeste Gesangspädagogin ihrer Zeit, Mathilde Marchesi[37], hat ein aufschlussreiches Gespräch mit Wagner über Stimmenbehandlung festgehalten:

Richard Wagner besuchte uns in Wien, und ich hatte über Gesang und Gesangeskunst eine eingehende Unterredung mit ihm, konnte mich jedoch über diesen Punkt nicht mit ihm einigen. Wagner behauptete nämlich, dass jede Stimme vollständig dem Willen des Componisten untergeordnet sein, ich dagegen, dass jeder Componist den Grenzen der verschiedenen Stimmgattungen streng Rechnung tragen müsse, wodurch Vortrag, Aussprache und Declamation nur gewinnen könnten. Wagner ist seiner Meinung treu geblieben, seiner Musik sind leider auch schon viele Stimmen zum Opfer gefallen und viele tüchtige Sänger und Sängerinnen der Kunst dadurch entzogen worden.[38]

Selbstverständlich hat Frau Marchesi recht. Wagners Haltung in Sachen Stimmen ist nur mit jener eines Komponisten vergleichbar, der sich weigert, bei seiner Ausbildung das Fach Instrumentenkunde zu belegen, und später nicht das komponiert, was die Instrumente leisten können, sondern das, was er der Meinung ist, dass sie leisten können müssen. Zu diesem Zwecke kann man neue Instrumente erfinden und bauen, bei Sängern ist das bekanntlich nicht möglich. Sein Vorgehen ist aufgrund der Missachtung der Realität also ebenso willkürlich wie jenes der Regietheater-Regisseure.

Zwei Jahre vor der Wiener Aufführung des Tannhäuser am Hof-Operntheater (1859) brachte Johann Nestroy[39] am Wiener Carltheater die gleichnamige „Zukunftsposse mit vergangener Musik und gegenwärtigen Gruppierungen in drei Akten“ heraus. Wie dem Untertitel zu entnehmen ist, zielte der Spott Nestroys, der eine professionelle Sängerkarriere durchlaufen hatte, und seines Komponisten Karl Binder auf Wagners ohrenbetäubende Zukunftsmusik und auf seine stimmenverschleissenden Rollen. So verurteilt Landgraf Purzel Tannhäuser wegen seines Aufenthalts im Venusberg dazu, mit dem Wagnermusik schmetternden Männergesang-Verein fortzuziehen:

Bei Zukunftsmusik geht wohl ohne Zweifel

Der festeste Tenor gar bald zum Teufel.

Drum sprech’ ich teils in Milde, teils im Grimme:

Auf Wiedersehen, jedoch nur ohne Stimme!

Und im dritten Akt berichtet der Protagonist in einer Parodie der Romerzählung, wie er zur Strafe den Tamino und den Max in Zukunftskompositionen singen musste:

So ging’s und ging es fort, ich schrie im Übermaß,

Ich sang drauf los, wußt’ selber oft nicht, was.

Und trotzdem hab’ ich doch die Stimme nicht verloren.

Doch ward mir endlich bang für meine Ohren.

Posaunen, Bombardons, Trompeten und Tamtam,

Das reißt das stärkste Trommelfell ja endlich z’samm.

Ganz ernsthaft, jedoch im Kern seiner Aussage durchaus ähnlich wie Nestroy, äusserte sich Ignaz Moscheles[40] über den Tannhäuser:

Man versucht hier Wagners Musik einheimisch zu machen, und der „Tannhäuser“ hält sich schon mehrere Monate auf dem Repertoir, ob aber irgend eine andere Nation als die deutsche die Geduld und Beharrlichkeit haben wird, solche Musik zu singen und anzuhören, steht zu fragen.[41]

Was mit all dem deutlich gemacht werden soll, ist die unselige Art der „Nordländer“, nicht nur die Gesetze der Opernbühne nach eigenem Gutdünken neu erfinden zu wollen, sondern auch die Singstimmen, deren Grenzen von der Physiologie des menschlichen Organismus vorgegeben sind, ohne Rücksicht auf Verluste nach dem Willen von Komponisten zu verbiegen, ganz so, wie Regietheater-Regisseure die italienische Opernliteratur nach eigenem Wohlgefallen umformen wollen.

So wie Hanslick mit seinen Kritiken und sonstigen Texten an Verdi und dem großen Themenkreis der italienischen Oper und Kultur kläglich gescheitert ist, ohne es zu bemerken, und so wie Wagner in höchst ungesunder Weise für Stimmen geschrieben hat, um sein Ego nicht reduzieren zu müssen, so tun die Regietheater-Regisseure Tag für Tag dasselbe, ohne im entferntesten zu begreifen, dass die Gesetze der italienischen Oper ebensowenig wie die das Gesetz der Schwerkraft aufgehoben werden können, ohne dieser Kunstform Schaden zuzufügen.

Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper

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