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INTERNATIONALE KRITIKER IM 19. JAHRHUNDERT

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Im 19. Jahrhundert – als die Werk- und noch nicht die Interpretationskritik im Zentrum des Interesses der Kritik stand – verfassten musikalisch hochqualifizierte Kritiker wie Robert Schumann, E.T.A. Hoffmann oder Hugo Wolf im deutschsprachigen Raum, Hector Berlioz, François-Joseph Fétis oder Claude Debussy in Frankreich, Pjotr Iljitsch Tschaikowski oder Alexander Nikolajewitsch Serow in Russland, Filippo Filippi oder Abramo Basevi in Italien, aber auch brillante Nicht-Musiker wie Friedrich Nietzsche oder George Bernard Shaw kluge Musikanalysen und -kritiken, die vorwiegend in der einschlägigen Fachliteratur erschienen. Es entstanden auf Musik spezialisierte Publikationen wie die Allgemeine musikalische Zeitung und die Neue Zeitschrift für Musik sowie zahllose musiktheoretische Schriften, die bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt haben.

Da es im 19. Jahrhundert noch keine Tonaufnahmen gab, die Rezensenten zu Hörvergleichen heranziehen hätten können, war es unerlässlich, dass die Vertreter der Kritikerzunft sowohl etwas von Harmonielehre, Kontrapunkt und Formenlehre verstehen als auch das Partiturlesen sowie ein Instrument so weit beherrschen mussten, dass sie sich ein eigenes Bild von den zu rezensierenden Kompositionen machen konnten. Daneben war eine sehr gute Allgemeinbildung abseits des Musikwesens Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit.

Da so mancher Kritiker beim Verfassen von Kritiken dennoch mehr von seinen persönlichen Vorlieben als von objektiven Beurteilungskriterien ausging, brachte der bedeutende amerikanische Musikkritiker William James Henderson (1855-1937), ein Absolvent der Princeton University, wo er nicht nur Musiktheorie, sondern auch Gesang studiert hatte, die Anforderungen an einen professionellen Kritiker, der über Interpretation und Gesang schreibt, unmissverständlich auf den Punkt:

If it is out of tune, it makes no difference who ‚thinks‘ that he thinks it is not. The only question is, ‚Can you hear it or can’t you?‘ Whether an orchestra is out of tune, whether it is out of balance, whether its tone is coarse and vulgar, whether the men are playing with precision and accuracy, whether the strings are poor or the brass blatant are not matters of opinion at all. These are matters of fact and due to be reported upon by persons trained to hear them. Whether a singer has a voice equalized throughout, whether the lower tones are white and sombre, whether her coloratura is broken, spasmodic and labored; whether her cantilena is marred by inartistic phrasing, whether she sings out of tune or not, whether she sings the music according to the score or according to her own caprices – these are not matters of opinion; they are matters of fact. In short, nothing is more clearly known than the results which technic in performance can attain, and the only question that can ever be raised about a critical report is, ‚Did the man hear correctly?‘ If it can be shown that he is in the habit of hearing incorrectly, then he is as unfit for his business as a color blind man would be for the calling of art critic.[16]

Bald fand für manchen bekannten Vertreter des Metiers im deutschen Sprachraum die Bezeichnung „Kritikerpapst“ Anwendung. Dieser dubiose Begriff ist allerdings weniger ehrenvoll als vielmehr verräterisch, zeigt er doch, dass seine Anhängerschaft dem Kritiker Unfehlbarkeit zuschreibt und sich selbst als seine ihm blind ergebene Glaubensgemeinde definiert. Genau das ist das Problem bei jeder Form von Kritik, die per definitionem eine prüfende Beurteilung nach begründetem Maßstab sein sollte. Letzterer fußt auf musikalischen und technischen Parametern, mit deren Hilfe objektive Kritik möglich wäre, doch war und ist Musikkritik leider zumeist etwas Subjektives, weit entfernt davon, unfehlbar zu sein. Der Regisseur Sven-Eric Bechtolf bestätigt: „Sie [die Kritik] folgt nicht mehr halbwegs objektiven Kriterien, sondern sie verkommt zu apodiktischer Geschmacksveräusserung. Mich ärgert das.“[17]

Im 20. Jahrhundert änderten sich die für den Kritikerberuf erforderlichen Voraussetzungen radikal. Die fundierte Sachkenntnis erfordernde Werkkritik wandelte sich zur Aufführungskritik und spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Metier, abgesehen von wenigen rühmlichen Ausnahmen, in der Tagespresse oft von musikalischen Laien ausgeübt, deren einzige Qualifikation entweder die parteipolitisch motivierte Anstellung in der Kulturredaktion einer Tageszeitung, das persönliche Naheverhältnis zu einem Herausgeber oder Chefredakteur, das rudimentäre Erlernen des Blockflötenspiels im Kindergarten oder das allgemeine Talent zum Karrieremachen war. Das führte in einigen Fällen dazu, dass manche der neu gekürten Kritikerpäpste nicht einmal Noten lesen konnten. Falls dieser Umstand jemandem harmlos erscheinen sollte, möge er bedenken, dass es genau dasselbe bedeutete, wenn ein Literaturkritiker nicht lesen könnte. Es kam deshalb vielfach zu unqualifizierten Urteilen, die aber trotzdem gedruckt, gelesen und geglaubt wurden.

Dazu gesellt sich ein weiterer unerfreulicher Umstand, der vom Chefredakteur einer großen österreichischen Tageszeitung so zusammengefasst wurde: „In keinem anderen Land Europas ist der gekaufte Journalismus so ausgeprägt wie in Österreich.“[18] Was auf die unheilige Allianz zwischen Politikern und Journalisten abzielt, gilt für Kunst, Kultur und Journalismus in gleicher Weise, wie jeder Kenner der Szene weiß, und wie man – sollte man es nicht wissen – so mancher Rezension unschwer entnehmen kann. Das gilt für den gesamten deutschen Sprachraum: „Mit Wahrheit, Objektivität und Unabhängigkeit hat das, was die meisten Medien da im deutschsprachigen Raum beständig produzieren, heute absolut nichts mehr gemein. Eher schon mit einer Art der Gleichschaltung.“[19]

Das Phänomen der unqualifizierten Kritiker war in Wien schon in den Jahren nach 1848 bei vielen Musikkritikern zu beobachten, die sich von nationalen Ressentiments zu absonderlichen xenophoben Urteilen hinreissen ließen.[20]

Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper

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