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DER VERDI-HASSER EDUARD HANSLICK

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Einer dieser tendenziösen Kritikerpäpste des 19. Jahrhunderts war Dr. Eduard Hanslick (Prag 1825 – Baden bei Wien 1904). Der promovierte Jurist hatte auch Klavier, Komposition und Gesang studiert und sich mit Ästhetik beschäftigt, verfügte also über ein Instrumentarium, das ihn zum Kritikerberuf qualifizierte, den er ab 1846 ausübte. 1861 erhielt er eine Universitätsprofessur für Ästhetik und später den ersten Lehrstuhl für Geschichte der Musik an der Universität Wien.

Hanslick erblickte in Mozart, Beethoven, Schumann und Brahms die Höhepunkte der musikalischen Entwicklung, die Arbeiten „neudeutscher“ Komponisten wie Liszt, Bruckner und Wagner lehnte er vehement ab. Auf Hanslicks allseits bekannte polemische Gegnerschaften zu den Genannten oder zu Komponisten wie z.B. Tschaikowski[21] bzw. auf seine historischen Fehlurteile und Verunglimpfungen des letzteren soll hier nicht eingegangen werden.

Das Objekt, an welchem Hanslick seine Ablehnung italienischer Musik auslebte, war zwangsläufig sein Zeitgenosse Giuseppe Verdi (1813-1901). Zu der Zeit, als Hanslick als Kritiker zu arbeiten begann, war Rossini seit siebzehn Jahren nicht mehr als Opernkomponist aktiv, Bellini seit elf Jahren tot und Donizetti bereits unheilbar krank[22]. Dass es in Italien neben diesen drei Großen noch zahlreiche weitere Komponisten gab, die sich neben den Genannten behaupten konnten und sich vergleichbar großer Beliebtheit erfreuten, war Hanslick bekannt. Ihre Werke erwähnte er aber zumeist nur in höhnischem Tonfall, um auf die Inferiorität der italienischen Opernmusik hinzuweisen. Zu ihnen gehörten Giovanni Pacini (1796-1867) und Saverio Mercadante (1795-1870). Weitere Komponisten wie Vincenzo Gabussi, Nicola Vaccaj, Errico Petrella, Carlo Pedrotti, Vincenzo Moscuzza, Alessandro Nini und andere, die heute nur mehr Musikhistorikern geläufig sind und kaum aufgeführt werden, ergänzten das Bild einer florierenden italienischen Musikszene, die insgesamt auf hohem Niveau agierte und das italienische Melodramma zu immer neuen Höhenflügen führte, auch wenn Hanslick dies negierte.

Es war Verdi, der das halbe Jahrhundert von Hanslicks Kritikertätigkeit mit immer neuen Opern ausfüllte, die großteils auch in Wien aufgeführt wurden, und der deshalb zum Hassobjekt des Kritikers wurde, der fünfzig Jahre lang mit unschöner Regelmäßigkeit nicht nur fast alle Opern dieses Komponisten bei ihren Wiener Erstaufführungen niedermachte, beinahe möchte man sagen: tobend und mit Schaum vor dem Mund, sondern seine Voreingenommenheit italienischer Opernmusik gegenüber ganz ungeniert mit seiner reaktionären, anti-italienischen Haltung erklärte. Er verwendete in seinen Kritiken ein äusserst beleidigendes, unsachliches Vokabular, über das er sich allerdings beschwerte, wenn es ihm selbst gegenüber angewandt wurde. So bezeichnete er Verdi als „geistlosen Charlatan“, warf ihm „ästhetischen bösen Willen“ vor und nannte dessen Opern „abstoßend, plump, roh, trivial, mühsam, dürftig, langweilig, kindisch, grell, banal, gekünstelt, geschmacklos, gemein, fremdartig, unsympathisch“.

Die Antwort auf die Frage, wie der gebildete Kritiker zu seinen abstrusen Standpunkten in Sachen italienische Oper gelangte, ist rasch gegeben: Er war zwar als Musikhistoriker über die italienische Oper akademisch-theoretisch informiert, er wusste aber aus eigener Anschauung nichts von gelebter italienischer Musikkultur, von italienischem Lebensgefühl und von der typisch italienischen Rezeption der für ein italienisches, dem Gesang zutiefst verbundenes Publikum komponierten Musik. Zu allem Überfluss war er der italienischen Sprache nicht mächtig, ein Mangel, den er mit vielen deutschsprachigen Musikkritikern gemein hat und der ihm den Zugang zu eigenen Einsichten in die zur Sprache und in Form von Libretti zur Musik gehörige Kulturwelt versperrte, was ihm aber, wie seine Texte zeigen, überhaupt nicht bewusst war. Und dass er als gewiefter Opportunist dem herrschenden Zeitgeist folgte, muss nicht eigens hervorgehoben werden.

Ob er seiner beteuerten Gewohnheit: „Ich urteilte über keine Komposition, ohne sie vor der Aufführung und nochmals nach derselben zu lesen oder durchzuspielen – eine Gewohnheit, der ich bis auf den heutigen Tag, also nahezu ein halbes Jahrhundert, gewissenhaft treu geblieben bin“ nur „für symphonische und Kammermusik“ treu blieb, oder sie auch bei Opern, insbesondere jenen Verdis, anwandte, darf ernsthaft bezweifelt werden. Das ihm verschiedentlich zugesprochene ausgezeichnete pianistische Können samt kompositionstheoretischem Hintergrund war jedenfalls eine Stärke, die er vielen – damaligen und heutigen – Vertretern seiner Zunft voraus hatte.

Jedenfalls hielt er die Italiener, die die Kunstform Oper immerhin erfunden haben, pauschal für geistig minderbemittelt, wie er 1854 in seiner Habilitationsschrift Vom Musikalisch-Schönen schrieb:

Die singende Alleinherrschaft der Oberstimme bei den Italienern hat einen Hauptgrund in der geistigen Bequemlichkeit dieses Volkes, welchem das ausdauernde Durchdringen unerreichbar ist, womit der Nordländer einem künstlichen Gewebe von harmonischen und kontrapunktischen Verschlingungen zu folgen liebt. Dafür wird Hörern, deren geistige Tätigkeit gering ist, der Genuss leichter, und solche Musikbolde können Massen von Musik verzehren, vor welchen der künstlerische Geist zurückbebt.

So liest es sich, wenn sich ein angehender „nordländischer“ Universitätsprofessor über den geistig minderbemittelten Italiener erhebt. Dass die Kunstform Oper in Italien erfunden und zur Hochblüte gebracht wurde, bedenkt der überlegene „Nordländer“ allerdings ebensowenig wie den Umstand, dass hochmütige und deshalb dumme Pauschalurteile ernsthafte Zweifel an seiner Qualifikation aufkommen lassen. Während seine Geisteshaltung und Wortwahl unselige Assoziationen wecken, die ihn an und für sich zum Sympathisanten des von ihm zuerst bewunderten, später ihm verhassten Richard Wagner und seiner Ideologie prädestiniert hätten, urteilte er mit jener gewissen Überheblichkeit der von ihm selbst so genannten „teutonischen Musikkritik“, die als Kriterien bei der Einschätzung italienischer Opern unvernünftigerweise die kompositorischen Errungenschaften der symphonischen Musik deutscher Komponisten wie J.S. Bach, W.A. Mozart, Beethoven, Schumann, Mendelssohn oder Brahms heranzieht. So meinte er:

Das Thema allein offenbart schon den Geist, der das ganze Werk geschaffen. Wenn ein Beethoven die Ouvertüre zur ‚Leonore‘ so anfängt, oder ein Mendelssohn die Ouvertüre zur ‚Fingalshöhe‘ so anfängt, da wird jeder Musiker, ohne von der weiteren Durchführung noch eine Note zu wissen, ahnen, vor welchem Palast er steht. Klingt uns aber ein Thema entgegen, wie das zur Fausta-Ouvertüre von Donizetti oder Louise Miller von Verdi, so bedarf es ebenfalls keines weiteren Eindringens in das Innere, um uns zu überzeugen, dass wir in der Kneipe sind.[23]

Was herausragende deutsche Symphoniker wie Beethoven oder Mendelssohn mit herausragenden italienischen Opernkomponisten wie Donizetti oder Verdi verbindet, bleibt allerdings unklar. Was hätte Herr Hanslick wohl zu der folgenden Äusserung des Verdi-Forschers Julian Budden gesagt?

Schließlich beschert es [das Orchester der Luisa Miller] uns eine Ouverture, die viele für die schönste halten, die Verdi je geschrieben hat. Gewiss ist es die „klassischste“: mit zwei Themen und einer dicht gearbeiteten Durchführung, die auf einem einzigen Motiv basiert. Hier verbindet sich der Geist Webers mit der Technik Haydns.[24]

Hanslicks Sichtweise sollte über die Zeiten hinweg Bestand haben. In einer sonderbaren, längst überwunden geglaubten Parallelität der Geisteshaltung fragte ein für seine Originalklanginterpretationen bekannter österreichischer Dirigent, der allem Anschein nach in ständigem Kontakt mit Bach, Händel, Mozart & Co. stand und sich auch der Lehre verschrieben hat, einen seinen ehemaligen Schüler, der eine erfolgreiche internationale Karriere, u.a. im sogenannten Belcanto-Repertoire, hingelegt hatte, mit unverblümter Herablassung: „Warum dirigieren Sie diesen Dreck?“ Er bezog sich im konkreten Fall auf Donizetti. Die Beziehung zwischen den beiden Maestri war in der Folge gestört.

Hanslicks Entwicklungskurve in Sachen Verdi ist merkwürdig. Er beginnt seine Einschätzungen 1848 mit opportunistisch geifernder Wut, nimmt sich dann im Laufe der Jahrzehnte zuerst zu spöttischer Verachtung, dann zu herablassender Geringschätzung zurück, scheint sich in den 1870er Jahren ruckartig zu besinnen und in aufatmendes Erstaunen und tiefes Verständnis überzugehen, das fast in einen Widerruf seiner früheren Kritiken mündet, endet dann aber mit spektakulärem Unverstand:

Während der Aufführung wurde mir eines immer klarer: In Deutschland stehen zur Einbürgerung von Verdis „Falstaff“ „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai als ein Hindernis gegenüber, das schwer zu nehmen sein wird. [...] Gegenüber der moderneren, einheitlicheren Form der Verdischen Oper hat die Nicolaische jedenfalls mehr musikalische Substanz. Nach meiner Empfindung sind die besten Nummern aus den „Lustigen Weibern“ den analogen Szenen in Verdis „Falstaff“ musikalisch entschieden überlegen.[25]

Hanslick ist an dem immensen Verdi nicht gewachsen, er ist an dem „geistlosen Charlatan“ kläglich gescheitert. Johannes Brahms hatte 1874 über Verdis Messa da requiem gesagt: „So etwas kann nur ein Genie schreiben.“[26] Er hätte seinen Duzfreund Hanslick rechtzeitig vor der Veröffentlichung von dessen Die moderne Oper (1875) von dieser seiner Erkenntnis überzeugen und vor historischer Selbstbeschädigung warnen können. Vielleicht hat er es versucht. Hanslick hat die Chance nicht genutzt. Er war als unentrinnbar Gefangener seines „teutonischen“, theorielastigen Zuganges zu Musik dazu außerstande. Er hat weder Verdi noch den großen Themenkreis der Oper und der Kultur Italiens verstanden.

Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper

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