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ERSTE SPIELLEITER

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Interpretationskritik ist bei Hanslick nur nebenbei zu finden, Werkkritik dominierte bei ihm wie bei seinen Kollegen. Gelegentlich brachte er die Rede auf eine Inszenierung, wenn beispielsweise Kulissen, Versatzstücke oder Kostüme aus anderen Opern verwendet wurden[42] und nicht zum aufgeführten Stück passten. Weder die Arbeit der Spielleiter noch deren Namen wurden in Kritiken erwähnt, denn die Inszenierungen richteten sich – nach Maßgabe der finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Opernhäuser – ausnahmslos nach den Vorgaben der Autoren und wurden als invariabler Teil des Werks wahrgenommen. Im Falle Verdis sind diese äusserst präzise, da bei ihm die visuelle Komponente bei der Komposition eine wesentliche Rolle spielte. Inszenierungsexzesse wie jene des heutigen Regietheaters gab es zu Hanslicks Zeit nicht einmal ansatzweise. Die Spielleiter setzten die Werke entsprechend den Vorstellungen und Wünschen der – oft noch lebenden und aktiven – Autoren szenisch um und verschlimmbesserten sie nicht mit unerwünschten, selbsterfundenen Zutaten. Francesco Maria Piave beispielsweise, ein erfahrener Librettist, der neben Verdi, für den er zehn Libretti[43] verfasste, mit vielen anderen Komponisten[44] erfolgreich zusammengearbeitet hatte, berufsbedingt ein genauer Kenner der Operndramaturgie und der Mechanismen der Opernbühne war und als Spielleiter zuerst in Venedig am Teatro La Fenice und danach in Mailand am Teatro alla Scala arbeitete, hat im Laufe seiner Tätigkeit kein einziges Mal ein Werk anders als von den Autoren vorgesehen inszeniert.

Das lag weder an der fehlenden Phantasie der damaligen Spielleiter noch daran, dass die damals lebenden Autoren Änderungen oder Hinzufügungen bei ihren Werken keinesfalls toleriert hätten, sondern an zwei weiteren Umständen: Erstens, dass zeitgenössische Autoren und Publikum vergleichbar gebildet und sozialisiert waren und daher das allgemeine Verständnis des Autorenwillens vorausgesetzt werden konnte; zweitens, dass eine Hilfskraft wie ein Spielleiter gar nicht auf die Idee verfallen wäre, ein von den Autoren als fertig erachtetes Stück eigenmächtig zu verändern.

Die von Theaterleuten kolportierte Entstehungsgeschichte des Berufes des Spielleiters erklärt dessen Wesen: Als einmal ein paar Schauspieler auf einer Bühne standen und über eine Szene eines Stücks diskutierten, baten sie einen von ihnen, in den Zuschauerraum hinunterzugehen und zu schauen, ob sie in der Mitte der Bühne ständen. Daraus ergab sich in weiterer Folge der Aufgabenkreis des Spielleiters: die Disposition der Figuren, die Verkehrsregelung von Solisten und Massen sowie die verständliche, allenfalls verdeutlichende szenische Darstellung des Inhalts einer Oper. Der Zuschauer sollte – damals wie heute –, wenn er ein ihm unbekanntes Werk zum ersten Mal auf der Bühne sieht und die gesungene Sprache nicht versteht, aufgrund der vom Autor vorgeschriebenen szenischen Darstellung, d.h. der die Musik und den gesungenen Text ergänzenden visuellen Eindrücke, möglichst der Handlung folgen können. Das ist werkabhängig, denn ein solcher Zuschauer wird Opern wie Carmen oder Otello leichter folgen können als Werken wie Die Frau ohne Schatten oder Parsifal. Wesentlich ist, dass dem Zuschauer die von den Autoren geschaffenen Inhalte vermittelt und plausibel gemacht werden. Das geschieht beim Regietheater deutscher Prägung zumeist nicht.

Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper

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