Читать книгу Nanas Reise - Christiane Antons - Страница 13

2007

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Nana saß jetzt schon eine ganze Weile in dem Kleiderschrank und hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Vielleicht war es eine halbe Stunde, vielleicht auch bereits zwei. Die Zeit, sie war trügerisch. Sie gab vor, immer gleich lang zu sein, aber das stimmte nicht. Sie verging mal schnell, mal langsam, und selten blieb sie ganz und gar stehen. Wie am Donnerstag vor einer Woche. Das Wort ꞌZeitꞌ war grau und hubbelig, und Nana fand das passend.

Sie hatte lediglich das blaue Kleid aus ihrem Schrank nehmen wollen, nachdem sie es bereits geschafft hatte, aufzustehen und zu duschen. Elsa hatte ihr mehrfach versichert, dass es völlig in Ordnung war, blau zu tragen. Sie sollte anziehen, worin sie sich wohlfühlte.

Also hatte Nana ihr Abikleid gewählt, das sie drei Monate zuvor mit ihrer Mutter ausgesucht hatte. Und dann, als sie die Hand danach ausstreckte, fehlte ihr plötzlich die Kraft, es vom Bügel zu nehmen. Stattdessen sah der freie Platz dort auf dem Boden vom Kleiderschrank so wohlig aus. Nana setzte sich, zog die Tür von innen zu, lehnte ihren Kopf an die hintere Holzwand, roch den vertrauten Duft ihrer Kleidung und erinnerte sich an den Tag, an dem ihr Vater zusammen mit ihrer Mutter den Schrank im Zimmer aufgebaut hatte. Sie hatten sich zweimal gestritten. Papa hatte sich einmal den Hammer auf den Daumen gehauen und dabei lautstark geflucht.

Irgendwann hörte sie eine vertraute Stimme ihren Namen rufen, doch sie blieb reglos sitzen, auch als die Stimme lauter wurde und sich Schritte näherten. Elsa klopfte schließlich vorsichtig an die angelehnte Schranktür.

„Nana? Du hast dich schon als kleines Kind in den Schrank gesetzt, wenn du traurig warst.“ Sie hörte ihre Oma tief durchatmen. „Wir müssen in einer halben Stunde losfahren.“

„Ich kann nicht“, flüsterte Nana, während Tränen über die Wangen auf die Lippen kullerten. Salz.

Elsa sagte lange nichts. Dann sagte sie: „Doch.“ Und setzte entschlossen hinterher: „Nana, das kriegste hin.“

Es war nicht der eigentlich viel zu flapsige Inhalt, sondern die Farbe ihres Tonfalls gewesen, die Nana schließlich hatte aufstehen lassen. Wackelig auf den Beinen, wie ein neugeborenes Fohlen, zog sie sich das Kleid über, ließ sich von ihrer Oma die Haare zu einem Zopf flechten und stieg eine halbe Stunde später mit ihr ins Auto.

Nana schloss den Tunnel vor ihrem inneren Auge, der sie in die Vergangenheit führte. Sie seufzte. Ihr hervorragendes bildliches Gedächtnis war Fluch und Segen zugleich. Doch gegen diesen Tag damals, beruhigte sich Nana selbst, war eine Reise nach Schottland mit einem nahezu Unbekannten ein Witz. Lutz war definitiv eine bessere Begleitung als keine Begleitung. Es war nur die Angst vor der eigenen Courage, die sie für einen Augenblick übermannt hatte. „Nana, das kriegste hin“, sagte sie nun laut, stand noch einmal vom Bett auf, um sich ein neues Pflaster für ihren aufgekratzten Daumen zu holen, und löschte schließlich das Licht.

Nanas Reise

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