Читать книгу Er war mein Urgroßvater - Christiane Scholler - Страница 14
Die Bedeutung der Stiefmutter
ОглавлениеWas also tun? Es galt, eine Frau zu finden, die nicht nur als liebende Ehefrau, sondern auch als treu sorgende Mutter infrage kam. Für vier ihr fremde Kinder, die noch einen weiten Weg vor sich hatten. Es spricht sehr für die Person und Persönlichkeit Erzherzog Carl Ludwigs, dass sich tatsächlich die ideale Partnerin für ihn fand: in der Person der 18-jährigen Prinzessin Maria Theresia von Braganza, Infantin von Portugal, die nach der Hochzeit mit Carl Ludwig 1873 Erzherzogin Marie Therese genannt wurde. Zur Wahl dieser Ehefrau hatte die Mutter Carl Ludwigs, Erzherzogin Sophie, wie immer ihren nicht unbeträchtlichen Beitrag geleistet.
Das fast Unglaubliche geschah: Die Kinder bekamen eine junge, liebevolle und fürsorgliche Stiefmutter, und endlich kehrte wieder Familienglück im Hause des Erzherzogs ein. Dieses wurde schließlich perfekt durch die Geburt der kleinen Maria Annunziata 1876 sowie einer weiteren Schwester, Elisabeth, die 1878 zur Welt kam. So könnte man meinen, Carl Ludwig konnte zum Glück seiner Kinder den Satz »Was lange währt, wird endlich gut« in jeder Hinsicht bestätigen.
Geht man zurück in die prägenden Jugendjahre Erzherzog Franz Ferdinands, so konnte er trotz des Schicksalsschlages, die leibliche Mutter früh verloren zu haben, eine glückliche und schöne Kindheit erleben. Das harmonische Familienleben inmitten vieler Geschwister muss in ihm schon früh den Wunsch geweckt haben, es später einmal auch so gut zu treffen: mit einer Frau, die man aus Liebe heiratet und mit der man eine glückliche Kinderschar heranwachsen sehen kann.
Die Stiefmutter: Maria Theresia von Braganza, Infantin von Portugal, nach der Hochzeit mit Carl Ludwig 1873 Erzherzogin Marie Therese genannt
Die Leistung Erzherzogin Marie Thereses ist bewundernswert. Sie gab der Bezeichnung »Stiefmutter« eine völlig neue Bedeutung, zum Glück für die Kinder und die gesamte Familie. Die liebevolle Stiefmutter stand in ziemlichem Gegensatz zum Wesen Maria Annunziatas, der leiblichen Mutter Franz Ferdinands. Maria Annunziata litt bereits vor ihrer Hochzeit mit Erzherzog Carl Ludwig an Lungentuberkulose. Eine Tatsche, die dem Bräutigam zum Zeitpunkt der Eheschließung wohl nicht bekannt war, die sich aber fatal auf das Leben der Kinder auswirken sollte, die dieser Ehe entstammten. Maria Annunziata, die sich des Problems sehr wohl bewusst war, hielt, wohl vor allem aus mütterlicher Vorsicht, Abstand zu ihren Kindern. Da gab es nicht einmal ein flüchtiges Umarmen, weil die Ansteckungsgefahr einfach zu groß war. Eine Vorsichtsmaßnahme, die nichts brachte, denn die Lungenkrankheit hatten alle ihre Kinder, möglicherweise bereits durch Ansteckung bei der Geburt, bereits in sich.
Der Abstand, der wegen der Erkrankung zwischen Mutter und Kindern herrschen musste, war mit Sicherheit ein großes Problem. Die emotionale Bindung, die auf natürliche Weise zwischen Kindern und Eltern entsteht, kann sich unter solchen Umständen nicht entwickeln. Was muss der kleine Franz Ferdinand gelitten haben, als er und seine Geschwister von der Mutter nicht liebevoll in den Arm genommen werden konnten!
So tragisch das Ableben der 28-jährigen Maria Annunziata aufgrund der fortgeschrittenen Lungentuberkulose war: Die mittelbare Folge war der Eintritt einer liebevollen Ersatzmutter in diese Familie, die es mit psychologischem Gespür und großer emotionaler Intelligenz trotz ihrer jugendlichen 18 Jahre bei der Hochzeit schaffte, die Herzen der Kinder und das des Vaters im Sturm zu erobern. Diese Frau war es auch, die – zum Glück! – die weitere Entwicklung Franz Ferdinands nachhaltig prägen konnte und ihm bis an das Ende seines Lebens eine liebevolle, weise und gütige Ratgeberin war. Was kann man Schöneres über eine Mutter sagen?