Читать книгу Paganini - Der Teufelsgeiger - Christina Geiselhart - Страница 17

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Üblicherweise wurde der Herbstbeginn von den Genuesern gefeiert. Die Läden schlossen auch unter der Woche, die Kirche und manche Häuser erstrahlten im Lichterglanz aufgestellter oder in die Mauern eingelassener Fackeln. In diesem Jahr waren die Gemüter durch die französische Besatzung verwirrt und die politische Situation erschüttert. Jene, die in Napoleon den Tyrannen witterten, rotteten sich zu einem Aufstand zusammen, die anderen stellten Wachskerzen an die Fenster, weil sie noch immer an den Befreier glaubten. Giancarlo Di Negro lud an einem klaren Novembertag zur festlichen Begrüßung und Ehrung Josephine Bonapartes in seine Residenz in der Via Lomellini ein. Der Palast lag inmitten einer bewohnten Straße, hatte aber einen traumhaften Garten im Innenhof. Schmale, von Orangen- und Zitronenbäumen begrenzte Pfade wanden sich hindurch und im Sommer verströmten die Kamelienhaine einen Duft, der jetzt im November noch zu erahnen war. In den hohen, stuckverzierten Räumen hingen wertvolle Gemälde, über den Türen prangten Allegorien als Goldintarsien und die marmornen Säulen leuchteten cremefarben. Am schönsten war der Blick aus den hohen Fenstern im oberen Stockwerk. Ein Teil Genuas, der Hafen und das Meer lagen ruhig und wie gemalt dem Betrachter zu Füßen.

Eigentlich stand den Di Negros der Sinn nicht nach Feiern. Vor nicht ganz zwei Wochen war die Villa von Emilia Di Negros Schwester bis auf die Grundmauern niedergebrannt und hatte unter ihrer Asche das Ehepaar, den Liebhaber der Schwester und eine Köchin begraben. Zufälligerweise führte das Kindermädchen trotz kühlen Wetters die dreijährige Margherita auf der Strandpromenade spazieren, wodurch ein einziges Familienmitglied überlebte. Giancarlo hätte ohne mit der Wimper zu zucken die berüchtigten Carbonari verdächtigt, wären er und sein Schwager nicht selbst Novatori, Adelige, die den Ideen der Carbonari nahestanden. Einen gewissen Giorgio Servetta hatte Giancarlo bei einer Versammlung in Oneglia mit „buon cugino“ angesprochen und ihn nach Buonarotti gefragt. Eine zufriedenstellende Antwort hatte er damals nicht erhalten, aber zumindest hatte er in Giorgio einen, wenn auch zögernden, Carbonaro erkannt.

Das Testament der im Liebesrausch Verbrannten ermächtigte Margherita zur Universalerbin eines enormen Vermögens und erteilte der Familie Di Negro die Vormundschaft. Bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr sollte Giancarlo ihr Erbe verwalten. Niemand überraschte es, das Ehepaar und den Liebhaber gemeinsam vereint auch im Tode vorzufinden. Emilias Schwester war für ihr ausschweifendes Liebesleben bekannt, dessen Quintessenz es war, zwei Männer zur selben Zeit ins selbe Bett einzuladen.

Anlässlich des Herbstfestes spielte der berühmte Rudolph Kreutzer. Di Negro freilich fieberte danach, Josephine Bonaparte seine große Entdeckung vorzustellen. Und tatsächlich riss Josephine die Augen auf. Zunächst vor Schreck. Niccolò war von der Krankheit gezeichnet. Er wirkte abgezehrt, hatte Ringe unter den Augen und eingefallene Wangen. In seinem Blick jedoch funkelte ein geheimnisvolles Feuer, von dem sich Josephine bezaubern ließ.


Weihnachten feierte Niccolò im Kreis seiner Familie. Paola war innerhalb eines Jahres sehr gewachsen. Sie hatte ein rosiges Gesicht, volle Wangen und die gleichen dunklen Haare wie Niccolò. Der vier Jahre ältere Bruder Carlo überragte den jüngeren um einen Kopf. Auch Carlos Brust konnte sich sehen lassen, seine Schultern waren breit, sein Gesicht rund wie das der Mutter. Er war nicht neidisch auf den Bruder, obwohl auch er gerne Geige spielte. Er neidete ihm weder seine rasche Auffassungsgabe noch sein feines Ohr. Er neidet ihm nichts weiter als den zärtlichen Blick der Mutter. Teresas Gesicht leuchtete vor Stolz und Freudentränen glänzten in ihren Augen, sobald sie Niccolò in die Arme schloss.

Indessen rebellierte im Hinterland eine Allianz aus Adel, Kirche und Bauern gegen die Besetzer, während die Novatori für Napoleon mobilmachten. Auf den Wegen zur Stadt oder unter den Brücken verbluteten Franzosen, Novatori und Bauern. Hin und wieder lag ein Mönch dazwischen, von einer Hacke erschlagen oder einer Gabel durchbohrt.

Was die Mönche betraf, hatte Antonio kein Mitleid. Sie waren ihm oft in den Straßen von Genua begegnet und entsetzten ihn durch ihr abstoßendes Äußeres. Manchmal blieb er wie vom Donner gerührt stehen und grübelte darüber nach, warum gerade Gottesdiener so niederträchtig aussahen. „Heißt es nicht, Gesichter und Augen spiegeln Seele und Charakter wider? Wenn es so ist, müssen Leute dieses Standes zwangsläufig verschlagen, stumpfsinnig und träge sein“, resümierte Antonio.

Die Unruhe im Land hinderte ihn nicht daran, seinen Sohn in die feinsten Salons zu schicken. Und so gab Niccolò das gesamte Frühjahr über Privatkonzerte, die Marchese Di Negro organisierte. Er lernte sämtliche Palazzi Genuas kennen, unter anderem den Palazzo Spinola, wo er an kunstvoll geschnitzten Edelholztischen saß, von hübsch verzierten Tellern aß, aus funkelnden Kristallgläsern trank und eine beeindruckende Portraitsammlung des Malers Van Dyck bewundern durfte. Niccolò verspürte großen Respekt beim Anblick der Werke bedeutender Künstler, lieber jedoch schweifte sein Auge in die Ferne oder versank in sich selbst. Darum bevorzugte er von allen Palästen den Palazzo des Marchese. Bevor er spielte oder manchmal auch später, wenn er sich ungesehen davonschleichen konnte, verweilte er im großen Salon des oberen Stockes, öffnete eines der hohen Fenster und blickte in die Weite hinaus. Vor ihm ausgebreitet lag die Stadt, in der er den ersten Atemzug getan hatte. Ein Wirrwarr von Kirchen, Klöstern, mächtigen oder bescheidenen Häusern, geduckten und schiefen Gebäuden. Dort ein einsamer Klostervorbau, von dessen Dach ein eisernes Kreuz in den hellen Himmel ragte, links der Monte Faccio, bei sonnigem Wetter ein glitzernder Diamant, an rauen, stürmischen Tagen ein drohendes Ungeheuer. Waren seine Augen dann vom Anblick gesättigt, nahm er einen tiefen Atemzug und ging zu den Gästen zurück. Niemand wusste, wo er gewesen war, und niemand erfuhr je, was er dachte, wenn sein Blick in eine Landschaft oder ein Gemälde tauchte. Niemand außer einer Person. Sie ließ ihn nie aus den Augen.

Paganini - Der Teufelsgeiger

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