Читать книгу Paganini - Der Teufelsgeiger - Christina Geiselhart - Страница 18

Оглавление

11

Wenn es noch hell ist, sehe ich, wie das unendliche Meer, die Küstenlinie, die am Leuchtturm beginnt, allmählich dünner wird, bald wie ein Faden ist, dann meinen Augen entgleitet. Es ist die schöne Straße nach Nizza. Später, in der Dunkelheit, die plötzlich hereinbricht, ohne den sanften Übergang der Dämmerung, flammen in dieser schönen Straße einzelne Lichter auf und die hohe, sich drehende Lanterna draußen am Meer wirft ihr Licht in unsere Richtung, bestrahlt jäh Di Negros Palast, als dränge der Mond kurz durch eine düstere Wolkenschicht, um gleich wieder zu verschwinden und uns in der Finsternis zurückzulassen. Es ist erschreckend. Es ist seltsam. Ich liebe diesen Anblick, im Gegensatz zu vielen Genuesern, die das Licht von La Lanterna bei Nacht meiden. Sie fürchten, von ihm angestrahlt zu werden, bedeute, verhext zu werden.

Der Urturm von La Lanterna ist fast sechshundert Jahre alt. Da ihn aber der französische König Louis XII. bei seinem Eroberungszug bis zur Hälfte zerstört hatte, musste er neu errichtet werden. Das war vor dreihundert Jahren. Seitdem hat La Laterna ihr Aussehen nicht mehr geändert.

Nizza zieht mich magisch an. Mein Vater hat mir eine Schiffsfahrt nach Nizza versprochen, aber das Chaos in Genua wird uns vermutlich abhalten.

Ich spiele das Frühjahr über vor Genueser Adel. Frauen in weißen Schleiern und Galakleidern, Männer in feinen Anzügen und glänzenden Hüten wenden mir ihre erregten Gesichter zu. Atemlose Aufmerksamkeit, verträumte Augen, dröhnendes Klatschen, ungläubige Fratzen, offene Münder, nasse Küsse auf die Wangen. Sie wollen mich erdrücken. Ich habe ihre Herzen aufgewühlt, ihre Sinne entfesselt. Sie wollen mich auffressen. Und ich flüchte, in den Garten, dort wo die Kamelien blühen, und tauche hinein, starre nur noch auf ein Galakleid. Jenes am Himmel, das prächtigste, gewebt aus goldenem, rotem und gelbem Licht. Das Kleid der untergehenden Sonne.

Ein Aufstand im Mai fesselt mich ans Haus. Es heißt, alle Sträflinge wären befreit worden und Napoleon errichte die Ligurische Republik, damit endlich Ruhe einkehre. Ich komponiere und kümmere mich wenig um Napoleon. Befreier oder Unterdrücker? Es fehlt mir die Zeit, darüber nachzudenken. Seine Frau ist mir in jedem Fall lieber. Auch in ihr stecken Besessenheit und Ehrgeiz, aber sie geht nicht über Leichen. Josephine ist mir ähnlich.

Während die Armee des kleinen, ehrgeizigen Korsen Lucca besetzt, stirbt mein Großvater Giovanni. Ich hatte ihn in letzter Zeit so wenig gesehen, dass ich ihn fast vergessen habe. Nun werde ich ihn nie mehr sehen, doch vergessen werde ich nicht.

Wir hören von Rudolph Kreutzers Auftritt in Livorno und bereiten meine nächste Konzertreise vor. Mama hat mich gut aufgepäppelt, ich wiege etwas mehr, mein Gesicht ist runder. Nicht so rund wie das von Paola, aber das würde mir auch nicht gefallen. Bevor es losgeht, ziehen wir nach San Biagio im Polcevera-Tal. Unser neues Haus ist weit vom Zentrum und vom nächsten Dorf entfernt und hat bei klarem Wetter eine wunderschöne Aussicht auf die Umgebung. Vater und ich sehen davon nicht viel, weil der Herbst Nebel und Regen bringt und weil ihm nicht der Sinn danach steht, durch die großen Fenster die Landschaft zu betrachten. Vor allem Vater ist schlecht gelaunt. Schuld daran sind wieder die Franzosen. Vater sagt, wir müssen sie ernähren wie kleine Kinder, dabei werden sie immer frecher, ebenso wie Kinder, die man nicht züchtigen darf. Sie wollen von Gott nichts wissen, aber interessieren sich brennend für die Gemälde, die goldenen Leuchter, Becher, Vasen und Altäre unserer Kirchen. Selbst Giorgio und seine Genossen hätten erkannt, mit welch gespaltener Zunge der französische General vorgehe. Einst waren sie Anhänger des radikalen Filippo Buonarotti, der in Mailand noch für Napoleon auf die Straße ging, dann aber gegen ihn operierte, da der französische General durch den Friedensvertrag mit Österreich die italienischen Patrioten verraten hatte. Mittlerweile stellte sich heraus, dass uns Napoleon nicht nur besetzt, weil er Ländereien, Herzog- und Fürstentümer für seine Brüder und Schwestern braucht – wie Vater sagt –, sondern weil er gegen die Österreicher Krieg führen muss, denen halb Norditalien gehört, wie Giorgio sagt. Eigentlich ist mir das völlig egal und letzten Endes interessieren mich Eroberungszüge nicht, da sie Elend und Angst verbreiten. Nichts von all dem klingt nach Musik und weder das eine noch das andere bewegt mein Gemüt. Es sei denn, es wird übertrieben, wie dies kurz vor Weihnachten geschah. Da nämlich machten die Franzosen wegen der Engländer kurzerhand den Hafen dicht und zerstörten Lagerhallen und Speicher. Viele Packer sind nun arbeitslos und Vater sorgt sich um seine früheren Kollegen. Vielleicht fürchtet er auch, sie könnten zu ihm kommen und ihn anpumpen. Allen ist bekannt, dass meine Konzerte schon ganz schön Geld einspielen.

Paganini - Der Teufelsgeiger

Подняться наверх