Читать книгу Paganini - Der Teufelsgeiger - Christina Geiselhart - Страница 22

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Eleonora, jetzt bist du fast vierzehn Jahre und ich dreiundzwanzig. Deine Augen strahlen, wenn ich von der Violine erzähle. Du verstehst meine bizarre Liebe zu ihr, du legst deine weiße Hand auf meinen Arm, sobald mich dabei dieses schreckliche Zittern befällt. Meine Stimme zerbricht, mein Herz klopft, mein Atem wird kurz. Es ist ja nicht das geformte Holz, der Klangkörper, der mit Saiten bespannt ist, woran mein Leben hängt, es ist jenes Instrument, das erst in meinen Händen zur Geliebten wird. In jeder anderen Hand ist es verloren. Ich konnte meine alte Geige so leicht aufgeben, weil sich die neue wie eine Katze in meinen Arm schmiegte. Ich schob sie unters Kinn und atmete ihren wunderbaren Duft, ich berührte die G-Saite mit dem Bogen, spielte eine belanglose Melodie, und schon fühlte ich ihre Hingabe. Sie stammt aus Guiseppe Guarneris Atelier und wurde mir vor einem Jahr in Livorno anlässlich der Einweihung eines Theaters von einem Verehrer überreicht. Das sage ich hier und jetzt. Andere behaupten, ich hätte mein altes Instrument am Hasardtisch verspielt und sei gezwungen gewesen, mir eine Guarneri auszuleihen. Lasst sie reden, die Wahrheit ist ein Chamäleon. Ich nehme es nicht so genau mit ihr, weil sie es auch nicht genau mit mir nimmt. Darum zahle ich ihr nur mit gleicher Münze heim. Signor Livrons Geschenk war ein stolzes Geschenk und genau richtig für mich. Ich ziehe die Guarneri der Stradivari vor, weil sie von einem größeren Format ist. Im Ton steht sie der Geige des genialen Antonio Stradivari in nichts nach. Genauso edel, genauso groß und voll, wenn man ihn zu formen versteht. Besonders liebe ich ihren ambragelben Grundton, über dem eine durchsichtige Schicht roten, schimmernden Lacks liegt. Aber weißt du, Eleonora, ihr Körper schimmert und strahlt erst richtig, wenn ich sie streichle, wenn ich mit den Fingerkuppen ihre Haut klopfe, die Fasern ihres Leibes zupfe oder sie mit dem Bogen zum Schwingen bringe. Dann singt sie, dann lacht und weint sie. Ja, manchmal fürchte ich, ihr wachsen Flügel und sie entreißt sich mir, um einfach davonzufliegen.

Du, Eleonora, verstehst mich. Ich sehe es in deinen weiten, leeren Augen. Sie öffnen sich, um sich mit den Bildern, die ich dir male, zu füllen. Und plötzlich siehst du mich voller Staunen an, so entzückt, als sei ich ein Adonis. Und plötzlich wirst du ganz eifrig, stellst Fragen zur Musiklehre, willst alles erlernen. Wer sind Sie, Signor Paganini, wer ist Stradivari und wer Guarneri?

Angesichts deines süßen, unschuldigen, ja fast dummen Ausdrucks erzähle ich dir ein wenig von Antonio Stradivari, denn er war nur ein Jahr jünger als du, als er vor 150 Jahren zu Amati, dem großen Geigenmacher, in die Lehre ging. Am liebsten streunte er durch den Wald und erforschte die Bäume auf ihren Klang und ihre Beschaffenheit. Er legte sein Ohr an ihren Stamm und verfolgte ihr Wachstum. Mit der Zeit konnte er Holz von Holz unterscheiden, so wie es Michel­angelo mit dem Marmor konnte. So gelang es ihm eines Tages, aus den feinsten Hölzern und einer geheimnisvollen Lackmischung, die er in zwei Schichten auftrug, die große Stradivari zu schaffen. Später werde auch ich mir eine kaufen.

Entzückende Eleonora, dafür liebe ich dich. Für die Liebe, die du mir bezeugst, die Anbetung, für deine rosige Haut, deinen schlanken Hals, das gescheitelte, geflochtene Haar, das deinen schönen Nacken küsst und für deinen jungen Körper, der in mir Dinge auslöst, die weder du noch meine Geige befriedigen können, und darum nimm die Gitarre. Plaziere sie richtig und packe ihren Hals energischer. Zupfe gefühlvoller und lausche … ja, lausche … Aber nein, der Ton stimmt nicht ganz. Er ist ein wenig daneben. Natürlich! Du hörst es nicht? Das nehme ich dir nicht übel. Viele Menschen hören es nicht. Sogar Musiker hören es oft nicht. Aber ich höre es, Eleonora, und mir tut es weh. Ja, Eleonora, hin und wieder tut es auch weh, glasklare Töne hören zu müssen.


In den letzten Jahren ist viel passiert. Das üble Gelbfieber griff rasend um sich. Nach mehreren Konzerten in Lucca und Livorno floh ich aus der Gegend Hals über Kopf. Wann werden wir vor diesen Krankheiten sicher sein? Ich weiß nicht, wie weit die Forschung in der Medizin ist, aber es scheint, als hinke sie der Entwicklung in der Musik nach, obwohl wir gerade da noch sehr der Tradition verhaftet sind. Das Volk liebt stets und immer die Opera buffa. Es langweilt sich in längeren, anspruchsvollen Konzerten, darum will ich kurzweilig sein. Die Gefahr, vor einem gähnenden, schläfrigen Publikum zu spielen, gehe ich nicht ein. Darum überrasche ich. Das fällt mir durchaus nicht schwer. Im Gegenteil. Ich fiebere danach, mit meiner Geige die ungewöhnlichsten musikalischen Akrobatiken zu erproben. Pizzicato, Doppelgriffe, Sprünge, drei- und vierstimmige Sätze und was auch sehr verblüfft, ist die chromatische Skala in den allerhöchsten und dabei klarsten Tönen. Dank dem unübertroffenen Gespür für mein Instrument sowie meiner Antenne für die Stimmung im Saal, leuchtet schlagartig ein Alarmsignal in meinem Kopf, sobald es den Zuhörern zuviel wird, und flink spiele ich ein melodisches Adagio. Dann sitzen die Männer atemlos und mit offenem Mund, dann funkeln die Augen der Frauen so großartig, dass mir die Tränen kommen.

Es gibt auch Zeiten, da lege ich meine Geige wochenlang, gar monatelang zur Seite, selbst die neue, wunderbare Guarneri del Gesù vom Mäzen Livron. Lange bevor das Gelbfieber ausbrach, erlag ich dem Reiz einer Dame, die ich niemals hätte berühren dürfen, denn sie ist die Frau meines Wohltäters und noblen Verehrers.

Mein schlechtes Gewissen hindert mich daran, seinen Namen zu nennen, andererseits waren die Monate in Emilias Armen so fruchtbar für mein Leben und für meine Kunst, dass mein Gönner darüber Freudensprünge machen müsste. Emilia hat mich die hohe Kunst der Liebe gelehrt. Meine Geliebte ist eine reife Frau von dreißig Jahren und hat ein Kind geboren, dass eines Tages still in ihren Armen starb, während sie es stillte. Ein sonderbarer Tod! Glücklicherweise gibt es die Adoptivtochter, die arme Waise mit dem venezianischen Haar, deren Namen ich vergessen habe. Emilias Haar ist üppig und dunkel, in der Mitte gescheitelt und zu einem dicken Zopf geflochten, den sie zur dichten Schnecke am Hinterkopf rollt.

Ich lernte sie auf einer dieser fürchterlichen Soireen ihres Gatten kennen, bei denen sehr viel geschwafelt und wenig ernsthaft disputiert wird. Hin und wieder schmerzte mir davon der Kopf bis an die Grenzen der Erträglichkeit. Emilia erwischte mich, als ich mich in einem Zimmer ihrer Residenz verkriechen wollte. Sie bot mir ein anderes Gemach an. Ihres. So fing alles an. Sie machte nicht viel Federlesens. Bald pendelten wir zwischen der Villa in Genua und ihrem Schlösschen in der Toskana hin und her.

Offiziell kam ich zu ihr, um sie die Gitarre zu lehren. Das tat ich dann auch, aber hinterher. Ihr Mann war damals nach Paris gereist, um sich für die Krönung Napoleons einzukleiden. Davon wurde allerorts geredet, es hieß, sogar der Papst werde auf einem Esel über die Alpen reiten, um dem Ersten Konsul die Krone aufzusetzen. Es war Januar und ich dachte, sollte der Papst mit dem Esel über die Alpen und ganz hinauf nach Paris reisen wollen, durfte er nicht länger zögern, sonst käme er ja zum Fest zu spät. Andererseits drohte ihm die Gefahr, in Schnee und Eis zu erfrieren, weshalb es vernünftiger schien, im Frühjahr loszuziehen und in Gottes Namen zu spät zu kommen. Lieber spät als tot. Im Übrigen machte ich mir keine Sorgen um den Papst, eher sorgte mich die Rückkehr des Ehemannes. Sein Schatten eilte ihm schon voraus und verfinsterte mein strahlendes Glück. Denn in Emilias Armen ging für mich die Sonne auf. Ihr Untergang musste so lange wie möglich hinausgeschoben werden. Meine Angst allerdings war sehr übertrieben. Emilias Mann hatte mittlerweile den Italiener abgestreift. Ein Franzosenherz schlug in seiner Brust. Ja, er wollte Bürger Frankreichs werden, seit den Jakobinern ein ehrenwerter Titel. Sein Held Napoleon verkörperte für ihn die neue Welt. Endlich war einer von ganz unten gekommen und hatte sich stolz dorthin gesetzt, wo Jahrhunderte lang Könige saßen und regierten. Hatten die Jakobiner noch die Köpfe abgeschlagen, so ließ Napoleon sie an ihrem Platz, verpasste ihnen allerdings neue Gesichter. Nachdem er in Marengo die Österreicher niedergezwungen hatte, in Turin eingezogen war und mit den Bourbonen in Neapel, mit den Spaniern in Madrid und mit den Engländern in Amiens Friedensverträge unterzeichnete, verehrte ihn Emilias Mann als großen Friedensstifter. Das erzählte sie mir, während ich, von ihrem leuchtenden Körper völlig betäubt, erschlafft neben ihr auf dem seidenen Bett lag. Nach der Liebe bedeckte sie sich gerne mit einem durchsichtigen Schleier, der dann ordentlich verrutschte, wenn sie gestikulierend redete und sich dabei ereiferte. So durfte ich ihren herrlichen Busen, den weißen Bauch, in dessen Nabel ein Diamant glitzerte und die elfenbeinfarbenen Arme ungeniert betrachten. Sie hatte einen Arm angewinkelt und den Kopf in die Hand gestützt, während der andere hin und wieder hochschnellte. Dabei bemerkte ich, wie sehr mich der Kontrast ihrer hellen Haut mit dem schwarzen, gekräuselten Haartuff in ihren Achselhöhlen bis in die letzten Fasern meines Körpers erregte. Ich bedeckte sie mit Küssen und bettelte um eine weitere Lektion in kunstvoller Liebe.

„Erst wenn du mir erklärst, was man unter einem Flageolettton versteht.“

Zuerst fiel mir die Kinnlade herunter, dann griff ich an meine Brust und schließlich lachte ich schallend.

„Aber, liebe Emilia. Was ist für eine nüchterne Frage in diesem sinnlichen Augenblick.“

„Unsinn! Meine Frage ist sehr sinnlich. Wie schaffst du es zum Beispiel unendlich viele wohlklingende Töne in rasender Geschwindigkeit aus einer Saite zu locken? Deine Hand saust über die Saiten wie der Wind. Man sieht nicht, was sie treibt. Und diese Flageoletts führst du in allen Lagen deines Instrumentes aus, niemand hat das je zustande gebracht, es grenzt …“

„Gnade, Emilia!“ Ich lag wieder auf ihr. Sie verschluckte das letzte Wort und entspannte sich. Ein süßes Lächeln verklärte ihr Gesicht. „In deinen Armen bin ich nichts weiter als ein glücklicher Hund, der um mehr Liebe winselt.“

„In meinen Armen bist du ein ganzer Mann, der aus seiner Geliebten das Letzte holt.“

Vor der Gitarrenstunde erklärte ich Emilia in wenigen Worten einige Begriffe. Wir waren angezogen, hatten unsere Haare gekämmt, sahen sauber und unschuldig aus. Ich kann ehrlich behaupten, dass ich mit zweiundzwanzig noch unschuldig aussah, und Emilia kleideten ihre dreißig Jahre wie ein Brautjungfernkleid. Sie ließ den Diener Tee und etwas Gebäck bringen. Als er verschwunden war, fragte ich:

„Was wird er deinem Mann verraten?“

„Dass du hier warst und mich die Gitarre schlagen lehrtest.“

„Dein Mann wird die Gitarre an mir zerschlagen.“ Neugierig wartete ich auf ihre Reaktion.

„Hast du Zeit, Shakespeare zu lesen?“

Statt einer Antworte formte ich meine Lippen zu einem Kuss. Emilia errötete.

„Du hast sehr große schwarze Augen, in denen ein heißes Feuer lodert“, flüsterte sie und neigte sich vor. „Mit diesem Feuer wirst du die Welt erobern.“

So ein schönes Kompliment verdiente endlich die Antwort auf die von ihr zuvor gestellte Frage.

„Ich denke, du hast eine Ahnung davon, was ein Flageolett sein könnte?“

„Certamente, amore mio! Es sind die leisen Obertöne deiner Geige. Du machst sie hörbar, indem du die Saite an einem Teilpunkt mit sehr viel Fingerspitzengefühl abdrückst. Der erklingende Flageolettton ist eine Oktave höher als die Saite.“

„Brillante, tesoro mio! Dennoch solltest du wissen, dass ich außer den einfachen Flageoletttönen auch solche in Doppelgriffen der Terz, Quinte, Sexte ausführe und dass man ja auch natürliche Töne mit Flageoletttönen in Oktavengängen zusammenklingen lassen kann.“

„Ich bin erstaunt darüber, wie begeistert du von deiner Arbeit sprichst. Du liebst deine Musik.“

„Würde ich es nicht tun, wäre ich nicht hier, wäre ich nirgends, existierte ich nicht. Meine Musik bin ich.“

„Ist es nicht Hassliebe? Sicherlich hat sie dich oft gequält!“

Darauf fiel mir nicht sogleich eine Antwort ein. Natürlich lagen mir böse Worte über meinen Vater auf der Zunge. War die Schinderei, der er mich unterworfen hatte, wirklich nötig gewesen? Ich liebe die Musik, ich liebe die Mandoline, die Gitarre, die Geige. Meine Liebe gehört niemandem sonst als diesen Instrumenten und der Musik. Was wäre die Welt ohne Musik? Was wäre mein Leben ohne sie? Vater hätte mich nicht mit Essensentzug zu strafen brauchen, wenn ich statt zehn nur acht Stunden geübt hätte, denn ich habe der Musik den Platz eingeräumt, den sie für ihr Wachstum benötigte. Im Zusammenleben mit mir blieb der Musik nichts anderes übrig, als sich mit mir gemeinsam auszudehnen und zu wachsen. Schritt für Schritt Genua erwecken, aus seinem mittelalterlichen Schlaf reißen, als rebellische Melodie in sein Ohr schleichen, bis ins Innerste, dort aufräumen, die in Ketten schmachtenden Gefühle befreien. Dann weiter, Schritt für Schritt, Ton um Ton, hinaus in die Weite des italienischen Landes.

Paganini - Der Teufelsgeiger

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