Читать книгу Vom Stolpern und Tanzen - Christina Schöffler - Страница 10

7. Gesegnet

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Wann immer ich gebeten wurde, „Zeugnis“ zu geben, brach mir innerlich der Schweiß aus. Ich wusste, hier ging es nicht um meine Realschulnoten, sondern hier wurde nach meinem Bekehrungserlebnis gefragt. Leider konnte ich damit nicht wirklich dienen. Gut, ich hatte als Kind unter der Bettdecke meiner Mutter Jesus in mein Herz eingeladen. Um sicherzustellen, dass er es auch gehört hatte, habe ich es ein paar Abende hintereinander wiederholt. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass es den einen Moment gab, in dem Jesus mich saulusmäßig zu Boden warf – keine „Dunkel/Hell“- Situation, mit der ich eine rechtmäßige Bekehrung beweisen könnte. Es war eher wie ein langsames Aufwachen – wie wenn man nicht weiterschlafen kann, weil man spürt, dass es draußen hell geworden ist.


Aber es gibt doch Momente, die etwas Besonderes für mich waren: zum Beispiel der Tag meiner Konfirmation, an dem ich neben meiner Cousine auf der harten Holzbank kniete, um von unserem Pfarrer gesegnet zu werden. Hier erfüllte mich plötzlich eine solche Freude, dass ich nur noch damit beschäftigt war, nicht laut loszulachen. Ich wusste, wenn ich damit anfing, würde ich eine Weile nicht mehr aufhören können. Damals dachte ich, es wäre mein „Teenager-Kichern“, das mich immer mal wieder überfiel. Im Rückblick spüre ich diese Freude immer noch so tief, dass ich glaube, es war Gottes Geist, der in mir gejubelt hat.

Für mich ist es deshalb immer etwas ganz Besonderes, wenn jemandem segnend die Hände aufgelegt werden. Weil es mir zeigt, dass Gott den Anfang macht. Er streckt seine Hände nach mir aus, lange bevor ich nach ihm greifen kann. Er entscheidet sich für mich. Was für eine wundervolle Sache!

Ich versuchte also, mein inneres Lachen zu unterdrücken, und stand vor meinem Pfarrer, der mir nun meinen Denkspruch vorlas (ein Bibelvers, den jeder Konfirmand für sein Leben zugesprochen bekommt): „Denn des Herrn Wort ist wahrhaftig, was er zusagt, das hält er gewiss“ (Psalm 33,4; L12).

Ich glaube, es gibt Bibelworte, die uns ein Leben lang begleiten und die Gott uns immer wieder zuspricht, damit sie uns in schwierigen Zeiten trösten. Für mich ist mein Denkspruch so ein Vers. Er hat mich immer wieder daran erinnert, dass Gott treu ist und dass er Wort hält.

Es gibt Situationen, in denen unser Glaube (oft jahrelang) auf die Probe gestellt wird. Sie stellen uns die drängende Frage: „Wenn Gott wirklich gut ist, warum tut er dann nichts, um die Situation zu ändern?“ Eine Krankheit, eine schwierige Partnerschaft, ein innerer Konflikt, Probleme mit einem Kind, jahrelange Arbeitslosigkeit, finanzielle Not ...

Für mich war es die Einsamkeit meines Singleseins, mit der ich immer wieder zu kämpfen hatte. Einen Teil dieser Kämpfe habe ich im letzten Kapitel beschrieben. Ich sehnte mich nach einem Partner, aber da waren auch die Scherben in mir, die mir zuflüsterten: „Dieser Wunsch kann niemals wahr werden. Du bist viel zu kaputt. Vergiss es.“ Aber es war, als würde Gott mir etwas anderes sagen. Eine leise Verheißung, ein Lächeln Gottes, dass er es gut machen würde.

Mit Anfang zwanzig hörte ich von dem Prediger David Pierce. Er hatte den Wunsch nach einer Ehefrau an Gott abgegeben und war bereit, alleine zu bleiben. Und wenige Tage(!) später traf er seine zukünftige Frau. Nicht schlecht, dachte ich mir, und tat dasselbe. Ich gab meinen Wunsch zu heiraten auf und hoffte insgeheim, dass nun der wunderbare Mann um die Ecke kommen würde – aber er kam nicht. Nicht in den nächsten Wochen, nicht in den nächsten Monaten und auch nicht in den nächsten Jahren. Von dem Mann war weit und breit nichts zu sehen.

Aber einer war da – mein Freund Jesus. Immer wieder, wenn mich die Einsamkeit überfiel, wenn ich mit meiner Verzweiflung und dem Versagen kämpfte, tröstete er mich. Ich glaube wirklich, dass niemand auf der Welt so unglaublich gut trösten kann wie Jesus. Er war der treue Freund, der immer für mich da war. Immer wieder spürte ich seine segnende Hand, und dann stieg Jubel in mir auf – und die Tränen versiegten. Auch wenn die Sehnsucht nach einem Partner aus Fleisch und Blut blieb. Und es war mir, als würde Jesus sagen: „Vertrau mir. Ich mache es gut mit deinem Leben.“ Manchmal konnte ich es glauben, manchmal fiel es mir schwer.

Die Jahre vergingen, und ich hatte mich innerlich schon fast damit abgefunden, nicht mehr zu heiraten (geschweige denn, ein Kind zu bekommen), aber ich musste auch mit der Enttäuschung kämpfen, weil Gott mich ständig ermutigt hatte, ihm in dieser Sache zu vertrauen. Mit Ende dreißig lief ich durch die Weinberge bei Freiburg. Wie schon in den Jahren davor war ich im Haus der Stille zu Gast, um auf Gott zu hören und zur Ruhe zu kommen.

Wieder einmal fragte ich ihn: „Gott, habe ich dich richtig verstanden? Soll ich das Ganze nicht doch vergessen, um nicht ewig umsonst zu hoffen? Ich meine, schau mich doch mal an? Ich werde alt! Du hast die Dimensionen der Ewigkeit, aber wir sind hier zeitlich etwas begrenzt.“

Ich ging zum Abendgottesdienst in die kleine Kirche, und Pfarrer Wolfsberger predigte über die alt gewordene Sara und die Verheißung, dass sie schwanger werden und einen Sohn bekommen würde. Und Sara lachte. Weil sie sich anschaute und sich sagte: Gott, das ist vielleicht ein wenig zu spät. Ich saß in der alten Kirchenbank und wusste genau, was Sara meinte. Und der Pfarrer fuhr fort: „Sara schaute sich an, sie sah die Verheißung und sie lachte. Ein Jahr später hörte man Kinderlachen und Gott lachte. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ Und dann bat er die kleine Gemeinde, die an diesem Abend aus ein paar Bauern und einigen wenigen Gästen bestand, vor den Altar zu kommen und zusammen das Abendmahl zu feiern. Ich schmeckte das Brot und den Wein, und wieder erfüllte mich diese unbändige Freude. Gott ist da. Er sieht mich.

Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Jahrelanges Sehnen und Hoffen und Ausschauhalten – und da steht einer meiner besten Freunde neben mir und wir verlieben uns ineinander. Wir reiben uns verwundert die Augen und denken: Ist das denn möglich? Du? Und ich weiß in meinem Herz, dass es genau richtig ist, hier und jetzt, und dass dieser Mann das Allerbeste ist, was mir passieren konnte. Und dann halte ich mit zweiundvierzig Jahren meinen kleinen Sohn im Arm. Eine alte, junge Mutter, die es kaum fassen kann, dass ihr so etwas noch passiert. ICH! VERHEIRATET. EIN KIND. Es ist unfassbar.

Es ist der Beginn eines Mosaiks, wie es schöner nicht sein könnte. Und manchmal, wenn ich mit meinem Sohn Autos hin und her schiebe oder wir zusammen durch die Küche tanzen, spüre ich Gottes Strahlen über uns. Als würde er mich anlachen und sagen: „Siehst du? Bei mir ist alles möglich. Und was ich sage, wird wahr.“

Ich schreibe hier mit tiefem Respekt vor Gottes unterschied-licher Führung in unserem Leben und jeder Geschichte, die etwas ganz Besonderes ist. In manchen unserer Geschichten sind es krasse Bekehrungen, bei manchen sind es sanfte Sonnenaufgänge. Bei manchen ist es eine Konfirmation, bei anderen eine Segnung oder Taufe in der Badewanne. Oft ist es ein klarer Weg mit Hochzeit und Kinderkriegen, andere sehnen sich vergeblich danach. Manche erleben das Scheitern einer Ehe oder müssen sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung mit ganz anderen Sehnsüchten und Fragen auseinander setzen. Es gibt schwere Wege, und wahrscheinlich ist am Ende kein Leben wirklich einfach.

Ganz bestimmt glaube ich nicht, dass unser Leben erst dann gesegnet ist, wenn wir Ehepartner oder Kinder haben. Ich finde es auch unglaublich schwer, zwischen meinen eigenen Erwartungen, Hoffnungen und Wünschen und Gottes Verheißungen zu unterscheiden. Wir leben mit vielen Fragezeichen, mit unerfüllten Sehnsüchten und Verlusten, solange wir hier auf dieser Welt leben. Ich kann Gottes Führung oft erst im Nachhinein sehen. Meistens befinden wir uns mitten in einem Geheimnis, das wir nicht auflösen können, sondern leben müssen. Aber vielleicht kann dieser Teil meiner Geschichte ein wenig Mut machen.

Manchmal stecken wir so lange in einer bestimmten Lebenssituation fest, dass die Vorstellung, es könnte sich noch etwas verändern, fast unmöglich scheint – egal, was Gott dazu sagt.

Manchmal denken wir: Ich bin zu kaputt; in diesen Bereich meines Lebens kann keine Heilung fließen. Und dann erleben wir gerade in dem Bereich die größten Wunder.

Manchmal sprießt aus alten, knorrigen Ästen plötzlich blühendes Leben. Einfach deshalb, weil Gott es so gesagt hat. Und es wird in unsere Hände gelegt – als Vorgeschmack auf das unfassbar Gute, das Gott für die vorbereitet, die ihn lieben.

Unser Sohn heißt Samuel, und das bedeutet: „Gott hört!“, oder: „Gott hat erhört.“ Er hört sogar die Bitten, die wir uns nicht mehr trauen, laut auszusprechen.

Jetzt bin ich seit vier Jahren Mama. Ich bin immer noch etwas fassungslos und beiße noch jeden Abend vor Freude in die Bettdecke. (Ich denke mal, das wird spätestens dann aufhören, wenn er in die Pubertät kommt.) Und dann knie ich mich neben sein Bett, lege meine Hände auf sein meist verschwitztes, müdes Kinderköpfchen und segne ihn. So wie ich gesegnet wurde. Und ich muss an die Worte von Bonhoeffer denken:

Segnen heißt, die Hand auf etwas legen und sagen:

Du gehörst trotz allem Gott ...

Wir haben Gottes Segen empfangen im Glück und im Leiden.

Wer aber selbst gesegnet wurde, der kann nicht anders, als diesen Segen weitergeben.

Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden. Dieses Unmögliche ist der Segen Gottes.8

Dieser Segen ruht wie eine stille Kraft auf unseren Tagen. Ich habe ihn in meiner Kindheit erlebt, in Zeiten, in denen ich nur ein paar Krümel zu geben hatte, und auch da, wo ich an meinen eigenen Idealen gescheitert bin. Ich habe diesen Segen in meinen „HOCHzeiten“ empfangen und mitten in meiner Bedürftigkeit und dem Zerbruch. Ich war gesegnet in der Hoffnung und im Scheitern. Auch im Dunkel. Jesus war da. Er ist der größte Segen meines Lebens.

Und vielleicht verbinden unsere Geschichten letztlich diese Worte, die ich Klaus Vollmer mehr als einmal beten hörte: „Jesus, mach aus meinem Leben, was du willst. Nur: Mach etwas aus mir!“ Er macht unser Leben, aus allem Unmöglichen heraus, zum Segen. Das glaube ich ihm.

Vom Stolpern und Tanzen

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