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8. Souvenirs

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Jahrelang stand in meinem Wohnzimmerregal ein kleiner, vergoldeter Eiffelturm. Er ist eine Erinnerung an ein Wochenende in Paris. Aber bei Nachfragen musste ich zugeben, dass ich nie auf dem Eiffelturm war. Ich erinnere mich nicht einmal, ihn von Weitem gesehen zu haben. Damals war ich in einer rebellischen Teenie-Phase und dachte mir: Nur weil alle da hoch wollen, muss ich das nicht auch machen. Aus unerfindlichen Gründen habe ich trotzdem diesen kleinen Eiffelturm mitgebracht. Vielleicht wollte ich ein bisschen damit angeben. Aber eigentlich bedeutete er mir nichts. Ich habe nicht viel dafür ausgegeben. Mit Sicherheit also kein echtes Gold. Und auch kein echtes Erlebnis, das an diesen Turm geknüpft ist. Irgendwann habe ich ihn entsorgt. Ohne Bedauern.

Ein anderes Souvenir bewahre ich aber auf wie einen Schatz. Es ist ein ganz gewöhnlicher Stein. Nichts Besonderes, und kaum jemand fragt nach, was er bedeutet. Wer es aber doch tut, hört dazu folgende Geschichte:

Ich war mit einer Freundin auf einer Studienreise in Israel, und an einem Tag besuchten wir die Stadt Bethlehem. Durch den israelischen Checkpoint erreichten wir das mit Stacheldraht und Mauern umzäunte Westjordanland. Es war unglaublich heiß. Und ich bin nicht wirklich hitzebeständig. (Meiner Ansicht nach sind 20 Grad und Wolken am Himmel ein perfekter Sommertag.) Völlig verschwitzt saß ich also mit der Reisegruppe im Schatten auf einem dürren Feld, in Sichtweite eine Schafherde und der Ort Bethlehem. Unser Studienleiter erzählte uns die alte Geschichte von Weihnachten, die sich irgendwo in der Nähe, auf einem Feld wie diesem ereignet hat. Ich hörte die vertrauten Worte: „Es begab sich aber zu der Zeit ...“, und die Weihnachtsbotschaft eroberte mein Herz auf eine Art und Weise, wie es kein schneebedecktes, lametta-geschmücktes deutsches Weihnachtsfest jemals geschafft hatte. Auf diesem Flecken staubiger, umkämpfter Erde klangen die Worte wie eine zum Aufschluchzen erlösende Antwort auf jahrhunderte langes Warten und Sehnen. Über so einem Feld öffnete sich der Himmel einen Spalt und überwältigt sanken Menschen in diesem kleinen Ort vor einem Baby auf die Knie. Hier begann unsere Geschichte: Gott kommt zu uns ins echte, verschwitzte und dreckige Leben. Um es zu erlösen. Ich nahm einen Stein, der neben mir im Feld lag, und seither liegt er zu Hause in meinem Regal.

Der Eiffelturm sah sicher beeindruckender aus. Aber damit habe ich kein eigenes Erlebnis verbunden. Ich kann nicht erzählen, wie ich die Treppen hinaufgekeucht bin oder wie ich die überwältigende Aussicht über die Stadt der Liebe genossen habe. Nie dort gewesen. Nicht meine Geschichte. Aber jedes Mal, wenn mein Blick auf den kleinen, unauffälligen Stein fällt, denke ich an Hitze und Schweiß und an ein Hirtenfeld in Bethlehem. Und an Gott, mitten unter uns.

Bei Emilie Freeman habe ich gelesen, dass Bücher und Geschichten, die wir schreiben, wie Souvenirs sind, die wir von unserem wahren Erleben mitbringen.9 Von den stillen Orten unserer Seele. Wenn wir genau hinschauen und hinhören, bekommen wir etwas in die leeren Hände gelegt. Es sind Erinnerungen an das „verborgene Leben mit Christus in uns“, wie es in Kolosser 3,3 heißt – daran, dass wir ihm begegnen können, mitten in unserem Alltag. Windelgeruch in der Nase. Im Stau auf dem Weg zur Arbeit. Beim Kloputzen und Wäsche aufhängen. Beim To-do-Listen-Abarbeiten. Im Staub und Schmutz umkämpfter Erde. Genau hier ist der Ort, an dem Gott seine Geschichten mit uns schreibt. Er kommt an unsere Seite. Ins echte, dreckige Leben. In unser Menschsein. Um uns zu erlösen.

Die Geschichten in diesem Buch sind solche Souvenirs aus meinem Leben, so wie es gerade ist – als Hausfrau und Mutter eines kleinen Sohnes. Eine besondere Zeit, die ich genieße, aber in der ich mich auch so müde fühle wie nie zuvor in meinem Leben.

Wahrscheinlich bin ich dem einen oder anderen von euch schon begegnet: Ich bin die Mutter, die vor euch an der Kasse steht und feststellt, dass sie wieder die Hälfte vergessen hat. Ich bin die Fremde, die dir freundlich zuwinkt (weil ich dringend Kontaktlinsen brauche!) und die meistens hektisch versucht, einen wilden Jungen einzufangen. Ich bin die Frau, die eindeutig ein paar Kilos zuviel auf den Rippen hat und deren Klamotten leider zu oft die Essensreste der letzten Mahlzeiten zeigen. Mein Leben ist so gewöhnlich wie der Stein in meinem Regal.

Aber es ist auch so viel mehr. Es ist der Ort, an dem ich Jesus begegne. Im Dreck, im Ehestreit, in meinem Ärger, meiner Ungeduld (vor allem mit mir selbst!), auf den Spaziergängen im Park, beim Mama-Sein, in meiner Gemeinde, in der Kneipe mit meinen Freunden und wenn ich abends alleine auf dem Sofa sitze. Immer wieder laufe ich dem ewigen Gott über den Weg, mitten in der Vergänglichkeit des Lebens. Er umarmt mein Menschsein. Er zeigt mir ein wenig mehr von sich. Seine Liebe verändert alles. Auf staubiger Erde flüstert er mir zu, dass er alles erlösen kann. Und manchmal öffnet er auch einen kleinen Spalt zum Himmel.

Das, was wir voneinander sehen, sind oft ganz gewöhnliche Steine. Aber sie sind alles andere als unbedeutend. Es sind Souvenirs von den wahren, echten und ewigen Geschichten, die wir leben. Wenn wir sie genau anschauen, dann ist es, als würden wir wie die Goldgräber am Bach stehen und genau beobachten, wie der Sand durch die Finger rinnt, um das Gold zu erkennen. Gott ist da. Wir müssen nicht auf den Eiffelturm klettern, um ihn zu finden. Jedes staubige Feld ist gut genug für seine Gegenwart.


Vom Stolpern und Tanzen

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