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5. Meine Sterne

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„Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Sie ein so positives Gottesbild haben!“ So wunderte sich meine Therapeutin, die mir während meines Burnouts zur Seite stand.

Es stimmt – manches in meinem bisherigen Leben war geradezu optimal dafür geeignet, ein richtig negatives Gottesbild zu bekommen. „Pass auf, kleines Auge, was du siehst – denn der Vater in dem Himmel schaut herab auf dich!“, sangen wir in der Kinderstunde und es klang wie eine Drohung. Wir hörten viel darüber, was alles Sünde war und wovon wir uns fernhalten sollten. Strickjäckchen und klassische Musik waren definitiv christlicher als zerrissene Jeans und Punk, auch wenn mir nicht so richtig klar war, warum. Und während meiner Ausbildung bei den Ordensschwestern hörte ich oft den Satz: „Mein Lohn ist, dass ich darf!“, und so durften wir den Patienten abends noch aus der Bibel vorlesen und zu jeder Andacht gehen, die angeboten wurde. Und nicht wenige von uns quälten sich mit dem Gedanken, was an uns wohl falsch sein mochte, weil wir so wenig „dürfen“ wollten.

Ich muss dabei an meinen kleinen Sohn Samuel denken, der so gerne Bilder ausmalt und manchmal völlig verzweifelt darüber ist, wenn er über die Linien malt. Dann ermutige ich ihn und sage: „Das ist doch nicht so schlimm! Schau mal, was für ein tolles Bild das wird! Mal einfach weiter.“ Aber eigentlich weiß ich, wie er sich fühlt.

Ich glaubte lange, es ginge bei der Sache mit Jesus vor allem darum, nicht über die Linien zu malen. Darum, richtig und falsch zu unterscheiden und mein Leben innerhalb bestimmter Grenzen zu leben. Aber da waren auch die Menschen, die mir die Freude am „Malen“ beigebracht haben. Menschen, die mit strahlenden Augen über einen Gott redeten, der uns unbändig liebt und der aus meinem Leben einen Segen machen kann, trotz all des Widersprüchlichen in mir.

Diese Menschen sind für mich wie Sterne am Nachthimmel. Ihre Worte waren voller Gnade und für mich Trost und Orientierung. Deshalb habe ich ein Bild von Gott, das zum Niederknien schön ist. Und jeder Satz in diesem Buch, der vielleicht mutmachend und tröstlich ist, ist vor allem dem Strahlen zu verdanken, das mir diese Menschen von Jesus ins Herz gelegt haben.

Manche Sterne sind auf dieser Erde schon verglüht, und dennoch strahlen sie weiter. So wie die Worte von Klaus Vollmer. Er war Theologe und Evangelist der lutherischen Kirchen Hannovers, und immer wenn er in unsere Nähe kam, um zu predigen, ließen sich meine Eltern durch nichts davon abhalten, dabei zu sein. Meine Mutter ist einmal fast aus dem Auto gefallen, weil sie vergaß sich abzuschnallen und schon loslaufen wollte, um nicht zu spät zu kommen.

Ich sehe noch meinen Vater vor mir, wie er dasaß und die Worte in sich aufnahm wie frisches Wasser, das durch eine ausgedörrte Kehle fließt. Er schrieb fast jeden Satz mit, in ein kleines Büchlein, das ich nach seinem Tod aufbewahrt habe. Auf der ersten Seite steht ein Satz, den mein Vater dann später noch einmal unterstrichen hat: „Ich, Gerhard, bin Gottes geliebtes Kind – auch wenn sich alles dagegen stellt – ich glaube es ihm!“ Ich glaube, dieser Satz drückt sehr gut das Herzstück von dem aus, was Klaus Vollmer vermitteln wollte. Er malt ein Bild von einem Gott, der uns unendlich liebt, in all unserer Widersprüchlichkeit, in der tiefsten Dunkelheit, die in unserem Herzen ist. Über uns ist ein ewiges JA. In der Bibel steht, dass unsere Lehrer leuchten wie die Sterne am Himmel. Wie dankbar bin ich für diesen Lehrer!

Und dann sind da die Jesus Freaks, seit über zwanzig Jahren meine Gemeinde. Ich glaube was Punks und FroKis an dieser Bewegung gleichermaßen anzog, war das, was meine Eltern bei Klaus Vollmer gefunden haben: den Zuspruch, dass wir Gottes geliebte Kinder sind, so wie wir sind. Auch wenn sich alles dagegen stellt.

Die Botschaft der Gnade.

Jesus, der alles in uns versöhnen und heil machen kann.

Ich habe so viele wunderbare Weggefährten kennengelernt. Menschen, die auf der Bühne weinend über ihr Scheitern reden konnten, die Jesus mit einer Anhänglichkeit und Leidenschaft lieben, wie junge Hunde es tun, wenn sie nach jahrelanger Vernachlässigung plötzlich ein gutes Zuhause finden. Freunde, die trotz Verletzungen und Enttäuschungen nicht aufgeben, die jahrelang ihre Hoffnung immer wieder neu zusammenkratzen und Jesus hinterherstolpern. Kämpferherzen. Sie sind sich darüber im Klaren, wie sehr sie Jesus brauchen. Und sie schämen sich nicht dafür.

Und dann sind da die Kinder mit Behinderung, bei denen ich mehr als vierzehn Jahre gearbeitet habe. (Und da kommt „Mein Lohn ist, dass ich darf“ der Sache tatsächlich ziemlich nahe!) Sie haben mich mit meiner eigenen Armut in Berührung gebracht und mir gezeigt: Es ist okay. Du und ich, wir sind Menschen, die verletzlich und hilfsbedürftig sind. Und unsere Schwachheit ist keine Zumutung für andere, sondern kann zum Geschenk werden.

Diese Kinder haben mir ein Geheimnis aus Gottes Land gezeigt, in dem ich leben will: Ein Land, in dem die Armen gesegnet werden und das Schwache erwählt wird. Wo die Letzten zu den Ersten werden und die zarteste Kraft zur stärksten wird. Und wo am Ende alle über die Ziellinie getragen werden. Diese Kinder haben mir immer wieder vor Augen gehalten, wie wichtig es ist, sich einfach lieben zu lassen. Meine kleinen, strahlenden Sterne.

Ich könnte seitenlang so weiterschreiben und euch Namen nennen von Menschen, die mich gesegnet haben. Oft waren es nicht die tollen geistlichen Helden, sondern Menschen, die, wie Jakob, ihre Kämpfe mit Gott ausgefochten haben und hinkend und gesegnet daraus hervorgegangen sind.

Und es waren die Bücher von Adrian Plass, Henri Nouwen oder Philip Yancey, die ich förmlich verschlungen habe. Und die Worte von Brennan Manning, diesem ehemaligen Priester und Alkoholiker mit einer gescheiterten Ehe, der sich selbst als den „fast Blinden“ bezeichnete, „der anderen den Weg zeigte und sich selbst dauernd verlief“.4

In seinem Vorwort zu Brennans Lebensgeschichte schreibt sein Freund Philip Yancey: „Unser religiöser Hintergrund hätte nicht unterschiedlicher sein können ... und doch waren wir beide auf unterschiedlichen Wegen zu der sprudelnden Quelle der Gnade gekommen, dessen Wasser wir seither gierig trinken.“5

Ich glaube, das verbindet diese Menschen, die wie Sterne der Liebe Gottes in meinem Leben sind: Sie trinken gierig aus Gottes Gnade und reichen dann den Becher weiter an alle, die durstig sind.


Am Ende seines Lebens, nachdem er so vielen Menschen Mut gemacht hat, Gottes Liebe zu vertrauen, schreibt Brennan Manning über sich: „Wenn sie mich fragen würden, ob ich es endlich zulassen kann, dass Gott mich so liebt, wie ich bin, würde ich sagen: ‚Nein, aber ich versuche es.‘“6

Vielleicht bleiben wir immer durstig nach Gottes Gnade. Vielleicht wird der Zweifel in mir nie zur Ruhe kommen, dass ich doch zu viel über die Linien male und mein Leben Gottes kritischem Blick nicht standhält. Deshalb brauche ich ein Leben lang solche Menschen, die mich immer wieder daran erinnern, dass Gott mich unendlich liebt. Trotz allem. Ich trinke gierig von ihren Worten und will den Becher an andere weiterreichen, die auch durstig sind.

Manchmal schaue ich auf das Dunkel in meinem Leben und bin entmutigt, weil ich nicht glaube, dass Jesus etwas aus mir machen kann. Und dann denke ich an die Worte aus einer Predigt von Klaus Vollmer, die mein Vater aufgeschrieben hat: „Wir müssen nichts weiter tun, als uns immer wieder in die Sonne legen und Jesus glauben, dass wir geliebt sind. Trotz allem. Dann fangen wir ganz einfach an zu strahlen.“ Wie die Sterne.

Vom Stolpern und Tanzen

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