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Schneebälle ans Fenster


Und noch einmal fällt draußen der Schnee. Es ist später Nachmittag und ich schaue von unserer warmen Küche aus zu, wie die dicken Flocken unter der Straßenlaterne tanzen, während Samuel jubelnd nach draußen läuft, um mit der Zungenspitze nach ihnen zu jagen. In unregelmäßigen Abständen prallt ein Schneeball an die Verandatür. Eindeutig eine Aufforderung, das kuschelige Nest zu verlassen und ihm nach draußen zu folgen. Ich versuche, die Störung zu ignorieren, bis ein noch größerer Schneeball ans Fenster kracht und das Rufen von draußen lauter wird. Seufzend suche ich nach meinen Stiefeln und Handschuhen und zwänge mich in die Winterjacke. Ich trete über die Türschwelle und atme tief die kalte Luft ein. Ich mag diesen Geruch von frisch gefallenem Schnee. Und die Luft hier draußen macht mich so lebendig! Das vergesse ich an manchen Tagen fast, an denen ich mich in der warmen Wohnung verkrieche. Ich finde Samuel in unserem Garten, wie er jauchzend Schneeengel macht. Grüßend läuft unsere junge, fröhliche Nachbarin am Zaun vorbei: »Ich vermisse unsere Montagabende!«, ruft sie und ich kann nur zustimmend nicken.

Unsere Montagabende. Letzten Winter haben wir damit begonnen. Aber eigentlich fing die Geschichte schon mitten im Sommer an. Da hatte ich eine Gartenlesung geplant. Das ganze Ausmaß dieser Einladung wurde mir erst in dem Moment so richtig bewusst, als ein Freund, der für den musikalischen Teil zuständig war, mich fragte, ob er Anlage und Verstärker selbst mitbringen sollte. Da wurde mit klar: Die Sache könnte laut werden. Und ich hatte bei der Planung nicht bedacht, dass im Sommer die Balkone und Gärten rund um unseren Hinterhof voll mit Nachbarn sein würden. Und die würden nun meine Lesung, die Musik – einfach alles! – live miterleben. Oh nein! Kurz war ich versucht, das Ganze doch in den Gemeinderäumen abzuhalten. Aber dann gab ich mir einen Ruck. Ich informierte die Nachbarn über die bevorstehende Veranstaltung. Einer meinte nur lakonisch: »Alles klar, dann mach ich die Balkontüre zu«, andere fragten interessiert nach: »Eine Lesung? Interessant. Wer kommt denn und liest?« Ich gestand, dass ich selbst Bücher schreibe (»Ja, doch, über mein Leben mit Jesus, Alltagsgeschichten …«). Wahrscheinlich hätte ich mich nicht mehr geschämt, wenn ich gesagt hätte, wir würden an dem Abend ein paar Pornos in unserem Garten drehen. Eins meiner Bücher landete dann auch in den Händen einer Nachbarin, von der ich ziemlich sicher war, dass sie kein großes Interesse an Glaubensthemen hatte. Zumindest hatte sie nie nachgefragt, wenn ich, beim gemeinsamen Grillen etwa, ein kurzes Tischgebet gesprochen hatte. Das mit dem Tischgebet halte ich so, weil wir das immer so machen. Und weil ich nicht will, dass sich Jesus meinetwegen schämt, wenn ich mich seinetwegen schäme. Und in den letzten Jahren mache ich es vor allem, um Samuels lauter Frage vorzubeugen: »Mama, warum beten wir denn nicht? Das machen wir doch sonst auch immer!« Gut, den schnell gesprochenen Satz »Danke, Jesus, für das Essen!« kann man natürlich auch als kleinen Seufzer verstehen: »Gott sei Dank, es gibt Essen!« Für mich aber war das ausbleibende Nachfragen der Nachbarn der Beweis: Sie interessieren sich nicht für meinen Glauben. Und aufdrängen will man sich ja nicht. Außerdem wirkte ihr Leben von außen betrachtet einschüchternd perfekt: Haus, kluges Kind und Karriere. Wer braucht da noch Jesus? Genau dieser Nachbarin drückte ich, auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, mein Buch in die Hand und verbrachte daraufhin zwei etwas unruhige Nächte. Nun würde sie also meine Glaubensgeschichte samt allen peinlichen Details meines Lebens lesen und sich köstlich über mich amüsieren. So in etwa stellte ich mir das vor.


Was ich mir nicht vorgestellt hatte, war, dass sie mich nach zwei Tagen in unserem Garten abpasste und mir mit Tränen in den Augen gestand, wie sehr sie sich wünschte, so glauben zu können. Sie erzählte von schweren Erlebnissen und dass sie vor kurzem ihrem Sohn zuliebe wieder in die Kirche eingetreten war. Leider hatte der Pfarrer sich kaum Zeit für ein Gespräch genommen und ihre Glaubensfragen nur zögerlich beantwortet, als wären sie ihm unangenehm. Was sie sehr enttäuschend fand. Wenig später saß ich völlig baff neben Heio auf dem Sofa und sagte: »Ich will nie wieder der Lüge glauben: ›Der andere interessiert sich ja sowieso nicht für Jesus‹!« Vielleicht ist das der einfachste Trick, mit dem es dem Teufel gelingt, die beste Nachricht der Welt für uns zu behalten (und über den Teufel sollte man besser auch nicht reden).

Vor einiger Zeit habe ich einen wunderbaren Artikel von Verena Friederike Hasel in der ZEIT gelesen. Durch die Fragen ihrer Kinder über Gott kam sie, die selbst wenig mit Glauben zu tun hatte, ins Nachdenken. Sie schreibt:

»Es ist geschehen, was ich nie für möglich gehalten habe. Meine Kinder glauben an Engel, sie glauben an ein Wiedersehen nach dem Tod, sie glauben, dass Gott auf sie aufpasst. […] Und als wir im Sommer in den Schweizer Bergen an einer Kirche vorbeikamen, hinterließen sie neben dem Altar Briefe an Gott. Die Gelegenheit erschien ihnen günstig. ›Hierher hat es Gott nicht so weit‹, erklärte mir die Fünfjährige. Sie wurde zu dieser Zeit von Albträumen geplagt und diktierte mir für ihren Brief, dass Gott machen solle, dass diese Träume verschwinden. In der darauffolgenden Nacht schlief sie ruhig wie lange nicht mehr.«

Nach diesen Erlebnissen, so berichtet die Autorin, fing sie an, in ihrem Umfeld darüber zu reden, und merkte, wie schwer es allen fiel, über Glaubensfragen zu reden – selbst den Bekannten, die regelmäßig zur Kirche gingen. Schließlich landete sie in einem Glaubenskurs und konnte hier endlich ihre ganzen Fragen loswerden. Am Ende nahm sie nicht alle Antworten schön eingetütet mit, war jedoch berührt: »Ich glaube weiterhin nicht, mir ist aber die Schönheit des christlichen Glaubens bewusst geworden. Da kommt einer, um die Menschen zu retten, und ist das wehrloseste aller Wesen.«9

Mich hat der Artikel nachdenklich gemacht. Wieso fällt es uns so schwer, über den Glauben zu reden? Also nicht über Religion im Allgemeinen. Über den Islam und Buddhismus und alles Mögliche kann man sich ja entspannt bei einem Bier austauschen. Solange der Name Jesus nicht fällt. Dann kommt es meistens ziemlich schnell nach kurzer peinlicher Pause zu einem Themenwechsel.

Ich beschließe, das Thema nicht mehr zu wechseln. Schließlich hat meine Nachbarin damit angefangen. Könnte ein Glaubenskurs ihr auch weiterhelfen? Dunkel erinnere ich mich, dass es in den Achtzigerjahren so etwas gab. Meine Freundin Becky, die zu der Zeit auch eine Freundin hatte, die sehr viele Fragen über den Glauben stellte, recherchierte und fand heraus: Es gibt sie noch, die Alphakurse. Heute ganz wunderbar aufgepeppt mit kleinen Videosequenzen über die Inhalte des christlichen Glaubens.10 Alles, was man tun muss, ist: Leute einladen, Essen kochen, Film anschauen und sich im Anschluss heiter darüber austauschen. Ich fand das eine tolle Sache – bis zu dem Zeitpunkt, an dem Becky einen Termin für den ersten Abend vorschlug. Manchmal ist es echt anstrengend, Freunde zu haben, die so furchtbar konkret werden! Natürlich fand ich die Idee auch gut, aber ich hätte doch niemals ernsthaft daran gedacht, sie auch umzusetzen! Nun war ich also an der Reihe einzuladen: zu 14 (!) Abenden über den Glauben. Also ehrlich, wer will schon 14 Abende lang über den Glauben reden?! Beckys Freundin wollte. Wenn wir uns nicht nur zu dritt treffen wollten (14 Abende lang!), musste ich also nachlegen. Beim nächsten Playdate meines Sohnes ließ ich bei der sympathischen Mama eine Einladung mit dem Hinweis zurück, dass sie ja sicher kein Interesse habe und 14 Abende ja auch viel zu viel seien und es bei ihren zwei kleinen Kindern völlig verständlich sei, dass sie nicht kommen wolle. Sie sagte zu. Die restlichen Einladungen verteilte ich im Anschluss an die Begräbnisfeier des Nachbarhasen. Am Ende konnte die Nachbarin, deretwegen ich den Kurs ursprünglich anbieten wollte, leider doch nicht. Dafür kam eine junge Nachbarin, die ich mit ihrer fröhlichen Art schon länger ins Herz geschlossen hatte. Erst meinte sie noch: »Ich schau mal, hab aber wahrscheinlich keine Zeit«, um kurz vor Start zu sagen: »Ich bin dabei!«

Und so begann unser Mini-Alphakurs im letzten Jahr. Unsere Montagabende. 14 Mal. Es war ein echtes Abenteuer. Ich war aufgeregt wie lange nicht mehr. Jedes Mal sagte ich zu Jesus: »Wenn du nicht auftauchst, dann stehen wir echt blöd da. Bitte, bitte hilf uns!« Und pünktlich klingelten unsere Gäste an der Tür, brachten Essen und gute Laune mit und wir unterhielten uns über stressige Kinder, Bauvorhaben und TV-Serien, lachten und schwatzten – bis ich mit dem Blick zur Uhr und einem Stoßgebet den Fernseher anstellte und wir uns damit befassten, was wir Jesusnachfolger so glauben. Und Montag für Montag wurde mir die Schönheit meines Glaubens bewusst. Und ich meine, den anderen ging es ähnlich.

An unserem letzten Abend baten wir um ein kleines Feed­back der beiden Frauen, die bis dahin durchgehalten hatten. Was sie sagten, war: »Die Einladung war für uns etwas Besonderes. Es war eine Ehre, dass wir dabei sein durften. Wir haben so viel darüber gelernt, was Glauben bedeutet. Danke.« Ihre Geschichten mit Jesus werden weitergehen. Da bin ich mir sicher. Sie hat ja auch schon lange vor unseren 14 Abenden angefangen. Aber wenn ich an diese Zeit zurückdenke, dann geht es mir wie der Nachbarin, die inzwischen eine Freundin ist: Ich vermisse unsere Montagabende.

Mittlerweile ist es draußen dunkel geworden. Ich baue mit Samuel im Schein der Straßenlaterne einen Schneemann und denke an den Gott, der kommt, um uns Menschen zu retten, und frage ihn lächelnd: »Du bist die ganze Zeit hier draußen, oder? Du wirfst Bälle an unser Fenster, machst Schneeengel im Garten und lockst und wartest darauf, dass wir rauskommen, um bei deinen Geschichten mitzumachen. Und jedes Mal, wenn ich die Bequemlichkeit und die Bedenken abschüttle, um dir nach draußen zu folgen, dann spüre ich: Hier draußen, hier ist die Luft, die meinen Glauben lebendig macht!«

Vom Heimat finden und Himmel suchen

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