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2.4 Epistemisches Schreiben

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Der Begriff des epistemischen, d.h. erkenntnisbildenden Schreibens geht auf Bereiter (1980) zurück, in dessen Schreibentwicklungsmodell epistemisches Schreiben die höchste Stufe ist. Sie wird erst in der Adoleszenz erreicht – wenn überhaupt. Schreiben als Bewusstmachung, mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns und des Wissenserwerbs, spielt in der Fremdsprachendidaktik eine eher ungeordnete Rolle, was nicht nur daran liegt, dass die fremdsprachlichen Kenntnisse des Schreibenden auf einem hohen Niveau sein müssen, da die mentalen Ressourcen nicht mit Formulierungsarbeit belegt sein dürfen. Zudem muss die Fähigkeit des epistemischen Schreibens in der L1 entwickelt sein. In der vorliegenden Arbeit ist das epistemische Schreiben relevant, da ein Aspekt des Lernpotenzials von asynchronen Online-Diskussionen für landeskundliches Lernen auf diese Funktion des Schreibens zurückzuführen ist (vgl. beispielsweise Kapitel 6.2.2). Um die Ergebnisse theoretisch zu verankern, wird im Folgenden kurz auf die Rolle des Schreibens für das Lernen von Fremdsprachen eingegangen, sodann auf das epistemische Schreiben.

Die Fertigkeit Schreiben hatte in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik unterschiedliche Stellenwerte, so stand sie im Zentrum in der Grammatik-Übersetzungsmethode, während sie im kommunikativ ausgerichteten Unterricht „eher verpönt“ war (Paris 1999, 1, vgl. Mohr 2010, 993). Derzeit lässt sich feststellen, dass das Schreiben als Medium zum Fremdsprachenlernen betrachtet wird und dass dem funktional-kommunikativen Schreiben eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. Mohr 2010, 995). Digitale Medien spielen hinsichtlich Letzterem eine Rolle, wenn die mitteilungsbezogene Funktionalität des Schreibens durch beispielsweise Telekollaboration erfüllt wird (vgl. Rösler 2007, 180) oder eben durch Diskussionsforen. Rösler weist jedoch zurecht darauf hin, dass das Schreiben nur dann sinnvoll ist, wenn sowohl die Verfasser/-innen als auch die Leser/-innen sich durch die Texte tatsächlich etwas mitteilen: „Wenn ein Produkt keine Leser hat und die Lernenden absehen können, dass es keine haben wird, dann sind diese Versuche, mitteilungsbezogenes Schreiben […] zu initiieren, auch nicht viel besser als das traditionelle Schreiben nach Anweisung“ (ebd.). Eine Möglichkeit zu untersuchen, ob die mitteilungsbezogene Funktionalität von Diskussionsbeiträgen erfüllt wird, liegt in der Interaktionsanalyse der Diskussionen, denn wenn die Studierenden sich in ihren Beiträgen aufeinander beziehen, bedeutet dies, dass sie diese gelesen haben und dass die Beiträge etwas enthalten, das als kommentierungswürdig erachtet wird (vgl. Kapitel 5.8).

Mit dem epistemischen Schreiben im Bereich des Fremdsprachenunterrichts setzt sich Paris auseinander, die das Potenzial des wissensentwickelnden, wissensstrukturierenden und denkunterstützenden Schreibens untersucht (vgl. Paris 1999, 2), wobei zu betonen ist, dass epistemisches Schreiben als prozessorientierter Ansatz verstanden wird. Es geht demnach nicht um die Beurteilung eines fertigen Schreibprodukts, sondern darum, den Schreibprozess effektiv als Problemlösungsprozess zu nutzen: „So wird das Denken, das Finden neuer Gedanken und die Strukturierung der vorhandenen Gedanken beim Erstellen des Textes unterstützt. Der Text selber geht so über das reine Darstellen von vorhandenen Wissensbeständen hinaus“ (ebd. 4). Hier biete sich vor allem personales und kreatives Schreiben an, die in der fremd- und zweitsprachlichen Schreibdidaktik ihren festen Platz haben (vgl. Mohr 2010, 996). Ziel ist das Schreiben persönlich bedeutsamer und identitätsbildender Texte: Im persönlichen Schreiben sollen sich die Lernenden so „ihrer eigenen Persönlichkeit bewusst werden und expressiv und selbstreflektierend in ihren Schreibprodukten ihrer Identität nachspüren“ (Paris 1999). Für das Fremdsprachenlernen ist dahingehend besonders relevant, dass dies oft mit einer besonderen Motivation und dem Bemühen um sprachliche Klarheit einhergeht (vgl. Mohr 2010, 996). Kreative Schreibformen hingegen sind nicht an die eigene Persönlichkeit gebunden, aber auch dort geht es um expressives Schreiben und vor allem die Aktivierung der Imaginationskraft. In diesem Sinne ist kreatives und personales Schreiben auch erkenntnisleitend, wie Memminger betont:

Um zu einem selbstverständlichen und vielleicht sogar lustvollen Schreibhandeln zu gelangen, darf das schulische Schreiben nicht nur rein kognitiv und ‚trocken‘ sein. Die affektiv-emotionale Ebene muss dabei ebenso berücksichtigt werden. Schreiben kann und soll Spaß machen. Das kann beim spielerisch-fiktionalen Gestalten ebenso geschehen wie beim Schreiben von Texten, die Raum lassen für eigene Ansichten, Urteile und die Formulierungen von Befindlichkeiten. (Memminger 2007, 35)

Im Geschichtsunterricht sowie in jeglichem Sachfachunterricht findet jedoch in den meisten Fällen epistemische Schreiben nicht durch kreatives Schreiben statt (vgl. Memminger 2007, 36f), sondern vielmehr im Zuge von Analysen, Stellungnahmen und Erörterungen. Darin zwingt das Schreiben „den Menschen zur Bündelung und Ordnung seines Gedankenstroms, erzeugt wahrscheinlich sogar erst Reflexionsprozesse, die durch bloßes Zuhören oder Mitdenken nicht zustande kämen“ (Memminger 2007, 33, vgl. auch Hermanns 1988) und spielt so eine wichtige Rolle für den Wissenserwerb. Aus diesem Grund ist das epistemische Schreiben, das der Textkompetenz1 zugehörig ist, auch in der literacy-Diskussion vor allem im Fach Deutsch als Zweitsprache wichtig, wo die Textkompetenzforschung auf Fragen des Erwerbs und der Vermittlung von Wissen in der Zweitsprache fokussiert (vgl. Schmölzer-Eibinger 2010, 1131). Zydatiß (2007, 200f) lenkt das Augenmerk parallel auf den integrierten Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht und expliziert den Bedarf eines Schreibcurriculums, da fachbezogene Lernziele nicht ohne eine gut entwickelte Textkompetenz zu erreichen seien.

Es stellt sich die Frage, inwieweit die epistemische Funktion des Schreibens für inhaltlich-kognitive Aufgaben auch von Fremdsprachenlernern genutzt werden kann. Schmölzer-Eibinger schreibt mit Bezug auf Deutsch als Zweitsprache, dass es sich bei Textkompetenz um eine transferierbare Fähigkeit handele, die von der Erst- auf die Zweitsprache weitgehend übertragbar sei:

So können etwa Lernende, die in ihrer Erstsprache effiziente Strategien des Lesens entwickelt haben, diese auch beim Lesen in der Zweitsprache nutzen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sie eine sprachliche Basis aufgebaut haben, d.h. dass sie grundlegende sprachliche Mittel in der Zweitsprache beherrschen. (Schmölzer-Eibinger 2010, 1132, Hervorhebung im Original)

Es kann daher auch davon ausgegangen werden, dass auch die Fähigkeit zum epistemischen Schreiben transferierbar ist. Göpferich und Nelezen (2013) haben anhand von populärwissenschaftlichen Texten von deutschen Anglistik-Studierenden untersucht, ob das Schreiben in der Fremdsprache der epistemischen Funktion von Schreiben abträglich ist, wobei angenommen wird, dass die Textproduktion in der L2 mit einer Beeinträchtigung der epistemischen Funktion des Schreibens einhergeht bzw. dass in der L2 erst eine bestimmte Kompetenzstufe erreicht werden muss (vgl. Göpferich/Nelezen 2013, 168f). Sie kommen zu folgendem Ergebnis:

Beschränkte Ausdrucksmöglichkeiten in einer Fremdsprache können dabei der epistemischen Funktion des Schreibens abträglich sein, und zwar deshalb, weil die beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten dazu führen, dass das Gestalt annehmende Wissen nur verzerrt versprachlicht werden kann, was einer Weiterentwicklung und Präzisierung abträglich ist. (Göpferich/Nelezen 2013, 196)

Für die weitere Studie bleibt also festzuhalten, dass das epistemische Schreiben in kreativen und personalen Schreibansätzen auch im Fremdsprachenunterricht eine feste Rolle hat. In Bezug auf kognitiv-inhaltliches Lernen ist es außerdem notwendig, dass die Lernenden sowohl ein hohes sprachliches Niveau besitzen als auch dass sie in ihrer Erstsprache die Fähigkeit des epistemischen Schreibens haben.

Es soll hier zudem argumentiert werden, dass auch die sogenannte „knowledge-telling-strategy“ (Scardamalia/Bereiter 1987, 142f), bei der, im Gegensatz zum wissenstransformierenden epistemischen Schreiben, das vorhandene Wissen lediglich abgerufen und in Text verwandelt wird, ein Potenzial für das inhaltliche Lernen besitzt. In Texten, in denen zuvor gelesenes Sachwissen zusammengefasst wird, findet durch das schriftliche Rekapitulieren gelesener Informationen eine „intensivere Verarbeitung des Lernstoffs dadurch [statt], dass er nicht nur verstanden, d.h. aus dem Verbalen ins Mentale übersetzt werden muss, sondern beim Schreiben auch wieder in umgekehrter Richtung bearbeitet, d.h. wieder verbalisiert werden muss“ (Molitor-Lübbert 2002, 38). Studierenden, die in der Lage sind, selbständig kohärente Texte zu produzieren, können so Lücken auffallen, die sie im Laufe des Schreibprozesses durch unterschiedliche Hilfsmittel schließen können.

Die Überlegungen zur Bedeutung von epistemischem Schreiben für (inhaltliches) Lernen werden vor allem in den Kapiteln 6.2 und 6.5.3 relevant sein, und zwar in Bezug auf personales, kreatives und inhaltlich-kognitives Schreiben. Da aber in der Analyse nur die Schreibprodukte berücksichtigt werden, können die Annahmen über die tatsächlichen Schreibprozesse nur tentativ formuliert werden.

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation

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