Читать книгу Wer will schon eine Null - Christine Corbeau - Страница 10

Los gehts

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er Rest war schnell erledigt. Frau Krause händigte mir die gesammelten Unterlagen aus. Erneut war sie ungewohnt entzückt über ihre Idee, mich nach Italien zu schicken, als ich ihr bestätigte, dass die Wurzeln meiner Eltern tatsächlich dort lagen und es sich bei dem Namen Agata Finocchio nicht um ein Pseudonym handelte. Zum Schluss wurde ich noch einmal ermahnt, mich in den nächsten Tagen konsequent aus eventuell in den sozialen Medien aufkommenden Diskussionen herauszuhalten. Ich sagte zu allem ‘Ja und Amen’, denn ich hatte inzwischen den Abflugtermin gesehen, sodass mir klar war, dass ich mich extrem beeilen müsste, um wenigstens noch das Nötigste packen zu können.


Und wer kann mein Verhalten schon kontrollieren, wenn ich nicht mehr in Berlin bin?

Durch das Glück, für Emmy fast direkt vor dem Verlagsgebäude ein Plätzchen ergattert zu haben, gab es diesmal keinerlei Schwierigkeiten, sie zu lokalisieren. Ich schwang mich hinter das Lenkrad und brauste zu mir nach Hause. Dort angekommen verwendete ich nicht übermäßig viel Zeit auf die Suche nach einem Parkplatz, sondern ließ das Auto einfach auf der breiten Auffahrt zum Parkdeck stehen. Für den Moment würde das hoffentlich keinen Ärger geben.

Die nächsten Minuten verliefen für mich wie in den Filmen, wo in Zeitrafferaufnahmen Personen dabei beobachtet wurden, wie sie den Inhalt ihres Kleiderschranks auf ihrem Bett verteilten und daraus den Inhalt eines Koffers destillierten. Allerdings wussten diese Personen meistens, wo es hinging.

Wie soll ich bloß für ganze zwei Wochen packen, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, was mich da unten in Italien erwarten wird?

Mir war weder klar, welches Wetter dort gerade herrschte, noch wie die übliche Klientel des Hotels ausschaute, in das die ach so wohlmeinende Frau Krause mich zu verfrachten geruht hatte. Womöglich irgend so ein Pensionärstreff, bei dem peinlichst darauf geachtet wurde, zu jeder Tageszeit die passende Kleidung zu tragen.

Ich hasste es, wenn ich nicht dem Anlass entsprechend gekleidet war. Ich würde mich selbst nackt in Gesellschaft wohlfühlen, wenn diese Gesellschaft aus Nudisten bestünde. Aber so? Das war viel schlimmer, als jedes Blind Date sein könnte, denn das konnte man immerhin geschickt abkürzen. Und ich war dorthin für ganze zwei Wochen verbannt worden.

Hektisch stapelte ich sämtliche halbwegs kombinationsfähigen Klamotten in den Koffer und beschränkte mich auf fünf Paar Schuhe: Sandalen für den Strand, falls es dort einen geben sollte, ein Paar Ballerinas – die gingen ja sowohl zu Jeans, als auch zu meinen Sommerkleidern – ein Paar Sneaker, für den Fall, dass es doch nicht so förmlich werden würde, wie ich befürchtete, Sportschuhe, denn mal wieder ein bisschen mehr zu laufen wäre nicht verkehrt und schließlich meine meerblauen Louboutins, ohne die ich nirgendwo hinreiste. Sie waren schließlich das Erste, was ich mir von den Tantiemen eines Romans geleistet hatte. Das musste reichen. Ein kurzer Blick auf die Uhr.

Verdammt, schon zehn Minuten später, als es sein dürfte. Jetzt kommt doch die Kosmetikabteilung dran.

Ohne Paul Mitchell, Tigi, Essie und Shiseido fühlte ich mich nach all den Jahren der Repräsentation immer ein wenig unwohl, auch wenn ich die richtigen Klamotten trug. Ich raste ins Bad und knallte dabei um ein Haar gegen die Glastür der Dusche, die ich aus einem mir nicht mehr bekannten Grund offengelassen hatte.

Das hätte gerade noch gefehlt.

Mit ’ner dicken Brüsche auf der Stirn würde es noch weniger Spaß machen, eine Reise ins Unbekannte anzutreten. Mein Blick fiel auf den Spiegel, aus dem mir eine Frau entgegensah, die mir nur vage bekannt vorkam. Ihr normalerweise auf natürliche Art gebräunter Teint wirkte blass und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, deren blaue Farbe trüb wirkte. Das lange schwarze Haar stand ihr wirr um den Kopf, wie eine Gewitterwolke. Spontan wollte ich mich daran machen, die Schäden mit Concealer und Co. zu beheben, aber eingedenk des Zeitdrucks verzichtete ich darauf und bändigte lediglich meine Mähne mit einem Zopfgummi zu einem Pferdeschwanz. Dann holte mich die Wirklichkeit wieder ein.

Wo ist nur das Beautycase?

Nach eiliger Suche gab ich auf und verfrachtete alle Beauty-Essentials stattdessen in einen Baumwollbeutel. Den konnte ich dort unten vielleicht auch als Strandtasche benutzen.

Sonst noch was? Shit! Geld.

Ich hatte keinen müden Euro mehr in der Tasche. Wenn ich gewusst hätte, dass ich heute ins Ausland reisen würde, dann hätte ich mich früher darum gekümmert mir nach dem Auszug bei Schröder nicht nur ein neues Konto anzulegen, sondern ebenfalls eine Kreditkarte zuzulegen. Ich war kein Fan davon, durch solche Karten einfach Geld ausgeben zu können, ohne sich dafür interessieren zu müssen, ob auch genug davon auf dem Konto war. Ob die dort unten, kurz vor dem Ende der Welt, aber eine EC-Karte akzeptieren würden, war mir unbekannt. Als Reiseland war Italien für mich gestorben, nachdem ich endlich alt genug geworden war, um nicht mit Mamma fahren zu müssen. Und für sie hatte es nun mal kein anderes Urlaubsziel gegeben. Da ich also noch zur Bank musste, blieb keine Zeit mehr, um über meinem Gepäck zu meditieren.

Ich schnappte mir Beutel und Koffer. Dann hastete ich aus der Wohnung. Auf ebener Strecke rollte der Trolley ganz brav neben mir her, aber er war schwer und reichte mir bis zur Taille. Ohne den Lift unserer Wohnanlage hätte ich ihn wahrscheinlich nur mit einigen Tritten die Treppe hinunter befördern können.

Minuten später war ich bei Emmy angekommen. Schon von weitem betätigte ich den Knopf der Zentralverriegelung, um keine Zeit zu verlieren.

Okay, jetzt nur noch die Sachen ins Auto.

Doch warum ging der Kofferraum nicht auf? Ich drückte ein weiteres Mal auf den Knopf. Die Blinker leuchteten fröhlich auf, aber die Klappe des Kofferraums bewegte sich keinen Zentimeter. Ich bückte mich hinunter und sah das mechanische Schloss.

Ernsthaft? Muss man das mit dem Schlüssel aufschließen?

Ich hatte mich bisher nicht besonders für Autos interessiert, da ich mir früher keines leisten konnte. In meiner Ehe hatte es immer nur die Luxusschlitten von Schröder gegeben, die sich natürlich vollkommen selbstständig öffneten.

Habe ich Emmys Kofferraumklappe überhaupt schon mal geöffnet?

Ich konnte mich nicht erinnern. Dabei fiel mir der Gesichtsausdruck des Typen ein, der mir den Wagen vor Kurzem verkauft hatte.

Hat der nicht irgendwie erleichtert gewirkt, als ich ihm das Schmuckstück abgenommen habe?

Der Autorin in mir gingen wieder einmal die Pferde durch. In meinen Gedanken warteten im Kofferraum einige fein sortierte und hübsch verschnürte Leichenteile darauf, nun von mir gefunden zu werden.

Ich zögerte.

Soll ich wirklich?

Aber wohin könnte ich den Koffer sonst packen?

Hör endlich auf, dämliche Fantasie. Das ist ein Kofferraum, kein Folterkeller.

Ich rammte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Klappe.

Leer.

Natürlich.

Aber leider auch ziemlich winzig.

Ob der Koffer da überhaupt hineinpasst?

Es war keine Zeit für Zweifel, also hievte ich ihn über die Kante und zwängte ihn in die Öffnung. Das Ding füllte den Kofferraum nicht nur vollständig aus. Es war sogar noch genug von ihm übrig, dass sich die Klappe nicht schließen ließ.

Das kann doch nicht wahr sein. Ich habe keine Zeit dafür, nochmal nach oben zu laufen und etwas zum Zubinden zu suchen.

Wie oft in solchen Situationen bahnte sich das Erbe meiner Eltern einen Weg aus dem Winkel meines Geistes, in den ich es normalerweise verbannt hatte.

»Cosa maledetta!«, rief ich und hob die Hände zürnend gen Himmel.

In diesem Augenblick fielen mir die Worte ein, mit denen Zino mir vor zwei Wochen einen Gummi-Spanngurt ins Handschuhfach gelegt hatte.

‘Für den Fall, dass du mal was Großes im Kofferraum unterbringen musst.’

Damals hatte ich ihn ausgelacht. Nun hätte ich ihn küssen können.

Schnell sprang ich in meine Emmy, ließ den Kosmetikbeutel in den Beifahrerfußraum gleiten und fischte das rettende Teil hervor. Damit befestigte ich die Klappe immerhin so, dass sie beim Fahren nicht ständig wie ein Wackeldackel hoch- und runterklappen würde. Ich startete den Motor und war drauf und dran mit quietschenden Reifen zu wenden und Richtung Flughafen zu rasen. Da fiel mein Blick auf den Spielplatz zur Linken und ich zügelte das Temperament, bis ich die Wohnanlage verlassen hatte. Auf der Hauptstraße geblitzt zu werden war eines, aber durch Nachlässigkeit das Leben der Nachbarskinder zu riskieren, ging gar nicht.


Beim Parken in der zweiten Reihe hatte ich heute ja bereits Glück gehabt. Also ließ ich Emmy direkt vor der Bank stehen und hoffte, dass sich niemand für den halb offenen Kofferraumdeckel interessieren würde. Ich flitzte zum separaten SB-Bereich und wollte gerade die Tür öffnen, als sie von innen aufgestoßen wurde. Da ich den Türgriff schon in der Hand hatte, kippte ich zur Seite. Glücklicherweise stoppte mich ein Geländer, sonst wäre ich direkt in einer Hecke gelandet.

»Tschuldigung«, murmelte der Typ, der in der nun offenen Tür stand. Er war groß und schlank, so viel konnte ich auf Anhieb erkennen. Eine weitere Beurteilung seiner körperlichen Merkmale machten sein Hoodie und Basecap unmöglich. Aber er benutzte eindeutig ‘Cool Water’. Meine Nase erkannte das herrlich frische Aroma seines Parfums sofort. Allerdings hatte ich momentan weder Zeit noch Lust darauf, mich näher mit ihm zu befassen. Ich brauchte Geld, und zwar schnell. Also rappelte ich mich auf und drängte mich an ihm vorbei. Als ich fast drin war, wurde ich jedoch gebremst.

Verdammt, will der mich jetzt ausrauben? Mitten in der Bank?

Ein kurzer Blick nach unten zeigte mir den wirklichen Grund. Ein Knopf meines Blazers hatte sich in der Schnalle der Tasche verhakt, die er über der Schulter trug. Leider passte der Schwung, den ich entwickelt hatte, nicht zu der Geschwindigkeit, mit der mein Hirn in der Lage war, eine Gegenmaßnahme für das zu entwickeln, was nun folgen musste. Der Knopf riss ab und weil wir beide an diesem gemeinsamen Punkt festgehalten worden waren, standen wir uns nun Aug in Auge gegenüber.

Das hieß, wir hätten uns Aug in Auge gegenübergestanden, wenn seine Augen nicht ungefähr zwanzig Zentimeter zu tief ausgerichtet gewesen wären.

Obwohl ich von seinem Gesicht kaum etwas erkennen konnte, war mir doch klar, wohin er starrte. Er glotzte auf die formschön aufs T-Shirt gedruckten Brüste, die der losgerissene Knopf freigelegt hatte. Ich hatte vergessen mich umzuziehen und trug immer noch Zinos verflixtes Shirt, auf dem stand, dass ich Milch dabeihätte.

Mann, ich habe keine Zeit für den Scheiß.

»Na, hast du’n Glas und ein paar Oreos? Dann könnten wir uns zusammentun«, formten meine Lippen, ohne dass ich sie dazu aufgefordert hatte.

Oh verdammt, was war das denn für eine dämliche Idee? Wenn der jetzt darauf einsteigt, dann komme ich erst recht nicht schnell genug hier weg.

»W-wie … äh, was?«, stammelte er jedoch.


»Zieh Leine«, fauchte ich, drehte mich herum und stürmte zum nächsten Geldautomaten.

Der Rest war reine Formsache. Geld ziehen, zum Wagen hetzen und losdüsen gelang mir in rekordverdächtigen zwei Minuten, was die Zeitbilanz wieder etwas zu meinen Gunsten verschob. Ein paar Kilometer und eine kirschgrüne Ampel später bog ich siegessicher auf den Saatwinkler Damm ein. Nur noch fünf Minuten und ich war tatsächlich an einem funktionsfähigen Berliner Flughafen angelangt – mit immerhin noch fast dreißig Minuten Zeit, um zum Terminal zu gelangen.

Aber ich hatte mich zu früh gefreut.

Kaum dass ich abgebogen war, fiel mein Blick routinemäßig auf die Öldruckanzeige. Ich hatte es mir angewöhnt, dort immer mal wieder hinzuschauen, weil mir der Automechaniker eingeschärft hatte, dass ich den Öldruck an diesem Flitzer auf keinen Fall nachlässig behandeln durfte. Das, was ich dort sah, trieb mir trotz des Fahrtwindes Schweißperlen auf die Stirn. Der Zeiger befand sich nicht etwa gefährlich nahe am roten Bereich der Skala, sondern mitten drin. Was hieß das nochmal? Musste ich jeden Moment damit rechnen, dass der Wagen den Geist aufgab?

Verdammt, wenn ich doch bloß ein Gedächtnis für technische Beschreibungen hätte.

Wenn ich doch bloß mein eigenes Telefon dabei hätte, auf dem ich alles aufgenommen habe, als Luke es mir mit seinem herrlich britischen Akzent erklärt hat.

Ich nutzte die Parkplatzeinfahrt eines Discounters, an der ich gerade vorbeikam, stellte Emmy auf die erstbeste freie Fläche und sprang hinaus. Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief ich auf dem Parkplatz umher – gefangen zwischen Fluchtgedanken und dem Wunsch, rechtzeitig am Gate anzukommen.

Nach einer kleinen Weile beruhigte sich mein Gemüt immerhin so weit, dass mir ein Teil seiner Worte wieder einfiel.

Fünf Minuten. Er hat etwas von fünf Minuten warten gesagt, oder?

Ich linste auf die Öldruckanzeige. Dann traf ich eine Entscheidung.

Wenn es mir gelänge, die letzten Kilometer bis zum Flughafen trotz meines angespannten Zustands nicht allzu schnell zu fahren, sollte es gerade noch so zu schaffen sein.

Zum Glück hatte die gute Frau Krause auf den Flugunterlagen vermerkt, dass Alitalia von Terminal C aus flog. So bog ich von der Zufahrt direkt nach rechts auf den dazu gehörenden Parkplatz ab.

Ob ich mir das Parken für zwei Wochen dort überhaupt leisten kann?

Egal, darum konnte ich mich kümmern, wenn ich wieder zurück war. Zur Not musste ich erst einmal mit dem Taxi nach Hause und dann Zino um einen Kredit bitten. Sie würden den Wagen sicherlich nicht nach ein paar Wochen verschrotten. Jetzt galt es nur noch, überhaupt einen freien Platz zu finden.

Immer noch hoffnungsvoll, aber mit stetig ansteigendem Stresslevel, spähte ich in jede vom Hauptweg abzweigende Reihe von Parkplätzen. Nirgendwo war eine freie Stelle zu entdecken. Aber dann, gefühlt am anderen Ende der Parkfläche, sah ich eine und bog mit quietschenden Reifen ab, um sie nicht zu verpassen und damit den hinter mir kreisenden Parkplatzkonkurrenten zu überlassen. Geschafft. Emmy stand vorschriftsmäßig in der letzten Lücke weit und breit. Ein hektischer Blick auf die Uhr.

Fünfzehn Minuten. Das könnte gerade so noch klappen.

Ich sprang aus dem Auto und rannte zum Kofferraum.

Eigentlich hätte ich es wissen sollen.

Wer will schon eine Null

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