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ein, der Koffer war auch trotz meines hektischen Gekurves nicht herausgefallen. Der saß fest. Wirklich fest. Genaugenommen so fest, dass ich nicht in der Lage war, ihn wieder herauszuziehen. Ich zog und zerrte am Griff des Koffers, stemmte mich mit einem Fuß gegen Emmys Stoßfänger, aber nichts wirkte.

»Sbrigati!«, feuerte ich das Ding in Gedanken an. Oder hatte ich es laut gesagt?

»Gibt’s Probleme?«, erklang hinter mir eine Stimme.

Ich fuhr herum. Nun direkt vor mir stand eine Frau, die einige Gegensätze in sich vereinte. Nach dem Klang ihrer Worte hatte ich sie eher meiner Gewichtsklasse zugeordnet, aber sie war mindestens dreißig Zentimeter größer als ich und ihre Schultern bestimmt doppelt so breit wie die meinen. Sie trug einen sportlich-eleganten Hosenanzug, doch ihr Gepäck bestand aus einer Art Seesack, der über ihrer Schulter hing. Das Außergewöhnlichste an ihrer Erscheinung war jedoch die Verwandlung, die ihre gesamte Gestalt vollführte, während sie mir ins Gesicht blickte.

Ihre Augen weiteten sich wie in maßlosem Erstaunen und ihre Lippen formten ein scheues Lächeln. Sie ließ den Seesack von ihrer Schulter gleiten und errötete.

»Sind Sie …? Ich meine …« Bevor sie weitersprach, musste die Frau sich erst einmal räuspern. »Sehe ich das richtig, dass Sie Agata Finocchio sind? Die Autorin?«

Nun war es an mir, scheu zu lächeln. Immer wieder hatte ich mir vorgestellt, wie es wäre, einer Leserin im normalen Alltag zu begegnen. Aber ausgerechnet heute?

»Nun ja … das stimmt«, gab ich zu.

Was, wenn sie den Blog gelesen hat? Sie sieht aus, als ob sie durchaus dazu in der Lage wäre, mich hier und jetzt ungespitzt in den Boden zu rammen.

»Wissen Sie«, begann ich. »Dieser Blogartikel von gestern …«

Aber die Befürchtungen waren unbegründet.

»Sie meinen den mit den Nullen? Vielen Dank dafür. Ich habe sehr gelacht.«

Mein zur Flucht gespannter Körper fing an, sich wieder ein wenig zu entspannen.

»Wenn Sie meinen.«

Sie winkte ab.

»Sind wir doch mal ehrlich. Typen sind einfach nur Typen, egal wie viel Kohle sie auf der Bank haben. Die Einen sind gut für dich und die Anderen nicht.«

Das brachte mich zu meinem momentanen Problem. Ich entschied mich für die Kurzform, auch wenn ich damit zu Lasten von Herrn Stein ein wenig übertrieb.

»Das können Sie laut sagen. Mein Chef zum Beispiel hat mir erst vor ein paar Stunden mitgeteilt, dass ich in etwa einer Viertelstunde auf eine Reise gehen muss.«

Sie schnaubte verächtlich und schaute mich dann forschend an.

»Kann ich irgendwie helfen?«

Ich wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen.

»Der olle Koffer hat sich verklemmt«, rief ich aufgeregt. »Vielleicht bekommen wir ihn zu zweit heraus.«

Mit einem breiten Lächeln trat sie neben mir an Emmys Kofferraum.

Etwa fünf Minuten später hetzte ich, mit dem Koffer im Schlepptau, durch die Abflughalle auf den Check-in der Alitalia zu.


Mit vereinten Kräften und dank der Statur meiner Zufallsbekanntschaft war es uns ohne Weiteres gelungen, ihn aus dem Wagen zu bergen. Wahrscheinlich wäre sie auch komplett allein dazu in der Lage gewesen, aber ich rechnete es ihr hoch an, dass sie mir das Gefühl gelassen hatte, es mit ihrer Hilfe selbst geschafft zu haben. Danach hatte sie mir eine Visitenkarte in die Hand gegeben und scheu gefragt, ob ich ihr eines meiner Bücher signieren würde. Ich nahm mir fest vor, ihr nicht nur eines, sondern alle sieben zu schicken.

»Ich weiß, ich bin ziemlich spät«, keuchte ich, als ich den Schalter erreichte und mir von dort eine der Angestellten mit extrem säuerlicher Miene entgegenblickte. »Ich habe überhaupt erst vor zwei Stunden erfahren, dass ich heute fliegen werde.«

Damit schob ich ihr meine Flugunterlagen über den Tresen.

Die Frau besah sich die Unterlagen. Zu ihrer einen hochgezogenen Braue gesellte sich schnell eine zweite und der spöttische Gesichtsausdruck wechselte im Nu zu einem überrascht wirkenden.

»Oh, einen Moment bitte, Frau Finocchio-Schröder«, sagte sie erstaunlich freundlich, drehte sich zu ihrer Kollegin herum und begann mit ihr zu tuscheln.

»... nie gemacht … weiß gar nicht … Magnifica«, waren die Wortfetzen, die ich von ihrem Gespräch mitbekam.

Da soll sich mal einer einen Reim drauf machen.

Aber immerhin war von ihrer abweisenden Haltung nichts mehr zu spüren.

Oder ist der Flieger vielleicht schon abgehoben und sie diskutiert mit ihrer Kollegin darüber, wie sie mich hier am einfachsten hinauskomplimentieren soll?

»Entschuldigen Sie bitte«, begann die Schalter-Frau nun und trug dabei ein – wie ich fand – höchst irritierendes Lächeln zur Schau.

Kommt jetzt der große Hammer?

»Ich musste mich zuerst vergewissern, wie wir mit einer Buchung in dieser Klasse umzugehen haben. Das kommt tatsächlich relativ selten vor. Dafür kann ich nur noch einmal um Verzeihung bitten. Meine Kollegin klärt momentan die notwendigen Anpassungen im Flugzeug mit der Crew. Ihr Gepäck checke ich direkt bis nach Neapel durch und mit ein wenig Glück können wir Ihnen die eigentlich planmäßige Aufenthaltszeit in Rom abkürzen. Darüber wird Sie dann die Crew auf dem Flug informieren. Haben Sie nur dieses eine Gepäckstück?«

»Ja, ich hoffe, der Koffer ist nicht zu …«, begann ich, wurde jedoch von einer wegwerfenden Handbewegung der Dame auf der anderen Seite des Counters gestoppt.

»Aber nicht doch. Für solche Notwendigkeiten halten wir immer ein gewisses Kontingent vor.« Sie kam hinter ihrem Schalter hervor und half mir, den Koffer auf das Gepäckband zu hieven.

In diesem Moment fiel mir ein, was ich vergessen hatte.

»So ein Mist«, platzte ich heraus, was die Frau erschrocken zusammenzucken ließ.

»Ist …«, setzte sie an, musste sich dann aber erst einmal räuspern. »Ist etwas nicht in Ordnung?«

Ich seufzte.

»Genau genommen ist nichts in Ordnung. Ich habe den Beutel … also mein Beautycase im Auto liegen lassen.«

Ich konnte sehen, wie sich auf dem Gesicht der Schalter-Frau nun in kürzester Zeit die unterschiedlichsten Gefühlsregungen abzeichneten: Mitgefühl, Verwirrung, Ärger, Angst und Widerwillen.

Dann begann sie zu sprechen und versuchte dabei, in ihrer Stimme nichts davon mitschwingen zu lassen: »Ich bedauere es außerordentlich, dass ich Ihnen nicht die Gelegenheit geben kann, Ihr Gepäck zu vervollständigen, aber der Slot für den Start Ihrer Maschine ist … nun ja … sehr eng gesteckt. Da wäre eine …«

Sie versuchte tatsächlich, mir vorsichtig beizubringen, dass ich, nachdem ich ohnehin schon verspätet am Check-in erschienen war, nun nicht noch einmal zum Auto gehen könnte.

Was ist das für eine Klasse, die Frau Krause mir da gebucht hat?

»Oh nein, das ist selbstverständlich in Ordnung«, beeilte ich mich zu sagen. »Es war mir nur gerade eingefallen.«

Die Angestellte wirkte sichtlich erleichtert.

»Wenn Sie nun bitte zur Sicherheitskontrolle gehen würden? Dort werden Sie dann erwartet und direkt zur Maschine gebracht«, teilte sie mir mit und lächelte dabei breit.

Was für eine charmante Umschreibung für ‘Mach hinne, die warten alle schon ewig auf dich’.

Und tatsächlich. Hinter dem Band des Gepäckscanners wartete bereits ein Flughafenangestellter mit einem etwas gezwungen wirkenden Lächeln. Er führte mich eine Treppe hinunter zum Flugfeld und verfrachtete mich dort in ein Fahrzeug, das mich direkt bis zum Flugzeug der Alitalia brachte. Auch wenn es nur ein VW-Bus war, fühlte ich mich, als führe ich in einer Stretch-Limo. Kurz fiel der Stress von mir ab. Allerdings kam er sofort wieder zurück, als mir einfiel, dass ich nun nicht am Duty-free-Shop vorbeigekommen war, wo ich wenigstens einen Teil meiner im Auto vergessenen Utensilien hätte ersetzen können.

Jetzt mach aber mal halblang. Wie hättest du das denn im Laufschritt hinbekommen sollen?

Während ich die Gangway hochstieg, ging mir durch den Kopf, dass ja nicht nur die Crew, sondern auch sämtliche Fluggäste auf mich hatten warten müssen. Hoffentlich lag mein Sitz nicht irgendwo in den hinteren Reihen, sodass ich mich den gesamten Gang entlang den anklagenden Blicken der Wartenden stellen müsste.

Und bitte lass es keinen Mittelplatz sein.

Ich hasse Mittelplätze. Man hat weder einen guten Ausblick, noch kann man sich ungezwungen den Gang entlang bewegen und auch mal das stille Örtchen aufsuchen.

Apropos ‘Örtchen’.

Ein Besuch desselben wurde langsam recht dringend, wie ich feststellte. Aber dann beschloss ich, es noch einen Moment länger auszuhalten, um den Start nicht noch weiter zu verzögern.

Im Eingang der Maschine stehend, erwartete mich bereits ein ausnehmend gut aussehender Flugbegleiter und lächelte strahlend.

Es wirkt fast, als würde er nur auf mich warten. Ach Moment, das stimmt ja. Er tut es bestimmt schon seit einer Viertelstunde.

Allerdings tat dies der Strahlkraft seines Lächelns keinen Abbruch.

»Frau Finocchio-Sroder, es iste schon, Sie bei uns an Bord zu habe«, flötete er. »Wire habe bereits gehehrt, dass sich Ihre Anreise zum Flughafen eine wenig kompliziert gestaltet hat. Umso mehr hoffe wir, Ihnen nun diese Flug und auche den Anschlussflug nach Neapel so angenehm, wie moglich, zu mache.« Damit wies er mir den Weg in die Kabine, der jedoch von einem Vorhang versperrt war. Ich war eben im Begriff, das widerspenstige Stück Stoff zur Seite zu schieben, als sich Michele – das stand zumindest auf seinem Namensschild – erneut zu Wort meldete.

»Oh, Signora Finocchio, das iste nicht notwendig. Ihre Plätze sind gleich hier.«

Moment … Plätze? Mehrzahl?

Ich drehte mich mit einem fragenden Gesichtsausdruck zu Michele um und wurde mit einem neuerlichen Strahlen seinerseits bedacht, das sogar dazu geeignet war, den eben noch verspürten Drang, die Toilette aufzusuchen, verstummen zu lassen.

»Wo darf ich servieren?«

In diesem Augenblick bemerkte ich eine Flasche in einem Sektkühler und ein langstieliges Glas, die er offensichtlich in der kurzen Zeit, in der ich zu den anderen Passagieren durchzudringen versuchte, zutage gefördert hatte.

Ich räusperte mich. »Ähm, wo genau sitze ich denn eigentlich?«

»Das iste vollkommen Ihnen überlassen, Signora. Dank ‘Magnifica’ können Sie wählen, aber wenn ich eine Vorschlag machen durfte, dann es ware diese Platz. Von dort aus iste die Sicht im Anflug auf Roma die beste.«

Nun war es an der Zeit, mich zu outen, denn sonst würde das Verwirrspiel wohl immer weiter gehen.

»Ich muss zugeben, dass ich keine rechte Ahnung davon habe, was dieses ‘Magnifica’ eigentlich ist«, beichtete ich, während ich mich auf dem empfohlenen Sitz niederließ.

»Oh, aber keine Ursache«, beeilte Michele sich, mir die Peinlichkeit eines umfassenden Geständnisses zu ersparen. »Jemande muss es wirklich gut mit Ihnen meine. ‘Magnifica’ iste unsere hochste Buchungsklasse – reserviert fir ganz besondere Persone. Wire halte in jede Flugezeug eine Kontingent vor, weile immer nur eine Klasse in eine Reihe erlaubte ist.«

»Das heißt, wenn jetzt nicht noch jemand kommt, der auch ‘Magnifica’ gebucht hat, dann gehören alle neun Plätze mir?«

Ein erneutes Strahlen des Flugbegleiters ersetzte die offensichtliche Antwort.

Auf diesen – zugegebenermaßen positiven – Schock brauchte ich erst einmal einen Schluck zu trinken. Ich nahm das teuer aussehende Glas mit der hellgelben fein perlenden Flüssigkeit in Empfang und nippte daran. Der fruchtig-spritzige Geschmack zusammen mit der dezenten Zitrusnote in meiner Nase hatte es mir sofort angetan.

Ich warf einen Blick auf die Flasche im Kühler, die von beeindruckender Größe war. Es musste sich um eine Magnum handeln.

Und alles meins.

Ich war im Himmel, obwohl wir uns eigentlich noch auf dem Boden befanden. Diesen ‘Giustino B.’ sollte ich mir merken.So ein Genuss war wirklich nichts Alltägliches.

Der wäre genau das richtige für den nächsten Weinabend mit Zino.

Ich ließ einen weiteren Schluck des sensationellen Gesöffs meine Kehle hinunterlaufen und beobachtete Michele, der mir eine Privatvorstellung in Sachen Sicherheitsmaßnahmen im Flugzeug gab und dabei nicht mit seinen Reizen geizte.

Hammer, dieses Rockstar-Feeling. Am liebsten würde ich nie mehr runterkommen.


Die zwei Stunden bis zur italienischen Hauptstadt vergingen im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug. Michele schien zu meinem persönlichen Flugbegleiter ernannt worden zu sein, denn er wich mir kaum von der Seite, ohne dabei aber lästig zu werden.

Irgendwann wurde mir allerdings klar, dass ich später noch mit dem Auto fahren musste. Ob ich es nun wollte oder nicht, ein Großteil des Proseccos würde in der Flasche bleiben müssen. Als ich Michele dies bedauernd mitteilte, versorgte er mich stattdessen mit Ferrarelle-Mineralwasser und kreierte mehrere Panini, die mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen.Er förderte auch ein iPad zutage, auf dem ich eine erstaunlich aktuelle Auswahl an Kinofilmen fand. Leider waren es zumeist Liebeskomödien, und da mir momentan, was das Thema Liebe anging, eher nicht zum Lachen zumute war, entschied ich mich für den zweiten Teil von ‘Guardians of the Galaxy’.

Nur der Bordverkauf war eine Enttäuschung. Nicht etwa wegen der angebotenen Waren, sondern weil mir plötzlich etwas bewusst wurde. Das letzte Mal, als ich all diese schönen Dinge gekauft hatte, war ich noch das Aushängeschild von Schröder und daher im Besitz einer Firmenkreditkarte gewesen. Nun war ich zwar auf dem Weg in die Freiheit von ihm, aber das bedeutete auch, dass ich mir genau überlegen musste, wofür ich meine Barschaft ausgab. Und die hochklassigen Produkte, die mir aus dem Bordkatalog entgegenglänzten, hatten eben ihren Preis.

Kurz vor der Landung in Rom-Fiumicino verschwand Michele im Cockpit und tauchte wenig später mit einem breiten Lächeln wieder auf. »Ich bringe gute Nachricht«, sagte er mit der Miene eines Weihnachtsmannes mit einem besonders dicken Sack über der Schulter. »Wire habe gerade erfahren, dass die Maschine nach Napoli warte kann. So könne wir Sie direkt umsteige lasse und Sie spare drei Stunde Aufenthalt.«

Die Aussicht darauf, nun noch früher in diesem Hotel, irgendwo im Nirgendwo anzukommen, war allerdings nicht gerade dazu geeignet, meine Laune zu heben. Vor allem, da es außerdem bedeutete, dass nun schon wieder andere Reisende meinetwegen warten mussten. Aber ich brachte es nicht fertig, ihn zu enttäuschen. Daher schenkte ich ihm ebenfalls ein möglichst warmes Lächeln und widmete mich dann einer anderen Aussicht, nämlich auf die ewige Stadt, über die der Flieger nun auf die Landebahn zuschwebte. Jedoch wurde ich erneut enttäuscht, denn große Teile des Stadtgebiets lagen unter dichtem Dunst verborgen. Als ich mich gerade ernüchtert abwenden wollte, erhaschte ich noch einen Blick auf das Olympiastadion am Tiberbogen und sogar der Petersdom war erkennbar.

Na bitte, es wird doch.

Ich lehnte mich im Sitz zurück und hoffte, dass dieser Lichtblick nicht der Einzige bleiben möge.


Die Jungs und Mädels der Airline fackelten nicht lange. Noch bevor all die anderen Fluggäste offiziell aufstehen durften, geleitete man mich aus dem Flugzeug und direkt in eine Lounge, die sie ‘Casa Alitalia’ nannten. Tatsächlich erinnerte dort kaum etwas an einen Flughafenwartebereich, sondern eher an die Lobby eines exklusiven Hotels. Ich sollte einen Moment warten, bis man mich wieder aufriefe.

Indirektes Licht erhellte sanft ein Areal, in dem bequeme Ohrensessel zum Entspannen einluden. Nicht weit entfernt bot ein Büffet die unterschiedlichsten Gaumenfreuden an und in einem abgeteilten Bereich lud ein enormer Flat-Screen ein, sich nachrichtenmäßig auf den neuesten Stand zu bringen. Dazu gab es einen sensationellen Espresso, aus speziell von Lavazza bereitgestellten Kaffeemischungen.

Nach dem Genuss eines solchen wollte ich mich noch in einem bestimmten Abteil der Casa umsehen. Ich hatte von der Dame am Empfang gehört, dass die Terme di Sirmione dort Wellness-Artikel für die Reisenden anbot. Vielleicht wäre das die Gelegenheit, meine kosmetischen Bedürfnisse etwas preiswerter zu befriedigen. Aber dann erinnerte die Blase mich daran, dass ich in den letzten zwei Stunden umfangreich dem angebotenen Prosecco und Wasser zugesprochen hatte, sodass ich mich zuerst auf die Suche nach dem WC machte. Selbst dort war das Ambiente eines Hotels vorzufinden. Außer einer Toilette befand sich in dem geschmackvoll eingerichteten Raum eine bodentiefe Dusche, vor der ein Paar Flip-Flops und ein flauschiger Bademantel dazu einluden, es sich beim Warten richtig gut gehen zu lassen.

Ich verzichtete allerdings darauf, auch wenn es mich noch so sehr reizte, ein wenig Ruhe in diesen turbulenten Tag zu bringen. Michele hatte mir zu verstehen gegeben, dass die Wartezeit nur so lange dauern würde, wie es brauchte, den Flieger nach Neapel auf die ‘Magnifica’-Buchung vorzubereiten.

Und er behielt recht.

Kaum war ich wieder zurück in der Lounge, wurde mein Name zusammen mit der Bitte aufgerufen, dass ich mich zum Flugsteig begeben möge. Auch diesmal war keine Schlange mehr am Gate zu sehen und ich musste mich nicht mit dem gewöhnlichen Flugvolk gemein machen.

»La prego di scusare il ritardo dell nostro volo, Signora Finocchio«, sagte die Flugbegleiterin am Einstieg, die ihr Namensschild als ‘Chiara’ auswies.

Natürlich, sie denkt, ich wäre Italienerin.

Aufgrund des Namens konnte ich ihr da nicht einmal einen Vorwurf machen. Grundsätzlich war Italienisch zwar auch meine Muttersprache, aber ich hatte ein recht gespaltenes Verhältnis zu ihr.

Als Mamma damals zu einem Schüleraustausch nach Hamburg gekommen war und dort ausgerechnet in einer Gastfamilie gelandet war, deren Eltern in einem aufstrebenden Modelabel arbeiteten, hatte auch sie ihre Leidenschaft für Stoffe und Schnitte entdeckt. Als ihre Versuche, nach dem Abitur in Italien Modedesign zu studieren nicht von Erfolg gekrönt waren, beschloss sie, ihr Glück damit in Deutschland zu versuchen. Dort hatte sie schnell begriffen, dass eine möglichst gute Eingliederung in das neue Zuhause ihr viele Türen öffnen würde. Sie vervollkommnete ihre Deutschkenntnisse so weit, dass man ihr die italienischen Wurzeln kaum noch anmerkte. Dann aber begegnete sie Mario, einem einige Jahre älteren Lebenskünstler, den es aus seiner norditalienischen Heimat ebenfalls ins kalte Deutschland verschlagen hatte, und verfiel ihm sofort mit Haut und Haar. Das Ergebnis waren Zino und ich. Das Studium hatte sich für Mamma erledigt, vor allem, weil Mario plötzlich den typischen Pascha herauskehrte und sich von ihr bedienen ließ, wenn er nicht gerade mit einer Jazzband herumtingelte. Nach zehn Jahren verließ er uns Knall auf Fall, ohne sich auch nur von Zino und mir zu verabschieden. Erst danach konnte Mamma sich einen Job suchen. Das musste sie auch, um ihre dreiköpfige Familie durchzubringen. Für etwas, das ihrer Ausbildung angemessen gewesen wäre, reichte es freilich nicht. Sie nahm den erstbesten Job an, damit wenigstens unsere Zukunft einigermaßen gesichert sein würde. Seitdem war mir alles Italienische verhasst und auch die Sprache war dadurch arg eingerostet. Wenn ich es mir richtig zusammenreimte, entschuldigte sie sich für eine Verspätung.

Aber warum? Ich bin doch viel früher dran, als gedacht? Es wird wohl Zeit, mich als Ausländerin zu outen. »Ich muss Sie enttäuschen. Ich komme aus Berlin. In Deutschland.«

Die Gesichtszüge meines Gegenübers entgleisten kurzzeitig, doch sie fing sich schnell wieder.

»Keine Problem«, beeilte sie sich zu sagen. »Wire hatten kleine Thema mit andere Passagiere, wo nicht wollte verlasse die gebuchte erste Reihe. Aber iste nun geklart und wir konne starte sofort.«

Ich dankte ihr und da ich mich inzwischen als ‘Magnifica’-Profi empfand, fragte ich Chiara direkt, welcher der Sitze wohl die beste Sicht beim Anflug auf Neapel böte.

Sie war sichtlich erleichtert, dass ich ihr die italienische Ansprache nicht übel nahm, und zeigte auf einen Sitz zu ihrer Linken. Das erneute Angebot eines Prosecco lehnte ich dankend ab und ließ mir stattdessen noch einen Espresso und ein süßes Teilchen bringen.

Du tust besser daran, deine verschütteten Sprachkenntnisse wieder an die Oberfläche zu holen.

Das sollte ich wohl tatsächlich, aber erst einmal wollte ich den Flug genießen. Ich würde mich früh genug mit der Landessprache auseinandersetzen müssen.

Wer will schon eine Null

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