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Katerstimmung

erdammte Axt, wie hat diese Jones das nur geschafft? Niemand kennt sie und doch steht sie ganz oben und scheffelt haufenweise Geld mit ihrem Machwerk. Wahrscheinlich erhält sie auf diese Art und Weise sogar einen Bonus. Und alles nur, weil sie noch ein paar Nullen drangehängt hat.

Ich saß in der Küche meines Bruders und starrte mit trüben Augen auf den Bildschirm meines Notebooks. Dort war der brandneue Roman einer Autorin zu sehen, von der keine einzige meiner Kolleginnen jemals zuvor gehört hatte. Und jetzt stürmte sie als Nobody die Bestsellerlisten mit einer Geschichte, die ich schon in – gefühlt hundert – anderen Büchern besser gelesen hatte. Nur dass sie die Erste hier in Deutschland war, die das Wort ‘Billiardär’ im Titel führte. Ich nahm die Tasse aus dem Espressoautomaten und versuchte dabei, die hämmernden Schmerzen in meinem Hinterkopf zu ignorieren.

Oh, dieser verfluchte Chianti!

Ich hätte nach dem zweiten Glas aufhören sollen.

Zino hätte mich daran hindern sollen, noch eine weitere Flasche zu öffnen.

Wobei, wenn ich es mir recht überlegte, hätte ich ohnehin nicht auf ihn gehört. Wir sind zwar Zwillinge und er ist auch um einiges größer als ich, dafür bin ich aber ganze fünf Minuten länger auf der Welt und wer hört schon auf sein kleines Brüderchen?

Aber ich tat ihm unrecht. Immerhin war er derjenige gewesen, der zugehört hatte, als ich ihn gestern Abend einfach überfallen hatte. Ich hatte nicht anders gekonnt, nachdem ich einen Schriftsatz vom Anwalt meines Noch-Ehemannes erhalten hatte, in dem ich zu etwas aufgefordert wurde, das ich nicht verstand. Anwaltsdeutsch eben. Da war mir klar gewesen, dass ich unsere frühere wöchentliche Zusammenkunft bei Pasta und Vino wiederaufleben lassen musste, damit Zino mir das Kauderwelsch übersetzen konnte. Er hatte ja schließlich Jura studiert, auch wenn er nicht als Anwalt arbeitete.

Und diese Übersetzung hatte mich vollends in Verzweiflung gestürzt. Auch wenn ich selbst Zinos Worte nur ansatzweise verstand, so schien es darauf hinauszulaufen, dass es ‘Herr Schröder’, ich würde ihn nie wieder anders nennen, nun darauf anlegte, mir meine Bücher wegzunehmen. Meine Babys. Bei dem Gedanken daran wollten sich schon wieder Tränen der Wut und Ohnmacht ihren Weg aus den Augenwinkeln bahnen. Ursprünglich hatte das Schreiben für mich als ‘Unternehmergattin’ zwar nur als Möglichkeit gedient, die Zeit zwischen den Kosmetikterminen, der Firmenrepräsentation und der Charity-Arbeit halbwegs sinnvoll auszufüllen. Inzwischen hatte es sich aber zu meinem Lebensinhalt entwickelt. Ausgerechnet jetzt, wo sich all das Herzblut, das ich in die Geschichten hineingelegt hatte, endlich auszuzahlen begann, sollte ich die Rechte an ihn übertragen. Und alles nur, weil ich mich von ihm getrennt hatte. Er war nicht müde geworden, mir wegen meiner Reaktion ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen. Schließlich war ich ja einfach unangekündigt in der Firma erschienen und hatte ihn nur deshalb dabei überrascht, als er sich von seiner Physiotherapeutin eine Spezialbehandlung geben ließ.

Vielleicht gehen die Geschäfte ja doch nicht so gut, wie er es nach außen immer darstellt? Und jetzt will er sich auch noch die Euros unter den Nagel reißen, die ich mir selbst erarbeitet habe. Hoffentlich wird es nie so weit kommen.


Automatisch löste sich mein Blick vom Trauerspiel auf dem Bildschirm und wanderte zu dem Stapel Papier, mit dem Schröder die Zukunft meiner Geschichten besiegeln wollte. In diesem Moment gab das neben dem Notebook auf dem Tisch liegende Handy einen seltsamen Klingelton von sich. Ohne hinzusehen, tastete ich hektisch danach, damit das viel zu laute Klingeln endlich aufhörte. Ich erwischte es an der Kante, stieß es damit aber nur vom Tisch. Das Klingeln erstarb.

Na bitte. Auch eine wirksame Behandlung von Anrufen.

Ich riss mich von der Betrachtung des Schriftsatzes los. Vorsichtig, um den Typen, der sich mit dem Hammer in meinem Schädel herumtrieb, nicht noch mehr herauszufordern, lehnte ich mich zur Seite und fischte das Smartphone aus dem Papierkorb. Stirnrunzelnd starrte ich auf das Display. Was wollte jemand mit einer unbekannten Rufnummer um diese geradezu nachtschlafende Zeit von mir? Unvermittelt begann das Handy erneut zu klingeln. Vor Schreck hätte ich es beinahe fallen lassen. Konnte das der Anwalt sein, dessen Anruf mir Zino gestern angekündigt hatte? Aber die Nummer kam mir vage bekannt vor. Wenn ich mir doch bloß Zahlen merken könnte. Es half nichts. Also nahm ich das Gespräch an.

»Morgen, Grübchen«, schallte Zinos Stimme fröhlich heraus, noch bevor ich mich zu Wort melden konnte. »Weilen wir wieder unter den Lebenden?«

»Ich kann dich auch nicht leiden. Danke schön«, murmelte ich. »Ja, ich bin in der Senkrechten und beobachte die Bestsellerliste. Und du weißt, dass ich diesen Namen hasse.«

»Geschenkt, Agata. Ich finde dein Grübchen im Kinn süß. Aber was ich dir sagen wollte …«

»Zino, sie ist immer noch in den Top Ten«, unterbrach ich ihn. »Und bestimmt nur, weil es um nen Billiardär in Dubai geht. Ich mein, warum kann es nicht auch mal in Deutschland oder Italien spielen? Es gibt hier so schöne Landstriche. Denk mal an den Wispertaunus oder den Foresta Umbra, von dem Mamma immer erzählt. Und die ärmlichen Millionäre genügen ihr auch nicht. Nöö, ihr Held hat natürlich millionenmal mehr Knete auf dem Konto. Gegen diese Inflation der Nullen muss doch etwas getan werden.«

»Das hast du schon«, fuhr er dazwischen. »Schau mal in deinen Blog.«

Ich rief meine Website auf. Meine verquollenen Augen flogen über den ersten Absatz des aktuellen Artikels. Mein Gesicht wurde heiß vor Scham, während es mir kalt den Rücken hinunter lief.

»Du hättest mich aufhalten müssen«, hauchte ich.

Bei dem Gelächter, das daraufhin aus dem Hörer schallte, jubilierte der Hammerträger in meinem Hirn. Ich zuckte schmerzerfüllt zusammen.

»Der war gut, Schwesterherz«, gluckste Zino. »Als ob du dich jemals von etwas abbringen lassen würdest, was du dir in den Kopf gesetzt hast. Aber Scherz beiseite, die Bambi-Nummer von eben solltest du dir für deinen Verleger merken, wenn er gleich bei dir anruft.«

War das die erste unbekannte Nummer, die mir eigentlich doch bekannt vorkam?

»Moment, woher weißt du, dass er eben angerufen … ähm gleich anrufen wird?«

»Weil er zuerst bei mir angerufen hat – weiß der Himmel, warum. Und er klang … wie soll ich sagen … not amused. Du solltest auf jeden Fall rangehen, wenn es klingelt.«

»Wollte ich ja … ich meine, werde ich.«

»Sag bloß, du hast ihn weggedrückt?«

»Hab ich nicht«, fuhr ich auf. »Na ja, ich wollte es nicht, aber das dämliche Telefon ist mir aus der Hand gerutscht und da war der Anruf weg.«

»O-Oh … das gibt Mecker vom Onkel«, prustete Zino.

Bevor ich jedoch angemessen darauf reagieren konnte, signalisierte mir das Handy einen weiteren Anruf.

»Das wird er wohl sein. Ich muss …«

»Schon klar. Nicht vergessen, der grüne Button ist der zum Annehmen des Telefonats. Ciao, Bella.«

Zino beendete unser Gespräch, während ich wie hypnotisiert auf das Display starrte und meine nicht vorhandenen Optionen abwägte.

Kann ich nicht vielleicht doch einfach …? Nein, es nutzt nichts. Früher oder später muss ich mich dem Schlamassel, den ich angerichtet habe, stellen.

Da es mir irgendwie passend erschien, erhob ich mich und straffte die Schultern, bevor ich abhob.

»Guten Morgen, Herr Stein«, begrüßte ich ihn in einem Tonfall, der hoffentlich weder nach Grabesstimme, noch allzu fröhlich klang.

»Auch Ihnen einen guten Morgen, Frau Finocchio. Schön, dass Sie Zeit gefunden haben, das Gespräch entgegenzunehmen. Ich will es kurz machen. Seien Sie bitte um neun bei mir im Büro, um Ihre weitere berufliche Zukunft zu besprechen. Bis nachher also.«


Das hatte gesessen. Und ich saß nun auch. Mit zitternden Fingern griff ich nach der Kaffeetasse, die ich während des Telefonats abgestellt hatte.

Bestimmt ist der Inhalt inzwischen kalt.

Zum Glück war er es tatsächlich, denn als ich zu trinken ansetzte, entwickelte meine kraftlose Hand ein Eigenleben, das dazu führte, dass ich mir die Hälfte des Tasseninhalts über Kinn und Oberkörper schüttete.

»Uargh, verdammt«, schrie ich die leere Küche an. An irgendetwas musste ich die schlechte Laune schließlich auslassen.

Dann fiel mein Blick auf die Uhr und ich sprang auf. In nicht einmal einer Dreiviertelstunde wurde ich im Büro des Verlegers erwartet. Wenn Emmy mitspielte, würde ich es mit Hängen und Würgen rechtzeitig schaffen. Aber in welchem Outfit sollte ich dem großen Herwarth Stein gegenübertreten? Die Bluse hatte ich soeben ruiniert. Da half nur eins. Geschwisterliche Unterstützung. Wie ein aufgescheuchtes Huhn flitzte ich in Zinos Schlafzimmer und riss den Kleiderschrank auf.

Mal sehen …

Anzüge … Jacken … Mäntel … eindeutig das falsche Abteil.

Hemden … Socken … wo verdammt noch mal sind die … T-Shirts. Jawoll.

Okay … weiß, weiß, weiß, weiß, weiß … zu durchsichtig.

Schwarz, schwarz, grau, grau, marine … ich will doch nicht auf ne Beerdigung.

Schlammtöne … Dschungelcamp lässt grüßen … Moment … da war doch eben …

Voller Zuversicht zog ich an einem Teil, das sich im hintersten Winkel des Schrankfachs versteckt hatte.

Na endlich eine Farbe.

Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob das zarte Lachsrosa nun mit dem Fuchsia-Ton meines Nagellacks oder meinen blauen Augen harmonieren würde, zog ich mir das T-Shirt über den Kopf. Dann schnappte mir meinen Blazer und stürmte aus Zinos Wohnung.

Ich frage mich, wie alles gekommen wäre, wenn ich mir in diesem Moment angeschaut hätte, was auf der Vorderseite des Shirts abgebildet war.

Wer will schon eine Null

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