Читать книгу Dame sticht Bube - Christine Grän - Страница 6
3. Kapitel
ОглавлениеVater trug einen Smoking und wirkte sehr fragil. Er hatte mir anerkennend auf die Schultern geklopft, eine für seine Verhältnisse geradezu intime Geste, und von Führerschein und gebrauchtem Kleinwagen gesprochen. Vater litt wieder unter Gichtanfällen und oblag Magdas strengem Diätplan, den Emma immer wieder zu unterlaufen versuchte. Ich fragte mich, warum Vater und ich uns nie nahegekommen waren, und erklärte es mit den Mauern aus Glas, die er um sich herum gezogen hatte. Er war ein guter Arzt, aber nicht sehr populär, weil er sich grundsätzlich nicht für Menschen interessierte. Für ihn waren seine Patienten Fälle, und er blockte persönliche Gespräche konsequent ab. Das nahm man ihm übel. Damit konnte man es in unserem Kaff nicht weit bringen. Aber Magda war ja wieder in der Praxis präsent, der gute Geist des Doktors, die ausgleichende Schwatzhaftigkeit, Florence Nightingale im Quadrat.
Der Abschlußball war ein gesellschaftliches Ereignis im Kaff. Die jungen Damen führten lange Kleider im Empire-Stil und toupierte Hochfrisuren vor. Die jungen Herren trugen Pomade und dunkle Anzüge. Jemand sagte: «Die Eva wird ihrer Mutter immer ähnlicher», was meine Stimmung in bedrohliche Tiefen senkte. Außerdem war ich immer noch Jungfrau, ein typisches Kaff-Schicksal, denn wo sollte man es treiben an diesem Ort der Ohren und Augen und Münder? Und mit wem vor allem angesichts beschränkter Auswahl? Robert, Bürgermeistersohn, hielt sich unserem Haus fern, nachdem ich ihm von meiner Syphilisinfektion erzählt hatte. Was natürlich auch die anderen Jungs erfuhren, so daß mein Marktwert gleich null war. Einzig Hannes, ein aufgeklärter Apothekersohn, wagte sich bis an meine nackten Brüste vor, er wußte, daß er es davon nicht kriegen konnte.
Hannes war auch mein Tanzpartner beim Abschlußball, keine schlechte Partie, wie Magda zu bemerken beliebte. Hannes war ein wenig verliebt in mich, und man konnte ihn wunderbar belügen. Außerdem versorgte er seine Freunde aus dem Giftschrank seines Apothekervaters: Aufputschmittel, Tranquilizer, Cannabis ... Hannes behauptete, daß seine Haschischzigaretten sexuell stimulierend seien, wozu ich wenig sagen konnte, weil ich nach ein paar Zügen regelmäßig einschlief. Diese Orgien fanden im Sommer am Ziegelteich statt und bei Regen oder Kälte in der Jagdhütte von Hannes Vater. Der Apotheker war stark kurzsichtig, aber daß er den Schwund nicht bemerkte, ist mir immer ein Rätsel geblieben, ebenso wie die Anhänglichkeit seines Sohnes, der trotz leichter Plattfüße nicht unattraktiv aussah.
Aber wer war ich? Eine Andeutung von Frau mit langen Beinen und großem Busen, schwerknochig und ungelenk – ein störrischer Maulesel, wie Tante Ludovika sagte. Magda behauptete, daß sie als junges Mädchen sehr graziös gewesen sei, was durch alte Fotos nicht zu belegen war. Aber sie konnte nicht leugnen, daß ich ihre krausen Haare in undefinierbarem Braun geerbt hatte, ebenso wie die graugrünen Augen und die dominante Nase. Vater hatte mir nur seinen Mund mitgegeben, groß und ein wenig schmachtend, was in seinem Fall den Eindruck von Willensschwäche erweckte. Mit achtzehn war ich überzeugt davon, daß man so war, wie die anderen einen sahen – und ich war unglücklich. Vater saß in seinem Glashaus, und Mutter ließ keinen Zweifel daran, daß ich sie enttäuscht hatte. Andere Mädchen waren hübscher, erfolgreicher, beliebter. Jungs waren ohnehin anders und Hannes nur insofern eine Ausnahme, als er allein auf weiter Flur der Meinung war, ich sei liebenswert.
Beim Abschlußball stieg ich ihm dauernd auf die Füße, ein gerechter Ausgleich für seine klebrige Hand auf meinem Rücken. Das Kaff tanzte Walzer, glotzte und schwatzte. «Und wie geht es weiter – mit uns?» Hannes Mund an meinem Ohr. Er war schon ein wenig betrunken von dem guten Riesling, und er sabberte. Sein linker Plattfuß unter mir zuckte zurück, als ich sagte, daß ich auf eine Leprastation nach Afrika gehen würde, er könne ja mitkommen. Ein paar Takte Schweigen. Ob meine Eltern davon wußten?
Ich schüttelte den Kopf und sah zu dem Tisch, an dem Magda Hof hielt, neben sich den Direktor des Gymnasiums, der uns acht Jahre lang mit schneidender Stimme und mathematischen Formeln terrorisiert hatte. Jetzt war er nur noch ein jämmerliches Männchen im schlechtsitzenden Smoking, das zuviel trank und über die Lebensweisheiten meiner Mutter scheppernd lachte. Selbst von der Tanzfläche konnte ich die Bewegungen ihres Mundes beobachten, ihre flinken Blicke, denen nichts zu entgehen schien, die gekünstelte Bewegung, mit der sie ihr Weinglas an die Lippen führte. Vater unterhielt sich mit meiner Deutschlehrerin, von der im Kaff behauptet wurde, daß sie lesbisch sei. Alle alleinstehenden Frauen im gebärfähigen Alter waren entweder lesbisch oder Flittchen. Erst ab fünfzig wurden sie zu respektablen alten Jungfern, so wie Tante Ludovika, die in ihrem schwarzen Kleid mit dem Schleierhut wie ein Geier hinter Gittern aussah.
Ludovika ebenso wie Magda und ein paar andere Damen der käfflichen Oberschicht kümmerten sich sonn- und feiertags um die Frauen, die im «Witwenheim» lebten und mit ein paar hundert Schillingen Rente nicht auskamen. Man spendete Naturalien, zum Beispiel Magdas Kirschmarmelade oder Ludovikas selbstgestrickte Pullover, und organisierte Wohltätigkeitsbasare, wobei man sich einig war, daß Bargeld die Witwen nur auf dumme Gedanken brächte, Schnaps zum Beispiel.
Ein paarmal war es mir gelungen, Hannes zum Diebstahl von reinem Alkohol aus der Apotheke zu bewegen, ein Geschenk, das den Witwen höchst willkommen war. Sie versetzten den Alkohol mit Wasser und allerlei Kräutern und feierten fröhliche Feste, deren Geräuschpegel allerdings erst die Nachbarn und dann die Gendarmerie auf den Plan rief. Daß ein paar der alten Damen an Alkoholvergiftung gestorben seien, hielt ich für ein böswilliges Gerücht. Und selbst wenn es stimmte, hatten sie weiter nicht viel versäumt. Bestimmt nicht Magdas Kirschmarmelade, die süß und klebrig war, analog zu ihren guten Taten.
Nach dem Walzer führte mich Hannes, von der Lepra-Information sichtlich geschockt, zurück an den Tisch. Er machte einen Diener, bevor er davonwatschelte, und Magda sagte, was für ein wohlerzogener junger Mann er sei und daß der Apotheker über ein beträchtliches Vermögen verfüge. Der einzige Sohn, setzte Ludovika nach und breitete die Geschichte der Apothekersgattin aus, die drei Fehlgeburten erlitten habe, bevor der kleine Plattfuß zur Welt gekommen war. Ihre Augen glitzerten, und hektische Flecken auf den Wangen deuteten an, daß sie rieslingschwer war. «Ich sag’s ja immer, daß schlechte Gene zu nichts Gutem führen. Blut und Blut mischt sich halt nicht gerne.»
Was Ludovika uns damit sagen wollte, war, daß jene bedauernswerte Apothekersfrau aus einer halbjüdischen Familie stammte, die auch noch die Chuzpe besessen hatte, die Hitlerjahre zu überleben. Tante Ludovika war eine lupenreine österreichische Rassistin. Juden, Neger, Burgenländer und alles, was aus dem Osten kam und unter den Sammelbegriff «Tschuschen» fiel, waren ihr fremd und verdammenswert. Sie stand nicht ganz allein da im Kaff.
«Aber Ludovika», sagte Magda tadelnd, jedoch mit einem toleranten Lächeln, nur für den Fall, daß noch weitere Rassisten am Tisch saßen.
Von meinem Geschichtslehrer wußte ich es genau, denn der hatte uns in den letzten beiden Jahren mit Hitlers genialen Feldzügen gelangweilt, seiner tapferen Rolle im großen Indianerspiel und dem schrecklichen Ende, an dem nur die Amerikaner schuld waren. Die Amis hatten ihn auch gefangengenommen, worauf er vorübergehend zum Widerstandskämpfer mutiert war, ein sehr österreichisches Schicksal.
Bei uns zu Hause wurde fast nie über den Krieg gesprochen. Magda fand das nicht bekömmlich, schließlich hatte Vater seinen kränkelnden Gesamtzustand den Kriegs- und Gefangenenjahren zu verdanken. Soviel sie sonst zu sagen hatte: Die Jahre zwischen 1940 und 1950 waren tabu. Von Tante Ludovika wußte ich nur, daß sich die Schwestern in die amerikanische Zone abgesetzt hatten, weil sie den Russen irgendwie mißtrauten. Einer meiner Onkel war in Rußland gefallen; zwei waren immer dagegen gewesen und hatten still überlebt.
Einer der schlimmsten Nazis des Kaffs, so Ludovika, war Direktor Paschel gewesen, dessen Fabrik vorübergehend Waffen produzierte, weil Feuerwerkskörper für die Vernichtung des Feindes nicht ausreichten. Geschadet hatte es ihm nicht, und seine beiden Töchter bekamen zur Matura zwei Autos der Marke «Opel Kapitän». Beim Abschlußball trugen sie weiße Seidenkleider aus Paris, um uns anderen zu zeigen, daß wir es noch nicht ganz geschafft hatten. Lea Paschel starrte meinem Vater auf die Hose, was er Gott sei Dank nicht bemerkte.
Auf der Toilette erzählte ich Lea, daß meine Mutter sich in einem Wiener Spezialgeschäft Kunstpenisse anfertigen ließ. Ihre Kuhaugen wurden kugelrund, und später fragte mich Magda, warum die eine Paschel-Tochter sie so ungehörig ansehe und dabei kichere. «Zuviel Geld verdirbt den Charakter, merk dir das, Eva.» Mein Lachen führte sie auf den Überkonsum von Wein zurück. Als ich ihr zuflüsterte, daß ich Lea Paschel eben auf der Toilette ertappt hatte, verstrickt in unzüchtige Handlungen gleichgeschlechtlicher Art, da schlug sich Magda entsetzt die Hand auf den Mund, der ultimative Ausdruck ihres Entsetzens. Es gab wenige Dinge, die sie sprachlos machten, zumindest für ein paar Sekunden, und ich war nahe daran, mich durch hemmungsloses Gelächter zu verraten.
Doch sie stand auf und ging zur Toilette, an den Ort des Geschehens, den sie vermutlich in Augenschein nahm, bevor sie darüber nachdachte, ob ich die Geschichte erfunden hatte oder ob sie ihre Empörung über die Ballgäste ausbreiten sollte wie ätzende Regentropfen, die niemanden verschonten. Die Entscheidung mußte vertagt werden, denn als Magda zurückkam, war Vater am Tisch eingeschlafen und Tante Ludovika betrunken vom Stuhl gefallen. Ich schwankte nur ein wenig und lachte zuviel. Magda, von eiserner Konstitution, schleppte die Familie nach Hause. Mir war schwindelig, doch insgesamt war ich zufrieden. War ich doch märchenhafte Lügen losgeworden und auf dem Weg in eine Zukunft, in der das Kaff keine Rolle mehr spielte.
Als wir den Ballsaal verließen, stand Hannes mit Lea Paschel an der Bar, ziemlich eng, und ich dachte, daß die Lepra nach der Syphilis doch ein bißchen viel gewesen war. Männer waren eben nur bedingt leidensfähig, und je mehr man sie auf die Probe stellte, desto schamloser entblößten sie den feigen Kern. Als ich durch die Tür ging, gab ich dem Apothekersohn den Laufpaß. Ihm und allen anderen, die mich in den ersten achtzehn Jahren meines Lebens gequält oder gelangweilt hatten.