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Donnerstag, 5. November

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Am Donnerstag ist Heimarbeit angesagt. Ich habe noch viel Arbeit auf meinem Schreibtisch liegen. Zumindest die dringenden Dokumente muss ich jetzt erledigen. Mittags dusche ich mich und wasche die Haare, schließlich will ich abends ordentlich aussehen.

*

Um fünf Uhr lasse ich die restliche Arbeit liegen. Ich muss mir überlegen, was ich für das Konzert anziehe. Schließlich können zwei Möglichkeiten auftreten. Die erste ist, Markus holt mich ab. In diesem Fall kann ich elegante, aber unbequeme Schuhe oder Sitzschuhe anziehen, denn ich muss nicht viel gehen. Im zweiten Fall, er holt mich nicht ab, gibt es A und B. A, ich rufe ein Taxi und brauche auch nicht viel zu gehen. Hier gilt das Gleiche wie im ersten Fall. Das heißt ich ziehe elegante, aber unbequeme Sitzschuhe an. Im Punkt B gehe ich zu Fuß zur Münchner Freiheit und nehme die U-Bahn. In diesem Fall wären bequeme Treter angeraten. Auch um kalte, schmerzende Füße zu vermeiden. Das Glück will es, dass es nicht regnet. Obwohl, so gesehen, hätte der Regen gewisse Vorteile, denn ich würde auf jeden Fall ein Taxi rufen, sollte Markus mich nicht abholen. Mit dem eigenen Auto zu fahren kommt nicht in Frage. Wie soll er mich sonst nach dem Konzert nach Hause fahren? Will ich das? Für eine Minute gehe ich in mich. Schnell komme ich zur Feststellung: Ja, ich möchte, dass er mich nach Hause fährt.

Schließlich entscheide ich mich für den Fall zwei B vorzubereiten. Ich ziehe meinen schwarzen Hosenanzug an, die silbergraue Seidenbluse, schwarze, bequeme Treter und meinen Mantel darüber. Das kleine, schwarze Lederhandtäschchen bestücke ich. Ja, ich glaube so müsste es gehen. Normalerweise schminke ich mich wenig, doch heute mache ich eine Ausnahme und verteile Farbe um die Augen. Nun noch ein wenig Rouge auf die Wangen, Lippenstift und fertig bin ich. Schmuck besitze ich nicht viel. Die schlichte Goldkette lege ich um und die goldene Uhr schmückt mein Handgelenk. Das muss reichen!

Mit den Vorbereitungen habe ich so lange getrödelt, dass ich erst um viertel vor sieben fertig werde. Ich merke schon, ich bin ganz aus der Übung. Das letzte Date liegt schon eine gewisse Zeit zurück.

Komischerweise sagt mir mein siebter Sinn, dass Markus keine Zeit haben wird, mich abzuholen. Und nicht nur das, ich habe auch das dumme Gefühl, er wird überhaupt nicht kommen. Das wäre wenigstens ein Grund ihn nicht mehr zu sehen. Höre ich jedoch in mich hinein, sagt mir mein Herz und mein Bauchgefühl, dass es schade wäre, wenn die ganze Geschichte jetzt im Sand verliefe. Nun ja, abwarten und Tee trinken.

Meine Vorahnung hat mich nicht betrogen. Markus ruft bis viertel nach sieben nicht an. Ich stapfe zur U-Bahn. Ein paar Leute in der U-Bahn schauen mich interessiert von der Seite an. Vielleicht hätte ich doch das Auto herausholen sollen. Aber in der Stadt ich fahre nicht gerne mit dem Auto. Um ganz ehrlich zu sein, das Fahren in der Stadt ist nicht das Problem, sondern vielmehr das Parken. Einparken ist meine Schwachstelle. Deshalb steht mein Auto die meiste Zeit in der Garage. Manchmal frage ich mich weshalb ich überhaupt eines habe. Aber bei Terminen außerhalb von München ist ein fahrbarer Untersatz mit vier Rädern außen und einem Rad zum Lenken innen doch praktisch.

Die U-Bahn hält am Odeonsplatz und ich steige aus. Von hier bis zum Herkulessaal ist es nur ein Katzensprung. Um zwanzig vor acht bin ich da. Wie üblich viel zu früh! Trotzdem schaue ich alle zwei Minuten auf die Uhr. Von Markus keine Spur. Weshalb wundert mich das nicht? Im Gegenteil, es bestärkt nur meine dunklen Vorahnungen. Bis kurz vor acht Uhr lasse ich ihm Zeit. Das muss ich ihm zugestehen. So fair will ich sein. Sollte er nicht rechtzeitig erscheinen, werde ich seine Eintrittskarte an der Kasse hinterlegen. Aber noch muss ich nicht handeln. Nervös laufe ich hin und her, schaue abwechselnd zum Eingang und auf die Uhr. Ich kann ihn nicht anrufen. Mein Handy liegt zu Hause. Das habe ich toll hinbekommen. Ich war so darauf fixiert, die Eintrittskarten mitzunehmen, dass ich das mobile Telefon, das daneben lag, einfach nicht einpackte.

Inzwischen ist es zehn vor acht. Ich beginne wie auf heißen Kohlen zu stehen. Jetzt bin ich froh, dass ich mich für die bequemen Schuhe entschieden habe. Es steht sich leichter. Warum bin ich nur immer so nervös? Markus hat noch zehn Minuten.

Fünf Minuten bis zum Konzertbeginn. Kommt er oder kommt er nicht? Meine Vorahnungen bewahrheiten sich bestimmt wieder einmal. Es ist nicht das erste Mal. Schon eigenartig, dass ich mich meist auf meinen Bauch verlassen kann. Ich beschließe nicht länger zu warten und will mich dem Eingang zuwenden. Da sehe ich ihn heranstürmen. Ich vermute, alle um mich herum haben den Stein gehört, der soeben von meinem Herzen auf den Boden fällt.

Markus ist noch ganz außer Atem als er sich mir im Eilschritt nähert. Wie ganz selbstverständlich nimmt er mich an den Schultern, küsst mich auf beide Wangen und wünscht mir guten Abend. Leise murmle ich etwas von schön, dass du kommst und will ihm meine rechte Hand entgegenstrecken. Er ignoriert sie. Dann war die Umarmung am Montag also doch kein Ausrutscher. Auch recht!

Während Markus mich zur Garderobe lotst, erklärt er mir: „Tut mir wirklich Leid, Angelika. Heute hatte ich nicht nur einen Patienten in letzter Minute, sondern zwei. Und als Tüpfelchen auf das I habe ich nicht sofort einen Parkplatz gefunden. Na ja, ich hab’s ja geschafft. Das ist wohl die Hauptsache.“

Gerade haben wir es uns in unseren Sesseln bequem gemacht, als das Licht gelöscht wird und das Konzert beginnen kann. Wir geben uns ganz den Klängen der zauberhaften Musik aus der spanischsprachigen Welt hin.

Plötzlich stupst Markus mich an. Ich bin so in das Konzert vertieft, dass ich erschreckt zusammenfahre. Habe ich ein schlechtes Gewissen? Ich muss lächeln.

Nun flüstert er mir kaum hörbar ins Ohr: „Gut siehst du aus, Angelika.“ Dabei drückt er sanft meinen rechten Oberarm.

Noch bevor ich etwas erwidern kann, hat er sich schon wieder in seinem Sitz zurückgelehnt. Ich hoffe nur, er bemerkt nicht wie ich erröte. Und das in meinem Alter! Schon lange hat mir niemand mehr Komplimente gemacht. Erstaunlicherweise wirkt es immer. Ich zumindest bin sehr empfänglich dafür. Auch wenn ich es nicht eingestehen will.

In der Pause folgen wir den anderen Zuhörern ins Foyer. Markus hängt sich bei mir ein und führt mich in die Nähe des Buffets. „Möchtest du etwas trinken?“, will er wissen.

„Ein Mineralwasser. Aber ein ganzes Fläschchen ist mir zu viel“, antworte ich wahrheitsgemäß.

„Wir werden uns eins teilen. Die Luft ist ein bisschen trocken hier drin. Warte doch da drüben auf mich“, schlägt er vor und zeigt auf eine Stelle in meinem Rücken.

Gehorsam gehe ich zu dem angedeuteten Ort, während er sich in der Schlange am Buffet einreiht.

In dieser Zeit kann ich ihn unbemerkt beobachten. Gut sieht er aus! In dem dunkelblauen Anzug, dem weißen Hemd und der dunkelblau und silbrig gestreiften Krawatte. Ja, allgemein bestätigt sich der Eindruck, den ich gewonnen habe. Ein fescher Mann! Aber was nützt mir ein äußerlich ansehnlicher Mann? Sonst muss es passen. Na ja, ich will nicht mit ihm anbandeln. Das ist der letzte Stand meiner Entscheidung.

Schließlich kommt er mit einer Flasche und zwei Gläsern.

„Weißt du“, sagt er, „es tut mir wirklich Leid wegen vorhin. Den ganzen Tag sah es so aus, als wäre ich um sechs Uhr fertig und wollte dich auch schon anrufen, als noch zwei Patienten kamen. Später habe ich versucht dir Bescheid geben, dass ich vielleicht zu spät komme. Da warst du schon aus dem Haus und auf dem Handy konnte ich dich nicht erreichen.“

„Das liegt zu Hause“, werfe ich schnell ein und füge hinzu, „dafür habe ich daran gedacht die Eintrittskarten mitzubringen.“

Er schaut mich mit einem Gesicht an auf dem ein großes Fragezeichen geschrieben steht.

Also gebe ich eine kleine Erklärung: „Ich vergesse immer etwas zu Hause. Also habe ich mein Augenmerk auf die Karten gesetzt. Das Handy, das daneben lag, müsste sich jetzt noch immer dort aufhalten.“

Seine Miene hellt sich auf und er grinst: „Ich wollte sagen, dass du meine Karte an der Kasse hinterlegst“, fährt er dann fort. „Aber es ist ja alles gut verlaufen.“

Wenn er wüsste wie nervös ich war. Natürlich werde ich ihm das nicht erzählen.

„So hatte ich es auch vor“, gebe ich zu, „deine Karte wollte ich gerade, als du angelaufen kamst, an der Abendkasse für dich hinterlegen.“

„Ach, Angelika, du bist ein Engel“, und damit küsst er mich sanft auf die Wange. Das scheint bei ihm eine Angewohnheit zu werden. Unangenehm ist es mir nicht. Aber mir wird klar, er sucht immer wieder nach einem Vorwand um mir einen Kuss zu verpassen oder mich zu berühren. Ich wage es nicht, dieses Verlangen zu erwidern.

Ich weiß zwar nicht wie sich Engel normalerweise verhalten, doch ich fühle mich weit davon entfernt auch nur einem von ihnen zu ähneln.

Es klingelt und die Leute strömen wieder in den Saal. Wir reihen uns in den Strom ein und gelangen an unsere Plätze.

Der zweite Teil des Konzerts ist so faszinierend wie der erste. Wir geben uns ganz der Musik hin. Es ist so schön, dass ich es bedauere, als das Konzert endet. Aber alles hat irgendwann ein Ende.

Langsam schlendern wir hinaus und holen, noch ganz im Musikrausch versunken, unsere Mäntel an der Garderobe ab. Ich will Markus meinen Mantel abnehmen um ihn anzuziehen, doch er hält ihm mir hin, damit ich hineinschlüpfe. Zum einen hat das schon lange niemand mehr gemacht, doch auf der anderen Seite weiß ich schon jetzt, dass ich ewig herumfummeln werde, bis ich den Ärmel finde. Aber nein, Markus scheint Übung darin zu haben Frauen in den Mantel zu helfen, denn ich schlüpfe problemlos in den ersten Ärmel und der zweite folgt sogleich. Erst jetzt zieht er seinen Mantel an, den er bisher über seinen linken Arm gelegt hatte.

Als wir auf die Straße hinausgehen, schreckt uns die Kälte aus unserem Traum.

Jetzt fragt Markus: „Möchtest du noch etwas essen oder trinken gehen? Wir könnten hier zum Beispiel ins Café Tambosi.“

„Och, das Konzert war so schön, dass jedes grelle Licht oder Lärm störend wirkt. Wenn du Lust hast, dann können wir bei mir noch ein Gläschen trinken. Du bekommst auch etwas zu essen. Ganz wie du möchtest.“ Als mir die Einladung rausgerutscht ist, verstehe ich mich selbst nicht. Ich lade diesen Mann beim dritten Stelldichein zu mir in die Wohnung ein? Das sind ganz neue Züge, die ich an mir nicht kenne. Was ist mit mir geschehen? Und schon höre ich Markus sagen:

„Sag mal ganz ehrlich, Angelika, hast du keine Angst fremde Jungs mit nach Hause zu nehmen?“, will Markus mit einem verschmitzten Lächeln wissen. Er macht sich über mich lustig. Das geschieht mir gerade recht. Ich beginne mich über mich selbst zu ärgern. Aber immerhin habe ich mich so weit in der Hand, dass ich mir den Ärger nicht anmerken lasse.

Und so antworte ich: „Nein, ich kann mich ganz gut verteidigen. Und um von Jungs zu sprechen, ich nehme nie mehr als einen mit. Aber mir scheint, dir ist das nicht geheuer. Keine Angst. Ich falle nicht über dich her, sobald ich die Wohnungstür ins Schloss geworfen habe. Versprochen! Okay?“, versuche ich den Spieß umzudrehen.

Nun lacht er und meint: “Na gut, ich lasse es auf einen Versuch ankommen.“ Die Wogen glätten sich auch bei mir wieder.

Wir gehen zu seinem Auto. Wieder hält er mir die Beifahrertür auf. Wirklich höflich und galant! Das gibt es nicht oft heutzutage. Hoffentlich steigt mir das nicht zu Kopfe.

Es herrscht wenig Verkehr und wir kommen schnell bei mir an. Vom Parkplatz aus müssen wir ein Stück zu Fuß gehen. Aber das macht nichts. Frische Luft soll gesund sein, auch wenn sie kalt ist.

An der Haustür angelangt hält Markus mich am Arm fest und sagt: „Noch kannst du es dir überlegen.“

Worauf ich versuche ein entwaffnendes Lächeln aufzusetzen und antworte: „Hast du doch Angst?“ Mit diesen Worten schließe ich die Haustür auf und drücke auf den Lichtschalter.

Wie üblich steige ich die Treppen in den dritten Stock hoch. Etwas atemlos oben angekommen will Markus wissen, ob der Fahrstuhl nicht funktioniert.

„Oh, doch, entschuldige“, rechtfertige ich mich. Markus atmet immer noch etwas schwer. „Aber ich gehe immer zu Fuß. Ich habe gar nicht an den Aufzug gedacht. Natürlich funktioniert er, oder zumindest vermute ich es. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier und ich ganz besonders. Heißt es nicht, Treppensteigen ist gesund fürs Herz?“ Ich grinse ihn an.

Inzwischen habe ich den Schlüssel ins Schloss geschoben und die Wohnungstür aufgeschlossen. Ich knipse das Licht im Flur an. Markus tritt nach mir ein und schließt die Tür.

Im Film würden wir nun über uns herfallen und uns die Kleider vom Leib reißen. In Anbetracht der eleganten Kleidung für das Konzert wäre das aber nicht sehr wirtschaftlich zwecks Neubeschaffung anderer Kleidung.

„Hier, Markus, ein Kleiderbügel für deinen Mantel“, sage ich statt des filmreifen Auftritts und reiche ihm den Bügel.

„Danke, das ist nicht nötig. Der hängt auch so.“ Er nimmt mir den Bügel aber doch aus der Hand und hängt seinen Mantel darauf.

Ich gehe voraus und schalte das Licht im Wohnzimmer ein. Meinen Mantel habe ich noch nicht abgelegt, doch das fällt mir im Augenblick gar nicht auf.

„Setz dich“, fordere ich Markus auf und deute auf einen Sessel. „Was möchtest du trinken? Bier, Wein? Ich habe auch Härteres. Oder möchtest du ganz einfach Tee, Kaffee, Milch oder Saft? Such dir’s aus.“

Markus bleibt stehen und schaut mich an. Ich glotze zurück und frage mich was er nun will. Er zeigt auf mich und sagt: „Willst du deinen Mantel nicht ausziehen?“ Ich fühle wie ich rot werde. Ja, den Mantel ausziehen, klar. Ich öffne die Knöpfe. Schon steht er hinter mir, nimmt mir den Mantel ab und hängt ihn auf einen freien Bügel an der Garderobe. Dann kommt er ins Wohnzimmer zurück.

„Wo waren wir stehen geblieben“, will Markus wissen.

„Beim Trinken“, gebe ich zur Antwort. Ich komme mir doof vor. Weshalb kann ich nichts richtig machen?

„Ach ja“, sagt er lachend, „du hast ein großes Angebot an alkoholischen Getränken. Für jemanden, der keinen Alkohol trinkt scheinst du ganz gut ausgestattet zu sein.“

Wunderbar gemacht junge Frau! Es gibt doch diese geheimen Alkoholiker, die in der Öffentlichkeit nie trinken. Bestimmt hält er mich für eine.

„Ja“, versuche ich krampfhaft zu erklären, „schließlich kann ich die Menschen, die zu mir kommen, nicht zur Abstinenz zwingen. Jeder hat das Recht zu wählen wie und was er will, oder?“ Ich bin ein wenig verärgert und gekränkt.

„Hört sich vernünftig an. Hatte dir dein Mann das Trinken von Alkohol verboten?“, will Markus wissen.

„Oh, nein, absolut nicht. Ich vertrage nur überhaupt keinen Alkohol. Er steigt mir sofort in den Kopf. Und so lasse ich ihn weg. Was darf ich dir anbieten? Möchtest du noch eine kleine Brotzeit oder eine Suppe? Allerdings die Suppe ist aus der Dose.“

„Was möchtest du denn? Drehen wir den Spieß mal um. Ich nehme das, was du auch nimmst oder was du mir geben willst.“ Womit er mir den Ball wieder zugespielt hat. Er setzt sich in den angebotenen Sessel.

Bevor ich in die Küche gehe, lege ich eine CD ein. Modernes HiFi-Gerät habe ich nicht. Mozart erscheint mir das Richtige zu sein um den Abend ruhig abzuschließen.

In der Küche fülle ich Wasser für Tee in den Wasserkocher und hole Butter, Käse, Essiggurken und Wurst aus dem Kühlschrank. Dann schneide ich Brot in Scheiben. Gerade lege ich Butterflocken auf die Brotscheiben, als Markus hinter mir sagt. „Kann ich dir helfen?“

Ich fahre derart zusammen, dass mir das Messer aus der Hand und scheppernd auf den Teller fällt. Zum Glück geht der nicht in Brüche. Bisher wusste ich gar nicht, dass ich so schreckhaft bin. Aber ich habe auch nie Männerbesuche in der Wohnung gehabt. Und so stammle ich etwas hilflos: „Oh, nein, ich belege nur ein paar Brote. Dazu gibt es Tee. Bin gleich fertig. Danke für das Angebot.“

Markus hatte Anzugsjacke und Krawatte ausgezogen. Er steht nur in Hemdsärmeln da. Zur Entschuldigung sagt er: „Ich habe es mir bequem gemacht. Du hast hoffentlich nichts dagegen, dass ich Jackett und Krawatte ausgezogen habe. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Gib mir noch ein Messer. Ich helfe dir beim Belegen der Brote. Übrigens, ich wollte dich nicht erschrecken. Diese Teppichböden schlucken jedes Geräusch.“ Ich schaue an ihm hinab und sehe, dass er auch die Schuhe ausgezogen hat. In Socken steht er vor mir. Ich muss lächeln. Er hat es sich ganz offensichtlich bequem gemacht.

Der Wasserkocher schaltet mit einem Knack ab. Ich kümmere mich um den Tee. Es gibt Gingko-Kräutertee. Hoffentlich trinkt er den auch.

Als ich mich den Broten zuwenden will ist Markus fleißig dabei sie zu belegen. So stelle ich Teegeschirr, Zucker und Löffel auf ein Tablett und trage es ins Wohnzimmer an den Esstisch. Wieder in der Küche zurück sehe ich, dass Markus die Brote fertig belegt hat und frage: „Meinst du das reicht?“

„Für den Anfang auf jeden Fall.“

Der Tee hat genug gezogen. Ich nehme den Filter heraus und stelle die Kanne zu den Broten auf das Tablett.

„So das wär’s. Markus, könntest du bitte das Licht löschen?“ Mit dem Tablett in den Händen gehe ich ins Wohnzimmer voraus.

Nun sitzen wir uns am Esstisch gegenüber. Im Hintergrund läuft leise Musik. Noch immer Mozart. Ich gieße Tee ein und Markus schnuppert an der Tasse.

„Hm, riecht gut.“ Und dann will er wissen, „Kräutertee?“

„Ja.“

„Hab ich schon lange nicht mehr getrunken. Du scheinst einen guten Geschmack zu haben. Na ja, das sieht man ja auch daran, dass du mich zu dir eingeladen hast und nicht irgendjemand anderen.“ Er lacht mich frech an.

„Einbildung ist auch eine Bildung“, stelle ich trocken und ohne mit der Wimper zu zucken fest, worauf er mich ganz erstaunt ansieht. Als Antwort grinse ich ihn nur an. Er ist sich anscheinend nicht sicher, wie ernst meine Aussage gemeint ist. Ich lasse ihn im Zweifel.

Wir sprechen über das Konzert, ein wenig Politik und anderes. Dabei essen wir die Brote und schlürfen heißen Tee. Eine angenehme Stunde der Zweisamkeit. Ohne ersichtlichen Grund nimmt Markus meine Hand in seine, führt sie zum Mund und küsst sie. Zuerst den Handrücken, dann die Handinnenfläche. Ein leichtes Kribbeln überzieht meinen Arm. Das kann ja heiter werden! Aber habe ich das nicht gewollt? Habe ich ihn nicht genau deshalb eingeladen?

Dann sagt er mit zärtlicher und weicher Stimme: „Weißt du, Angelika, das was ich dir am Montagabend gesagt habe, stimmt immer noch. Ich hatte auch keinen schlechten Tag, wie ich es dir Glauben machen wollte. Für mich ist das ein ganz neues Gefühl. Nie hätte ich zu hoffen gewagt, dass ich mich Hals über Kopf verliebe. Man kann es nicht planen. Du gehst mir nicht aus dem Sinn. Wenn ich es könnte, dann würde ich dir den Mond und die Sterne vom Himmel holen. Ich weiß, das hört sich nach einem billigen Drei-Groschen-Roman an. Bisher habe ich über solche Äußerungen immer nur gelacht. Und schau mich heute an. Wie ein verliebter Primaner. Du bist auch nicht abweisend, zumindest nicht immer. Also wage ich zu hoffen. Dein Problem ist, du wirst mit meinem Beruf nicht fertig. Irgendetwas muss passiert sein. Aber, was? Lass mich dir helfen. Vorhin in der Küche bist du richtig erschrocken als ich hereinkam. Du hattest ja noch gezittert, als du die Tassen ins Wohnzimmer getragen hast. Und dann die andere Angelika. Zum Beispiel die, die mich vorgestern angerufen hat, die, die heute Abend so fiebrig auf mich gewartet hat und sich für mich besonders hübsch gemacht hat. Oder die, die mich zu sich nach Hause einlädt. Meinst du nicht, gemeinsam können wir die Ursache finden? Wäre doch schön, wenn du Vertrauen in mich als Mann und auch als Zahnarzt hättest.“

Verblüfft starre ich ihn an: „Gut gebrüllt Löwe! Ich fühle mich etwas überrollt. Leider kann ich dir nicht erklären, woher meine Angst vor Zahnärzten kommt. Vielleicht eine schlechte Erfahrung als Kind, vielleicht Erzählungen von Bekannten. Wahrscheinlich auch die Tatsache, dass man euch hilflos ausgeliefert ist. Man kann sich nicht wehren. Das Unbestimmte, meine Unsicherheit. Ich weiß es nicht. Ich mag das nicht. In dem Augenblick bin ich total verunsichert und drehe durch. Es ist schon lange so. Eigentlich seit ich zurückdenken kann. Es ist nicht deine Schuld. Was meinst du wie viele Zahnärzte ich schon besucht habe?“

„Das ist mir klar“, gibt er zu bedenken. „Ich kann nichts dafür, aber mich betrifft die Situation nun in erster Linie als Mann. Du kannst mich als Person und den Beruf nicht unbedingt trennen. Das bedrückt mich. Wir müssen der Sache gemeinsam auf den Grund gehen.“

Ich entziehe ihm meine Hand und lege sie um meine Teetasse. Wärmen kann ich sie nicht daran. Der Tee ist nur noch lauwarm. Die CD ist schon längst abgelaufen. Um etwas zu tun, stehe ich wortlos auf und entscheide mich für Chopin.

Markus ist auch aufgestanden, legt mir von hinten die Arme um die Schultern und zieht mich an sich. Er küsst mein rechtes Ohr und den Nacken. Langsam drehe ich mich zu ihm um. Noch hätte ich mich wehren können, doch ich tue nichts dergleichen. Er zieht mich fest an sich und ich spüre seine Lippen auf meiner Stirn. Als ich den Kopf hebe, legt er seine Lippen auf meine. Meine Arme, die bislang an meinem Seiten lagen, schlinge ich um seinen Nacken. Nun legt er den Kopf in den Nacken, streichelt mir mit der rechten Hand die Haare aus dem Gesicht, sieht mir in die Augen und sagt ganz leise und zärtlich:

„Siehst du, kleines Mädchen, auch das kann man mit Zahnärzten machen. Wir sind Menschen aus Fleisch und Blut, mit durchaus menschlichen Gefühlen.“

Ich lächle ihn nur an und nicke. Dann umarmen wir uns wieder. Ich dränge mich fest an ihn und erwidere seine Küsse. Leidenschaftlich diesmal. Wann habe ich das letzte Mal in den Armen eines Mannes gelegen? Dann vergesse ich alles um mich herum.

Markus streichelt mir den Rücken. Ist das schön! Seine Hände wandern zu meinen Brüsten, während seine Zunge meinen Mund, die Zunge und meine Zähne, die er ja bereits kennt, erforscht. Langsam öffnet er meine Bluse, Knopf um Knopf. Seine rechte Hand greift in meinen BH und spielt mit der nackten, rechten Brust. Er streift mir die Bluse von den Schultern. Ich lasse sie über die Arme abrutschen. Sie bleibt über dem Bund der Hose hängen.

Markus Hände arbeiten sich behände durch meine Kleidungsstücke. Der BH ist schnell geöffnet. Ich lasse ihn zu Boden fallen. Er beugt sich vor und küsst meine Brüste, denen meine Erregung anzusehen ist. Mit seiner Zunge umspielt Markus meine Brüste und die Brustwarzen. Die Lust in mir wächst. Daran, mich zu wehren, denke ich schon lange nicht mehr.

Vorsichtig mache ich mir an seinem Hemd zu schaffen. Als ich die Knöpfe geöffnet habe, ziehe ich es aus der Hose. Markus öffnet schnell die Manschetten, während er mit den Lippen am meiner linken Brust verweilt. Sein Hemd gesellt sich zu meinem BH auf dem Boden.

Die Spannung in meinem Körper wächst ins Unermessliche. Ich möchte das Voranschreiten des Geschehens beschleunigen. Also öffne ich den Gürtel und den Knopf seiner Anzughose. Mit einem leisen Ratsch ziehe ich den Reißverschluss herunter und schiebe die Hose über seine schmalen Hüften.

Nun steht er in Unterhemd, Socken und ein prall gefüllten Boxershorts vor mir. Seine Erektion lässt sich nicht verbergen.

Inzwischen hat Markus meine Hose geöffnet. Sie rutscht über meine Hüften ab. Die Bluse liegt am Boden. Mit nacktem Oberkörper, Schlüpfer und Kniestrümpfen stehe ich da. Nicht gerate erotisch, schießt es mir in den Kopf.

Welch lächerliches Bild! Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.

Wir entledigen uns rasch der verbleibenden Kleidungsstücke und lassen uns auf dem weichen Teppich, gleich neben dem Wohnzimmertisch, nieder.

Markus scheint es immer noch nicht eilig zu haben, denn er küsst und liebkost meinen Körper vom Kopf bis zum Venushügel. Mein Rücken biegt sich wie eine Feder. Ich stöhne, ich greife nach ihm, versuche seinen erregten Penis in die Hand zu nehmen, doch er entzieht sich mir.

Als die Erregung in mir zu explodieren droht, legt er sich endlich auf mich und dringt in mich ein. Ich umschließe ihn mit meinen Schenkeln. Seine rhythmischen Bewegungen führen mich erneut zum Orgasmus. Markus Stöße werden eindringlicher. Beide stöhnen wir laut auf, dann bewegt er sich drei-, viermal langsam und verharrt erschöpft. Ich streichle sanft seinen Rücken und wünsche mir, dass er so auf und in mir liegen bleibt.

Markus hebt den Kopf, sieht mich an und beginnt mein Gesicht mit Küssen zu bedecken. Endlich finden seine Lippen meine und wir küssen uns inniglich.

Erneut beginnt er sich rhythmisch zu bewegen. Ich fühle wie seine Erektion mich ansteckt und wir lieben uns ein zweites Mal mit der gleichen Intensität.

Noch nie habe ich Sex so überwältigend erlebt. Ich dachte immer, mit Mustafa war es einzigartig, aber Markus sollte mich eines Besseren belehren. Jetzt kann ich zugeben, mir fehlt es offensichtlich an jeglicher Erfahrung.

Einen Augenblick bleibt er auf mir liegen und legt seinen Kopf in meine Halsbeuge, dann hebt er sich von mir ab und legt sich neben mich auf den Teppich. Wir haben kein Wort gesprochen. Jetzt sagt er beinahe flüsternd: „Das war von meiner Seite nicht geplant. Und wir haben nicht verhütet. Wirklich wie zwei Primaner“, fügt er noch lächelnd hinzu.

„Ja“, kann ich nur beipflichten, „dieses Verhalten war nicht erwachsener und reifer Menschen würdig.“

Zunächst schaut er mich erstaunt an. Als er feststellt, dass ich lächle steht er auf. Ich liege immer noch auf dem Teppich. Nun fühle ich mich verpflichtet zu sagen: „Ich habe keine ansteckenden Krankheiten und auch nicht AIDS. Um ganz ehrlich zu sein, ich hatte schon sehr lange keinen Sex mehr.“

Er steht über mir und hält mir seine Hand hin. Ich ergreife sie, er zieht mich hoch und schließt mich fest in die Arme. Seinen Atem an meinem Ohr höre ich ihn sagen: „Ich habe auch keinerlei ansteckende Krankheiten. Das ist jedenfalls geklärt. Aber es besteht die Gefahr einer Schwangerschaft. Auch wenn ich nichts dagegen hätte, erscheint mir das doch ein wenig zu früh.“

Ich schüttle den Kopf und antworte locker: „Keine Gefahr. Ich bin über Jahre nicht schwanger geworden. Mach dir keine Sorgen.“

Markus schaut sich im Wohnzimmer um, das wie ein Schlachtfeld aussieht. „Ich muss jetzt gehen“, sagt er dann leise, beinahe traurig.

„Markus, du kannst doch hier schlafen.“

„Ja, das schon, aber dann muss ich morgen früh raus. Ich will dich nicht stören.“

Ich lege meine Arme um seine Taille. „Wie du willst. Du störst mich nicht, im Gegenteil. Ich kann dir sogar eine neue Zahnbürste geben. Mit Rasierzeug hapert es allerdings. Oder wartet zu Hause jemand auf dich? Dann möchte ich dich natürlich nicht aufhalten.“ Schon keimt Eifersucht in mir auf.

Nun schließt er mich wieder fest in die Arme und sagt: „Ich schwöre dir, niemand wartet auf mich. Hältst du mich für so gemein und hinterhältig?“

„Nein“, sage ich kleinlaut, „aber das hätte dir jetzt den Rückzug erleichtert.“

„Was soll denn das heißen: Rückzug. Meinst du, ich wollte einen One-Night-Stand und Tschüs? Nein, mein Liebes, so leicht mache ich es dir nicht.“ Er scheint über meine Bemerkung nicht verärgert zu sein. Nun streichelt er mein Haar. „Also, dann rück mal die Zahnbürste raus und stell den Wecker auf sechs Uhr. Du hast es so gewollt. Rasieren muss ich mich in der Praxis und umziehen auch. Ich will versuchen vor den Sprechstundenhilfen dort zu sein, sonst verstummt der Gesprächsstoff den ganzen Tag nicht.“

Ich zeige ihm das Badezimmer, gebe ihm ein frisches Handtuch und die Zahnbürste, die ich beim Besuch seiner Praxis bekommen habe. Gleichzeitig biete ich ihm an, sich zu duschen, wenn er das möchte.

Bevor er die Tür zum Badezimmer schließt, sage ich kurz: „Schön war es.“

„Ja“, ist seine kurze Antwort und schon macht er die Türe zu.

Während er im Bad verweilt, stelle ich den Wecker auf sechs Uhr. Ich bin nach wie vor im Evakostüm. Aus dem Schrank suche ich den größten Schlafanzug, den ich habe und lege ihn aufs Bett. Anschließend nehme ich einen Kleiderbügel, hänge sein Hemd und den Anzug darauf. Socken und Unterwäsche trage ich mit ins Schlafzimmer. Dann hole ich meine Kleidung und räume sie weg.

Inzwischen ist Markus im Bad fertig und kommt zu mir ins Schlafzimmer.

Er stellt fest: „Ganz schön ordentlich. Der Anzug bedankt sich. Stört es dich, wenn ich nackt schlafe?“

„Nein, ich möchte nur nicht, dass du dich erkältest. Aber es stört mich natürlich nicht. “

„Ich ziehe heute keinen Schlafanzug an“, erklärt er mir.

„Das brauchst du auch nicht“, sage ich nur und gehe ins Bad.

Meine Schminke hat schon bessere Tage oder Stunden gesehen. Ich entferne die Restbestände. Dann dusche ich kurz und putze mir die Zähne. Als ich wieder ins Schlafzimmer komme, macht Markus mir ein Zeichen, unter seine Decke zu schlüpfen.“

„Hier ist vorgewärmt“, erklärt er lachend.

Zwischenzeitlich ist es halb drei Uhr geworden. Ich lösche das Licht. Wir geben uns im Dunkeln einen Gute-Nacht-Kuss. Dann schlafen wir. Ab und zu wache ich auf und fühle Markus warmen Körper neben mir. Mit jemandem in einem Zimmer zu schlafen ist gewöhnungsbedürftig, stelle ich fest und nicke zufrieden und glücklich wieder ein.

Angsthase gegen Zahnarzt

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