Читать книгу Angsthase gegen Zahnarzt - Christine Jörg - Страница 9

Freitag, 6. November

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Um sechs Uhr reißt uns der Weckers aus einem viel zu kurzen Schlaf. Markus regt sich nicht. Recht hat er! Ich beuge mich über ihn und küsse ihn auf die Wange, die er mir jetzt unrasiert und kratzend entgegenstreckt. Er dreht sich langsam um, zieht mich an sich und sagt:

„Bleib nur liegen, ich stehe auf und gehe.“

„Nein, nein“, erwidere ich schnell. „Ich mache dir Frühstück. Was möchtest du?“ Bei diesen Worten rolle ich auf die andere Seite des Bettes, schalte die Nachttischlampe an und hieve mich schweren Herzens auf meine Füße. Nun stehe ich, also kann ich ins Bad gehen, um mir etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen. Ich ziehe den Bademantel über den nackten Körper und kehre ins Schlafzimmer zurück.

„Also, was möchtest du?“ Er ist auf den Beinen und steht wie Gott ihn geschaffen hat vor mir. Welch schöner Anblick!

„Eine Runde Sex“, grinst er mich an und sagt dann ernst: „Wenn du schon darauf bestehst, mach mir doch bitte Kaffee“, er kommt auf mich zu, küsst mich schnell auf den Mund und verschwindet in Richtung Badezimmer.

Ich gehe in die Küche. Gähnend schalte ich den gefüllten Wasserkocher an. Inzwischen stelle ich Brot, Butter, Marmelade, Wurst und Honig auf ein Tablett. Auch zwei Kiwis liegen auf einem Teller. Markus erscheint in der Küche. Ich strecke ihm die alte Kaffeemühle entgegen, in die ich zuvor die Bohnen gefüllt habe.

„Was ist das denn?“ Mein Lover starrt erstaunt auf die Kaffeemühle à la Großmutter. „Wo hast du die denn her?“ Er hält sich die Mühle vor die Augen, so als würde er am frühen Morgen noch nicht richtig sehen.

„Flohmarkt“, erkläre ich wahrheitsgemäß, drücke ihn auf den Stuhl und führe mit der Hand die Geste vor, dass er zu mahlen beginnen kann.

Artig dreht er an der Kurbel. Man hört das knackende Geräusch der Bohnen, die von der Mühle zermalmt werden. „Das musste ich bei meiner Oma immer machen“, schwelgt er in Erinnerungen.

„Tja, nur, dass du nicht deine Oma vor dir hast.“ Ich trete vor ihn hin und öffne ein klein wenig meinen Bademantel. Noch bevor er die rechte Hand nach mir ausstrecken kann, ziehe ich den Bademantel wie einen Vorhang zu und trete einen Schritt zurück. Er lässt seine Hand wieder auf die Kurbel der Kaffeemühle fallen, seufzt und mahlt weiter.

Als Markus fertig ist, nehme ich ihm das altertümliche Gerät aus der Hand, öffne die kleine Schublade und kippe das Pulver in eine Kanne.

Mein Schlafgefährte hält den Kopf über die Kanne, riecht zwei-, dreimal und stellt fest: „Mensch, das duftet aber.“ Er nimmt den Kopf weg und ich gebe eine Prise Salz zum Kaffeepulver.

„Willst du mich vergiften?“, dabei grinst er mich an.

„Ist gut für die Verträglichkeit.“ Das Wasser kocht. Ich gieße den Kaffee auf. Markus staunt. Ich weiß natürlich nicht wie er Kaffee kocht, aber ich gehe fest davon aus, dass er eine teures High Tec Gerät hat, das alles kann.

Das Tablett steht noch beladen auf der Arbeitsplatte in der Küche. Ich nehme es in die Hand, als Markus fragt:

„Isst du nicht in der Küche? Hier an dem Tisch ist doch Platz für zwei.“

„Wenn ich alleine bin, esse ich immer hier, das ist schneller.“

„Na also. Zu zweit geht es auch. Du hast doch hoffentlich nichts bereut, mein Liebes?“ Dabei zieht er mir den Bademantel von der Schulter, entblößt meine linke Brust und küsst sie. Diesmal kann ich nicht entweichen.

„Du kannst es wohl nicht lassen“, stelle ich lachend fest. „Siehst du nicht, wie du mich bei der Arbeit behinderst?" Ich küsse ihn auf das Haar und schiebe ihn beiseite. Wie nebenbei sage ich: „Nein, ich bereue die letzte Nacht nicht.“ Ich wage es jedoch nicht ihn mit einem Kosewort anzusprechen. Wie spröde ich doch bin.

Er setzt sich an den Tisch und hilft mir Teller, Tassen und Besteck auf den Tisch zu stellen. Das Tablett entlade ich nun in der Küche am kleinen Tisch.

„Das ist ein wahrhaft fürstliches Frühstück, Angelika. Vielen Dank. Du willst wohl, dass ich zu Kräften komme und den Tag gut durchhalte.“ Wieder lächelt er mich freundlich und liebevoll an. Auch ich setze mich an den Tisch.

„Was machst du heute?“, wechselt er das Thema. Bei ihm ist der Tagesablauf von vornherein klar. Ein Schauder überkommt mich bei dem Gedanken in wie viele offene Münder er heute starren wird. Aber ich beantworte schließlich seine Frage:

„Oh, ich werde Einkaufen gehen und hier arbeiten. Ich bin leider in Verzug. Wenn ich noch Zeit habe, will ich sehen ob eine Bekannte vom Haus mit in die Sauna geht.“

„Du gehst auch in die Sauna. Weshalb verschiebst du das nicht aufs Wochenende und wir gehen gemeinsam? Im Squashklub, in dem ich bin, gibt es eine Sauna. Was hältst du davon?“

Wir haben die Kiwis gegessen und ich antworte ohne Überzeugung: „Ja, mal sehen. So, hier ist der Kaffee.“ Ich schenke uns eine Tasse ein. Inzwischen sitze ihm gegenüber. Noch bin ich nicht überzeugt, dass ich mit ihm in die Sauna gehen möchte. Alles ist so neu und frisch und ich bin so unsicher über meine Gefühle.

„Es war eine kurze Nacht“, wechsle ich das Thema. Auch Markus hat Ränder unter den Augen. Er sieht nicht gerade ausgeruht aus.

„Ja, das stimmt, aber es war eine Angenehme.“

Während er das sagt, bestreiche ich ihm ein Brot mit Butter und stelle Wurst, Käse, Marmelade und Honig vor ihn hin.

„Danke dir. Sieh dich vor, verwöhne mich nicht zu sehr, das könnte gefährlich werden. Isst du denn nichts?“

„Na, ich habe doch eine Kiwi gegessen. Den Rest gibt es nach Gymnastik und Duschen.“

„Warum hast du nichts gesagt. Ich wäre ich ohne Frühstück gegangen.“

„Das weiß ich, deshalb habe ich es dir nicht gesagt. Ich wollte dich noch ein wenig für mich haben“, bei diesen Worten lächle ich ihn neckisch an. Dafür, dass ich mit meinen Gefühlen nicht im Reinen bin gehe ich ziemlich direkt zur Sache. Ich bin über mich selbst erstaunt. Dieser Mann schafft es tatsächlich mich aus meiner Reserve zu locken.

„Du machst also Morgengymnastik? Gut. Das hilft munter zu werden.“ Er sieht auf die Uhr und erhebt sich.

„Ob ich will oder nicht, ich muss jetzt gehen. Vergiss mich nicht. Heute Abend rufe ich dich an.“

Ihn vergessen? Welch eine Idee. Nach dieser Nacht. Er ist doch allgegenwärtig. Also antworte ich: „Ja, gerne. Wie sollte ich dich vergessen? Ich müsste zu Hause sein. Schönen Tag, Markus. Ich hoffe nur, er wird nicht zu streng.“ Ich sehe schon, ich bin nicht mehr in der Lage logisch zusammenhängend zu sprechen.

„Freitag meistens nicht. Die Leute fahren oft schon mittags weg. Ich wünsche dir einen schönen Tag. Arbeite nicht zu viel.“

Wir stehen an der Wohnungstür und umarmen uns zum Abschied. Dann geht er. Jetzt fährt er mit dem Fahrstuhl hinunter. Ich muss lächeln.

*

Der Tag verläuft ungefähr so wie ich es vorausgesagt habe. Gegen fünf Uhr kommt Hadi, ein türkischer Student, dessen Referat ich korrigiere. Ich habe einige ausländische Studenten, deren Arbeiten ich für die Universität aufbereite. Manche bezahlen ein wenig dafür, andere nicht.

Wir werden erst um halb acht mit der Arbeit fertig, deshalb behalte ich ihn zum Essen da. Es kommt bei mir ab und zu vor, dass unverhoffte „Mitesser“ am Tisch sitzen. Ich habe immer Vorrat, besonders im Gefrierfach.

Ich bin in der Küche beschäftigt, als es kurz nach acht an der Haustür klingelt. Im Spion sehe ich nichts. Die Person muss unten stehen. Durchs Haustelefon rufe ich: „Ja, bitte?“

„Markus“, ist die knappe, präzise Antwort. Ist das der heute Morgen angekündigte Anruf, schießt es mir durch den Kopf. Sofort wachen die Schmetterlinge in meinem Bauch auf. Was hat der Mann nur mit mir angestellt? Ich freue mich ihn so unverhofft zu sehen.

„Komm rauf“, gebe ich ebenso kurz zurück und ich drücke gleichzeitig auf den Türöffner.

Schon hält der Fahrstuhl und die Tür schiebt sich langsam, wie von Geisterhand gedrückt, auf. Markus kommt mit einem schönen Blumenstrauß in der Hand auf mich zu. Blumen! Wann hat mir überhaupt jemand jemals Blumen geschenkt? Das muss schon sehr lange her sein. Selbst mein Langzeitgedächtnis lässt mich im Stich.

„Grüß dich, Markus, das ist aber eine gute Idee persönlich vorbeizukommen.“ Wir küssen uns und ich bitte ihn einzutreten.

Bevor er seinen Mantel ablegt und aufhängt, drückt er mir den bunten Strauß in die rechte Hand.

Ich führe ihn ins Wohnzimmer, wo Hadi immer noch am Esstisch über seiner Arbeit sitzt. Markus tritt einen Schritt zurück und sagt:

„Entschuldigung, ich wollte nicht stören. Ich gehe wohl besser wieder. Hatte ganz vergessen, dass du immer nur einen Jungen auf einmal zu dir einlädst.“

„Markus, du störst nicht“, versichere ich ihm schnell. „Darf ich dir Hadi vorstellen? Wir haben seinem Referat ein besseres Gesicht verpasst. Aber wir sind fertig. Gleich gibt es Abendessen.“

Hadi steht auf, gibt Markus die Hand und sagt:

„Grüß Gott, ich heiße Hadi. Angelika ist ein Engel. Ohne sie könnte ich keine ordentlichen Arbeiten abgeben. Deutsch ist zu schwierig für einen armen Ausländer.“

Auch mit mir spricht Hadi jetzt Deutsch und schlägt vor: „Wir sind fertig. Ich kann gehen und wir telefonieren.“

„Nein, Hadi, kein Problem. Du bleibst zum Essen wie besprochen.“ Weshalb müssen Männer immer alles so kompliziert machen?

Markus scheint sich vom ersten Schock erholt zu haben und sagt: „Guten Abend, Hadi. Ich bin Markus. Sie sprechen aber gut Deutsch. Was studieren Sie?“

„Maschinenbau“, sagt Hadi. „Das Technische geht aber, wenn ich Referate und Arbeiten schreiben muss, habe ich Probleme. Da bin ich froh, wenn jemand wie Angelika hilft. Studieren Sie auch?“

Markus lacht auf: „Nein, aus dem Alter bin ich leider raus. Ich bin Zahnarzt.“

Was weiter gesprochen wird, höre ich nicht, weil ich in die Küche zurückgehe und letzte Hand ans Abendessen lege.

Als ich nach einer viertel Stunde das Wohnzimmer betrete um den Tisch zu decken, hängen Beide über Hadis Text. Selbst, als ich anfange, den Tisch abzuräumen, lassen sie sich nicht stören. Erst als ich ihnen die Blätter unter der Nase wegziehe, blicken sie erstaunt auf.

„So, meine lieben Kinder, jetzt wird gegessen. Hier, ihr könnt schon den Tisch decken.“ Ich stelle das Tablett mit Tellern, Besteck und Gläsern vor sie hin. „Und vergesst nicht die Hände zu waschen.“ Groß schauen mich Beide an. Ich lache und kehre in die Küche zurück.

Gehorsam befolgen sie meine Anordnung und decken den Tisch. Als ich die Frikadellen und die Salate bringe, sind sie zufrieden. Doch es dauert nur fünf Minuten und ihr Gespräch kehrt zur Arbeit zurück. Ich bin Luft. Darüber bin ich froh. Zum Glück ist Markus Eifersucht im Keim erstickt worden. Aber das kann ich nicht zulassen. Klipp und klar muss ich es ihm zu verstehen geben, wenn er kein Vertrauen in mich hat kann er gleich die Koffer packen. Ich zicke schließlich auch nicht herum, wenn er Patientinnen in den Zähnen herumstochert und dabei auch noch lustige Geschichten zum Besten gibt.

Die beiden Männer sind so ins Gespräch vertieft, dass ich mich, als ich fertig gegessen habe, ins Arbeitszimmer verziehe. Ich habe noch eine kleine Übersetzung zu erledigen, die morgen Vormittag abgeholt wird.

Es dauert nicht allzu lange und Hadi ruft mir auf Wiedersehen über den Flur zu. Ich begleite ihn zur Tür und verabschiede ihn mit einem Händedruck.

Im Wohnzimmer ist Markus dabei den Tisch abzuräumen.

„Markus, ich habe mich nicht für die Blumen bedankt. Womit verdiene ich sie?“

„Ich wollte dir eine kleine Freude bereiten. Korrigierst du öfters Referate und Memos?“, will er wissen.

„Ja“, gebe ich zu, „das kommt ab und zu vor, besonders vor Semesterende. Markus, noch was anderes. Dein Verhalten vorhin hat mich gekränkt. Ich versichere dir, auch wenn du ab und zu andere Männer hier siehst, sind das Freunde oder Bekannte. Sonst läuft da nichts. Ich habe nie mehr als einen Geliebten zur gleichen Zeit. Besonders, wenn er so gebaut ist wie du. Eifersucht ist fehl am Platz. Etwas Vertrauen wäre angebracht. Nicht?“

„Ja“, gibt er zu und zieht mich kurz an sich, „ich habe blöd reagiert. Aber ich war so enttäuscht, dass du nicht alleine zu Hause warst. Ganz klar, du hast deine Freunde, wie ich meine. Und das mit dem Vertrauen, ist ein Grundstein für jede gesunde, glückliche Beziehung. Warst du böse als ich mit ihm über die Arbeit diskutierte?“

„Nein, ich habe nur noch zu tun, und deswegen habe ich mich zurückgezogen.“

„Na, dann arbeite mal, ich kümmere mich um das Geschirr so gut ich kann.“ Und so trennen sich unsere Wege. Er geht in die Küche und ich ins Arbeitszimmer. Irgendwie wird er das Geschirr schon in die Spülmaschine schichten und den Rest kann ich morgen abspülen.

Wie üblich, wenn ich arbeite, ist alles mit Papier und verschiedenen Nachschlagewerken vollgelegt. So übersetze ich einige offizielle Dokumente, die für Heirat und Aufenthaltsgenehmigung benötigt werden. Ich habe noch nicht alles erledigt, als Markus sich zu mir gesellt.

„Stört es dich, wenn ich in deinen Büchern stöbere?“

„Nein, mach nur. Hoffentlich habe ich keine Geheimnisse versteckt.“ Ich lächle und wende mich wieder meiner Arbeit zu.

Plötzlich sagt Markus: „Interessierst du dich fürs Fliegen?“

Ich blicke ihn über den Bildschirm hinweg an. „Ja, ein wenig“, gebe ich zu.

„Fliegst du auch?“, will er nun wissen.

„Nein. Ich hatte es vor, aber bis jetzt fehlt mir der Mumm und das nötige Kleingeld.“

„Ich dachte schon ich komme zu einem kleinen Rundflug“, sagt er scheinbar enttäuscht.

Mit dem Buch über das Fliegen setzt sich Markus in den Schaukelstuhl, neben dem Schreibtisch. Nun lässt er mich weiterarbeiten.

Ich wieder in meine Übersetzung vertieft als er sagt: „Doktor Osmani? War dein Mann auch Doktor?“

Ich schüttle den Kopf. „Nein, so weit war er noch nicht. Weshalb?“

„Weil das hier steht“, und zeigt mir einen Umschlag, den ich offensichtlich als Lesezeichen benützt hatte.

„Nein, das bin dann wohl ich“, sage ich langsam. Zwar hatte ich hart dafür gearbeitet, aber im Grunde genommen habe ich es nicht mit der Titelwirtschaft. Als ich in Istanbul promoviert habe, war es um mir einen Wunsch zu erfüllen und nicht um den Doktor vor dem Namen stehen zu haben. Auch wenn es sich so gehört.

Markus schaut mich groß an: „Du! Das wusste ich gar nicht. In was hast du promoviert?“

Da gibt es viel was du noch nicht weißt, schießt es mir durch den Kopf.

„In Philologie“. erwidere ich. „Türkisch“, füge ich noch hinzu.

„Interessant“, sagt er neugierig geworden

„Nun ja“, glaube ich erklären zu müssen, „schließlich wollte ich meine Zeit in Istanbul nicht nutzlos verstreichen lassen.“

„Na, da erfährt man Sachen“, meint er anerkennend.

„Nur nichts übertreiben, ich habe auch nicht mehr getan als andere“, erwidere ich nur. „Zum Beispiel, du.“ Damit wende ich mich wieder dem Computer zu. Ich muss die Übersetzungen heute erledigen.

Nach kurzer Zeit unterbricht er mich wieder: „Sag mal, Angelika, ist das ein Foto von deinem Mann?“

Ich sehe auf das Foto in seiner Hand. Er zeigt mir Mustafas Foto und betrachtet es genau. Am liebsten hätte ich es ihm aus der Hand gerissen und an seinen Platz zurückgestellt. Kein Mensch hatte das Recht, es zu nehmen, doch ich rühre mich nicht, sondern bejahe nur seine Frage.

„Was hat er studiert?“

„Physik.“ Es war mir unangenehm mit ihm darüber zu sprechen, aber weiterhin unternehme ich nichts um das Gespräch zu unterbinden.

„Er muss ein sehr netter Mensch gewesen sein. Das sieht man schon an den Gesichtszügen“, und er zeigt mit der linken Hand auf das Foto um zu verdeutlichen, was er meint. ‚Hör endlich auf‘, schreit es in mir, aber ich schweige.

„Das war er auch“, sage ich nur. Oh, wenn er doch aufhören würde über Mustafa zu sprechen.

Doch es geht weiter: „Ich verstehe gar nicht, dass ihr keine Kinder hattet. Wie lange wart ihr verheiratet?“

„Acht Jahre“, gebe ich zur Antwort, „wir hatten zunächst keine Zeit. Dann hat es nicht geklappt. Und danach war es zu spät.“

Nun blickt er vom Foto auf und sieht mich an. Er bemerkt meine Rührung, tritt zu mir und streichelt mir die rechte Wange. „Tut mir Leid, Liebes.“

Hätte er nichts gesagt, ich hätte mich vielleicht noch beherrschen können, doch nun ist es aus und ich heule los. Markus kniet sich vor meinen Stuhl, legt meinen Kopf an seine Brust und klopft mir zärtlich den Rücken.

Nach einem Weilchen mache ich mich von ihm los und suche die Papiertaschentücher auf dem Schreibtisch. Markus sieht den Karton zuerst und reicht mir die Schachtel. Ich wische mir die Augen ab, schnäuze mich geräuschvoll und sage:

„Entschuldige, Markus, aber manchmal, wenn man über Mustafa spricht überkommt mich eine große Traurigkeit.“

„Ich hätte dich nicht darauf ansprechen dürfen. Aber ich wusste nicht, dass du noch so sehr trauerst. Ab und zu tut es ganz gut zu weinen. Außerdem machen Tränen schöne Augen.“ Dabei lächelt er vorsichtig. „Du hattest ziemlich jung geheiratet.“

„Ja. Ich war einundzwanzig.“ Jetzt geht es mir besser. Sicherlich ist es gut, wenn Markus diesen traurigen Teil meines Lebens kennt.

„Sag mal, wie hatte deine Familie reagiert?“, will er nun wissen.

„Och, meine Eltern hatten mich vor ein Ultimatum gestellt. Entweder heirate ich nicht und ich bleibe ihre Tochter oder sie haben keine Tochter mehr. Na ja, seitdem habe ich eben keine Eltern mehr. Sie waren gegen die Ehe ohne Mustafa je kennen gelernt zu haben. Ganz ehrlich, ich habe mich meiner Eltern ob ihres Verhaltens geschämt. Aber das ist lange her.“

„Seither hast du nichts mehr von ihnen gehört? Meinst du nicht, dass sie ihr Verhalten bereuen?“

„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. So wie ich sie einschätze“, sage ich.

„Ja, das musst du natürlich besser wissen.“ Er nickt verständnisvoll.

„So, Markus, wir haben lange genug gesprochen. Lass mich noch die Übersetzungen überarbeiten. Morgen Vormittag werden sie abgeholt.“

„Ja, natürlich, mach nur. Entschuldige.“ Und er setzt sich mit dem Buch übers Fliegen wieder in den Sessel.

Gegen elf Uhr bin ich fertig. Wir setzen uns kurz ins Wohnzimmer auf das Sofa. Er hat sich ein Bier aus dem Kühlschrank geholt. Sein Arm liegt auf meiner Schulter und er will wissen:

„Angelika, du bereust es immer noch, von deinem verstorbenen Mann keine Kinder zu haben?“

„Ja.“

„Deswegen darfst du dich jetzt aber nicht einigeln.“

„Sollte ich nicht. Ich weiß“, gebe ich abschließend zu.

Als Markus sein Bier ausgetrunken hat, schlage ich vor, ins Bett zu gehen.

„Ja, es ist schon spät“, gibt er zu.

„Musst du morgen früh raus?“, will ich wissen.

„Nicht zum Arbeiten, aber ich muss mal ein wenig Einkaufen und bei mir zu Hause nach dem Rechten sehen. Kommst du mit?“

„Das kommt darauf an. Morgen kommt jemand vorbei und holt die Übersetzungen ab. Wir sehen uns spätestens für die Sauna." Mein anderer Termin ist ausgefallen, also möchte ich doch mit Markus gehen.

Nun schlägt er sich mit der flachen Hand an die Stirn: „Das hatte ich dir ja gar nicht gesagt. Ein Freund hat mich angerufen. Normalerweise spiele ich mit ihm Squash und habe für morgen Nachmittag einen Termin ausgemacht. Wir spielen eine Stunde und gehen anschließend in die Sauna. Du kannst mitkommen und schon in die Sauna gehen oder zuschauen. Du spielst nicht Squash?“

„Nein. Wenn es dir Recht ist, gehe ich nicht mit. Ich werde versuchen, hier eine Stunde zu belegen.“ Ohne es zuzugeben, bin ich doch etwas geknickt. Was soll ich rumhocken, während er Squash spielt. Das ist doch Schwachsinn. Außerdem ist es ein Unterschied ob ich mit Markus in die Sauna gehe oder ob da noch jemand anwesend ist. Aber ich spreche meine Gedanken nicht aus.

„Weißt du, wir spielen fast jeden Samstag zusammen. Ich wollte ihn nicht auf das Abstellgleis stellen und wollte Beides verbinden“, erklärt er mir.

„Kein Problem“, gebe ich klein bei. Weshalb soll ich überreagieren. Schließlich hat Markus ebenfalls seinen Freundeskreis.

Danach machen wir uns beide für das Bett fertig. Wir sind zu müde um irgendwelche Dummheiten zu begehen und schlafen aneinander gekuschelt schnell ein.

Angsthase gegen Zahnarzt

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