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Flexible Arbeitswelten – Utopie oder Wirklichkeit?

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Nach Expertenschätzungen pendelt jeder sechste Berufstätige. Wer nicht als Freiberufler seine Brötchen verdient und seine Arbeitszeit freizügiger einteilen kann, kommt durch starre Bürozeiten ziemlich unter Druck. Daher wünscht sich jeder zweite Liebes-Mobile Unterstützung, um die Belastung des Pendelns abzufangen. Noch gibt es anscheinend viel zu wenig Firmen mit flexiblen Arbeitszeiten, trotzdem in einer aktuellen Umfrage des Europressedienstes unter 2100 Unternehmen und Kommunalverwaltungen 85 Prozent angaben, solche Erleichterungen anzubieten. Die Münchener Arbeitszeitberaterin Angela Fauth-Herkner steht solchen Zahlen kritisch gegenüber: „Flexible Arbeitszeitmodelle existieren häufig nur auf dem Papier“, so ihre Einschätzung, „oder sind in der Praxis nicht wirtschaftlich eingesetzt, weil es an einem Planungs- und Steuerungsinstrument fehlt, das die Wünsche aller Angestellten unter einen Hut bringt.“ Fauth-Herkner ist eine der Vorreiterinnen auf dem Gebiet und hat bereits 1978 beim Münchner Einzelhändler Beck flexible Arbeitszeiten eingeführt. Wobei Unternehmen klare Vorteile von derartigem Engagement haben, wie eine Befragung ihres Beratungsbüros unter 800 deutschen Firmen ermittelte: „Die Mitarbeiter sind hochmotiviert, zufriedener mit ihrem Job und erledigen ihre Arbeit effizienter“, fasst Fauth-Herkner den Nutzen zusammen, den auch folgende Grafik des Europressedienstes herausstellt.

Diese Auswirkungen lassen sich durch aktive Familien-politik feststellen:


Quelle: Europressedienst 2002

Insgesamt sind in den vergangenen Jahren viele neue Arbeitszeitmodelle entstanden, etwa Teilzeit, Halbtageszeit, Job-Sharing, Sabbaticals oder die Vier-Tage-Woche. Unter Pendlern sind folgende Varianten am beliebtesten: Arbeitszeitkonten, Vier-Tage-Woche oder drei Tage im Betrieb, zwei Tage zu Hause am Bildschirm. Wie eine Studie der Bonner Empirica Gesellschaft für Kommunikations- und Telekommunikations-forschung ermittelte, hat sich in den vergangenen drei Jahren die Zahl der Telearbeiter in Deutschland verdreifacht, die heute bei sechs Millionen E-Workern liegt. Allerdings ist der Anstieg nicht als Siegeszug des Homeoffice zu werten, sondern auf die vielen Jobnomaden zurückzuführen, die mit Laptop, Palm & Co. von unterwegs oder abends und am Wochenende von zu Hause aus arbeiten.

Ein guter Prozentsatz dürfte dabei auf das Konto der Fernliebenden gehen, die in fast allen Branchen zu Hause sind. Vorwiegend jedoch bei Consulting-Unternehmen, in der Politik, der darstellenden Kunst, bei weltweit operierenden Konzernen, Versicherungen oder Banken. So hat die HypoVereinsbank beispielsweise seit Herbst 1998 eine eigene Abteilung mit dem Namen Work-Life-Balance eingerichtet. Eckpfeiler der familienfreundlichen Personalpolitik, die auch mobilen Liebenden zugute kommt, sind Angebote an Telearbeit, die Vermittlung von Kinderbetreuung oder „FiT-Flexibel im Team“. Das FiT-Bürozeitmodell verzichtet auf eine Kernzeit, stattdessen sprechen sich die Mitarbeiter eines Teams ab und passen ihre Anwesenheit an Auftragssituation und Kundenbedürfnisse an. Wenn ein Berater beispielsweise die gewünschte Eigenheimfinanzierung am Abend mit dem Kunden durchspricht, kann er sich dafür einen anderen Tag freinehmen. Schnell kommen so 80 bis 120 Plusstunden zusammen, die zum Beispiel als verlängertes Wochenende genutzt werden können.

Da Fernbeziehungen in den Augen von Personal- und Management-Professor Michael Domsch „in starkem Maße zunehmen“, sind Firmen in Zukunft stärker gefordert, lebensphasenorientierte Personalpolitik zu betreiben. „Nur so können sie Top-Leute an sich binden. Denn hinter einem erfolgreichen Mann steckt meist eine ebenso qualifizierte Frau, die nicht bereit ist, wegen eines Berufs- und Ortswechsels des Mannes die eigene Karriere aufzugeben“, erklärt Domsch. Außerdem lässt eine stärkere Orientierung der Firmen hin auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter die Krankheitsrate im Unternehmen sinken – egal, ob stressbedingt oder vorgetäuscht. Der Einzelne ist motivierter, meint der Hamburger Wissenschaftler, der sich seit fünf Jahren für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben einsetzt.

1997 initiierte Domsch etwa das europäische Netzwerk „Familie und Arbeit“, das jetzt „Balance“ heißt und sich für Total E-Quality engagiert. Diese vom Familien- und Forschungsministerium unterstützte Initiative zeichnet Betriebe aus, die heute schon sensibler mit dem Vereinbarkeits-Thema umgehen. Über 60 Unternehmen hat der Frankfurter Verein bislang zertifiziert von Aventis über IBM bis hin zu Procter & Gamble und Wüstenrot. Eine genaue Liste aller prämierten Unternehmen finden Interessierte im Internet unter www.total-e-quality.de. Einige Konzerne wie Deutsche Lufthansa, Commerzbank oder Siemens tauchen auch in dem 80 Mitglieder umfassenden Verzeichnis des Audits Beruf und Familie auf. Anders als Total E-Quality besucht die im Auftrag der gemeinnützigen Hertie-Stiftung entwickelte Initiative Firmen und gibt Handlungsempfehlungen. Denn wenn Unternehmen mit neuen Großraumbüros, Rollcontainer-Schreibtischen und Desksharing-Maßnahmen mehr Flexibilität von ihren Mitarbeitern erwarten, müssen sie im Sinne der Effizienz auch selbst Zugeständnisse machen. So sind nach einer Befragung der Personalberatung Heidrick & Struggles von 500 Managern 73,9 Prozent bereit, für den Karrieresprung umzuziehen. Allerdings kann sich nur ein Drittel vorstellen, für den Traumjob in Berlin, München oder im Ausland lediglich eine Wochenendehe zu führen. Und laut einer Untersuchung des Hamburger Freizeitforschungsinstituts BAT zur Arbeitswelt 2010 wollen High Potentials in Zukunft nicht leben, um zu arbeiten, sondern arbeiten, um zu leben. „Vom kürzeren Arbeitstag bis zur Vier-Tage-Woche wollen vor allem drei Bevölkerungsgruppen Gebrauch machen: die Großstädter, die Hochgebildeten und die Besserverdienenden“, fasst Horst Opaschowski, Leiter des Instituts, das Untersuchungsergebnis seiner Studie zusammen. Kinder würden diesen Vorsatz begrüßen. So ermittelte das New Yorker Family and Work Institute, das 1000 Sprösslinge zwischen 8 und 18 Jahren eine Wunschliste über das Arbeitsleben ihrer Eltern anlegen ließ, dass die Kleinen nicht mehr Zeit mit den Eltern (nur 10 Prozent) verbringen wollen, sondern sich weniger gestresste und müde Eltern in der Freizeit wünschen (34 Prozent).

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