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Einführung Trotz Liebesglück bleibt eine ewig bange Frage

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Wenn das Bett neben einem an Wochentagen Nacht für Nacht leer bleibt, obwohl man liiert ist, handelt es sich um einen ziemlich klaren Fall. Um eine Fernbeziehung. Fast jeder kennt dieses Paarmodell, hat es – wenn auch nur für kurze Zeit – selbst gelebt und weiß um seine süßen wie schaurigen Momente: Die prickelnden Wiedersehensfreuden, die intensive Zweisamkeit, die zärtlichen Telefonate, aber auch die Einsamkeitsschübe, Eifersuchtsattacken oder den nagenden Zweifel: Klappt es oder klappt es nicht? Dennoch findet das Modell immer mehr Anhänger. So ist heute bereits jedes vierte bis fünfte Paar um die 30 Jahre in eine solche Beziehung verstrickt, die so alt ist wie das Zusammenleben.

Zum Broterwerb und um neue Märkte und Territorien zu erschließen, verließen einst Seemänner, Handelsreisende, Regenten oder Diplomaten regelmäßig Frau und Familie. Als prominentester deutscher Pionier gilt wohl Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe. Ihn schickte der Herzog oft auf Reisen oder an die Front und trennte ihn monatelang von seiner Lebensgefährtin Christiane Vulpius.

Durch die Emanzipation der Frau, die ihr Heil nicht mehr in den drei traditionellen Ks – nämlich Kirche, Kinder, Kochen – sah, bekam die Liebe auf Distanz schließlich ein neues Antriebsmoment. Waren diese Paarungen meist durch den Arbeitgeber des Mannes fremdbestimmt, möchten die immer besser ausgebildeten Frauen nicht mehr zurückstecken und auch Karriere machen. Die „Ich-bestimmte Lebenskonstruktion“ mit ihren Eckpfeilern Selbst-Verwirklichung und Selbst-Findung wird, wie Trendpapst und Hamburg-London-Pendler Matthias Horx definiert, zum Kernwert der modernen Welt. Das bestätigen auch die Parolen der neueren Eso-Psychologie, die mit „Sei du selbst!“, „Lebe deine Bedürfnisse!“, „Lebe deinen Traum!“ persönliches Wachstum propagieren und zu einer Art positivem Egoismus aufrufen, um Erfüllung und individuelles Lebensglück zu finden.

Diese neue Freiheit des Seins und Strebens revolutioniert aus sicht der Soziologen auch das Beziehungsideal. Statt als Fusionspaar zu einem „Wir“ zu verschmelzen, verfolgt das moderne Assoziationspaar gemeinsame Ziele und lebt trotz dieses „Wirs“ auch – jeder für sich – sein „Ich“.

Die Fernbeziehung wird damit zur logischen Konsequenz. Sie räumt beiden Partnern kreativen Freiraum ein, der es ihnen ermöglicht, ungebremst hochgesteckte Karriereziele zu verfolgen und Selbsterfahrungsallüren auszukosten. Rückenwind erhält das Zeitgeistphänomen durch einen veränderten, immer internationaler werdenden Arbeitsmarkt sowie durch technische und logistische Neuerungen: Während die Liberalisierung des Telefonmarkts fernmündliches Liebesgeflüster sowie E-Mail- oder Webcam-Unterhaltung durch schlankere Telefonrechnungen erleichtert, wirken Carpools, Bahncards oder die neuen Billigflüge der Low-Budget-Airlines beflügelnd, da sie selbst Liebesnester in London, Paris und New York erschwinglich machen. Die Welt wird zum Dorf, zur Fernbeziehung ist es nur ein Katzensprung – so scheint es.

Doch trotz der großen Mobilität im Miteinander stellt sich allen Beteiligten immer wieder die gleiche bange Frage: Klappt es oder klappt es nicht? Dieses kleine Kopfgewitter steht nicht permanent im Raum. Nein. Es taucht gelegentlich in schwachen Momenten auf. Häufig angestoßen durch wohlmeinende Freunde, Eltern oder Bekannte: „Auf Dauer geht das nicht gut“, „Pure Zeitverschwendung“, „Dieser Stress, das führt doch zu nichts“, lautet das Credo ihrer Unkenrufe. Ist das wirklich so? Hat auf Dauer nur eine Nahbeziehung Bestand, die die Hürde der Distanz nicht besitzt?

Auch ich ringe gelegentlich mit jener Frage. Eine Beziehungskrise führte dazu, dass ich nicht nur in München lebe. Jeden zweiten Donnerstag oder Freitag im Monat steige ich in eine Maschine von Air Berlin, Germania Express oder Hapag Lloyd und fliege zu meinem Lebensgefährten nach Mallorca. Fünf Jahre hatten wir zusammen in Schwabing gelebt, bevor er Deutschland den Rücken kehrte, um auf der Sonneninsel eine kreative Pause zu machen. Ich war alles andere als begeistert von dieser Idee. Doch diesmal – nachdem ich Auswanderungsideen Richtung Italien, Australien oder an den Ammersee erfolgreich abgeschmettert hatte – gelang es mir nicht, die Notbremse zu ziehen. Mein Partner war fest entschlossen, und wollte ich an der Beziehung festhalten, musste ich mit. Schnell war im Künstlerstädtchen Deia eine Finca gefunden, die fortan unser Heim sein sollte. Doch bereits bei der ersten Begehung bekam ich kalte Füße und mietete mir, zurück in München, sofort ein kleines Apartment.

Ich konnte und wollte mich in der Ferne nicht verkriechen, zudem arbeitete ich in München erfolgreich als Journalistin. Der Job machte mir Spaß und auf Mallorca schaltet man unbewusst immer ein paar Gänge zurück. Also begannen wir zu pendeln. Die erste Zeit war aufregend: Es galt Flüge, S-Bahn, Taxi, die Kommunikation und das Büro zu organisieren und viel Neues zu entdecken. Doch schließlich hatten wir die Insel, verwunschene Buchten und sämtliche Panoramawege erkundet, urige Tapas-Restaurants und Straßenfeste in Palma besucht. Ich konnte im Winter auf Spanisch radebrechend Öl bestellen und hatte irgendwann auch das Problem mit Sonnenbrille, Wimperntusche, Deo oder anderen Sachen im Griff, die anfangs immer dort weilten, wo ich mich gerade nicht befand.

Und mit dem „Alltag“, der sich schließlich auch in der zweiten Heimat einspielte, drängte sich eine ständig wiederkehrende Frage in den Vordergrund: Klappt das oder klappt es nicht? Das führte dazu, dass ich versuchte, Antworten zu finden. Ich interviewte Psychologen, Soziologen, Arbeitsexperten, Verhaltensforscher und Betroffene, um zu erfahren: Gibt es eine Pendel-Liebe forever? Bleibt der Kinderwunsch bei diesem Lebensmodell auf der Strecke? Wie meistert man Probleme und Zerrissenheitsgefühle? Ist eine Fernbeziehung für jeden geeignet? Oder gibt es so etwas wie eine Fernbeziehungs-Persönlichkeit? Daneben wollte ich von Ex-Fernliebenden und Psychologen wissen, was zum Bruch führte, um Lösungen und Selbsthilfetipps abzuleiten. Fazit: Wer ein paar „Don’ts“ beachtet, schafft einen soliden Grundstock für diese Zweier-Kiste, die für viele nur ein Übergangsmodell darstellt. Doch wer mit Bewusstsein, Toleranz und der Bereitschaft offen und ehrlich zu kommunizieren an die Sache herangeht, schafft auch den Dauerbrenner!

Letzteres kann ich nur bestätigen, selbst wenn meine Bilanz von fünf Jahren Pendeln nicht nur aus Zuckerguss besteht: Wie in jeder Beziehung quälten auch mich heftige Eifersuchtsgedanken. Daneben galt es zwei Haushalte zu organisieren, allein mit Wasserrohrproblemen fertig zu werden, einsame Stunden zu füllen, wütende Lebensziel-Debatten zu führen, Unsicherheitsfrust und meine persönliche Finanz-Panik im Krisenjahr 2001 zu ertragen. Andererseits gibt mir diese Beziehung die Möglichkeit, in München und Spanien zu leben, das Wochenende als Highlight zu sehen und meine Abende unter der Woche mit Schreiben zu verbringen, zu lesen, Freunde zu treffen und intensiv Sport zu treiben. Ich habe viele neue Erkenntnisse gewonnen und setze mich mit meinem Partner und mir intensiver auseinander. Wir gehen bewusster, vielleicht auch erwachsener miteinander um. Und immer wieder wundere ich mich, wie leicht es doch ist, einen solchen Spagat zwischen zwei Ländern und zwei Menschen hinzubekommen. Ob wir irgendwann wieder täglich Tisch und Bett miteinander teilen, wer weiß? Im Moment ist Pendeln angesagt – eine spannende wie bereichernde Erfahrung zugleich!

Liebe auf Distanz

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